Zum Inhalt springen

Ei, Ei, Ei… Was tun beim akuten Skrotum? (Ostern bei FOAMio)

Was ist das akute Skrotum?

Unter dem Begriff „akutes Skrotum“ werden verschiedene Krankheitsbilder subsummiert, die für plötzliche Skrotalbeschwerden typisch sind. Dabei stellt das „akute Skrotum einen Notfall dar, der ein schnelles Handeln erfordert, um ischämische Schäden am Hodenparenchym zu vermeiden.

Das allgemeine Management

Anamnese & Symptome

  • Abklärung des genauen zeitlichen Ablaufs der Schmerzsymptomatik (Beginn/Intensität?), im Säuglings- und Kleinkindalter i.d.R. nur fremdanamnestisch möglich
  • Abklären des Vorhandensein einer Leistenhernie oder eines Hodenhochstandes (CAVE: auch die akute Symptomatik muss zuerst daraufhin überprüft werden)
  • Episoden bereits durchgemachter lokaler Schmerzereignisse sind ebenso hinweisend wie vom Patienten wahr genommene tageszeitliche oder belastungsabhängige Veränderungen der Größe des Skrotalfaches
  • Abklärung durchgemachter oder begleitender Infektionen, v.a. Viruserkrankungen
  • Fieber, Abgeschlagenheit, Dysurie, Flanken-/ Unterbauchschmerzen, kolikartige Beschwerden oder begleitende Hämaturie (Harnwegsinfektion/ Urolithiasis?) sowie Gelenkbeschwerden, allgemeine Hautphänomene oder Kopfschmerzen (Immunvaskulitis?) differentialdiagnostisch wichtig
  • Übelkeit und Erbrechen (schmerzassoziiert bei Hodentorsion ODER im Rahmen von allgemeinen Infekten oder abdominellen Erkrankungen)
  • Abklärung von Leisten- oder Unterbauchsymptomen sowie vegetativen Veränderungen wie Tachykardie oder Schweißausbruch bis hin zum Schock
  • Abklärung von B-Symptomatik im Rahmen einer hämatologischen Erkrankung, nach neu aufgetretenen Hämatomen oder Petechien (B-Symptomatik: Trias aus unerklärlichem Fieber > 38 °C, massivem Nachtschweiß mit nassen Haaren & durchnässten Schlafbekleidung sowie ungewollter Gewichtsverlust > 10 % des Körpergewichtes innerhalb von 6 Monaten)
  • Abklärung von sexueller Aktivität als weitere potentielle Quelle für skrotale und dann häufig entzündlich bedingte Beschwerden (CAVE: in der Adoleszenz nur mit großer Sensibilität eruieren)
  • Abklärung lokaler Traumata, da diese vergleichbare Beschwerdekonstellationen verursachen können
  • CAVE: bei peri- und postnatalen Auffälligkeiten am Skrotum an die Möglichkeit einer Torsion denken
  • CAVE: bei größeren/älteren Patienten können Angaben dazu aus Scham, hoher Schmerztoleranz oder tatsächlicher Indolenz (Paraplegie!) vage bleiben oder ganz fehlen –> dadurch ggf. verzögerter Behandlungsbedarf

Diagnostik

  • körperliche Untersuchung unverzüglich durchführen (CAVE: altersabhängig Gegebenheiten wählen, die von der Anwesenheit der Eltern bei kleineren Kindern bis hin zur diskreten Untersuchung beim Adoleszenten reichen; vorher Einstimmung einholen)
    • bei Zeitverzug bedarf es einer gezielten Ansprache und Befunderhebung über persönliche Befindlichkeiten des Patienten hinweg
  • körperliche Untersuchung, wenn möglich, im Stehen und liegend
  • Erhebung eines detaillierten Genitalstatus
    • Inspektion bzgl. Rötung, Schwellung, Asymmetrien, Ödem, Hämatome oder Petechien sowie umschriebene Verletzungen, Insektenstiche oder anderweitige Läsionen
    • Lage, Größe, Konsistenz und Abgrenzbarkeit von Hoden und Nebenhoden sowie deren Mobilität in den jeweiligen Skrotalfächer (auch suspekte Tastbefunde am Parenchym, innerhalb der Hodenhüllen und im Bereich des Samenstranges)
    • wichtig ist die Bewertung der Befunde im Seitenvergleich und in Relation zu den vom Patienten geschilderten Beschwerden
  • zusätzlich Untersuchung der Leistenregionen und des Abdomens, um ggf. Erkrankungen zu erfassen, deren Symptome von dort in das Skrotum ausstrahlen
  • spezielle diagnostische Tests
    • Kremasterreflex: Bestreichen der Innenseite des Oberschenkels gefolgt von Aufwärtsbewegung des ipsilateralen Hodens –> fehlende Reflexantwort auf symptomatischer Seite spricht für Hodentorsion (CAVE: bei Säuglingen und Teenagern deutlich weniger sicher auslösbar)
    • Prehn-Zeichen: Anheben des betroffenen Hodens –> Schmerzverstärkung als positives Zeichen (CAVE: v.a. im Kindesalter schwierig zu prüfen und somit nicht verlässlich)
  • Sonographie hat größten Stellenwert in der Differenzialdiagnostik testikulärer Erkrankungen (Untersuchung beinhaltet morphologische Darstellung des Hodens mittels B-Mode und farbkodierter Dopplersonografie; Seitenvergleich ist obligat)
  • MRT hat ebenfalls große Zuverlässigkeit in der Diagnostik von Erkrankungen des Hodens, aber leider hohen zeitlichen Aufwand & Kosten sowie ggf. erforderliche Sedierung bei jüngeren Patienten
  • Laboruntersuchung haben bei der Differentialdiagnostik kaum einen zusätzlichen Wert (bei Entzündung Blutbild und CRP)

Welche Differenzialdiagnosen/Notfallbilder gibt es?

Hodentorsion

  • akute Drehung von Hoden und Samenstrang um die Längsachse mit nachfolgender Drosselung oder Unterbrechung der Durchblutung
  • abhängig vom Ausmaß der Torsion ist innerhalb von 2 – 12 Stunden (im Mittel 6 – 8 h) mit einer hämorrhagischen Infarzierung und Nekrose des Hodens zu rechnen
  • höchste Dringlichkeit unter den verschiedenen Ursachen des akuten Skrotums –> bedarf ohne Zeitverzug einer therapeutischen Intervention!
  • Ursache: abnorme Beweglichkeit des Hodens innerhalb seiner Hüllen und Aufhängung
  • Altersverteilung: in jedem Lebensalter mgl., aber v.a. bei Neugeborenen und in ca. 65 % der Fälle zwischen 12. & 18. Lebensjahr (Risiko bei 1:4000); Häufigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab, nur sehr wenige Fälle über 40-Jährigen
  • typischerweise tritt die akute Torsion unabhängig von Tageszeit, körperlicher Aktivität oder äußeren Einflüssen auf
  • Pathophysiologie: Untebrechung des venösen Blutflusses durch Drehung des Hoden um den Samenstrang –> Venenstauung –> Ischämie des Hodens (ggf. bei weiteren Drehung auch Untebrechung der arteriellen Blutzufuhr) –> Nekrose
  • Symptomatik
    • plötzliche heftige Schmerzen in einer Skrotalhälfte mit starkem lokalen Druckschmerz und globaler Hodenempfindlichkeit, ggf. Ausstrahlung in Leiste & Unterbauch (Beginn der Schmerzen vorwiegend in der Fossa iliaca; auch damit verbundene Schmerzen in der ipsilateralen Fossa iliaca mgl.)
    • verdickter Samenstrang („Whirlpool-Zeichen“ bzw. spiralförmiges Muster im Ultraschall)
    • Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch und Tachykardie bis hin zum Schock
    • initial mäßige Rötung des betreffenden Hodenfaches & zunehmende Schwellung/Verdickung
    • betroffener Hoden steht höher und erscheint weniger mobil als der kontralaterale, nicht betroffene Hoden
    • jegliche Manipulation ist schmerzhaft, v.a. Anheben des Hodens (positives Prehn-Zeichen)
    • Kremasterreflex ist auf der betroffenen Seite nicht auslösbar (Seitenvergleich!)
    • i.d.R. eher der linke Hoden betroffen
  • Testicular Workup for Ischemia and Suspected Torsion (TWIST-Score)
    • Hodenschwellung:nein (0 Punkte) ODER ja (2 Punkte)
    • harter Hoden:nein (0 Punkte) ODER ja (2 Punkte)
    • Kremasterreflex nicht auslösbar:nein (0 Punkte) ODER ja (1 Punkt)
    • Übelkeit/Erbrechen:nein (0 Punkte) ODER ja (1 Punkt)
    • Hodenhochstand: nein (0 Punkte) ODER ja (1 Punkt)
    • AUSWERTUNG
      • ≥ 5 Punkte: Hochrisikogruppe (Patient kann umgehend ohne bildgebende Diagnostik in den Operationssaal)
      • 3 – 4 Punkte: Mittelrisikogruppe (Skrotalsonographie erforderlich)
      • ≤ 2 Punkte: Niedrigrisikogruppe (keine Skrotalsonographie erforderlich)
  • Differentialdiagnosen: Hodentumor, Nebenhodenentzündung, Hydrozele, traumatisches Hämatom, Orchitis
  • Therapie (CAVE: Intervention ist zeitkritisch mit einer Heilungsrate von 97 % in den ersten 6 h, die nach 12 h auf 61,3 % abfällt)
    • manuelle Detorsion bei gesicherter Hodentorsion bleibt außerklinischen Notfällen oder absehbarem Zeitverzug für eine operative Versorgung vorbehalten (Voraussetzung: kurze Schmerzanamnese, sicher skrotale Hodenposition & bislang fehlende Begleitveränderungen; CAVE: Durchführung nur durch erfahrene Untersucher*innen mit detaillierter Kenntnis der Drehrichtung)
      • „Einwärtsdrehung“ der Hoden ist die typische Drehrichtung bei der Torsion –> „Auswärtsdrehung“ ist die zu wählende Drehbewegung (aus Sicht der Untersuchenden rechts gegen, links in Uhrzeigersinn)
      • prompte Beschwerdefreiheit und normalisierter Tastbefund zeigen Behandlungserfolg an
      • zeitnahe prophylaktische beidseitige Orchidopexie unabhängig vom Erfolg der manuellen Detorsion (innerhalb von 12 – 24 h; bei jeglicher Unsicherheit unverzügliche operative Exploration des Hodens)
    • offen chirurgische Detorsion sollte innerhalb der ersten 4 – 6 h erfolgen, da die Inzidenz einer späteren Hodenatrophie oder primär irreversiblen Nekrose bei kompletter Torsion nach 8 Stunden signifikant ansteigt –> nach Freilegung und Detorsion des Hodens die Erholung des Hodens abwarten (im Zweifelsfall bis zu 30 min; Auflegen warmer Kochsalz-Kompressen)
  • Sonderfall „traumatische Hodentorsion“ als seltenes, aber mögliches Ereignis: Problematik ist v.a. die zeitnahe Trennung der typischen, allein durch das Trauma erklärlichen Schmerzen im Skrotalfach mit Schwellung, Hämatom & Kontusionsfolgen) von Symptomen einer Torsion

Hydatidentorsion

  • Torsion kleiner, nur wenige Millimeter großer, über einen Gefäßstiel perfundierter Anhangsgebilde an Hoden, Nebenhoden oder Samenstrang (sog. Hydatiden)
  • Symptomatik
    • plötzliche Schmerzen in einem Hodenfach (Intensität kann denen der Hodentorsion gleichen)
    • in der Frühphase kann der torquierte Hydatide als hoch empfindlicher kleiner Knoten am oberen Hodenpol getastet werden (Hoden selbst ohne vermehrte Schmerzhaftigkeit)
    • bläulich schimmernde Struktur im Hodensack sichtbar (Blue-dot-sign)
    • zunehmende Begleitsymptome sind Rötung, Schwellung & Erguss (reaktive Hydrocele testis)
    • Abgrenzung von Hodentorsion palpatorisch nicht möglich (Sonographie kann Hydatide bei erhaltener testikulärer Perfusion nachweisen)
  • Altersverteilung: in jedem Lebensalter mgl., Häufigkeitsgipfel zw. 7. und 12. Lebensjahr
  • Therapie
    • skrotale Freilegung mit Abtragung der Hydatide bei ausgeprägter Klinik (auch bei ungesicherter Indikation)
    • bei gesicherter Diagnose und erträglicher Symptomatik konservative Therapie mit körperlicher Schonung/Bettruhe

Epididymoorchitis

  • akute Entzündungen von Hoden und Nebenhoden, die pathogenetisch und mit Blick auf den Lokalbefund nicht immer sicher voneinander abzugrenzen sind
  • im Kindesalter überwiegen Einzelerkrankungen ohne Neigung zu Rezidiven
  • Nebenhodenentzündung im Kindesalter hat verschiedene Ursachen (häufiger hämatogener Ursprung, typischerweise im Gefolge viraler und nur selten bakterieller Infektionen)
  • Altersverteilung: aufgrund der Variabilität der Ursachen sind alle Altersgruppen betroffen
  • Symptomatik
    • eher schleichender Krankheitsbeginn mit zunehmender, zumeist einseitig schmerzhafter Schwellung von Nebenhoden und/oder Hoden
    • Fieber, Dysurie oder Pollakisurie sind eher seltene Begleitsymptome
    • Hoden ist mobil und der Palpation zugänglich, Hoden und Nebenhoden lassen sich trotz lokaler Dolenz voneinander abgrenzen
    • Schmerzen können bei Anheben des betroffenen Hodens abnehmen (CAVE: trotzdem kein verlässlicher Hinweis)
    • Kremasterreflex ist symmetrisch auslösbar
    • Ausbildung eines Erythems der Skrotalhaut mit ödematöser Schwellung der Haut und möglicher Begleithydrozele bei fortschreitender Entzündung
  • Therapie
    • abhängig von der Schwere der Erkrankung zum Zeitpunkt der Vorstellung und der vermuteten Ätiologie
    • symptomatische Therapie (Ruhigstellung, Hochlagerung, Kühlung)
    • Therapie mit nicht-steroidalen Analgetika/Antiphlogistika
    • bei begründetem Verdacht auf bakterielle Infektion antibiotische Therapie (ggf. i.v.)

idiopathisches Skrotalödem

  • meist schmerzhafte, eher ein- als beidseitig auftretende ödematöse Schwellung der Skrotalhaut, die knapp das Perineum oder die Leiste erreicht
  • begleitendes, bei Bestreichen deutlich schmerzhaftes Erythem grenzt den Befund scharf gegenüber der Umgebung ab
  • palpatorisch keine zusätzlichen Auffälligkeiten am Skrotalinhalt (cave: Dolenz der Hautoberfläche) und keine fassbaren Laborveränderungen (evtl. Eosinophilie im Blutbild)
  • isolierte Verdickung der Haut auf der betroffenen Seite im Ultraschall sowie vermehrte Perfusion im Farb-Doppler (sog. Fountain-sign)
  • Erkrankung ist selbstlimitierend und klingt auch ohne spezielle Therapie innerhalb von 3 – 4 Tagen ab

traumatische Schädigungen

  • Verletzungen des Genitalbereiches können isoliert auftreten oder Bestandteil komplexer und schwerwiegender Schädigungen z.B. der Becken oder Oberschenkelregion sein
  • penetrierende Verletzungen haben unmittelbare chirurgische Konsequenzen, egal ob sie isoliert (z.B. durch Fahrradteile, Hundebiss, thermische Schädigung) oder im Zusammenhang mit Rasanztraumen (Verkehrsunfall, selten: Schussverletzung) auftreten
  • zahlenmäßig dominieren einfache stumpfe Verletzungen ohne gravierende Verletzungsfolgen (Altersgipfel: 6 – 12 Jahren)
  • Symptomatik
    • lokale Veränderungen (Hautaffektionen, Blutungen, lokalisierte oder diffuse Schwellung)
    • primär skrotale Schmerzen mit Ausstrahlung in Leiste und Abdomen
    • Hodentumoren sind anfälliger für Verletzungen (ggf. auch erst diagnostiziert im Rahmen eher banaler Unfallhergänge)
    • Sonographie: neben inhomogenen Bereichen im Hodenparenchym para- (Hämatozele) oder intratestikuläre (Hämatom) Flüssigkeitsansammlungen nachweisbar; bei Kapselrupturen Aufhebung der üblicherweise ovalen Hodenkontur mit dann irregulärer Randbegrenzung; lineare, hypoechogene Frakturlinien bei intrakapsulären Risse im Parenchym
  • Therapie
    • bei primär abdominellen Traumen mit vergleichbarer Schmerzsymptomatik skrotale Position beider Hoden kontrollieren und Begleitverletzung des Skrotums ausschließen
    • CAVE: Möglichkeit einer traumatischen Hodentorsion bedenken und weiter abklären
    • bei Kapselruptur chirurgische Versorgung mit Ausräumung des Begleithämatoms
    • geringfügigere Läsionen werden konservativ behandelt
    • bei offenen Verletzungen Abklärung des Impfstatus und Einleitung einer präemptiven antibiotische Therapie
    • bei thermischer Verletzung der Skrotalregion und oberflächlichen Wunden ist antimikrobielle Lokaltherapie ausreichend

Handlungsempfehlungen gemäß LL „Akutes Skrotum im Kindes- und Jugendalter“

Quelle: Lorenz, C. Handlungsempfehlungen gemäß der Leitlinie „Akutes Skrotum im Kindes- und Jugendalter“. Monatsschr Kinderheilkd 165, 905–906 (2017). https://doi.org/10.1007/s00112-017-0367-0

Quelle

Published inLebensrettENTE

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert