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Leitlinie „Resuscitation of Pediatric Blast Injury Patient“ des EXTRACCT

veröffentlichende Fachgesellschaft: Explosive Weapons Trauma Care Collective (EXTRACCT)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 21.12.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1002/wjs.70186

Grundsätzliches

  • etwa jedes sechste Kind weltweit lebt in einem Konfliktgebiet, und jährlich werden Tausende getötet oder verstümmelt
  • Definition „Explosionsverletzung“: jede Verletzung, die durch eine rasche Druckwelle und die dabei entstehenden Splitter einer Explosion verursacht wird
  • Schweregrad der Verletzung hängt von vielen Faktoren ab, darunter Größe und Art des Sprengkörpers, der Ort (im Freien oder innerhalb eines Gebäudes) und das Opfer (Nähe zum Sprengkörper, Körpergröße, Vorhandensein von persönlicher Schutzausrüstung und Verbrennungen)
  • theoretische Kategorien bzgl. der Auswirkungen von Explosionen
    • primäre Explosionsverletzung: bedingt durch Wirkung der Druckwelle der Explosion, die beim Durchdringen des Körpers Energie abgibt, v.a. an der Gas-Flüssigkeits-Grenzfläche
    • sekundäre Explosionsverletzung: stumpfe oder penetrierende Verletzungen, verursacht durch Splitter der Bombe selbst oder durch Trümmer in der Umgebung
    • tertiäre Explosionsverletzung: Explosion verursacht physische Verlagerung des Körpers und Aufprall auf umgebende Objekte
    • tertiäre Explosionsverletzung: Verbrennungen, Inhalation, Vergiftungen oder Verschlimmerung vorbestehender Erkrankungen
    • quintäre Explosionsverletzung: klinische Folgen von Umweltgiften nach der Detonation, z. B. Sarin, Anthrax)

Empfehlungen

c – critical Bleeding

  • jegliche komprimierbare Blutung sofort stoppen
  • Patientenmanipulation minimieren, um die Blutgerinnung zu erhalten
  • frühzeitige Anlage von i.v.- oder i.o.-Zugang sowie so bald wie möglich mit balancierter Transfusion von Vollblut oder Blutkomponenten (wirkungsorientierte Dosierung unter sorgfältiger Überwachung)
  • falls verfügbar, 15 mg/kg Tranexamsäure (max. 1 g) innerhalb von 3 h, gefolgt von kontinuierlicher Infusion (2 mg/kg/h) für mind. 8 h oder bis die Blutung aufhört ODER 25 mg/kg Tranexamsäure (max. Dosis 2 g) ohne Infusion

A – Airway

  • schonende Behandlung der Atemwege (bei V.a. auf HWS-Verletzung ggf. Zwei-Personen-Technik vorziehen)
  • Kind in die sog. „Schnüffelposition“ bringen (CAVE: Alter und Entwicklungsstand berücksichtigen)
  • bei starker Blutung im Mund- & Gesichtsbereich Atemwege freihalten, regelmäßig absaugen, ggf. Tamponade mit Adrenalin-getränkter Gaze erwägen und Lagerung in stabiler Seitenlage
  • Intubation in Betracht ziehen, sofern die Situation und die verfügbaren Ressourcen dies zulassen (lokale Checkliste für Intubation verwenden und Leitlinien für schwierigen Atemweg beachten)
  • frühzeitige Atemwegssicherung durch ETI und Beatmung bei Verbrennungen oder schweren Gesichtstraumata mit Blutungen im Mundbereich
  • Inhalation von Tranexamsäure bei anhaltender oraler/pulmonaler Blutung erwägen
  • Ruhigstellung der Halswirbelsäule nur, wenn das Kind kooperiert oder bewusstlos ist (CAVE: keine HWS-Orthese bei wachen Kindern) –> alternativ Headblocks, Tape oder MILS, jedoch nur, wenn diese toleriert wird)
  • CAVE: Ruhigstellung der Halswirbelsäule erschwert i.d.R. das Atemwegsmanagement –> Sicherung der Atemwege hat stets Priorität

Indikationen für Atemwegssicherung

  • akute Atemwegsprobleme, inkl. Verlegung oder Blutung
  • schwere Atemnot, fortschreitende Hypoxämie oder Beatmungsversagen
  • kardiovaskuläre Beeinträchtigung
  • „humanitäre Probleme“(z.B. mehrere unmittelbar bevorstehende chirurgische Eingriffe/schwere Verletzungen und/oder Schmerzen)
  • Bewusstseinsminderung (im Allgemeinen als GCS < 8 definiert)

B – Breathing

  • Beatmung bei erheblicher oder unzureichender Atemarbeit
  • Pneumo-/Hämatothorax klinisch ausschließen und behandeln
  • Einlage einer oro-nasalen Magensonde zur Magenentlastung (CAVE: bei Gesichtstrauma ist bei oraler Einführung Vorsicht geboten)
  • Röntgenaufnahme des Brustkorbs oder Lungenultraschall zur Detektion von Verletzungen
  • alle Verdachtsfälle einer primären Lungenverletzung durch Explosionen benötigen unterstützende Pflege und ITS-Überwachung (Entlassung aus engmaschiger medizinischer Überwachung bei Patient*innen, die 6 h nach Exposition keine Symptome mehr aufweisen
  • Sauerstoffgabe und schonende Beatmung mit Beatmungsbeutel vor Narkoseeinleitung
  • hoher PEEP und TXA-Verneblung während der Beatmung bei signifikanter Lungenblutung
  • Atemzugvolumen von 6 – 8 mL/kg anstreben und mit PEEP von 5 beginnen und bei Bedarf anpassen

C – Circulation

  • initiales Ziel: tastbaren Radialispuls und allmähliche Verbesserung der Pulsfrequenz und der Durchblutungszeichen erreichen
  • 5 – 10 mL/kg Blut (sofern verfügbar und idealerweise warm) oder Kristalloidlösung infundieren (bei blutungsbedingter hämodynamischer Instabilität Infusion so schnell wie möglich und titriert bis zum klinischen Erfolg)
  • Perfusion nach Bolusgabe anhand von HF, der AF, der peripheren Pulse, der Rekap-Zeit, AVPU oder GCS sowie durch Lungenauskultation und Abtasten der Leberkante erneut beurteilen
  • eFAST zum Nachweis freier Flüssigkeit, falls kein CT verfügbar ist (CAVE: Limitationen bei pädiatrischem Trauma berücksichtigen)
  • gezielte kardiale Ultraschalluntersuchung (Beurteilung der Vena cava inferior) kann helfen, den Bedarf an fortgesetzter Flüssigkeitszufuhr zu bestimmen
  • Verwendung von Kristalloiden einschränken und erwärmtes Vollblut, sofern verfügbar, vorziehen
  • Anlage einer Beckenschlinge bei V.a. Beckentrauma
  • Schienung verletzter langer Gliedmaßen
  • Wunden versorgen und angelegte Tourniquets überprüfen
  • Blutprodukte entweder als Vollblut oder im Verhältnis 1 Erythrozytenkonzentrat zu 1 Frischplasma zu 1 Thrombozytenkonzentrat verabreichen (falls verfügbar, pH-Wert, Kaliumspiegel und ionisiertes Kalzium regelmäßig kontrollieren)
  • Hypothermie vermeiden, da sie zur Koagulopathie beitragen kann
  • Hypotonie vermeiden und altersentsprechenden normalen MAD aufrechterhalten bei V.a. auf SHT (CAVE: signifikante Hypertonie kann Blutungen verstärken, dies kann aber auch eine kompensatorische Reaktion auf den erhöhten ICP sein)
  • bei Hyptonie Einsatz von vasoaktiver Substanzen wie Epinephrin erwägen, v.a. bei SHT und Rückenmarksverletzungen

D – Disability

  • Blutzucker engmaschig überwachen (Hypoglykämiekorrektur mit 3 mL/kg 10%ige Glukoselösung)
  • frühzeitige Schmerzlinderung ist unerlässlich und enge elterliche Unterstützung von entscheidender Bedeutung
  • Gabe von Breitspektrumantibiotika bei penetrierenden Kopfverletzungen
  • bzgl. Krampfanfällen überwachen und ggf. frühzeitig behandeln (niedrigere Benzodiazepin-Dosen bei niedrigem AVPU/GCS-Wert und schlechter Durchblutung erwägen)
  • Gabe von 2 – 5 mL/kg 3%iger NaCl über 10 – 20 min und Oberkörperhochlagerung um 30° erwägen bei Anzeichen eines erhöhten Hirndrucks (neurologische Auffälligkeiten, Bradykardie, Hypertonie); falls keine hypertone Kochsalzlösung verfügbar ist, 0,25 – 1,5 g/kg Mannitol als Alternative verwenden (CAVE: bei Hypotonie)
  • hohe Prävalenz vonSHT macht Neuroprotektion unerlässlich und erfordert Aufrechterhaltung eines adäquaten zerebralen Perfusionsdrucks
  • prophylaktische Behandlung von Krampfanfällen bei SHT mit Phenytoin oder Levetiracetam
  • bei Verletzungen, die eindeutig nicht überlebbar sind, für ausreichende Schmerzlinderung und Anwesenheit von Familienangehörigen sorgen

E – Environment

  • schrittweise körperliche Untersuchung des Kindes (Körperregion für Körperregion freilegen)
  • Ausmaß und Bereich der Verbrennung bestimmen
  • Unterkühlung vorbeugen und ggf. behandeln
  • WHO-Checkliste für die Traumabehandlung verwenden
  • Blutungen lassen sich durch frühzeitiges Schienen der Extremitäten reduzieren und Schmerzen lindern
  • Antibiotika-Gabe i.v. bei allen durch Explosionen verursachten Verletzungen (CAVE: lokale Resistenzmuster und Notwendigkeit wiederholter Operationen berücksichtigen)
  • Malaria-Schnelltest in Malaria-Endemiegebieten
  • Tetanusstatus überprüfen und ggf. auffrischen
  • Vitamin K bei Anzeichen einer Koagulopathie (Phytomenadion i.v. 300 μg/kg, max. 10 mg)
  • Anlage Blasenkatheter erwägen bei Patient*innen im Schockzustand, Patient*innen mit Rhabdomyolyserisiko oder beatmeten Patient*innen (CAVE: Anlage Blasenkatheter bei Anzeichen eines Harnröhren-/Beckenverletzungen vermeiden)
  • Prophylaxe gegen durch Blut übertragbare Viren erwägen
Published inLeitlinien kompakt

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