veröffentlichende Fachgesellschaft: American Academy of Neurology (AAN)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 10.12.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000214466
Diagnose funktioneller Anfälle
- funktionelle Anfälle in die Differenzialdiagnose und die Erstuntersuchung von Patient*innen mit anfallsartigen oder synkopenartigen Episoden einbeziehen, um rasche und genaue Diagnose zu stellen
- sowohl von Patient*innen als auch von Zeugen anamnestische Informationen einholen, um rasche und genaue Diagnose zu ermöglichen
- kurze körperliche Untersuchung während des Anfalls im Rahmen von der Akutuntersuchung von Patient*innen mit anhaltenden anfallsartigen Episoden
- besteht nach Auswertung der Anamnese, einschließlich verfügbarer Video- und EEG-Daten, weiterhin eine diagnostische Unklarheit zwischen epileptischen und funktionellen Anfällen, Anfertigung eines Video-EEG typischer anfallsartiger Episoden, um die Diagnose mit größtmöglicher klinischer Sicherheit zu bestätigen
- besteht nach Anamnese und Auswertung der Symptomatik weiterhin eine diagnostische Unklarheit zwischen Synkope und funktionellem Anfall, Blutdruck und Herzrhythmus während der Anfälle mittels EKG-Überwachung und/oder Kipptischuntersuchung (sofern verfügbar) beurteilen, um die Diagnose mit größtmöglicher klinischer Sicherheit zu bestätigen
- wenn Video-EEG, EKG und/oder Kipptischuntersuchungen typischer anfallsartiger oder synkopenartiger Episoden nicht durchführbar sind, Langzeit-EEG, interiktales EEG, interiktales EKG (sofern verfügbar), Smartphone-Videoaufnahmen typischer anfallsartiger Episoden sowie Anamnese heranziehen, um Diagnose mit größtmöglicher klinischer Sicherheit zu stellen
- bei der Diagnostik bei Patient*innen mit funktionellen Anfällen auch andere funktionelle neurologische Symptome abklären und beurteilen, um umgehende Behandlung zu ermöglichen
- bei Bedarf Überweisung an spezialisierte Klinik und/oder Praxis
Beurteilung psychiatrischer Komorbiditäten und Epilepsie
- Patient*innen mit der Diagnose funktionelle Anfälle auf gleichzeitig auftretende psychiatrische Störungen (inkl. affektiver Störungen, Traumafolgestörungen, Persönlichkeitsstörungen und Substanzkonsumstörungen) untersuchen, um die Behandlung sowohl der Begleitstörungen als auch der funktionellen Anfälle zu erleichtern
- Patient*innen mit der Diagnose funktionelle Anfälle und gleichzeitig bestehenden psychiatrischen Erkrankungen, die noch keine psychiatrische Versorgung erhalten, Überweisung an Fachärzt*in für Psychiatrie und Psychotherapie, um angemessene, evidenzbasierte Behandlung gleichzeitig bestehender psychiatrischer Erkrankungen zu gewährleisten
- Anamnese, Symptomatik und – sofern möglich – Video-EEG nutzen, um Patient*innen mit gleichzeitig auftretenden funktionellen und epileptischen Anfällen zu helfen, verschiedene Anfallstypen genau zu identifizieren und zu unterscheiden, um angemessene Behandlung zu gewährleisten
- Patient*innen mit funktionellen Anfällen und gleichzeitig bestehender Epilepsie über die Risiken und Vorteile von Antiepileptika zur Behandlung epileptischer Anfälle sowie über deren fehlende Wirksamkeit bei der Behandlung funktioneller Anfälle aufklären
- Patient*innen mit funktionellen Anfällen und gleichzeitig bestehender Epilepsie geeignete Antiepileptika verschreiben
allgemeine Therapie
- interdisziplinäre Zusammenarbeit von Neurologie und Psychiatrie bei der Beurteilung und Behandlung funktioneller Anfälle, um evidenzbasierte Behandlung zu ermöglichen
- an die allgemeinen Behandlungsstandards halten (inkl. respektvoller Kommunikation, Vermeidung unnötigen Schadens und Vermeidung stigmatisierenden Verhaltens), um Patient*innen vor Schaden zu bewahren
- Patient*innen und Angehörigen die spezifische Diagnose und deren Begründung klar, einfühlsam und unterstützend erläutern und dabei den kulturellen Kontext der Patient*innen berücksichtigen, um das Verständnis der Diagnose und der Behandlung zu erleichtern
- gemeinsame Entscheidungsfindung bezüglich des Behandlungsplans und dabei das Verständnis der Patient*innen bzgl. der Diagnose berücksichtigen, um die aktive Beteiligung der Patient*innen an der Behandlung zu fördern
- Patient*innen und deren Angehörige darüber aufklären, wie ein akuter funktioneller Krampfanfall zu bewältigen ist, um die Kontrolle der Patient*innen über ihre Anfälle zu verbessern und die Anfälligkeit zu verringern
psychologische Interventionen
- wenn psychologische Interventionen zur Behandlung funktioneller Anfälle angezeigt und verfügbar sind, Patient*innen über potenziellen Nutzen und Risiken solcher Interventionen aufklären, um gemeinsame Entscheidungsfindung zu ermöglichen
- interessierte und geeignete Patient*innen mit der Diagnose funktionelle Anfälle zur Behandlung mittels psychologischen Interventionen verweisen, um die Anfallshäufigkeit, die gesundheitsbezogene Lebensqualität und das psychosoziale Funktionieren zu verbessern
- Zustimmung der Patient*innn, Familie, Betreuungspersonen oder andere Mitglieder des sozialen Unterstützungsnetzwerks in die psychologische Behandlung von Erwachsenen mit funktionellen Anfällen einbeziehen, um die Behandlungsergebnisse zu verbessern
- Familie in die psychologische Behandlung von Kindern mit funktionellen Anfällen einbeziehen, um die Behandlungsergebnisse zu verbessern
pharmakologische Interventionen
- Patient*innen mit funktionellen Anfällen ohne gleichzeitige Epilepsie oder andere Indikation für Benzodiazepine über die potenziellen Risiken und den fehlenden Nachweis eines Nutzens von Benzodiazepinen bei funktionellen Anfällen aufklären
- Benzodiazepine nicht zur Akutbehandlung von funktionellen Anfällen ohne gleichzeitig bestehende Epilepsie, Angststörungen oder andere Indikation verschreiben, um das Risiko von Nebenwirkungen zu verringern
- Patient*innen mit funktionellen Anfällen ohne gleichzeitige Epilepsie oder andere Indikation für Antiepileptika über den fehlenden Nutzen und die potenziellen Risiken der Einnahme von Antiepileptika zur Behandlung funktioneller Anfälle aufklären
- Patient*innen mit funktionellen Anfällen ohne gleichzeitig bestehende Epilepsie oder andere Indikation für Antiepileptika keine Antiepileptika verschreiben, um das Risiko von Nebenwirkungen zu verringern
- Dosis der Antiepileptika bei Patient*innen mit funktionellen Anfällen und ohne weitere Indikation für Antiepileptika schrittweise reduzieren, um das Risiko von Nebenwirkungen zu verringern


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