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Leitlinie „Inhospital coagulation management and fluid replacement therapy in patients with multiple and/or severe injuries“ der DGU

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 27.06.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1007/s00068-025-02919-2

Trauma-induzierte Koagulopathie

  • traumabedingte Koagulopathie ist eine eigenständige klinische Entität mit erheblichen Auswirkungen auf das Überleben, weswegen spätestens im Schockraum diagnostische Gerinnungstests durchzuführen sind und eine Gerinnungstherapie einzuleiten ist
  • frühzeitige und serielle Basisdiagnostik bei schwerverletzten, blutenden Patient*innen (d.h. aterielle BGA, Messung der Prothrombinzeit (PT), der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT), des Fibrinogenspiegels und der Thrombozytenzahl sowie Blutgruppenbestimmung
  • Einsatz viskoelastischer Tests zur frühzeitigen Diagnose und Behandlung einer traumabedingten Koagulopathie bei der Behandlung schwerverletzter, blutender Patient*innen im Schockraum

Damage Control Resuscitation

  • Hypotonie (MAP von ca. 65 mmHg, RRsys von ca. 80 mmHg) bei aktiv blutenden Patient*innen anstreben bis zur chirurgischen Blutungskontrolle
  • bei Patient*innen (ohne Vorgeschichte kardiopulmonaler Erkrankungen) mit hämorrhagischem Schock vor, während und kurz nach der Operation (3 – 6 h) eine Flüssigkeitsgabe mit Ziel-MAP von ca. 65 mmHg
  • bei Patient*innen mit Kombination aus hämorrhagischem Schock und Schädel-Hirn-Trauma (GCS < 9) und/oder Wirbelsäulentrauma mit neurologischen Symptomen sollte der Ziel-MAP bei etwa 85 mmHg liegen
  • serielle Laktat- und/oder BE-Messung (Base Excess) zur Beurteilung des Schweregrads und Steuerung der Behandlung des Schocks
  • geeignete Maßnahmen ergreifen, um Hypothermie zu vermeiden und Körpertemperatur zu normalisieren
  • Azidämie durch geeignete und frühzeitige Maßnahmen zur Schockbehandlung verhindern
  • Hypokalzämie < 0,9 mmol/L vermeiden (Ziel sollte das Erreichen normaler Kalziumwerte sein)

Ersatz gerinnungsfördernder Substanzen

  • lokale Protokolle für Massentransfusionen und Gerinnungstherapie sollten vorliegen
  • bei aktiv blutenden Patient*innen wird die Entscheidung zur Transfusion von Fall zu Fall getroffen und hängt von klinischen Kriterien, der Schwere der Verletzung, der Höhe des Blutverlustes, dem hämodynamischen Status und der Sauerstoffversorgung ab
  • Ziel nach hämodynamischer Stabilisierung ist es, das Blutvolumen wiederherzustellen und einen Hämoglobin-Zielwert (Hb) von 7 – 9 g/dL [4,3 – 5,6 mmol/L] zu erreichen
  • so früh wie möglich therapeutische Gabe von Plasma, wenn eine massive Blutung den Ersatz des Plasmavolumens erfordert

Management der Blutgerinnung

  • Verwendung viskoelastischer Tests zur Beurteilung des Gerinnungsstatus und zur Steuerung der Therapie
  • diagnostische Gerinnungstests und Gerinnungstherapie durch Thrombozytenfunktionstests ergänzen
  • Verhältnis von 4:4:1 (Plasma : Erythrozyten : Thrombozyten) anstreben, wenn Plasma therapeutisch im Rahmen der Massentransfusion appliziert wird (sonst restriktive therapeutische Gabe von Plasma)
  • früh wie möglich/im präklinischen Bereich Gabe von 1 g Tranexamsäure (TXA) über zehn Minuten bei Patient*innen mit lebensbedrohlichen Blutungen und/oder im Schock und Patient*innen mit bestätigter Hyperfibrinolyse (gefolgt von Infusion mit 1 g TXA über 8 h)
  • TXA-Gabe nicht später als 3 h nach Verletzung einleiten (außer bei Patient*innen mit bestätigter Hyperfibrinolyse)
  • keine allgemeine TXA-Gabe bei allen Verletzten, da nur etwa 20 % der Traumapatient*innen eine Hyperfibrinolyse aufweisen und TXA auch bei fehlender Hyperfibrinolyse unerwünschte Wirkungen hat
  • zusätzlich Gabe von Fibrinogen bei Patient*innen mit lebensbedrohlicher Blutung und/oder im Schock (Anfangsdosis von 3 – 6 g oder 30 – 60 mg/kg Fibrinogen)
  • zusätzlich zu Fibrinogen Gabe von Prothrombinkomplex-Konzentrat (PPSB) bei Patient*innen mit lebensbedrohlicher Blutung und/oder im Schock
  • Entscheidung bzgl. der Methode der Thromboseprophylaxe und des Beginns der Thromboseprophylaxe innerhalb von 24 h nach Blutstillung
  • Nutzung von Sonographie (falls sofort verfügbar) zur Steuerung der ZVK-Anlage

eskalierende pharmakologische Behandlungsmöglichkeiten für koagulopathische Blutungen (ohne Verwendung viskoelastischer Tests)

  • Stabilisierung der begleitenden Faktoren (Prophylaxe und Therapie)
    • Körperkerntemperatur ≥ 34 °C (Normothermie, wenn möglich)
    • pH-Wert ≥ 7,2
    • ionisierte Ca++-Werte von > 0,9 mmol/L (Normokalzämie, wenn möglich)
  • möglichst frühzeitige Hemmung der potenziellen (Hyper-)Fibrinolyse (immer VOR der Verabreichung von Fibrinogen)
    • Loadingdosis von 1 g TXA (15 – 30 mg/kg KG) über 10 min; falls erforderlich, gefolgt von 1 g über 8 h
  • Ersetzen von Sauerstoffträgern
    • Erythrozyten bei Patient*innen mit massiver Blutung
    • Zielhämoglobinspiegel von etwa 7 – 9 g/dL (4,3 – 5,5 mmol/L)
  • Ersatz von Gerinnungsfaktoren (bei Patienten mit anhaltenden schweren Blutungen); Wenn Patienten, die eine Massivtransfusion benötigen oder bei denen ein lebensbedrohlicher Schock aufgrund von Blutungen vorliegt, mit therapeutischem Plasma behandelt werden, können sie von einem hohen Verhältnis von 4(-6):4(-6):1 für Einheiten von therapeutischem Plasma zu Erythrozytenkonzentraten zu Thrombozytenkonzentraten oder von einer Kombination aus therapeutischem Plasma und Gerinnungsfaktorkonzentraten und Thrombozytenkonzentraten profitieren.
    • Fibrinogen 3 – 6 g (30 – 60 mg/kgKG; Ziel: 2 – 2,5 g/L)
    • und, falls erforderlich, PCCs in einer Anfangsdosis von 25 I.U./kgKG
    • FXIII 20 I.U./kgKG, falls erforderlich
    • Zielvorgabe: FXIII-Aktivität > 60 %
  • und (bei Verdacht auf Thrombozytopathie) erhöhte Thrombozytenadhäsion am Endothel + Freisetzung von von Willebrand-Faktor und FVIII aus den Lebersinusoiden (→ Vasopressin-Rezeptor-Typ-2-Agonist)
    • Desmopressin 0,3 µg/kgKG über 30 Minuten (Faustregel: „eine Ampulle pro 10 kgKG über 30 Minuten“)
  • Ersatz des Plasmavolumens
    • FFP ≥ 30 mL/kgKG
  • Ersatz von Thrombozyten zur primären Hämostase
    • Thrombozytenkonzentrat: Zielwert bei Patient*innen, die aufgrund von Blutung und/oder SHT Transfusionen benötigen > 100.000/µL
  • Ggf. Thrombin-Burst mit Thrombozyten- und Gerinnungsaktivierung (Begleitfaktoren beachten! Off-label use!)
    • Falls erforderlich, rFVIIa auf Einzelfallbasis und wenn alle anderen Behandlungsmöglichkeiten versagen
    • Anfangsdosis von 90 µg/kgKG
Published inLeitlinien kompakt

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