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Leitlinie „Schwindel in der Hausarztpraxis“ der DEGAM

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 28.02.2025
Ablaufdatum: 27.02.2030
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-018.html

Epidemiologie

  • Lebenszeitprävalenz für mittelstarken bis heftigen Schwindel: 29,5 %
  • 1-Jahres-Prävalenz des Leitsymptoms Schwindels von nur 2,2 % in Studie aus englischen Hausarztpraxen
  • in der Rangliste der Behandlungsanlässe in Hausarztpraxen stand „Schwindel“ bei deutschen Patienten in der CONTENT- Studie an 13. Stelle

Ursachen

CAVE: Schwindel ist keine Krankheit, sondern ein Leit- oder Begleitsymptom verschiedener Erkrankungen unterschiedlicher Ätiologie

  • Störungen, die vom peripheren vestibulären System (Labyrinth und/oder Gleichgewichtsnerv) ausgehen
  • Störungen, die von dem zentralen Nervensystem ausgehen, das vestibuläre Signale verarbeitet und integriert (also Hirnstamm, Kleinhirn, extrapyramidales System, selten Kortex; üblicherweise als zentrales vestibuläres System bezeichnet)
  • funktioneller Schwindel, ausgelöst durch Ängstlichkeit und Empfindsamkeit für Bewegungen, bewegte Seheindrücke oder durch Menschenansammlungen
  • kardiologisch/internistische Erkrankungen wie Anämien und Stoffwechselentgleisungen
    (z. B. Hypo-/Hyperglykämie, Hypokaliämie etc.) oder Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzrhythmusstörungen, Klappenvitien, arterieller Hypertonus und orthostatische Dysregulation. Sie werden mit zunehmendem Lebensalter häufiger
  • andere Ursachen, wie unerwünschte Wirkungen von Medikamenten, toxische Substanzen (z. B. Drogen, Alkohol), Polyneuropathien, etc.

zeitlicher Verlauf der Symptome

  • Schwindelepisoden über
    • Sekunden bis wenige Minuten (z.B. benigner paroxysmale Lagerungsschwindel (BPPV), Vestibularisparoxysmie, Syndrome der dritten mobilen Fenster (meist knöcherner Defekt im oberen Anteil des anterioren Bogengangs), paroxysmale Hirnstammattacken, orthostatischer Schwindel, transitorische ischämische Attacken (TIA), Herzrhythmusstörungen, Hyper- bzw. Hypotonie,
    • viele Minuten bis Stunden (z.B. Morbus Menière (20 min bis 12 Stunden), vestibuläre Migräne (5 min bis 72 Stunden), episodische Ataxien, teilw. auch hypertensive Blutdruckentgleisungen)
    • Monate bis Jahre anhaltende Symptome (z.B. bilaterale Vestibulopathie oder chronische unilaterale Vestibulopathie, funktioneller Schwindel, neurodegenerative Erkrankungen wie zerebelläre Ataxien, Downbeat-Nystagmussyndrom, Parkinsonsyndrom, Multisystematrophien, Normaldruck-Hydrocephalus)
  • akut einsetzende über Tage bis wenige Wochen anhaltende Symptome
    • ausgelöst z. B. durch eine akute unilaterale Vestibulopathie (AUVP, synonym Neuritis vestibularis) oder einen Hirnstamm- oder Kleinhirninfarkt
  • über Monate bis Jahre anhaltende Symptome
    • z. B. bilaterale Vestibulopathie oder chronische unilaterale Vestibulopathie, funktioneller Schwindel, neurodegenerative Erkrankungen wie zerebelläre Ataxien, Downbeat-Nystagmussyndrom, Parkinsonsyndrom, Multisystematrophien, Normaldruck-Hydrocephalus
    • Symptome werden bei peripherer vestibulärer Läsion durch sensorisches Defizit verursacht, bei funktionellem Schwindel durch unterschiedliche, häufig psychische Faktoren sowie bei zentralen Erkrankungen durch Störungen der Koordination

Art der Symptome

  • Drehschwindel wie Karussellfahren –> benigner paroxysmaler peripherer Lagerungsschwindel (BPPV), akuter unilateraler Vestibulopathie (AUVP) oder unilateraler Hirnstamminfarkt
  • Schwankschwindel ähnlich wie beim Bootfahren –> bilaterale Vestibulopathie, anhaltende Seekrankheit (Mal de Débarquement-Syndrom), funktioneller Schwindel oder Blutdruckregulationsstörung
  • Benommenheitsschwindel –> funktioneller Schwindel, Herz-Kreislauf-bedingter Schwindel oder unerwünschte Medikamentenwirkung, Drogen, Alkohol, Schlafentzug

Auslösbarkeit, Verstärkung, Abschwächung, Besserung der Symptome

  • Schwindel bereits in Ruhe vorhanden oder spontan auftretend (z.B. AUVP, Hirnstamm- oder Kleinhirninfarkt, Morbus Menière, Vestibularisparoxysmie)
  • Schwindel beim Gehen oder Kopf-/Körperbewegungen (z.B. bilaterale oder chronische unilaterale Vestibulopathie, Funktioneller Schwindel)
  • Auslösung des Schwindels durch
    • Kopflageänderung relativ zur Schwerkraft (z. B. BPPV oder zentraler Lageschwindel),
    • horizontale Kopfdrehungen (z. B. BPPV, Vestibularisparoxysmie, „vertebral artery compression syndrome“ (früher auch als Bow Hunter`s Syndrom bezeichnet),
    • Husten, Pressen, Niesen oder Heben schwerer Lasten (Syndrom der dritten mobilen Fenster)

Begleitsymptome

  • otogene Symptome (z.B. episodisch verstärkter Tinnitus oder Hypakusis, die für M. Menière sprechen, aber auch bei Hirnstammischämien auftreten können)
  • Doppelbilder, Gefühlsstörungen im Gesicht oder an den Extremitäten, Schluck-, Sprechstörungen, Lähmungen oder Feinmotorikstörungen –> meist zentrale Hirnstammläsion
  • episodischer Kopfschmerz und/oder Licht- oder Lärmempfindlichkeit, Aura zusammen mit den Schwindelbeschwerden und/oder bekannte Migräne –> vestibuläre Migräne oder Hirnstamm-/Kleinhirn-Ischämie oder bei Blutungen, v.a. Subarachnoidalblutungen
  • Scheinbewegungen der Umgebung (sog. Oszillopsien) –> Patient*innen mit Nystagmus (z. B. beim Downbeat-Nystagmus) oder beim Gehen und Kopfbewegungen bei Patient*innen mit bilateraler Vestibulopathie aufgrund eines fehlenden vestibulookulären Reflexes (VOR)
  • Übelkeit, Erbrechen (eher unspezifische vegetative Begleitsymptome, die bei akuten peripheren oder auch zentralen vestibulären Störungen, sehr selten auch bei funktionellen Störungen vorkommen können)
  • Palpitationen, Herzrasen oder pulssynchrones Rauschen –> Herzrhythmusstörungen und/oder kreislaufbedingten Schwindelursachen

Unterscheidung periphere & zentrale Störung

peripherer vestibulärer Schwindel

Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS, engl. Benign paroxysmal positional vertigo = BPPV)

  • kurze Drehschwindelepisoden, die meist durch Lagewechsel der Kopfposition relativ zur Schwerkraft ausgelöst werden, unter einer Minute dauern und bei offenen Augen mit Oszillopsien2, Übelkeit und teilweise Erbrechen sowie Schwankschwindel und Gangunsicherheit einhergehen können
  • typische Auslöser sind Bewegungen wie Umdrehen, Hinlegen, Aufrichten im Bett oder Kopfbewegungen relativ zur Schwerkraft (Körperbewegungen, Kopfüberstrecken oder Vornüberbeugen, nicht aber Kopfdrehung im Stehen)
  • häufigste peripher vestibuläre Schwindelursache (bis zu 20 % der Patient*innen, die sich mit Schwindel beim Arzt vorstellen)
  • Diagnostik
    • Dix-Hallpike-Manöver: Patient*in sitzt im Langsitz auf der Liege –> Kopf wird um 45° zur testenden Seite gedreht –> Oberkörper des Patienten schnell nach hinten in Kopfhängelage legen
    • diagnostisches Semont-Manöver: Patient sitzt aufrecht –> Patient*in wird dann mit 45° gegen die vermutete Läsionsseite gedrehtem Kopf rasch auf die andere (zu testende) Seite gelegt (Semont-Plus: Kopf sollte um mind. 60° unter die Horizontale der Untersuchungsliege gelangen)
    • Supine-Head-Roll-Test: um 25° erhobener Kopf der liegenden Patient*innen wird nach rechts und nach erneuter Nullposition nach links gedreht –> Beurteilung des durch die jeweilige Kopfstellung provozierten Drehschwindel und Lagerungsnystagmus
  • Management (Empfehlungen)
    • Diagnosestellung, wenn diagnostische Semont-Manöver oder Dix-Hallpike-Manöver Schwindel in Verbindung mit torsionellem, aufwärts schlagendem Nystagmus hervorruft
  • Therapie
    • BPPV des hinteren Bogengangs mit geeigneten Befreiungsmanövern (Semont-Manöver, Epley-Manöver, Semont-Plus-Manöver) behandeln oder an Kolleg*in oder Physiotherapeut*in
    • bei Kanalolithiasis des horizontalen Bogengangs modifiziertes Roll-Manöver
    • bei Kupulolithiasis des horizontalen Bogengangs horizontales Kopfschütteln mit 30° geneigtem Kopf, Gufoni-Manöver oder Brandt-Daroff-Manöver

Morbus Menière (MM)

  • rezidivierende Schwindelepisoden, Ohrdruck, Hörminderung und/oder Tinnitus auf dem betroffenen Ohr für die Dauer von 20 min bis zu 12 Stunden
  • oft schon ein Hörsturz (im Tieftonbereich) und/oder danach eine persistierende einseitige Hörminderung
  • Spannweite der Prävalenz reicht weltweit von 3 – 513 pro 100.000 Personen
  • Altersgipfel liegt in den 40er Jahren mit geringerem Auftreten bei Kindern und Erwachsenen über 65 Jahre
  • Diagnosekriterien
    • Kriterien Morbus Menière
      • zwei oder mehr Episoden mit spontan aufgetretenem Dreh- oder Schwankschwindel, jede von einer Dauer zwischen 20 min und 12 h
      • audiometrisch nachgewiesene sensorineurale Hörminderung im niedrigen bis mittleren Frequenzbereich in einem Ohr von mindestens 30 dB unter 2000 Hz, die das betroffene Ohr definiert, bei wenigstens einer Untersuchung vor, während oder nach einer Schwindelepisode
      • fluktuierende Ohrsymptome (Hörminderung, Tinnitus, Druckgefühl) im betroffenen Ohr
      • nicht besser erklärt durch eine andere Erkrankung
  • Therapie der akuten MM-Episode
    • zentral wirksames Antihistaminikum der ersten Generation (z.B. Dimenhydrinat)
    • bei stark betroffenen Patient*innen Benzodiazepine zur zentral vestibulären Dämpfung
    • darüber hinaus werden antiemetische 5-HT3-Serotonin-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Ondasetron) während MM-Episoden

akute unilaterale Vestibulopathie (AUVP)/Neuritis vestibularis

  • mit Häufigkeit von ca. 8,3 % dritthäufigste Schwindelursache
  • Prävalenz von 36,7/100.000 Einwohner*innen für stationäre Patient*innen sowie Prävalenz von 162/100.000 für ambulante HNO-Patient*innen
  • Diagnosekriterien
    • akut oder subakut einsetzender Drehschwindel (d. h. AVS) mittlerer bis starker Intensität, Dauer mind. 24 h
    • peripherer vestibulärer Spontannystagmus, d. h. ein Nystagmus in der Ebene der betroffenen Bogengänge, meist horizontal-torsionell, der sich bei fehlender Fixation verstärkt und seine Richtung nicht umkehrt
    • eindeutig reduzierte einseitige Funktionsminderung des VOR in der entgegengesetzten Richtung der schnellen Phase des Spontannystagmus
    • keine Hinweise für zentrale neurologische oder akute audiologische Symptome, wie Hörminderung, Tinnitus oder andere otologische Symptome wie Otalgie
    • keine akuten zentralen neurologischen Zeichen, insbesondere keine zentralen Okulomotorikstörungen oder zentralen vestibulären Zeichen, insbesondere keine deutliche vertikale Deviation/Skew deviation, Blickrichtungsnystagmus oder akute audiologische Defizite
    • nicht besser durch andere Erkrankung erklärbar
  • Diagnostik
    • bei Untersuchung ohne und mit Frenzel-/M-Brille zeigt sich ein horizontal torsioneller Spontannystagmus, dessen schnelle Phase zur nicht-betroffenen Seite schlägt –> Intensität nimmt bei visueller Fixation ab, beim Blick in Richtung der schnellen Phase zu
    • „Bedside-HIT“: bei horizontaler Kopfbeschleunigung zur betroffenen Seite findet sich eine Refixationssakkade
    • Romberg Test: vermehrtes Schwanken, typischerweise zur Seite der Läsion, Zunahme nach Augenschluss (Neuritis-Standprobe)
    • bei erwachsenen Patient*innen mit AVS mit Nystagmus soll routinemäßig der HINTS-Test von Ärzt*innen, die darin geschult sind, durchgeführt werden, um zwischen zentralen (Schlaganfall) und peripheren (Innenohr, meist Vestibularisneuritis) Diagnosen zu unterscheiden
  • Therapie
    • Gabe von Dimenhydrinat (oral 50 – 100 mg i. v. oder rektal sinnvoll, max. Tagesdosis 400 mg) zur akuten Behandlung von Schwindel, Übelkeit und Erbrechen
    • sedierenden Antihistaminika und Antivertiginosa nur so lange wie unbedingt nötig geben, um eine frühzeitige zentral-vestibuläre Kompensation nicht zu gefährden
    • frühzeitige orale Therapie mit 100 mg Prednisolon pro Tag, um die Erholung der peripher vestibulären Funktion zu verbessern (Prednisolon dabei jeden vierten Tag um 20 mg reduzieren) ODER frühzeitige i.v.-Gabe von Kortison (Prednisolon 250 mg in 500 mL NaCl für 3 Tage, dann ausschleichende orale Einnahme über 5 – 15 Tage)

Bilaterale Vestibulopathie (BVP)

  • Leitsymptom sind Schwankschwindel und Gangunsicherheit sowie Sehstörungen bei Kopf- und Körperbewegungen im Sinne von Scheinbewegungen der Umwelt (sog. Oszillopsien)
  • weitere Symptome: Gleichgewichtsstörungen, chronischer Schwindel, Oszillopsien, wiederkehrender Schwindel
  • Prävalenz der BVP in den USA: 28 pro 100 000 Personen (Zahl von erwachsenen Patient*innen mit schwerer BVP: 1,8 Millionen)
  • Diagnosekriterien für eine wahrscheinliche bilaterale Vestibulopathie
    • chronisches vestibuläres Syndrom mit den folgenden Symptomen
      • Unsicherheit beim Stehen oder Gehen und mind. eines der beiden weiterren Kriterien
      • Bewegungs-induziertes Verschwommen-Sehen oder Oszillopsien beim Gehen oder schnellen Kopfbewegungen
      • Verschlechterung der Unsicherheit im Dunkeln und/oder auf unebenem Grund
    • asymptomatisch im Sitzen oder Liegen unter statischen Bedingungen
    • bilateral pathologischer horizontaler klinischer Kopfimpulstest (KIT, vHIT)
    • nicht besser durch eine andere Krankheit zu erklären
  • Therapie
    • Physiotherapie/vestibuläre Rehabilitation
    • Überprüfung der häuslichen Einrichtung und Umgebung auf Stolperfallen
    • Zuhilfenahme von Geh-Hilfen wie Walking-Stöcken oder Rollatoren zur Sturzprophylaxe

Vestibularisparoxysmie (VP)

  • rezidivierende, bis 100mal tägliche, beim individuellen Patienten relativ gleichförmig ablaufende, in der Regel kurze, meist Sekunden bis zu einer Minute andauernde Schwindelattacken, die bei den meisten Patienten spontan auftreten, in seltenen Fällen auch durch Kopfbewegungen ausgelöst werden
  • manchmal während der Attacke auch Veränderung des Hörens, z. B. stakkato-artiger Tinnitus (sog. typewriter tinnitus)
  • relative Häufigkeit von etwa 2 – 4 % in Gruppe von über 17.000 Patient*innen eines spezialisierten (tertiären) Schwindelzentrums
  • diagnostischen VP-Kriterien
    • mind. 10 spontan auftretende Schwindelattacken
    • Dauer <1 min
    • gleichförmige Symptome beim individuellen Patient*innen
    • Besserung durch Therapie mit Natriumkanalblocker (z. B. Antikonvulsivum Carbamazepin) in adäquater Dosis
    • nicht besser erklärt durch andere Erkrankungen
  • Therapie
    • operative Therapie nur sehr kritisch und zurückhaltend als Einzelfallentscheidung
    • Gabe von Natriumkanalblocker Lacosamid (100 – 400 mg/d)

Zentraler Schwindel

akutes, zentrales vestibuläres Syndrom

  • plötzlich einsetzender Dreh- oder Schwankschwindel (akutes vestibuläres Syndrom, AVS)
  • Schwindel als Notfall von sehr hoher klinischer Relevanz
  • häufigsten betroffen ist das Kleinhirnhirn (Uvula, Nodulus oder Tonsille), gefolgt von pontomedullären Infarkten
  • Diagnosekriterien für akuten länger andauernden vaskulären Schwindel
    • akutes Auftreten von Schwindel, Benommenheit oder Unsicherheit über 24 h oder länger anhaltend
    • bildgebende Nachweise einer Ischämie oder Blutung im Gehirn oder Innenohr, die mit Symptomen, Zeichen und Befunden übereinstimmen
    • nicht besser durch eine andere Krankheit oder Störung erklärbar
  • Diagnosekriterien für wahrscheinlich akuten vaskulären Schwindel mit anhaltender Dauer
    • akutes Auftreten von Schwindel, Vertigo oder Unsicherheit, das 24 h oder länger anhält
    • mindestens einer der folgenden Punkte
      • fokale zentrale neurologische Symptome und Zeichen oder schwere Rumpfataxie oder posturale Instabilität
      • mindestens eine Komponente der zentralen HINTS (normaler Kopfimpulstest, richtungswechselnder Nystagmus oder pathologischer Abdecktest)
      • andere zentrale okulomotorische Störugen (z. B. zentraler Nystagmus, gestörte Sakkaden oder sakkadierende Blickfolge)
      • erhöhtes Risiko für vaskuläre Ereignisse (z. B. ABCD-Score von 4 oder mehr oder VHF)
    • nicht besser durch eine andere Krankheit oder Störung erklärbar
  • Diagnosekriterien für Kompressionssyndrom der Arteria vertebralis (VACS)
    • Schwindel mit oder ohne Tinnitus, ausgelöst durch anhaltende exzentrische Nackenhaltung, v.a. in aufrechter Körperposition
    • Vorhandensein von Nystagmus mit den Symptomen während Attacke
    • entweder 1) oder 2) während provozierender Kopfbewegung
      • 1) Dokumentation der VA-Kompression mit Hilfe einer dynamischen Angiographie
      • 2) Nachweis eines verminderten Blutflusses im hinteren Kreislauf mittels transkraniellem Doppler
    • nicht besser durch eine andere Krankheit oder Störung erklärbar
  • Diagnosekriterien für Schwindel aufgrund eines Subclavian-Steal-Syndroms
    • akuter oder episodischer Schwindel, Benommenheit oder Unsicherheit
    • bildgebender Nachweis einer proximalen Stenose oder eines Verschlusses der Arteria subclavia
    • Nachweis eines retrograden (umgekehrten) Blutflusses in der VA
    • keine andere Erkrankung oder Störung, die besser erklärt werden kann
  • anamnestische Faktoren
    • akutes Auftreten
    • keine Trigger-Faktoren
    • keine Schwindelattacken in der Vorgeschichte
    • ggf. neurologische Begleitsymptome wie Hemiataxie, -parese, -hypästhesie oder Schluck-/Sprechstörungen
    • Risiko für AZVS steigt mit dem Alter und der Zahl der kardiovaskulären Risikofaktoren
    • weitere Indizien für eher zentrale Läsion
      • erstmaliges Auftreten solcher Symptome
      • synchrones Auftreten von Schwindel und okzipitalen Kopfschmerzen
      • selten Kombination von Schwindel und Hörstörungen (DD: Infarkt im Bereich der Arteria cerebelli anterior inferior (AICA), die auch das Labyrinth versorgt oder z. B. Morbus Menière oder Labyrinthitis)
  • klinische Untersuchung
    • Messung von von Blutdruck, Blutzucker, Herzrhythmus
    • ggf. Suche nach Hinweisen auf Intoxikation
    • neurologische Untersuchung auf zentrale neurologische Störungen wie Dysathrophonie (verwaschene und undeutliche Sprache, gestörte Stimmatmung), Hemiparese oder -hypästhesie oder Ataxie
    • Untersuchung auf deutliche vertikale Fehlstellung (sog. vestibuläre vertikale Deviation/Skew Deviation; „Ein Auge steht über dem anderen“) mittels des alternierenden Abdecktest-Tests
    • Untersuchung auf zentralen Fixationsnystagmus vs. peripheren vestibulären Spontannystagmus mithilfe Frenzel-Brille oder M-Brille
    • Untersuchung auf Blickrichtungsnystagmus entgegen der Richtung eines möglichen Spontannystagmus
    • Durchführung des Kopfimpulstest (HIT) zur Prüfung der Funktion des vestibulo-okulären Reflexes (VOR)
    • apparative Diagnostik entsprechend der AWMF Leitlinie Schlaganfall beim V.a. AZVS
      • ggf. erweiterte internistische Diagnostik
      • Bildgebung (CT/MRT)
  • akute und sekundär prophylaktische Therapie
    • akute und anschließende sekundär prophylaktische Therapie ist u. a. abhängig von der Ätiologie des AZVS
    • schon bei V.a. akute zentrale Ursache umgehende Zuweisung in Klinik, idealerweise neurologische Klinik mit Schlaganfalleinheit zur raschen diagnostischen Einordnung und Therapie in Abhängigkeit von der Ursache

zerebellärer Schwindel

  • Anamnese & Symptome
    • kann sich als Dauerschwindel wie bei neurodegenerativen oder genetischen Kleinhirnerkrankungen, als akutes zentrales vestibuläres Syndrom bei Kleinhirninfarkt oder als rezidivierende Episoden wie bei der Episodischen Ataxie Typ 2 manifestieren
    • i.d.R. stellen sich die Patient*innen nicht mit komplettem Spektrum zerebellärer Symptome vor
    • Symptomatik
      • persistierender Schwindel (81 %)
      • Schwindelattacken (31 %)
      • persistierender Schwindel UND Schwindelattacken (21 %)
      • deutlich sakkadierte Blickfolge (95 %)
      • Blickhaltestörungen (80 %)
      • gestörte Fixationssuppression des VOR (64 %)
      • zentraler Fixationsnystagmus (24 %; in 64 % Downbeat-Nystagmus und in 23 % Rebound-Nystagmus)
      • isolierte zerebelläre Okulomotorikstörungen ohne sonstige zerebelläre Zeichen (11 %)
  • Ätiologien
    • sporadische Ataxie unbekannter Ursache (26 %)
    • DBN-Syndrom (20 %)
    • „Cerebelläre Ataxie, Neuropathie und Vestibuläre Areflexie Syndrom“ (CANVAS, 10 %)
    • episodische Ataxie Typ 2 (EA 2; 7 %)
    • Multisystematrophie (6 %)
  • Therapie
    • bei autoimmunologischen vestibulo-zerebellären Syndromen kausale Therapie mit Steroiden, Immunglobuline, Plasmapherese und/oder Langzeitimmunsuppression (z. B. mit Rituximab)
    • bei anderen zerebellären Ursachen symptomatische Behandlung
      • 4-Aminopyridin (Fampiridin 2x 10 mg/d) bei Downbeat- und Upbeat-Nystagmus und EA 2 sowie die zerebellären Gangstörungen
      • Acetazolamid (3x 250 mg/d) bei der EA 2
      • Acetyl-DL-Leucin (5 g/d) bei bestimmten Formen zerebellären Schwindels, v.a. lysosomalen Krankheiten

Vestibuläre Migräne (VM)

  • Diagnoseriterien der Vestibulären Migräne
    • mind. 5 Episoden mit vestibulären Symptomen mittlerer oder starker Intensität und Dauer von 5 min bis 72 h
    • aktive oder frühere Migräne mit oder ohne Aura nach den Kriterien der ICHD
    • ein/mehrere Migränesymptome während mind. 50 % der vestibulären Episoden: Kopfschmerzen mit mind. 2 der folgenden Merkmale (einseitige Lokalisation, pulsierender Charakter, mittlere oder starke Schmerzintensität, Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten), Photophobie und Phonophobie, visuelle Aura
    • nicht auf andere vestibuläre oder ICHD-Diagnose zurückzuführen
  • Diagnostik, Untersuchung & Symptome
    • im Intervall (überwiegend leichte) zentrale Okulomotorikstörungen in Form einer sakkadierten Blickfolge, eines Blickrichtungs-nystagmus, Spontannystagmus oder zentralen Lage-Nystagmus (bei bis zu 60 %)
    • zentraler Lage-Nystagmus dauerhaft nur in liegender Position reproduzierbar (meist schlägt in Richtung des freien Ohrs, aber auch Down- oder Upbeat-Augenbewegungen sowie Sägezahn- und Fixationspendel-Nystagmus möglich)
    • unbeeinträchtigtes oder gering vermindertes Hörvermögen
    • während einer Attacke häufiger (70 %) pathologischer Nystagmus (z. B. zentraler Lagenystagmus) zu beobachten als zwischen den Episoden
  • Akuttherapie
    • frühzeitige Einnahme eines nicht-steroidalen Antiphlogistikums (z. B. Ibuprofen, Diclofenac, Aspirin, Paracetamol)
    • bei Übelkeit/Erbrechen in Kombination mit Antiemetikum (z. B. Dimenhydrinat, Metoclopamid, Domperidon)
    • CAVE: Triptane helfen bei akuter Vestibulärer Migräne vermutlich nur sehr eingeschränkt, wenn überhaupt

Funktioneller Schwindel

  • CAVE: somatoforme und psychogene Störungen, die mit vestibulär erscheinenden Symptomen wie Schwindel, Unsicherheit und Benommenheit einhergehen, sind häufig, in allgemeinmedizinischen Praxen häufiger als organische vestibuläre Störungen
  • Diagnosekriterien des „Persistent Postural-Perceptual Dizziness“ (persistierender postural-perzeptiver Schwindels, PPPD)
    • persistierender Schwindel und/oder Unsicherheit an den meisten Tagen > 3 Monaten; Symptome halten stundenlang an
    • spontanes Auftreten, verstärkt durch aufrechte Körperposition, aktive oder passive Körperbewegungen, Wahrnehmung bewegter Objekte
    • organische vestibuläre, psychologische oder andere Störungen können den Symptomen vorausgehen, gleichzeitig bestehen und/oder sie überdauern
    • Symptome verursachen merkliche funktionelle Beeinträchtigung
    • Beschwerden nicht besser durch eine andere Erkrankung erklärbar
  • diagnostische Herausforderung
    • Patient*innen mit Angststörungen scheinen anfälliger für Schwindel erzeugende Wirkung visueller Bewegungsreize zu sein
    • Depressionen wirken sich ebenfalls auf chronische vestibuläre Symptome aus
  • Therapie
    • Integration von KVT und physiotherapeutischen Techniken/ vestibulären Übungen in gemeinsames Behandlungs-Programm
    • frühzeitige oder sogar vorausschauende verhaltenstherapeutische Interventionen können Ergebnisse verbessern
    • Einnahme von Antidepressiva kann sich bei entsprechender psychiatrischer Komorbidität wie Panikattacken, Angsterkrankung, Depression oder Schlafstörungen günstig auswirken (CAVE: bisherige Evidenz allerdings gering; SSRI wie Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin), oder SNRI wie Venlafaxin empfohlen)
    • ausführliche Psychoedukation mit Erklärungen der Krankheitszusammenhänge, Desensibilisierung durch Eigenexposition und regelmäßiger Sport sowie kognitive Verhaltenstherapie bei Persistenz der Beschwerden
Published inLeitlinien kompakt

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