Die Fachexpert*innen der Eckpunktepapier-Konsensus-Gruppe haben am 09.09.2025 ein Eckpunktepapier „Zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Prähospitalphase und in der Klinik“ veröffentlicht. Die wichtigsten Punkte aus dem Eckpunktepapier gibt es heute bei FOAMio Politix.
Grundsätzliches
- „Eckpunktepapier zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung (EPP)“ aus dem Jahr 2008 definierte erstmals Rahmenbedingungen und Ziele für Strukturanforderungen für die Planung der notfallmedizinischen Versorgung
- Eckpunktepapier wurde 2016 aktualisiert und um die Akutversorgung im Krankenhaus erweitert
- mit dem aktuellen Update des Eckpunktepapiers werden die aktuellen Herausforderungen adressiert (z.B. demografischer Wandel, strukturelle Veränderungen im Gesundheitswesen, steigende Einsatzzahlen und verändertes Patient*innenverhalten)
Kernempfehlungen
- Hilfsfrist und Prähospitalzeit
- rettungsdienstliche Standortplanung soll sich an der zeitlichen Erreichbarkeit der Einsatzorte orientieren und bereichsübergreifend geregelt sein
- dringlichkeitsbezogene Notfallkategorisierung sollte auf Basis wissenschaftlicher Evidenz entwickelt werden (hochakute, lebensgefährliche und weniger zeitkritische Gesundheitsprobleme)
- erreichbarkeitsorientierte Krankenhausplanung notwendig, die sich am Transportintervall orientiert
- Prähospitalzeit sollte bei zeitkritischen Notfallsituationen max. 60 min betragen (Beginn der definitiven Versorgung im KH spätestens 90 min nach Notrufeingang)
- Erste Hilfe
- Verkürzung des therapiefreien Intervalls durch effektive und lebensrettende Maßnahmen bis zum Eintreffen professioneller Helfer*innen ist bei akut lebensbedrohlichen Situationen von großer Bedeutung
- gezielte und regelmäßige Schulungen der Bevölkerung, v.a. bei Schülern im Rahmen des regulären Unterrichts, sowie zusätzlich Präventions- und Aufklärungsprogramme
- Netz der organisierten Ersten Hilfe (HvO, First Responder etc.) sollte zusätzlich durch sog. Smartphone-basierte Ersthelfer (SbE) unterstützt werden
- Optimierung der Rettungskette durch enge Zusammenarbeit zw. niedergelassenen Ärzt*innen, RD, Kliniken und Leitstellen
- Leitstelle
- Einführung der standardisierten Notrufabfrage in allen Leitstellen
- Qualität der Notrufabfrage muss durch regelmäßiges Feedback kontinuierlich überwacht und verbessert werden
- Verwendung vorgeplanter Logistikketten zur Beschleunigung des Dispositionsprozesses und einer möglichst schnellen Aufnahme im geeigneten Krankenhaus (also beschleunigte Einsatzabwicklung unter Berücksichtigung von Notfallort, Position der geeigneten Rettungsmittel und Standort des geeigneten Krankenhauses)
- Notwendigkeit einer bedarfsgerechten Vorhaltezeiten der Luftrettung, welche einen Tag- und Nachtbetrieb umfassen
- Förderung innovativer technischer Ansätze wie Abfragesysteme mit Unterstützung durch KI und Berücksichtigung von Videomaterial vom Notfallort
- Verkürzung des therapiefreien Intervalls durch Anleitung von Notfallzeug*innen in Herz-Lungen-Wiederbelebung (Telefonreanimation, T-CPR) oder Entsendung von organisierten Ersthelfer*innen
- Etablierung einer digitalen Vernetzung mit dem KV-Notdienst, inkl. der vollständigen digitalen Übergabe von Datensätzen als Standard
- Sicherstellung einer ausreichenden Anzahl von entsprechend qualifizierten Mitarbeiter*innen mit bedarfsweiser Anpassung
- spezialisierte und rollenbasierte formale Ausbildung der Einsatzsachbearbeiter (Calltaker, Disponent etc.) in Leitstellen ist anzustreben sowie verpflichtende wiederkehrende Fortbildung
- Leitstellen-Betrieb & -Vernetzung nach bundeseinheitlichen Qualitätsvorgaben und mit bundeseinheitlichen Dokumentationsverpflichtungen
- Versorgung der Notfallpatient*innen durch Notarzt- und Rettungsdienst (Boden- und Luftrettung)
- Grundlage für die medizinischen Maßnahmen liefern die Leitlinien
- Nutzung der Tracerdiagnosen zur Bewertung des On-scene-Intervalls und der notfallmedizinischen Versorgungsqualität
- notärztliche Expertise vor Ort bei Tracerdiagnosen grundsätzlich notwendig, alternativ können heilkundliche Maßnahmen von Rettungsfachpersonal auch in Delegation durchgeführt werden (kein Notarzt beim unkomplizierten Schlaganfalls aus Zeitgründen)
- TNA/TNÄ als qualitätsverbessernde Ergänzung, aber nicht als Ersatz für ein ausreichend dicht geknüpftes Netz an Notarztstandorten
- Rettungsdienst sollte für eine angemessene und zielgenaue Reaktion ein weiter abgestuftes und damit flexibleres System anbieten
- Krankenhausplanung
- geeignetes KH ist i.d.R. das nächstgelegene KH, welches die strukturellen und personellen Voraussetzungen bereithält
- Schaffung eines einheitlichen & transparenten Kriterienkatalogs, welche die Eignung eines KH zur Behandlung der unten aufgeführten zeitkritischen Krankheitsbilder klar definiert (KHs mit den entsprechenden Ressourcen zur Sicherstellung der Notfallversorgung ausstatten)
- Zertifizierungsstandards der wissenschaftlichen Fachgesellschaften bieten durch klare Vorgaben an Struktur- und Anforderungsmerkmalen einen roten Faden zur Auswahl des geeigneten Krankenhauses
- Etablierung von INZ ist zur besseren Verzahnung der Notfallversorgung zw. RD, KV-Notdienst und Notaufnahme und zu einem effizienteren Einsatz von Ressourcen wünschenswert
- postprimäre Notfallverlegung als Teil der Notfallrettung
- postprimäre Notfallverlegung = Interhospitaltransfer von Notfallpatient*innen aus der erstversorgenden Klinik in Kliniken, die die vollumfängliche Akutversorgung bzw. definitive Therapie in der gebotenen Zeit leisten können
- Anpassung der medizintechnischen Ausstattung von Notfallrettungsmitteln sowie die Qualifikation des eingesetzten Personals an den zu erwartenden, steigenden Bedarf an postprimären Notfallverlegungen
- pragmatischere & differenzierte Gestaltung der Anforderungen diagnosespezifischer Leitlinien zur ärztlichen Begleitung
- Steigerung der Verfügbarkeit der Luftrettung im Interhospitaltransfer durch größtmögliche Unabhängigkeit von den Umgebungsbedingungen, wie den Flugbetrieb bei schlechtem Wetter („all weather capability“) und erweiterte Randzeiten (Nachtflugbetrieb)
- Qualitätssicherung und Versorgungsforschung
- politische Unterstützung mit gesicherter Finanzierung und aktive Weiterentwicklung datenbasierter Qualitätssicherungssysteme mit kontinuierlichem Monitoring
- einheitliche und interoperable Dokumentations- und Datenbankstruktur ist zwingend notwendig, um einsatztaktische und medizinische Daten aus der prähospitalen und klinischen Phase auch überregional zusammenführen zu können
- prospektive Erfassung von Struktur- und Leistungsdaten in einem zentralen Notfallregister mit einem standardisierten Kerndatensatz in Analogie zu den sog. InEK-Daten
- Kerndatensatz sollte neben Leistungsdaten auch Struktur- und Abrechnungsdaten erfassen, um die Notfallrettung in den Punkten Vergütungssystem, Strukturplanung, Qualifikation, Qualität und Sicherheit sowie Kosteneffizienz weiter zu verbessern und an die Bedürfnisse der Bevölkerung anzupassen
- Realisierung von Registern bzw. Ausweitung existierender Qualitätsdokumentationen für Forschungszwecke
- transparente Veröffentlichung der Ergebnisse der Qualitätssicherung
- Förderung einer aktiven Sicherheitskultur (CIRS, Nutzung von Checklisten sowie Team- & Simulationstrainings)
- Leitlinien
- Verringerung der Hürden für klinische Forschung in der Notfallmedizin durch den Gesetzgeber, um klinische Forschung sektorenübergreifend mit notfallmedizinischen Registern zu erleichtern (z.B. Konzept des „broad consent“)
- wissenschaftlichen Fachgesellschaften sollten ihre Leitlinien um Empfehlungen erweitern, die sich direkt an die in der Prähospitalphase tätigen Berufsgruppen richten
- Low-code-Einsätze
- „Low-code“- oder „Low-acuity“-Einsätze = Einsätze mit Patient*innen, die i.d.R. Symptome einer Krankheit oder Verletzung aufweisen, die eine geringe Wahrscheinlichkeit haben, zu einer ernsteren Krankheit zu führen oder Komplikationen zu entwickeln, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt versorgt werden
- Minimierung nichtindizierter Transporte ins KH durch Erkennung der Low-code-Einsätze in der Ersteinschätzung sowie Zuweisung zu geeigneten Versorgungsangeboten (z.B. Pflegenotdienst, ÄBD, psychiatrischer Krisendienst, Gemeinde-NotSan)
- enge Zusammenarbeit zw. niedergelassenen Ärzt*innen, RD, den und Leitstellen fördern, um den Umgang mit Low-code-Einsätzen zu optimieren
Empfehlungen zu Tracerdiagnosen
- plötzlicher Kreislaufstillstand
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- Diagnostik & Therapie beim Herz-Kreislauf-Stillstand gemäß gültigen ERC/GRC-LL
- Einsatztaktik und Zeitmanagement
- Verkürzung des therapiefreien Intervalls durch Telefonreanimation und Ersthelfer*innen inkl. Smartphone-basierter Ersthelferalarmierung
- Erreichen des Krankenhauses spätestens 60 min nach medizinischem Erstkontakt
- Kausaltherapie spätestens 90 min nach medizinischem Erstkontakt
- klinische Erstversorgung/geeignetes Krankenhaus
- KH mit Ausstattung eines Cardiac Arrest Center: 24/7-HKL mit Primär-PCI, CT, ITS mit standardisierter Postreanimationsbehandlung inklusive Temperaturmanagement
- Behandlung im HKL innerhalb von 90 – 120 min nach rettungsdienstlichem Erstkontakt
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- Schlaganfall
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- Erkennen der „akuten zerebralen Ischämie“ mit „Balance-Eye-Face-Arm-Speech-Test“ (BEFAST)
- Alarmierung des NA/NÄ nur bei Manifestationen mit Störung der Vitalfunktionen
- kontrollierte Blutdrucksenkung bei RRsys > 220 oder RRdia > 120 mm Hg, unter Vermeidung einer arteriellen Hypotonie (RRsys < 110 mm Hg)
- Einsatztaktik und Zeitmanagement
- Prähospitalzeit bis max. 60 min bei 95 % Zielerreichung
- Voranmeldung in KH bei akutem Schlaganfall innerhalb von 12 h
- klinische Erstversorgung/geeignetes Krankenhaus
- KH mit zertifizierter Stroke Unit mit 24/7 multimodaler CT-Bereitschaft (Nativ-CT, CT-Angiographie und CT-Perfusion)
- „Door-to-needle time“ < 30 min, entsprechend einer Zeit < 90 min ab Notrufeingang
- bei schweren Schlaganfällen: Zielklinik mit Möglichkeit einer sofortigen Thrombektomie erwägen
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- schweres Schädel-Hirn-Trauma
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- Ersteinschätzung: Unfallmechanismus, Bewusstsein (GCS), Pupillen, Hemi‑/Paraparese
- sekundäre Hirnschäden vermeiden: Oxygenierung, RRsys > 90 mm Hg
- bei vigilanzgeminderten, desorientierten, bewusstlosen Patient*innen bis Abschluss der radiologischen Diagnostik eine instabile Wirbelsäulenfraktur annehmen
- Einsatztaktik und Zeitmanagement
- Patient*innen mit schwerem SHT (GCS 3–8 Punkte) in geeigneter Klinik innerhalb von 60 min nach Notrufeingang
- Vermeidung postprimärer Notfall- und Sekundärverlegungen
- klinische Erstversorgung/geeignetes Krankenhaus
- zertifiziertes Traumazentrum mit neurochirurgischer Fachabteilung und jederzeit einsatzbereitem CT
- Beginn der lebensrettenden Notfalloperation innerhalb von 90 min nach Notrufeingang bei Op.-Indikation
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- Schwerverletzte/Polytrauma
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- prioritätenorientiertes Erkennen von lebensbedrohlichen Verletzungen und kritischen Vitalfunktionsstörungen
- Behandlung nach S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenversorgung
- Einsatztaktik und Zeitmanagement
- Schwerverletzte/Polytrauma-Patienten spätestens 60 min nach Alarmierung in geeigneter Klinik
- klinische Erstversorgung/geeignetes Krankenhaus
- zertifiziertes Traumazentrum im TraumaNetzwerk DGU®, nach Möglichkeit primär in ein überregionales oder regionales Traumazentrum
- prioritätenorientierte Versorgung im Schockraum nach S3-Leitlinie
- Beginn einer lebensrettenden Notfalloperation innerhalb von 90 min nach Notrufeingang
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- Sepsis
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- frühes Erkennen von Red Flags „Hinweis auf Infektion“
- NEWS-2-Score ≥ 5: prioritäre Sichtung in Krankenhaus; NEWS-2-Score ≥ 7: Aufnahme über Non-trauma-Schockraum
- Behandlung nach SSC Leitlinie
- Einsatztaktik und Zeitmanagement
- Aufnahme von Patient*innen mit V. a. Sepsis in geeigneter Klinik innerhalb von 60 min nach Notrufeingang
- klinische Erstversorgung/geeignetes Krankenhaus
- KH mit 24/7-Verfügbarkeit von: Notaufnahme, ITS, CT, Labor und Möglichkeiten zur Sanierung des Infektfokus mit entsprechender fachspezifischer Qualifikation
- Sanierung des Infektfokus binnen 6 h
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- ST-Hebungsinfarkt (ST-ACS)
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- Diagnose des ST-Hebungsinfarktes innerhalb von 10 min nach medizinischem Erstkontakt stellen
- unverzüglicher Transport unter kontinuierlichem Monitoring (EKG, Blutdruck, SpO2)
- Einsatztaktik und Zeitmanagement
- primäre Einweisung in PCI-Krankenhaus
- Akut-PCI innerhalb von 120 min nach Erstkontakt
- klinische Erstversorgung/geeignetes Krankenhaus
- Krankenhaus mit 24/7-HKL für Intervention innerhalb von 20 min
- Schnelllabor und Intensivstation
- Infarktgefäßeröffnung innerhalb von 60 min nach Eintreffen (Door-to-device-Zeit)
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- besondere Aspekte der notfallmedizinischen Versorgung von kritisch kranken/verletzten Kindern
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst
- besondere Anforderungen an die behandelnden Teams bezüglich Handlungskompetenz und technischer Fertigkeiten
- entsprechende Schulungsmaßnahmen notwendig
- Hilfestellungen, wie Merkhilfen und telemedizinische Konsile
- Einsatztaktik und Zeitmanagement
- wie bei Erwachsenen
- möglicher Konflikt zwischen schneller Versorgung in nächster pädiatrischer Einrichtung und langen Transportwegen zum Erreichen spezialisierter Einrichtungen
- Cave: postprimäre Notfallverlegungen schwieriger realisierbar als bei Erwachsenen
- klinische Erstversorgung/geeignetes Krankenhaus
- heterogene Krankenhauslandschaft (viele Kliniken, aber wenige Spezialkliniken) erfordert abgestuftes System
- Kinder < 14 Jahren: Zuweisung in Klinik mit pädiatrischer und/oder kinderchirurgischer Expertise
- Kinder > 14 Jahren: notfalls Versorgung in nichtpädiatrischen Kliniken mit telemedizinischer Anbindung
- Therapie/Diagnostik durch Notärzt*innen und Rettungsdienst


Sei der Erste der einen Kommentar abgibt