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11.09. – Tag der Wohnungslosen

Jährlich am 11. September findet der Tag der Wohnungslosen statt. Ausgerufen durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe  e.V. (BAG W) hat der Tag der Wohnungslosen das Ziel den Fokus auf Schicksale wohnungsloser Menschen zu richten, um zu zeigen wie viele Menschen in Deutschland jeden Tag in Wohnungslosigkeit leben.

Grundsätzliches

  • jährlich am 11. September findet, ausgerufen durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W), der Tag der Wohnungslosen statt
  • 57 % leben in Deutschland zur Miete und i.d.R. müssen bis zu 30 % des Einkommens für Wohnraum investiert werden, sodass Obdach-/Wohnungslosigkeit strukturell wahrscheinlicher wird
  • Wohnen ist ein Menschenrecht (Art. 11 ICESCR, Art. 16 ESC)
  • Unterschied zw. Wohnungslosigkeit & Obdachlosigkeit gemäß WoBerichtsG
    • Wohnungslosigkeit: Nutzung einer Wohnung durch Person oder Mehrheit von Personen desselben Haushalts weder durch Miet-/Pachtvertrag noch durch dingliches Recht abgesichert ODER Wohnung steht einer Person oder Mehrheit von Personen desselben Haushalts aus sonstigen Gründen nicht zur Verfügung (Wohnungslose haben also keine Möglichkeit, im eigenen Wohnraum zu schlafen)
    • Obdachlosigkeit: Menschen, die nachts draußen leben (CAVE: nur kleiner Teil der Wohnungslosen ist auch obdachlos)

ETHOS-Definition der FEANTSA

Die Federation of National Organisations Working with the Homeless (FEANTSA) hat 2005 in ihrer European Typology of Homelessness and housing exclusion (ETHOS) wie folgt definiert:

Quelle: https://www.feantsa.org/download/at___6864666519241181714.pdf

Die European Typology of Homelessness and housing exclusion (ETHOS) wurde vor allem für Vergleichbarkeit in internationalen Studien für alle Personen ohne festes Wohnverhältnis entwickelt.

Zahlen & Fakten

  • offiziell leben ca. 50.000 Menschen in Deutschland auf der Straße (2022), laut BAG W geschätzt ca. 1,2 Millionen Obdachlose (2018) und laut inoffiziellen Schätzungen mehr als 2 Millionen Obdachlosen im gesamten Bundesgebiet
  • > 600.000 Männer & Frauen in Deutschland sind wohnungslos (2022)
  • Unterscheidung zw. deutschen und nicht-deutschen Wohnungslosen zeigt Anstieg von 5 % bei deutschen und 118 Prozent bei nicht-deutschen Wohnungslosen
  • knapp 70 % der akut wohnungslosen Menschen suchen vorübergehend bei Freunden, Bekannten oder ihrer Herkunftsfamilie Unterkunft, gehen prekäre Mitwohnverhältnisse ein oder leben ganz ohne Unterkunft auf der Straße
  • 36 % der Frauen suchen bereits im Prozess des Wohnungsverlustes professionelle Unterstützung, bei Männern sind es nur knapp 21 %
  • Straffälligkeit häufig mit Wohnungslosigkeit assoziiert (z.B. haben ehemalige Gefängnisinsass*innen in GB eine ca. 13-fach höhere Wahrscheinlichkeit)
  • Entwicklung der Wohnungslosigkeit in Deutschland
Quelle: https://bilder.deutschlandfunk.de/6f/33/61/52/6f336152-ca3b-42b1-9814-d0690fa350ea/anzahl-wohnungslose-deutschland-100-768xauto.png
  • untergebrachte Wohnungslose (CAVE: nur Menschen, die in Not- & Gemeinschafts-unterkünften oder gewerblichen Unterkünften wie Pensionen & Hotels untergebracht sind)
    • 40 % der in Notunterkünften untergebrachten Wohnungslosen sind junge Menschen (1/3 kommt aus der Ukraine)
    • zum Stichtag 31.01.2024 gab es in Deutschland ca. 439.500 untergebrachte wohnungslose Menschen (2022: 178.100; 2023: 372.000)
    • 136.900 geflüchtete Ukrainer*innen sind zum Stichtag 31.01.2024 untergebracht (insgesamt 377.900 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit)
    • untergebrachte Wohnungslose sind im Durchschnitt 31 Jahre alt (40 % waren > 25 Jahre)
    • 105.100 untergebrachte Wohnungslose in NRW, 92.700 in BaWü & 47.300 in Berlin
    • 34 % (150.100) sind Personen in Paarhaushalten mit Kindern, 32 % alleinstehend und 17 % sind Haushalte von Alleinerziehenden
    • etwa 80% der untergebrachten wohnungslosen Menschen habe eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit (2023)

Gründe für Wohnungslosigkeit

  • explizitere Gründe für Wohnungslosigkeit laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAWO) Österreich
    • persönliche Faktoren: Zusammenbruch von Beziehungen , Tod von Partner*innen, Verlust des Arbeitsplatzes, Drogenmissbrauch, Delogierung (Zwangsräumung)
    • institutionelle Ursachen: Mangel an angemessener Unterstützung durch Ämter, Haftentlassung, usw.
    • strukturelle Faktoren: Mangel an angemessenem & bezahlbarem Wohnraum, Delogierung, Arbeitslosigkeit, häusliche Gewalt
  • Verteilung von Wohnungslosen in Deutschland nach Grund für letzten Wohnungsverlust (2021) laut Statischem Bundesamt
    • Kündigung durch Vermieter*in (32,3 %)
    • ohne Kündigung ausgezogen (26,2 %)
    • Selbstkündigung (17 %)
    • Zwangsräumung (15 %)
    • Räumungsklage (5,7 %)
    • Vertragsende (2,9 %)
    • richterliche Anordnung nach Gewaltschutzgesetz (0,8 %)
  • Ursachen für Wohnungslosigkeit laut BAG W Deutschland
    • Kündigung durch Vermieter*in (57 %)
    • Miet- & Energieschulden (21 %)
    • Konflikte im Wohnumfeld (20 %)
    • Trennung/Scheidung (16 %)

Dimensionen der Benachteiligung wohnungsloser Menschen

  • unzureichende Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums
  • unzureichende bzw. minderwertige Ernährung
  • erschwerte bzw. nicht vorhandene Hygienebedingungen
  • inadäquater Schutz gegen Hitze, Kälte, Feuchtigkeit
  • Kommunikationsstörungen (Angst, Scham, sprachliche Barrieren)
  • Kriminalität (Opfer von Diebstahl, Gewalt, sexuellen Übergriffen)
  • Multimorbidität & ungenügende medizinische Versorgung
  • Drogenabhängigkeit
  • Verhaltensstörungen
  • Diskriminierung
  • unsicherer legaler Status (Krankenversicherung, Meldewesen, Aufenthaltsstatus, ggf. „Illegalität“)

Wohnungslosigkeit in der Medizin

Wohnungslosigkeit hat einen wahrscheinlich unterschätzten Einfluss auf unser Gesundheitssystem und die Ursachen zwischen Armut und Gesundheit sind vielschichtiger als man glaubt, denn die zwei Grundsätze „Krankheit macht arm“ (Verlust des Sozialstatus durch Krankheit) und „Armut macht krank“ (Begünstigung von Krankheit durch reduzierte gesellschaftliche Teilhabe und soziale Absicherung) kratzen nur an der Oberfläche des sehr großen Bereich der Gesundheitsversorgung von Obdach- & Wohnungslosen.

Das Leben in einer gesundheitsschädlichen Umgebung wie auf der Straße oder in Notunterkünfte mit einer beeinträchtigten Möglichkeit einer gesunden Ernährung wird hierbei durch viele weitere Punkte beeinflusst, wie z.B. Suchtmittelgebrauch. Aber nicht nur die Wohnungslosigkeit als Basis stellt eine Gesundheitsgefahr dar, da auch schon negative Einflüsse wie unzureichende Wohnverhältnisse, niedrige Bildung oder körperliche Schäden in der Kindheit ausreichen, um einen relevante Gefahr für die eigene Gesundheit darzustellen.

Zu diesen Gefahren der Obdach- & Wohnungslosigkeit auf die körperliche und vor allem auch psychische Gesundheit gibt es viele Studien, die u.a. die folgenden Ergebnisse erbrachten:

  • zu den wichtigsten Faktoren, die die Kontaktaufnahme zum medizinischen Regelsystem beeinträchtigen zählen laut BARMER v.a. Scham, fehlendes Vertrauen, körperliche & psych. Unfähigkeit, finanzielle Gründe, zu weiter Entfernung, Sprachprobleme sowie Angst
  • Krankenversicherungssystem stellt relevanten externen strukturellen Faktor dar, denn min. 143.000 Menschen konnten dieses 2019 nicht in Anspruch nehmen (z.B. ist fehlende Krankenversicherung in Hamburg mit 40,1 % der Hauptgrund der Nichtinanspruchnahme des medizinischen Regelversorgungssystems)
  • Mortalität
    • Gesamtsterblichkeit (standardisierte Mortalitätsratio) bei Frauen um Faktor 11,9 und bei Männern um Faktor 7,9 über dem der Normalbevölkerung
    • Risiko eines vorzeitigen Todes unter Wohnungslosen, um das Drei-­ bis Fünffache über Niveau von Menschen mit Wohnung
    • in Bosten mittleres Sterbealter für Obdachlose bei 53 Jahren (Faktor 10 ggü. Normalbevölkerung und Faktor 3 ggü. Wohnungslosen mit Unterkunft)
    • in Frankreich mittleres Todesalter bei 44 Jahren, ggü. Normalbevölkerung mit 77 Jahren
    • ältere Autopsiestudie über Wohnungslose in Deutschland zeigte mittleres Sterbealter von 44,5 Jahren (in 62,2 % unnatürliche Todesursache; häufigste natürliche Todesursache sind Infektionen mit 16,8 %)
  • psychische Erkrankungen
    • deutsche Studie aus München zeigte seelischen Handlungsbedarf bei 74 % der Wohnungslosen (ggü. 27 Prozent in der Normalbevölkerung), 20 % waren von Minderbegabung betroffen (ggü. 2 Prozent in der Normalbevölkerung)
    • Prävalenz an behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen bei unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohten Personen: 79,3 %
    • kanadische Studie mit 500 wohnungslosen Teilnehmer*innen zeigte Prävalenz von 87,7 % bzgl. erlebter Kindesmisshandlung
    • Rate psychischer Erkrankungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erkrankungsübergreifend um das 3,8-fache erhöht
    • depressive Symptome bei Wohnungslosen 5­ bis 14­-mal häufiger als in Normalbevölkerung
    • 80 – 90% der wohnungslosen Menschen müssten aufgrund eines schlechten somatischen wie psychischen Gesundheitszustand eine „dringende medizinische Behandlung erhalten“
    • v.a. betroffen von substanzbezogenen Störungen (gepoolte Prävalenzen von Alkohol- 37,9% & Drogenabhängigkeit 24,4%), Persönlichkeitsstörungen (23,1%), psychotische Erkrankungen (12,7%) und Depressionen (11,4%)
    • laut WOHIN-Studie aus Berlin sind Wohnungslose im Schnitt 6,7 Jahre früher in psychiatrischer Behandlung
  • somatische Erkrankungen
    • bei somatischen Erkrankungen sind auch Infektionen von großer Relevanz, nicht nur wegen Drogenkonsums, sondern auch wegen unzureichenden Präventionsmöglichkeiten
    • Wohnungslose sind hohem Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden (2016 min. 17 gewaltsame Todesfälle und 128 Körperverletzungen unter Wohnungslosen)
    • häufigste Todesursache bei der Obduktion von 207 wohnungslosen Menschen in Hamburg
      • Intoxikation (25 %)
      • Herz- & Gefäßerkrankungen (17 %)
      • Infektionen (v.a. Pneumonien: 15 %)
      • Suizide (9 %)
      • Unfälle (7 %)
      • gastrointestinale Erkrankungen (6 %)

Prävalenztabellen

  • Prävalenz somatischer Erkrankungen bei Wohnungslosen in Deutschland
DiagnosePrävalenz (in Prozent)
Herz­-Kreislauf­-Erkrankungen17 – 37 %
Zahnerkrankungen23 – 27 %
muskuloskelettale Erkrankungen10 – 29 %
respiratorische Erkrankungen7 – 24 %
Augenerkrankungen7 – 17 %
Erkrankungen des Verdauungssystems11 %
Erkrankungen des Nervensystems9 – 10 %
Endokrine und Stoffwechselerkrankungen2 – 15 %
Lebererkrankungen5 – 10 %
HNO­-ärztliche Erkrankungen0 – 13 %
Erkrankungen des Urogenitalsystems8 %
Neubildungen2 – 6 %
Komorbiditäten insgesamt3 – 71 %
keine Erkrankung4 – 21 %
Prävalenz somatischer Erkrankungen bei Wohnungslosen in Deutschland (2009 bis 2019, acht Studien, Auswahl)
Quelle: Oette, Mark. Medizin für Menschen ohne Wohnung. DE: BARMER, 2022. https://doi.org/10.30433/GWA2022-164.
  • Seroprävalenz aktiver Infektionen bei Wohnungslosen in Berlin im Vergleich mit Normalbevölkerung
DiagnosePrävalenz bei WohnungslosigkeitPrävalenz bei ObdachlosigkeitPrävalenz Normalbevölkerung
Hepatitis B1,9 %17 – 30 %0,3 %
Hepatitis C16 %4 – 36 %0,2 %
HIV-Infektion2,8 %0 – 21 %0,1 %
latente Tuberkulose14,4 %0 – 8 %3 – 5 %
keine Erkrankung4 – 21 %
Seroprävalenz aktiver Infektionen bei Wohnungslosen in Berlin im Vergleich mit der Normalbevölkerung (Auswahl)
Quelle: Oette, Mark. Medizin für Menschen ohne Wohnung. DE: BARMER, 2022. https://doi.org/10.30433/GWA2022-164.

Wohnungslosigkeit in der Notfallmedizin

Fast jede in der Notfallmedizin tätige Person kann wahrscheinlich von mehreren obdachlosen Patient*innen berichtet, die man in die Gruppe der „Frequent User“ zählen kann. Obdach- und Wohnungslose suchen bei akuten Notfällen vermehrt Notaufnahmen auf, da sie dort nicht abgewiesen werden dürfen. Dies ist ein international bekanntes Phänomen und sorgt für erhebliche anfallende Kosten, da bei den obdach- und/oder wohnungslosen Patient*innen meist nur eine Symptomkontrolle/-behandlung erfolgt, die eigentlichen Ursachen bleiben unbehandelt und so kommt es zur regelmäßigen Vorstellung in der Notaufnahme. Zahlen aus Großbritannien zeigen, dass durchschnittlich 8-mal so viel Geld für die stationäre Versorgung Obdachloser aufgewendet werden muss als für die stationäre Versorgung einer nicht-obdachlosen Person zw. 18 – 64 Jahren.

Die grundsätzliche Ablehnung von Obdachlosen mit akuten Notfällen erfolgt leider immer wieder, zu den Gründen später mehr, auch wenn diese nicht rechtens ist. Bei Verweigerung einer Behandlung durch das Personal der Notaufnahme oder des Rettungsdienstes bei akuter Behandlungsbedürftigkeit greift § 323c StGb (Unterlassene Hilfeleistung). Zu betonen ist hier, dass eine „akute Behandlungsbedürftigkeit“ vorliegen muss, denn eine grundsätzliche Behandlungspflicht ergibt sich weder aus § 630a Abs. 1 BGB und dem ärztlichen Standesrecht (§ 7 Abs. 2 MBO-Ä). Der Passus „akute Behandlungsbedürftigkeit“ hat einen großen Interpretationsspielraum, den sich viele Kliniken zu eigen machen. So führt der Medizinrechtler Jens Prütting von der Bucerius Law School in der Folge „Todkrank auf der Straße – Obdachlos und unversichert – wer zahlt?“ der ZDF-Reihe „Die Spur“ aus: „Wenn ich eine schwere Erkrankung habe, die schon lange läuft und die verschlimmert sich jetzt, ist das für sich genommen kein Notfall“. Die Gründe für dieses Verhalten der Kliniken ggü. Obdach- & Wohnungslosen, die i.d.R. unversichert sind, sind mannigfaltig, aber der größte Punkt ist die Sorge auf den Behandlungskosten sitzen zu bleiben, da die jeweilig zuständigen Sozialämter nicht zahlen. Für die o.g. „Die Spur“-Folge wurden viele befragt und es gaben sich u.a. die folgenden Ergebnisse:

  • Berlin: etwa 50 von 2.500 Anträgen bewilligt
  • Frankfurt: 21 von rund 3.700 bewilligt
  • München: „in aller Regel“ keine von 500 gestellten Anträgen bewilligt
  • Hamburg: 1.249 von circa 4.000 Anträgen bewilligt
  • Rostock: keiner von 5 Anträgen bewilligt

Die so entstehenden Kosten belaufen sich laut Gerald Gaß, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) auf jährlich min. 160.000.000 €, wobei die Dunkelziffer wahrscheinlich noch deutlich höher ist.

Betrachtet man die direkte Behandlung obdachloser Menschen so findet man viele Zahlen und Berichte über eine schlechtere Versorgung selbiger. Ein gutes und gleichzeitig schockierendes Beispiel bietet eine Untersuchung von Wadhera et al. (2020) zur stationären Versorgung kardiovaskulärer Erkrankungen für die etwa 25.000 Wohnungslose und > 1.800.000 Normalpatient*innen berücksichtigt wurden. Wadhera et al. konnten in dieser Studie u.a. zeigen, dass Wohnungslose deutlich weniger Koronarinterventionen bei einem Myokardinfarkt erhielten (z.B. Angiographien: 40 % vs. 71 %), die Mortalität beim STEMI höher ist (8,3 % vs. 6,2 %) und Obdachlose bei einem Herzstillstand weniger häufig ins Krankenhaus eingeliefert wurden (76,1 % vs. 57,4 %).

Weitere interessante Fakten zum Bereich der Einflüsse von Obdachlosigkeit auf die Notfallversorgung sind z.B.

  • Patienten > 50 Jahre leiden häufig zusätzlich an chronischem Alkoholmissbrauch
  • jüngere Obdachlose leiden häufig an psychiatrischen Erkrankungen und Drogenmissbrauch
  • Vorstellungsrate in der Notaufnahme sinkt trotz höherem Alter und zunehmender Morbidität
  • psychosoziale Notfälle zwar in Anamnese oder körperlicher Untersuchung oftmals erwähnt, jedoch wird die Obdachlosigkeit nicht mittels ICD-10 (ICD-10-Code: Z59) kodiert
  • Obdachlosigkeit (20,4 %) steht auf Platz 2 bei den häufigsten Behandlungsanlass bei den psychosozialen Notfällen (Platz 1 Substanzmissbrauch mit 66,0 %; CAVE: Vergabe mehrerer Behandlungsanlässe pro Fall möglich)
  • unbeabsichtigte Verletzungen sind eine der größten Morbiditätsursachen und machen ca. 9 % aller KH-Einweisungen bei Obdachlosen aus
    • Drogenmissbrauch ist in der obdachlosen Bevölkerung häufiger Ursache für Verletzungen bei als nicht-obdachlosen Menschen
    • ältere wohnungslose Erwachsene stürzen öfters als nicht-obdachlose Erwachsene
    • Obdachlose eher wegen Stürzen, kältebedingten Verletzungen (Unterkühlung, Erfrierungen), Verbrennungen, Intoxikationen (durch Medikamente und illegale Substanzen), Übergriffen, SHT und Selbstverletzungen vorstellig als einkommensschwachen Nicht-Obdachlosen
    • Obdachlose erleben häufiger körperlicher und sexueller Übergriffe als Nicht-Obdachlose (zw. 27 – 52 % wurden im Vorjahr körperlich oder sexuell angegriffen; ca. 10 % der wohnungslosen Frauen berichten von jährlich min. einem sexuellen Übergriff)
    • 1/3 – 1/2 der obdachlosen Jugendlichen wurden während ihrer Obdachlosigkeit sexuell oder körperlich angegriffen
  • Prävalenz neuropsychiatrischer Störungen bei Obdachlosen
Prävalenz bei ObdachlosigkeitPrävalenz in der Normalbevölkerung
traumatische Hirnverletzungen (SHT)8 – 53 %1 %
Psychosen3 – 42 %1 %
Depression0 – 49 %2 – 7 %
Persönlichkeitsstörungen2 – 71 %5 – 10 %
Alkoholabhängigkeit8 – 58 %4 – 16 %
Drogenabhängigkeit5 – 54 %2 – 6 %
PTBS38 – 53 %2 – 3 %

Breuer et al. – Alarmierungen der Berliner Notfallrettung zu obdachlosen Frequent Usern

Zwischen März 2018  und Februar 2019 wurden in Berlin in einer spannenden Untersuchung alle Patienten eingeschlossen wurden, bei denen als Meldeadresse „ohne festen Wohnsitz“ im Einsatzleitsystem der Berliner Feuerwehr dokumentiert wurde. Danach wurde geschaut wie viele Gesamteinsätze erfolgen, die beim jeweiligen Anrufer im betrachteten Zeitraum stattfanden, und diese wurden danach in High Frequent User (7 – 10 Einsätze) sowie Super Frequent User (≥ 11 Einsätze) eingeteilt, wobei „Frequent User“ als „Patient*innen, die wiederholt den Rettungsdienst in Anspruch nehmen oder wiederholt Notaufnahmen aufsuchen“, definiert ist.

Die Arbeit von Breuer et al. ergab, dass 2,1% aller Einsätze in der Berliner Notfallrettung durch High und Super Frequent User verursacht wurden. Beachtenswert ist hier v.a. die roße Spannbreite zwischen 11 – 194 Einsätzen bei den Super Frequent Usern, wobei insgesamt nur 131 obdachlose Patient*innen als High und Super Frequent User identifiziert wurden (High Frequent User: 58; Super Frequent User: 73). Durchschnittlich verursachten die 58 High Frequent User insgesamt 469 Einsätze die 73 Super Frequent User 1552 Einsätze.

Weitere Ergebnisse der Studie von Breuer et al. waren u.a.:

  • durchschnittliches Alter: 45,6 Jahre
  • 81 % waren männlich und 19 % weiblich
  • Alarmierungen erfolgten in den meisten Fällen durch Ordnungsbehörden (z.B. Polizei), gefolgt von gemeinnützigen Einrichtungen (z.B. Bahnhofsmission)
  • in 136 Fällen an einem Kalendertag 2 Einsätze bei den selben Patient*innen und in 7 Fällen sogar 3 Einsätze
  • 50 % aller Einsätze in Zusammenhang mit obdachlosen High Frequent Usern und Super Frequent Usern fanden in nur 3 von 12 Stadtbezirken statt
  • identifizierte Hauptbeschwerde bei der standardisierten Notrufabfrage
Hauptbeschwerden anhand des Notrufs bei Einsätzen mit obdachlosen Frequent Usern
(Quelle: https://eref.thieme.de/media?context=ejournal&contextId=1438-8693_2020_01#/1438-8693_2020_01/10.1055-a-1073-8244/10.1055-a-1073-8244_fi0060-1)

Quellen

Published inWelttag...

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