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Leitlinie „Identification and Management of Maternal Sepsis During and Following Pregnancy“ des RCOG

veröffentlichende Fachgesellschaft: Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 18.12.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1111/1471-0528.18009

Grundsätzliches

  • Definition „maternale Sepsis“ (mütterliche Sepsis): lebensbedrohlicher Zustand, der durch eine Organdysfunktion infolge einer Infektion während der Schwangerschaft, der Geburt, der Zeit nach dem Schwangerschaftsabbruch oder der Wochenbettzeit entsteht (WHO-Definition 2017)
  • Definition „septischer Schock“: Sepsis mit anhaltender Hypotonie mit Vasopressor-Bedarf für MAD von > 65 mmHg, anhaltend hohem Serumlaktatspiegel (> 2 mmol/L trotz angemessener Volumentherapie)
  • Sepsis während und nach der Schwangerschaft ist nach wie vor eine wichtige Ursache für die Mütter-Mortalität weltweit (ca. 11 % aller Todesfälle bei Müttern)
  • zw. 2019 – 2021 starben in UK 241 von 2.066.997 Gebärende, wovon bei 78 Gebärenden eine Sepsis direkt oder indirekt ursächlich war
  • Gesamtsterblichkeitsrate der Sepsis während oder bis zu 6 Wochen nach dem Ende der Schwangerschaft („im weitesten Sinne als Tod durch eine primäre infektiöse Ursache“): 2,50 pro 100.000 Mütter
  • 10 % aller Todesfälle bei Müttern auf Sepsis und 14 % der Todesfälle auf COVID-19-Infektion im Zeitraum zwischen 2019 – 2021 zurückzuführen

Risikomanagement

  • alle Frauen sind während der Schwangerschaft und im Wochenbett einem Sepsisrisiko ausgesetzt
  • während der Schwangerschaft und im Wochenbett regelmäßige Überprüfung der relevanten Risikofaktoren für die Entwicklung einer mütterlichen Sepsis
    • mütterliche Risikofaktoren
      • Adipositas
      • Gestationsdiabetes
      • Eisenmangelanämie
      • Alter > 35 Jahre
      • beeinträchtigte Immunität/Einnahme immunsuppressiver Medikamente
      • Frauen aus ethnischen Minderheiten
      • Nieren-/Herz-/Lebererkrankung
      • Beckeninfektion in Vorgeschichte
      • Kontakt mit iGAS (invasive beta-hämolytische Streptokokken der Gruppe A)
      • Drogenkonsum i.v.
    • geburtsbezogene Risikofaktoren
      • verlängerter/längerer Blasensprung
      • Geburt per Kaiserschnitt
      • vaginales Trauma
      • zurückgebliebenes Schwangerschaftsgewebe
      • Fruchtwasseruntersuchung und andere invasive Verfahren
      • Mehrlingsschwangerschaft
      • zervikale Cerclage

Anamnese & Diagnostik

  • gründliche Anamnese & angemessene körperliche Untersuchung bei Vorstellung
  • andere nicht-infektiöse Ursachen („Sepsis Mimics“) erwägen
  • Sepsis als mögliche Diagnose in Betracht ziehen, wenn während der Schwangerschaft und in der Zeit nach der Geburt eine Infektion vermutet/bestätigt wird und der klinische Zustand sich rasch verschlechtert
  • Blutkulturen-Abnahme noch vor der Antibiotika-Gabe
  • bei Bedarf HSV-PCR (Herpes-simplex-Virus Typ-2) erwägen
  • Serumlaktat-Messung mittels BGA (Indikator für hohes Sepsisrisiko bei Werten von > 4 mmol/L)
  • rasche Bildgebung (Sono, CT oder Röntgen) zur Lokalisation/Bestätigung des Infektionsfokus
  • routinemäßige Laboruntersuchung (großes Blutbild, Gerinnung, Harnstoff, Elektrolyte, Kreatinin, Leberwerte, CRP)
  • virologische Tests, auch SARS-Cov-2-Tests, bei Bedarf durchführen
  • Rachenabstrich bei Symptomen einer Tonsillitis/Pharyngitis
  • Nasenabstrich bei unklarem/unbekanntem MRSA-Status

typische Infektionsfokusse

KörperregionErkrankungSymptome
KopfHirnhautentzündungPhotophobie, Nackensteifigkeit
Meningoenzephalitisverändertes Bewusstsein, Delirium, fokale neurologische Krampfanfälle
HNOOtitis MediaOhrenschmerzen, gedämpftes Hören
Sinusitiseitriger Nasenausfluss,
Gesichtsschmerzen, Kopfschmerzen
Pharyngitis/LaryngitisHalsschmerzen, zervikale Lymphadenopathie, heisere Stimme
ThoraxPneumonie (viral & bakteriell)Husten mit Auswurf (eher bakteriell bedingt), Hypoxie, Pleuraschmerzen
Herzinfektiöse EndokarditisRegurgitationsgeräusche, embolische Läsionen, Splitterblutungen und Janeway-Läsionen
HepatobiliärCholezystitis/CholangitisSchmerzen im rechten oberen Quadranten, Murphy-Zeichen positiv für Cholezystitis
AbdomenPankreatitisSchmerzen im Oberbauch, ausstrahlend in den Rücken
GastroenteritisDiarrhöe und Erbrechen
AppendizitisMcBurney-Zeichen für Appendizitis, atypische Präsentationen in der Schwangerschaft
Darmperforation (häufiger bei entzündlichen Darmerkrankungen)akutes Abdomen
BrustMastitis kann zu Brustabszessen, nekrotisierender Fasziitis und toxischen Schocksyndromen führenEntzündete Brust, Schmerzen, Anzeichen einer Sepsis und „Blutergüsse“ deuten auf eine tiefere Infektion wie nekrotisierende Fasziitis hin
HarnwegeInfektion der ableitenden HarnwegeDysurie
PyelonephritisLendenschmerzen, Rückenschmerzen
verdeckter Herpes genitalisHämaturie, akuter Harnverhalt
Regionalanästhesie-bedingte InfektionenHirnhautentzündungPhotophobie, Nackensteifigkeit
WirbelsäulenabszessRückenschmerzen, fokale Neurologie, dauerhafte Schädigung des Rückenmarks oder der Cauda equina kann die Folge sein, wenn die Nervenkompression nicht dringend behoben wird
WundinfektionenThrombophlebitis der peripheren KanüleHaut- und Weichteilinfektionen sind besonders mit frühen toxischen Schocksyndromen verbunden (Hautausschlag und Bindehautrötung)
Kaiserschnitt- oder DammschnittwundenHaut- und Weichteilinfektionen sind besonders mit frühen toxischen Schocksyndromen verbunden (Hautausschlag und Bindehautrötung)
nekrotisierende Fasziitisfrühe nekrotisierende Fasziitis (tief im Gewebe sitzend)Kardinalmerkmal sind quälende Schmerzen, die typischerweise eine zunehmende Menge an Analgetika bis hin zu Opioiden erforderlich machen; zu Beginn gibt es möglicherweise keine Hautveränderungen.

Symptomatik

Red Flags (hohes Sepsisrisiko)

  • GCS < 15 oder „B“ des WASB
  • AF ≥ 25/min
  • SpO2: < 94 % bei Raumluft
  • HF >130/min
  • RRsys < 90 mmHg
  • keine Miktion seit > 12 h oder bei Katheterisierung < 0,5 mL/kg Urin pro Stunde

Amber Flags (mäßiges Sepsisrisiko –> KH-Einweisung)

  • Bewusstseinsstörung
  • AF zw. 21 – 24/min
  • HF zw. 100 – 130/min oder neu aufgetretene Herzrhythmusstörungen
  • RRsys zw. 90 – 100 mmHg
  • keine Miktion sin den letztem 12 h oder bei Katheterisierung < 0,5 – 1 mL/kg Urin pro Stunde
  • invasive Eingriffe in den letzten 6 Wochen (z. B. Kaiserschnitt, assistierte vaginale Geburt, Cerclage, Fruchtwasseruntersuchung, Fehlgeburt, Schwangerschaftsabbruch)
  • beeinträchtigtes Immunsystem durch Krankheit/Medikamente (inkl. orale Steroide)
  • Körpertemperatur < 36 °C oder > 38 °C
  • (Schwangerschafts)Diabetes
  • enger Kontakt mit beta-hämolytischen Streptokokken der Gruppe A (z. B. Scharlach, Tonsillitis, iGAS), als längerer enger Kontakt mit Erkrankten im häuslichen Umfeld in letzten 7 d vor Krankheitausbruch
  • verlängerter Blasensprung (18 – 24 h)
  • anhaltende vaginale Blutung und Unterleibsschmerzen nach Geburt
  • starker vaginaler Ausfluss

Therapie

  • Vorgehen gemäß „1 h-Sepsis Bundle“ der SSC
    • Laktatmessung
    • Abnahme von Blutkulturen vor Antibiotika-Gabe
    • Gabe von Breitspektrum-Antibiotika in < 1 h nach Sepsis-Verdacht/Diagnose und nicht die mikrobiologischen Ergebnisse abwarten (Antibiotika-Auswahl lokal unterschiedlich)
      • bei lebensbedrohlichen Sepsis und unbekanntem Infektionserreger bietet Kombination aus Piperacillin/Tazobactam oder Meropenem (für gramnegative Erreger) plus Clindamycin (für grampositive und anaerobe Erreger) eine sehr breite Abdeckung
      • zusätzliche Gabe von Vancomycin bei MRSA-Infektion in der Vorgeschichte
      • zusätzliche Gabe von 500 mg Aciclovir alle 8 h bei Zustandsverschlechterung trotz initialer Antibiose
    • rasche Gabe von 30 mL/kg kristalliner Infusionslösungen bei Hypotension oder erhöhtem Lactatspiegel ≥ 4mmol/L (initialer 500-mL-Flüssigkeitsbolus, ggf. auch Wdh.)
    • Gabe von Vasopressoren, wenn die Hypotension während oder nach VEL-Gabe weiterbesteht, um MAD ≥ 65mmHg zu erzielen

Indikationen für Verlegung auf Intensivstation

  • Hypotonie (RRsys < 90 mmHg) oder erhöhtes Serumlaktat (> 4 mmol/L), trotz Flüssigkeitstherapie und Notwendigkeit von Vasopressoren und/oder Inotropika
  • Lungenödem
  • Atemwegssicherung notwendig
  • mechanische Beatmung notwendig
  • Nierenersatztherapie notwendig
  • vermindertes Bewusstsein
  • Multiorganversagen
  • nicht korrigierte bzw. nur unzureichend korrigierbare Azidose
  • Hypothermie

weitere Therapie

  • Immunglobulin G i.v. (IVIG) als Teil der Therapie von grampositiven nekrotisierenden Infektionen und bei toxischem Schock erwägen, sofern andere Maßnahmen versagen
  • ggf. Entbindung einleiten, sofern dies für die Mutter oder das Kind oder beide von Vorteil ist (multiprofessionelle Entscheidungsfindung gemeinsam mit der Mutter/den Eltern)
  • Magnesiumsulfat erwägen, wenn eine Frühgeburt zu erwarten ist
  • Einsatz von pränatalen Kortikosteroiden zur Förderung der fetalen Lungenreife erwägen
  • durchgehende CTG-Überwachung des Fötus
Published inLeitlinien kompakt

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