Zum Inhalt springen

Arbeitsgruppenpapier „Diagnostische Strategien in der frühhospitalen Abklärung des akuten Thoraxschmerzes“ der DGK

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 10.07.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1007/s12181-024-00696-7

Grundsätzliches

  • nicht-traumatische Brustschmerzen sind einer der häufigsten Vorstellungsgründe in Notaufnahmen
  • nicht-kardiale Ursachen unzureichend abgebildet bei Prozessen und diagnostischen Algorithmen in deutschen Chest Pain Units (i.d.R. ausgerichtet auf ischämische Ursachen von Brustschmerzen)
  • patient*innenzentrierter Algorithmus mit dem Ziel der raschen Unterscheidung zwischen potenziell akut lebensbedrohlichen kardialen und nicht-kardialen sowie nicht akut lebensbedrohlichen Ursachen in Abhängigkeit der Risikokonstellation des akuten Thoraxschmerzes
  • synonym genutzt werden von Patient*innen u.a. auch „Brustschmerz“, „Engegefühl“, „Unwohlsein“ und „Brennen“ sowie abweichende Lokalisation im Bereich des Kiefers oder der Schulter(n)
  • nur etwa 25 % der Fälle von akutem „Thoraxschmerz“ sind auf koronare Herzerkrankungen zurückzuführen
  • Begriff „Thoraxschmerz“ oder „Brustschmerz“, der immanent in der Chest Pain Unit ist, darf kein Alleinkriterium der Versorgung darstellen

Definitionen

  • akuter Thoraxschmerz = neu aufgetretener (< 2 Monate) oder sich in Muster, Intensität oder Dauer im Vergleich zu vorherigen Episoden unterscheidender Thoraxschmerz
  • chronischer Thoraxschmerz = reproduzierbar auftretende Symptome einer myokardialen Ischämie im Sinne einer stabilen Angina pectoris (in der Literatur nicht eindeutig definiert und daher genaue Abgrenzung nicht möglich)
  • Charakteristika des akuten/chronischen Thoraxschmerzes können nach dem „OPQRST“-Schema im Rahmen einer strukturierten Schmerzanamnese erfasst werden

Charakteristika des akuten Thoraxschmerzes

  • Unterscheidung der Angina pectoris in typische, atypische und eine nicht-kardiale Beschwerdesymptomatik
  • Merkmale, die eher mit Myokardischämie in Verbindung gebracht werden, wurden klassischerweise oft als „typisch“ oder „atypisch“ differenziert
  • Merkmale, die eher mit einer Ischämie in Verbindung gebracht werden, wurden als typisch bezeichnet
  • „atypischer Brustschmerz“ ist ein problematischer Begriff, da er eigentlich Angina ohne typische Brustsymptome bezeichnen soll, aber häufiger verwendet wird, um das Symptom einem nicht-kardialen oder nicht-ischämischen Ursprung zuzuordnen
  • EMPFEHLUNG: keine Verwendung des Begriffs atypischer Brustschmerz
  • Betonung sollte eher auf den spezifischen Aspekten der Symptome, die ihren Ursprung in einer wahrscheinlichen Ischämie haben, liegen
  • CAVE: „Brustschmerz“ ist ein weit gefasster Begriff und kann ebenfalls Schmerzen in den Schultern, Armen, dem Kiefer, dem Hals und dem Oberbauch umfassen
  • eher Nutzung von Begriffen wie „(möglicherweise) kardial“ und „(möglicherweise) nicht-kardial“ zur Beschreibung der vermuteten Ursache der Brustschmerzen

diagnostisches Vorgehen

Quelle: https://link.springer.com/article/10.1007/s12181-024-00696-7/figures/2
  • Hauptaugenmerk des patientenzentrierten Algorithmus ist die rasche Unterscheidung zwischen potenziell akut lebensbedrohlichen kardialen und nicht-kardialen Ursachen in Abhängigkeit der Risikokonstellation des akuten Thoraxschmerzes und nicht akut lebensbedrohlichen Ursachen basierend auf der vermuteten Ätiologie (siehe Tabelle)
Quelle: https://link.springer.com/article/10.1007/s12181-024-00696-7/tables/2
  • kardiologische apparative Basisdiagnostik
    • 12-Kanal-Ruhe-EKG als diagnostisches Instrument der 1. Wahl (innerhalb von 10 min geschrieben und interpretiert)
    • weitere EKGs nach jeder Symptomveränderung, v.a. nach jedem neuen Schmerzereignis
    • bei Erstregistrierung erweiterte Ableitungen (V3r, V4r bei inferiorem MI, V7 bis V9)
    • Bestimmung kardialer Troponine (hs-cTn) mittels hochsensitiver Troponinassays zum Aufnahmezeitpunkt (CAVE: Ergebnisse innerhalb von 60 min vorliegend)
    • ggf. zur weiteren Stratifizierung zusätzlich NT-proBNP und weitere Biomarker
    • Blutgasanalyse sowie Bestimmung von laborchemischen Standarduntersuchungen wie Elektrolyte, Kreatinin, Blutbild, CRP, Gerinnungsstatus, ggf. D‑Dimere und bei Indikation zusätzliche erweiterte Laborparameter wie Schilddrüsenfunktionsparameter
  • erweiterte weiterführende apparative Diagnostik
    • transthorakale Echokardiographie, um akute Aortenerkrankung oder Rechtsherzbelastung z.B. im Rahmen einer Lungenarterienembolie zu identifizieren, aber auch valvuläre Ursachen (Durchführung v.a. bei begleitender hämodynamischer Instabilität, um die rechts- und linksventrikuläre Funktion zu beurteilen sowie Anzeichen einer mechanischen Komplikation zu identifizieren)
    • CAVE: transthorakale Echokardiographie darf nicht zu relevanter Verzögerung der Versorgung der Patient*innen im Herzkatheterlabor führen
    • ggf. Ultraschalldiagnostik, z. B. Abdomenultraschall, bei weiterer Differenzierung nicht-kardialer Ursachen
    • im Verlauf zur Differenzialdiagnostik Computertomographie (z. B. beim AAS oder LAE nicht-kardialer Hochrisikoerkrankungen)

besondere Patient*innengruppen

  • akuter Thoraxschmerz bei Patient*innen nach aortokoronarem Bypass (ACB)
    • Vielzahl möglicher Ursachen eines akuten Thoraxschmerzes
    • z.B. kardial-ischämischer ACS, aber auch kardial-nichtischämische Ursachen wie muskuloskeletale Schmerzen nach Sternotomie
    • weitere Differenzialdiagnosen sind u.a. Perikarditis, Perikarderguss, sternale Wundinfektion oder sternale Wundheilungsstörung
  • Patient*innen mit valvulärer Herzerkrankung (Klappenerkrankungen)
    • Aortenklappenstenose oder Mitralklappeninsuffizienz können akuten Thoraxschmerz bedingen
  • akuter Thoraxschmerz bei Patientinnen
Quelle: https://link.springer.com/article/10.1007/s12181-024-00696-7/figures/3
  • akuter Thoraxschmerz bei Patient*innen mit variierendem kulturellem Hintergrund
    • Symptome können je nach kulturellem Hintergrund unterschiedlich beschrieben werden
    • Fortbildungen in kulturellen Kompetenzen können hierbei die Versorgung verbessern
    • bei Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und Sprachbarrieren bestehen, sind Übersetzungsdienste empfohlen
  • kardioonkologisches Patient*innenkollektiv
    • bis zu 3 % der Patient*innen mit akutem Thoraxschmerz und ACS haben aktive Krebserkrankung
    • aktive Krebserkrankungen können nicht-kardiale Ursache eines akuten Thoraxschmerzes sein (z. B. thorakale Malignome)
    • kardiovaskuläre Erkrankungen können durch kardiotoxische Krebstherapie verursacht sein und zu akutem Thoraxschmerz führen
  • Patient*innen unter Einfluss psychoaktiver Substanzen
    • Legalisierung von Cannabis –> erhöhte autonome Stimulation, geänderte Plättchenfunktion oder Vasospasmus können zur multifaktoriellen Genese kardiovaskulärer Ereignisse (inkl. Cannabis-assoziierter AMI) führen
    • ggf. auch höherer Anteil an Patient*innen mit Panikattacken möglich
    • akuter Thoraxschmerz ist häufiges Symptom bei Patient*innen mit Kokain- und/oder (Met)Amphetamin-Abusus (tritt bei < 10 % der Substanznutzer auf)

Differenzialdiagnosen des nicht-kardialen akuten Thoraxschmerzes

  • respiratorisches System
    • Lungenarterienembolie
    • Pneumothorax/Hämatothorax
    • Pneumomediastinum
    • Pneumonie
    • Bronchitis
    • Pleurareizung
    • Malignom
  • gastrointestinales System
    • Cholezystitis
    • Pankreatitis
    • Hiatushernie
    • gastroösophageale Refluxerkrankung
    • Magenulkus
    • Ösophagusspasmus
    • Dyspepsie
  • Brustwand
    • Chondritis
    • Trauma oder Entzündung
    • Herpes zoster
    • zervikale Radikulopathie
    • Brusterkrankungen
    • Rippenfraktur
    • muskuloskeletale Verletzungen, Spasmus
    • Mediastinitis
  • psychologische Differenzialdiagnosen
    • Panikstörung
    • Angststörung
    • Depression
    • Somatisierungsstörung
    • funktionelle Herzbeschwerden
  • sonstige Differenzialdiagnosen
    • Hyperventilation
    • CO-Intoxikation
    • Sarkoidose
    • Bleivergiftung
    • Bandscheibenprolaps
    • Thoracic-Outlet-Syndrom
    • unerwünschte Arzneimittelnebenwirkung (z. B. 5‑Fluoruracil)
    • Sichelzellkrise
Published inLeitlinien kompakt

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert