veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)
Klassifikation gemäß AWMF: S2e
Datum der Veröffentlichung: 21.06.2025
Ablaufdatum: 20.06.2030
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/001-037.html
Definitionen
- Telemedizin: „Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt.“
- Telenotärzt*innen (TNA/TNÄ): „ärztliche Ressource in Funktion als Rettungsmittel, welche auf Anforderung umgehend zur Unterstützung des vor Ort befindlichen Rettungsteams in den Einsatz hinzugezogen werden kann“ („ein*e in der prähospitalen Notfall- und Rettungsmedizin erfahrene*r Ärzt*innen, welcher mit Hilfe von Audio-, Vitaldaten-, Foto- und ggf. Videoübertragung in Echtzeit Patienten im Rettungsdienst mitversorgt“)
- Telenotfallmedizin: „verfolgt das Ziel, als anerkannte Ergänzung zu den bestehenden Rettungsmitteln im individuellen Bedarfsfall durch schnelle Verfügbarkeit das vor Ort befindliche Rettungsteam zu unterstützen und damit die Versorgungssicherheit zu erhöhen und das arztfreie Intervall zu reduzieren“
- rettungsdienstliche Telekonsultation: „operativer Teilprozess der direkten Kontaktaufnahme zwischen Rettungsteam und Telenotärzt*innen, bei dem zwei oder mehr Beteiligte Daten und Informationen zu einem Rettungseinsatz austauschen“
- telenotfallmedizinische Unterstützung: „Unterstützung, welche sich ein im Einsatz vor Ort befindliches Rettungsteam bei Telenotärzt*innen in einem Telenotärzt*innen-System einholen kann“
Technik
- für Telenotfallmedizin sollte geeignete technische Verbindung verfügbar sein
- jede*r Anwender*in soll im Rahmen der Sorgfaltspflicht und in der individuellen Notfallsituation prüfen, ob eine ausreichende Übertragungsqualität für die Telekonsultation gewährleistet ist
- auf der Strecke der mobilen Datenübertragung sollte zur Erhöhung der Verfügbarkeit und technischen Qualität der Datenübertragung der Zugang zu mehreren Mobilfunknetzen parallel (oder eine Vorrangnutzung) vorgehalten werden
- es ist möglich, Vitaldaten von Patient*innen (z.B. HF, SpO2, EKG, NIBD) im Rettungseinsatz technisch sicher zu übertragen; bei Inanspruchnahme einer telenotfallmedizinischen Anwendung sollte Übertragung von erforderlichen Vitaldaten erfolgen
- Anwendung einer Videoübertragung (unter den vorherrschenden Bedingungen der Netzqualität) ist sicher möglich; Videoübertragung sollte zur Verfügung stehen
- Übertragung einer vor Ort durchgeführten Notfall-Sonografie-Untersuchung per Video ist technisch sicher möglich; Möglichkeit kann bei Systemverfügbarkeit genutzt werden
Systemstruktur
- Einführung eines TNA-System zur effektiveren Ressourcennutzung in der prähospitalen Notfallmedizin, um ärztlich besetzte Rettungsmittel zielgerichteter einzusetzen
- wenn bei festgestelltem Bedarf einer notärztlichen Unterstützung durch das Rettungs-Team vor Ort ein*e Notärzt*in nicht zeitgerecht zur Verfügung steht, sollte zusätzlich auf ein verfügbares TNA-System zurückgegriffen werden
- telenotfallmedizinische Konsultation kann zur Entscheidungsfindung einer zielgerichteteren Weiterversorgung und strukturierten Voranmeldung von Patient*innen bei ausgewählten Indikationsfeldern eingesetzt werden
- TNA-Systeme können in der Dispositionsentscheidung von Sekundäreinsätzen unterstützen (zur Ressourcenschonung können in differenzierten Situationen telenotärztlich begleitete Sekundäreinsätze durchgeführt werden)
- zur Entscheidung über medizinisch begründeten Transport im Offshore-Bereich oder ähnlich unzugänglichen Bereichen sollte bei Verfügbarkeit eine telenotfallmedizinische Unterstützung in Anspruch genommen werden
- im Rettungsdiensteinsatz kann bei bestimmten Einsatzszenarien ohne unmittelbare Vitalbedrohung die/der TNA/TNÄ eingesetzt werden, ohne dass es zu einer Einschränkung der Diagnose- und Versorgungsqualität kommt
- bei Bedarf des Rettungsfachpersonals und/oder der Notärzt*innen vor Ort, sollte ein*e TNA/TNÄ zur Verbesserung von (Patient*innen-) Sicherheit und Leitlinienadhärenz konsultiert werden
- Delegation von Medikamentengaben ist durch telenotfallmedizinische Unterstützung sicher durchführbar und kann genutzt werden
- telenotärztliche Einsatz sollen inhaltlich mindestens gemäß aktuellem DIVI-Standard (aktuell MIND 4.0) für notärztliche Dokumentation erfasst werden, delegierte Maßnahmen sollen explizit erfasst werden (Überarbeitung des MIND 4.0 Datensatzes für telenotärztlichen Einsatz sollte zeitnah erfolgen und u.a. technische Verbindungen und Übertragungsqualität enthalten)
- TNA-System kann ohne Einschränkung der Patient*innenzufriedenheit und -akzeptanz im Rettungseinsatz eingesetzt werden
- zur Sicherstellung einer hochqualitativen und einheitlichen Fort- und Weiterbildung von Telenotärzt*innen soll ein Muster-Curriculum der Bundesärztekammer mit definierten Eingangsvoraussetzungen etabliert werden
- ergänzende Versorgungsstrukturen, wie z.B. NotSan-Erkunder*innen, Gemeindenotfallsanitäter*innen, Akutgesundheitsdienst (o.ä.) werden regionsspezifisch für nicht-lebensbedrohliche Notfälle eingesetzt (Neben Verfahrensanweisungen und Checklisten kann auch die Zusammenarbeit mit einem telenotfallmedizinischen System berücksichtigt werden)
Versorgungsfelder
- telenotfallmedizinisches System sollte bei Bedarf durch das Rettungsteam zur Unterstützung der Durchführung einer Analgesie sowohl für den traumatologischen als auch nicht traumatologischen Schmerz herangezogen werden, inkl. der Verabreichung von BTM-pflichtigen Analgetika
- prähospitale EKG-Beurteilung durch eine*n TNA/TNÄ kann zur Erhöhung der diagnostischen Sicherheit und Einleitung einer adäquaten Versorgung eingesetzt werden
- bei V.a. akutes Koronarsyndrom (z.B. STEMI) sollte telenotfallmedizinische EKG-Übertragung mit fachspezifischer Beurteilung und/oder Informationsübermittlung an den Weiterversorger genutzt werden, um die Zeit bis zur Diagnose und zur interventionellen Therapie (z.B. PCI) zu verkürzen
- bei stabilen Patient*innen mit ACS kann prähospitale pharmakologische Therapie telenotfallmedizinisch mit hoher Sicherheit und Leitlinienadhärenz durchgeführt werden (Möglichkeit sollte bei Bedarf genutzt werden)
- Unterstützung der pharmakologische Therapie des hypertensiven Notfalls mittels Glyceroltrinitrat, Metoprolol und Urapidil ist mit hoher Sicherheit und Leitlinienadhärenz telenotfallmedizinisch möglich (Möglichkeit sollte bei Bedarf genutzt werden)
- zur telenotfallmedizinischen Diagnostik und Therapie von Herzrhythmusstörungen sollte die Echtzeit-Übertragung des EKGs möglich sein
- sichere Beurteilung von Patient*innen mit Großgefäßverschlüssen durch vom Rettungsteam vor Ort assistierte und per Video an eine*n neurovaskuläre*n Expert*in übertragene neurologische Untersuchung telemedizinisch ist sicher möglich (Möglichkeit sollte bei Systemverfügbarkeit zur gezielten Zuweisung von Patient*innen mit möglicher Indikation zur endovaskulären Behandlung genutzt werden)
- ausführliche neurologische Untersuchung des Schlaganfalls (NIHSS) durch einen teleneurologischen Konsiliardienst ist mit ähnlicher Genauigkeit wie vor Ort durchführbar (Möglichkeit kann bei diagnostischer Unsicherheit und Systemverfügbarkeit genutzt werden)
- prähospitale teleneurologische Untersuchung und strukturierte Voranmeldung sind Möglichkeiten die intrahospitalen Zeitintervalle zu verkürzen (Möglichkeit sollte bei Systemverfügbarkeit genutzt werden)
- bei akut vital bedrohten Patient*innen kann telenotärztliche Unterstützung je nach Situation dazu beitragen, komplexe Versorgungsmaßnahmen umzusetzen und den Zustand von Patient*innen bis zum Eintreffen von physisch an der Einsatzstelle präsenten Notärzt*innen zu stabilisieren
- Trainieren von telenotfallmedizinischen Anwendungen soll erfolgen und sollte auch szenario-basiertes Simulationstraining beinhalten
Netzwerk und telemedizinische Verknüpfungen im Rettungswesen im Sinne der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung



Sei der Erste der einen Kommentar abgibt