Passend zum gestrigen Beitrag zum World Mental Health Day, in dem es um das Thema „psychische Gesundheit in humanitären Krisen“ ging, geht es heute um eine dieser drängenden humanitären Krise, nämlich die im Gazastreifen. Die europäische Fachgesellschaft für Notfallmedizin (EUSEM; European Society for Emergency Medicine) hat am 08. Oktober ein Positionspapier mit dem Titel „Position on the health and humanitarian crisis in Gaza“ veröffentlicht und dort die Position der EUSEM in Bezug auf die gesundheitliche und humanitären Krise im Gazastreifen dargelegt. Die Position ist nachfolgend in deutscher Sprache skizziert:
Die Europäische Gesellschaft für Notfallmedizin (EUSEM), die wissenschaftliche Gesellschaft, die Fachleute der Notfallmedizin in ganz Europa vertritt, äußert ihr Entsetzen über die aktuelle Lage der Zivilbevölkerung in Gaza. Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten berichtet, dass zahlreiche Krankenhäuser zerstört oder funktionsunfähig geworden sind und dass es im Norden keine voll funktionsfähigen Krankenhäuser mehr gibt. Der Bevölkerung werden somit selbst die grundlegendsten Gesundheitsdienstleistungen vorenthalten, und jede spezialisierte Versorgung, inkl. der Gesundheitsversorgung von Müttern und Neugeborenen, der Unfallchirurgie und Onkologie, ist weitgehend nicht verfügbar. Gleichzeitig hat sich die Ausbreitung von Infektionskrankheiten verstärkt, bedingt durch die Zerstörung der Wasser- und Sanitärinfrastruktur, die starke Überbelegung und den eingeschränkten Zugang zu Vorsorge- und Grundversorgung. Die Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur in Gaza wird zweifellos zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität beitragen, auch über die Zeit des aktiven Krieges hinaus. Medizinisches Fachpersonal, das unter extrem schwierigen und gefährlichen Bedingungen arbeitet, wurde direkt angegriffen, wobei Berichten zufolge über 1400 medizinische Mitarbeiter getötet wurden. Die mutigen medizinischen Fachkräfte, die den Mut haben, zu bleiben, sind mit der Arbeitsbelastung überfordert, arbeiten mit minimalen Vorräten und unter erheblichen persönlichen Risiken. Die begrenzten Ressourcen an humanitärer Hilfe, die ins Land gelassen werden, sind völlig unzureichend.
Darüber hinaus haben zahlreiche internationale Organisationen, darunter die WHO und die Initiative zur integrierten Klassifizierung der Ernährungssicherheit (IFSC), bestätigt, dass die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens unter extremer und anhaltender Ernährungsunsicherheit leidet. Gemäß der IFSC befindet sich der gesamte Gazastreifen derzeit in Phase 4, wobei die Vereinten Nationen (UN) gerade in einigen Teilen den Hungersnotzustand ausgerufen haben und eine weit verbreitete Hungersnot als unmittelbare Bedrohung für die gesamte Region bezeichnen.
Die EUSEM kann nicht tatenlos zusehen, wie sich die humanitäre und gesundheitliche Krise mit verheerenden Auswirkungen auf Patient*innen und Beschäftigte im Gesundheitswesen verschärft. Wir verurteilen den Krieg aufs Schärfste und erinnern daran, dass das humanitäre Völkerrecht zum Schutz der in Konflikte verwickelten Zivilbevölkerung existiert. Die EUSEM weigert sich, stillschweigender Zeuge der „eklatanten Verstöße gegen diese Schutzbestimmungen“ zu sein. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, eine klare Haltung einzunehmen, und appellieren an alle Parteien, ihren Verpflichtungen aus den Genfer Konventionen, insbesondere der Vierten Genfer Konvention, nachzukommen. Die Sicherheit von medizinischem Fachpersonal und Gesundheitseinrichtungen sowie der sofortige und ungehinderte Zugang der Zivilbevölkerung zu notwendiger humanitärer Hilfe sind in den Gesetzen des bewaffneten Konflikts (LOAC) klar festgelegt und in den Einsatzregeln, nämlich den Regeln 53–55, geregelt. Jede Verletzung der LOAC ist ein Kriegsverbrechen.
Die Notfallmedizin basiert auf dem Grundsatz, dass eine rechtzeitige Versorgung Leben rettet – und dass der Zugang zu einer solchen Versorgung ein universelles Grundrecht ist. Das Motto „Jeder, jederzeit, überall“ bringt das unerschütterliche Engagement der Notfallmedizin zum Ausdruck, allen Menschen sofortige und gleichberechtigte Versorgung zu bieten. Dies erfordert ein sicheres Arbeitsumfeld für medizinisches Fachpersonal.


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