veröffentlichende Fachgesellschaft: European Society of Emergency Medicine (EUSEM)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 25.08.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1097%2FMEJ.0000000000001065
Grundsätzliches
- Diagnostik basiert in erster Linie auf dem klinischen Verdacht und klinischen Merkmalen (auch EKG-Veränderungen) sowie Laborbestimmung des Digoxin-Serumspiegels (CAVE: Serumspiegel korreliert nicht immer mit Intoxikation bzw. Symptomen)
- Intoxikation kann als Folge akuter, chronischer oder akut-chronischer Exposition auftreten (i.d.R. meist chronische Exposition)
- Symptome der Digoxin-Vergiftung meist unspezifischer Natur, aber v.a. kardiale Toxizität ist primär für lebensbedrohliche Zustände verantwortlich
- Auftreten primär bei älteren Menschen sowie Risikofaktoren wie Niereninsuffizienz, Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Hyperkalzämie) und Dehydratation
- ggf. Wechselwirkungen zw. Digoxin und anderen Arzneimitteln (z.B. Kalziumkanalblockern, NSAR, Diuretika, Makrolid-Antibiotika) mit stärkerer Intoxikation möglich
Symptomatik
- gastrointestinale Symptome wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall)
- neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Lethargie
- visuelle Symptome wie unscharfes Sehen, Lichtblitze und ggf. Veränderungen der Farbwahrnehmung
- kardiale Symptome wie Herzrhythmusstörungen, z.B. Bradykardie, alle Grade des AV-Blocks, vorzeitige ventrikuläre Kontraktionen oder ventrikuläre Tachykardien (häufig in Verbindung mit Müdigkeit), Hypotonie und kardiogener Schock
Anzeichen für lebensbedrohliche Digoxin-Vergiftung
- ventrikuläre Tachykardie oder Kammerflimmern
- Asystolie, symptomatischer hochgradiger AV-Block oder atropinresistente Bradykardie
- schwere Hyperkaliämie (Serumkalium >6,5 mmol/L)
- Hypotonie in Verbindung mit Endorganfunktionsstörung
Risikofaktoren
- fortgeschrittenes Alter
- Hypokaliämie
- Hypomagnesiämie
- Hyperkalzämie
- Niereninsuffizienz
- Dehydrierung
- Hypoxämie
- myokardiale Ischämie
Diagnostik
- durchgehende EKG-Überwachung mit seriellen 12-Kanal-EKGs, v.a. bzgl. Arrhythmien, ST-Senkungen, abgeflachter T-Welle oder erhöhter U-Wellen-Amplitude (CAVE: ggf. auch EKG-Veränderungen bei Patient*innen mit normal dosiertem Digoxin)
- Messung des Digoxin-Serumspiegel muss min. 6 h nach letzter Einnahme erfolgen (Verteilungsdauer von mehreren Stunden)
- ggf. weitere, spätere Serumspiegel-Bestimmung, wenn initial keine klinischen Anzeichen vorliegen
- Überprüfung der Nierenfunktion (Ausscheidung hauptsächlich über die Nieren)
- Serum-Elektrolyt-Bestimmung hinsichtlich Hypokaliämie, -magnesiämie & Hyperkalzämie
- nach Digitalis-Antikörper-Fragmenten-Gabe engmaschige Überwachung (Serumkalium, Temp., RR, EKG & Nierenfunktion) bis zur Normalisierung von Kaliumkonzentration, EKG und Nierenfunktion
Therapie
- intiale Therapie, unabhängig von Digoxin-Serumspiegel-Messung, aufgrund des allgemeinen und v.a. kardialen Gesundheitszustands
- Gabe von 1 – 2 Ampullen (40 mg/Ampulle) Digitalis-Antikörper-Fragmenten (DigiFab®) bei zuvor genannten Anzeichen für lebensbedrohliche Digoxin-Vergiftung
- bei Herz-Kreislaufstillstand und V.a. Digoxin-Vergiftung sofortige Gabe von 5 Ampullen Digitalis-Antikörper-Fragmenten (also 200 mg als sofortige Einzeldosis); Wdh., wenn nach 30 min keine Reaktion auf initiale Gabe
- bei nicht-lebensbedrohlicher Digoxin-Vergiftung bei ausgewählten Patient*innen nach Bewertung des Digoxin-Serumspiegel Digitalis-Antikörper-Fragmenten-Gabe erwägen (Dosierung gleich halbe Dosis der Dosis für vollständige Digoxin-Neutralisierung gemäß folgender Formel: Digoxin-Serumspiegel (ng/mL oder μg/L) x kgKG x 0,005; Dosis auf volle Ampulle aufrunden)
- ggf. zusätzlich zur Digitalis-Antikörper-Fragmenten-Gabe Gabe von Aktivkohle innerhalb von 2 h nach Einnahme erwägen
- schwere Hypokaliämie (Serumkalium < 2,5 mmol/L) zusätzlich mit Kalium behandeln und leichte bis mittelschwere Hyperkaliämie (Serumkalium 5,5 – 6,5 mmol/L) i.d.R. durch Digitalis-Antikörper-Fragmenten-Gabe behandelbar
- CAVE: Digitalis-Antikörper-Fragmenten-Therapie kann Wirkung des normal eingenommenen Digoxin verringern/unterdrücken und so ggf. zu Herzinsuffizienz oder Vorhofflimmern führen
- leichte, akzidentielle, chronische Digoxin-Vergiftungen (leicht Symptome ohne EKG-Veränderungen oder Arrhythmie) können i.d.R. durch Absetzen oder Dosisminderung behandelt werden
- keine generelle Empfehlung für Digoxin-Eliminationstherapie, z.B. durch Dialyse oder Hämoperfusion (aufgrund großen Verteilungsvolumens & relativ hoher Proteinbindung)
- sofern Digitalis-Antikörper-Fragmenten nicht verfügbar, ventrikuläre Tachyarrhythmien mit Lidocain oder Magnesiumsulfat behandeln
- Bradyarrhythmien mit Atropin oder ggf. mit Herzschrittmachertherapie behandeln; kein Adrenalin und Isoprenalin (CAVE: Gefahr von Kammerflimmern)
- Transport bzw. Verlegung idealerweise innerhalb von 1 Stunde in KH, welches min. 5 Ampullen Digitalis-Antikörper-Fragmente vorrätig hat (ggf. alternativ auch umgekehrt mit Zubringer der 5 Ampullen)
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