veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin
Datum der Veröffentlichung: 31.10.2020
Ablaufdatum: 30.10.2025
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/002-030.html
Definition
- Schichtarbeit: Beschäftigung, bei der die Arbeitsleistung zu wechselnden Tages- oder Nachtzeiten oder zu konstanten, aber „ungewöhnlichen“ Arbeitszeiten – also abweichend von der sog. Tagarbeit – erbracht wird
- Nachtarbeit: Arbeit, die mehr als zwei Stunden der Nachtzeit umfasst, wobei „Nachtzeit“ den Zeitraum von 23:00 bis 06:00 beschreibt
rechtliche Einordnung
- Bundesverfassungsgericht (BVerfG) betonte bereits 1992 in seinem Grundsatzurteil, dass „Nachtarbeit grundsätzlich für jeden Menschen schädlich ist“
gesundheitliche Aspekte von Nacht- und Schichtarbeit
Schlafdauer
- keine Unterscheidung von Schlafdauer bei kontinuierlicher Spät-/Nachtarbeit vgl. zu ausschließlicher Tagarbeit
- Schlafdauer kürzer bei schnell rotierendem Schichtsystem vgl. zu Schichtsystem mit wöchentlichen Wechseln
- Schlafdauer Schichtmodell mit langsamer Rotation > Schlafdauer Schichtmodell mit schneller Rotation
veränderte Schlaf allgemein und Schlafqualität
- keine signifikante Assoziation zwischen Nachtarbeit und gestörtem Schlaf
- Schlaf nach Aufgabe der Schichtarbeit verbessert
- weniger Schlafstörungen bei kontinuierlicher Nachtschicht als in 3-Schichtsystemen
- Schlaf-Wach-Muster vor allem bei Früh- und Nachtschichten verändert
Einfluss von Ruhezeiten
- negativer Einfluss von Schichtwechseln mit kurzen Ruhepausen von weniger als elf Stunden auf den Schlaf (Dauer und/oder Qualität) und die Fatigue
- lange Arbeitszeiten von 10 bis 12,5 Stunden bei unveränderter Wochenarbeitszeit scheinen weder Schlaf noch Fatigue zu beeinflussen
- Schichttoleranz hinsichtlich Schlaf und/oder Fatigue
- bei Männern größer ist als bei Frauen
- mit zunehmendem Alter abnimmt, wobei Ältere mehr Probleme bei Nacht-, Jüngere dagegen bei Frühschichten zeigen
gesundheitliche Effekte auf den Körper
- allgemeine Abgeschlagenheit, Schwächegefühl, Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Obstipation, abdominelle Koliken, Brechreiz oder Erbrechen sowie Lähmung peripherer motorischer Nerven
- bei massiver Exposition ggf. Enzephalopathie
- Wirkungen auf die Blutbildung
- Hemmung der Hämsynthese, v.a. auf Enzyme Ferrochelatase und DeltaA-minolävulinsäuredehydratase
- Inhibition der Delta-Aminolävulinsäuredehydratase führt zu Anstieg von Delta-Aminolävulinsäure in Blut und Urin
- Hemmung der Ferrochelatase führt zu einer Akkumulation von Protoporphyrin in Erythrozyten
- basophile Tüpfelung der Erythrozyten
- Anämie bei Blutbleispiegeln > 500 µg Blei/L Blut
- nephrotoxische Wirkungen
- tubuläre Nierenschäden und chronische interstitielle Fibrosen
- neurotoxische Wirkungen
- reduzierte Nervenleitgeschwindigkeit peripherer Nerven
- ab 300 µg Blei/L Blut beginnende Verhaltenseffekte wie Veränderungen in Persönlichkeits- oder Leistungsvariablen (z.B. kognitive Fähigkeiten, Lernen und Gedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit, Stimmung, Antrieb)
- kardiovaskuläre Effekte und Blutdruckeffekte
- leichte positive Assoziation zwischen Blutdruck und Bleibelastung vermutet
wichtige Empfehlungen der Leitlinie
- keine Ruhezeiten unter 11 Stunden
- Schichtplangestaltung unter Berücksichtigung multifaktorieller Aspekte wie Schlafdauer und -qualität sowie Fatigue und/oder Schläfrigkeit
- Kurzschlafepisoden (Naps) zur Förderung von Wachheit und Leistungsvermögen während Nachtschichten
- Angebot edukative Maßnahmen hinsichtlich schlafstörender und schlaffördernder Verhaltensweisen
- bei vorhandenen moderaten und schweren Insomnien mit entsprechender Beeinträchtigung der Wachbefindlichkeit Wechsel in Tagschicht oder geeignete kontinuierliche Schicht bis zur Remission
- Wechsel in Tagschicht für Personen
- mit schweren schlafbezogenen Atmungsstörung mit ausprägten komorbiden Stoffwechsel- und HerzKreislauf-Erkrankungen
- mit schwerem oder schwer behandelbaren RestlessLegs-Syndrom
- Betroffene mit schwerer und/oder schlecht behandelbarer Parasomnie
- keine Schichtarbeit für Personen mit Narkolepsie oder auch Personen mit altersbedingten Schlafstörungen
- Nachtarbeit auf Minimum begrenzen, um Konzentrationsschwierigkeiten, Fehlern und Unfällen vorzubeugen
- Optimierung Arbeitsgestaltung, technischer und individueller Arbeitsschutz für Beschäftige in Nachtarbeit
- keine geplanten Arbeiten, z.B. Umbau-, Reparatur-, Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten, in Nachtarbeit
- bei Schichtplangestaltung Freizeitblöcke vorwiegend an späten Nachmittagen, Abenden und Wochenenden einplanen
- Beteiligung der Beschäftigten an Schichtplangestaltung
- Prävention von KHK, Diabetes mellitus Typ 2 und metabolischem Syndrom durch:
- vorwärts rotierende Schichten
- schnell rotierende Schichten
- Vermeidung bzw. Eingrenzung von konsekutiven Nachtschichten (maximal 3 Nächte hintereinander)
- Vermeidung von Wochenendschichten
- Vorhersagbarkeit der Schichtpläne
- individuelle Einflussnahme auf die Schichtplangestaltung
- keine allgemeine Empfehlung zur Primärprävention depressiver Störungen bei Schichtarbeit
- aufgrund des möglicherweise moderierenden Einflusses psychosozialer Belastungen durch die Arbeit sollten diese besonders berücksichtigt werden
- Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung sollte speziell auch die Bedingungen der Nachtschichtarbeit einschließen
- Schichtarbeit sollte bei Patientinnen und Patienten mit nachgewiesener Zunahme der Kopfschmerzhäufigkeit und -intensität aufgrund von schichtbedingten Schlafunregelmäßigkeiten möglichst gering gehalten und ergonomisch gestaltet werden
- bei Zunahme der Kopfschmerzhäufigkeit und -intensität aufgrund von schichtbedingten Schlafunregelmäßigkeiten besteht Gesundheitsgefährdung bei weiterer Verrichtung von Nachtarbeit, daher Wechsel in geeigneten Tagesarbeitsplatz
- Arbeit in Schichtsystemen, die zu Schlafmangel führen, kritisch bei Patienten mit Epilepsie
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