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Leitlinie „Management erwachsener Patientinnen und Patienten mit Bronchiektasen-Erkrankung“ der DGP

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 28.05.2024
Ablaufdatum: 27.05.2029
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-030

Grundsätzliches

  • Bronchiektasen-Prävalenz nimmt weltweit seit einigen Jahren stetig zu
  • zw. 2009 und 2017 kontinuierliche jährliche Zunahme der Diagnoseprävalenz unter gesetzlich Krankenversicherten um ca. 10 % in Deutschland
  • Prävalenzrate: ca. 120/100.000 (also > 100.000 Menschen mit Bronchiektasen in BRD)
  • Prävalenz zw. 36 und 566 pro 100.000 Einwohner in Europa
  • Betroffenen in Europa im Durchschnitt 67 Jahre alt und in 61% weiblich (ca. 60 Jahre in BRD)
  • auf die Erkrankung zurückzuführende, jährliche direkte und indirekte Ausgaben für das Jahr 2018 beliefen sich auf mehr als 38.500.000 €
  • gezielte Therapie der Grunderkrankung stellt die effektive kausale Therapie dar und weist i.d.R. den höchsten Effizienzgrad zur Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen auf

Definitionen

  • Begriff „Bronchiektasen“ oder „Bronchiektasie“ wird sowohl für die vergleichsweise charakteristische Erkrankung, als auch den radiologischen Befund verwendet
  • Bronchiektasen = irreversible Schädigung der großen Atemwege aufgrund narbigen Umbaus
  • Exazerbation = Verschlechterung von min. 3 der folgenden 6 Kardinalsymptome über min. 48 h nach Ausschluss alternativer Ursachen mit nachfolgenden Symptomen
    • neuer oder vermehrter Husten
    • Zunahme von Sputummenge und/oder -konsistenz
    • Neuauftreten oder Zunahme der Sputumpurulenz
    • neue oder vermehrte Kurzatmigkeit und/oder verschlechterte Belastbarkeit
    • Müdigkeit, Abgeschlagenheit und/oder Unwohlsein (Malaise)
    • neu aufgetretene oder vermehrte Hämoptysen
  • chronische bakterielle Infektion = Infektion, bei der das gleiche Pathogen mithilfe mikrobiologischer Standardkulturmethoden zweimal oder häufiger aufeinanderfolgend im Abstand von min. 3 Monaten innerhalb eines Jahres in respiratorischem Material nachgewiesen wurde
  • Nutzung des Begriffs „Bronchiektasen-Erkrankung“ für klinisch relevante Bronchiektasen zur klaren Abgrenzung gegenüber dem alleinigen radiologischen Befund von Bronchiektasen ohne assoziierte Symptome

Ätiologie

Bronchiektasen-Erkrankung ist ätiologisch äußerst heterogen

  • 36 % = Idiopathisch
  • 21 % = Postinfektiös, einschließlich posttuberkulös
  • 15 % = COPD
  • 11 % = Asthma
  • 9 % = PCD bzw. Kartagener Syndrom
  • 1 – 5 %
    • allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA)
    • Alpha-1-Antitrypsinmangel
    • Autoimmunerkrankungen, v.a. rheumatoide Arthritis, Kollagenosen und Vaskulitiden
    • Chronisch entzündliche Darmerkrankung
    • Gastroösophageale Refluxerkrankung
    • Immundefekte, primär und sekundär (inkl. CVID)
    • NTM-Lungenerkrankung (NTM: nichttuberkulöse Mykobakterien)
    • Rezidivierende Aspiration
  • <1 %
    • Cystische Fibrose (CF) oder CFTR-assoziierte Erkrankung (bis dato nicht bekannt)
    • ENaC-Kanalopathie
    • Fremdkörperaspiration
    • HIV-Infektion
    • Marfan-Syndrom
    • Mounier-Kuhn-Syndrom
    • Swyer-James-Syndrom
    • Yellow-Nail-Syndrom
    • Young-Syndrom

Symptomatik bzw. Befunde

Symptomatik klinisch relevanter Bronchiektasen ist keinesfalls spezifisch, weist eine große interindividuelle Variabilität auf und überlappt sich mit anderen chronischen Atemwegs- und Lungenerkrankungen (i.d.R. min. 2 der ersten 3 Symptome vorliegend)

  • Husten: täglicher produktiver Husten bis gelegentlicher trockener Husten während einer Woche
  • Auswurf (Sputum): täglicher mukopurulenter oder purulenter Auswurf bis Auswurf nur bei Exazerbationen
  • Exazerbationen: mehrere Exazerbationen im letzten Jahr bis keine Exazerbation im letzten Jahr, aber in der Vorgeschichte
  • Hämoptysen: rezidivierende Hämoptysen im letzten Jahr bis keine Hämoptysen im letzten Jahr, aber in der Vorgeschichte (bei ca. 20 – 37 % der Betroffenen)
  • Dyspnoe: Ruhedyspnoe bis geringe Belastungsdyspnoe oder wenig eingeschränkte körperliche Belastbarkeit
  • Mikrobiologie: Nachweis von Pseudomonas aeruginosa in respiratorischem Material bis Nachweis pathogener Mikroorganismen in respiratorischem Material in der Vorgeschichte
  • weitere Symptome: Chronische Fatigue-Symptomatik, Abgeschlagenheit und Müdigkeit (Malaise); Thoraxschmerzen; auffällige Auskultation; Chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen; rezidivierende Pneumonien; eingeschränkte Lungenfunktion oder obstruktive Ventilationsstörung; „clubbing“ oder hypertrophe Osteoarthropathie; (Z.n.) Pneumotzhorax; respiratorische Insuffizienz

Anamnese

  • aktuelle Situation der Patient*innen und im Vordergrund stehende Probleme, z.B. Exazerbationen mit oder ohne antibiotische Therapie in den letzten 12 Monaten (mit Datum und eingesetzten Präparaten), Krankenhausbehandlungen in den letzten 2 Jahren, notfallmäßige Arztbesuche, Behandlung auf ITS, Husten, geschätzte Auswurfmenge & -farbe, Hämoptysen mit Menge und Häufigkeit, Thoraxschmerzen, Pneumothorax
  • objektivierte Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit anhand einer Dyspnoeskala, z.B. Medical Research Council Dyspnea scale (MRCD)
  • (Verlauf seit) Einsetzen der Beschwerden
  • Besonderheiten bei Geburt (soweit bekannt) sowie in Kindheit und Adoleszenz
  • Symptomatik an den oberen Atemwegen, rezidivierende Cephalgie
  • Sozialanamnese (inkl. Berufs- & Rentenanamnese, Arbeitsunfähigkeit, Schwerbehinderung)
  • Familienanamnese (inkl. Blutsverwandschaft der Eltern, weitere betroffene Familienmitglieder)
  • frühere Tuberkulose/Mykobakteriose (ggf. Exposition im Haushalt)
  • Impfungen
  • Allergien und Unverträglichkeiten
  • Rauchen, Alkohol und sonstige Genuss-/Suchtmittel
  • bisherige Therapien, vorhandene Vernebler und Hilfsmittel
  • regelmäßiger Sport / Training, frühere Rehabilitationsbehandlung und ggf. Gründe für ausbleibende Rehabilitation

Diagnostik

  • mikrobiologische Diagnostik von Atemwegsmaterial (primär Sputum; Entnahme vor Antibiotikatherapie, soll diese aber nicht verzögern) bzgl. möglicher Pathogene
  • thorakale Bildgebung mittels CT zur Bestätigung der Diagnose und weiteren differentialdiagnostischen Abklärung bei klinischem Verdacht
  • Diagnosestellung mittels CT bei folgenden Punkten (min. 1 Kriterium erfüllt)
    • bronchoarterielle Ratio ≥ 1 UND/ODER
    • fehlende Verjüngung des Bronchus nach peripher UND/ODER
    • Sichtbarkeit eines Bronchus mit Abstand ≤ 1 cm von der viszeralen Pleura
  • Diagnosestellung einer Bronchiektasen-Erkrankung soll sowohl klinische als auch radiologische Kriterien beinhalten
  • Identifikation behandelbarer (Teil-)Ursachen („treatable traits“) einer Bronchiektasen-Erkrankung ist von wesentlicher Bedeutung hinsichtlich des klinischen Managements
  • Diagnosestellung einer Exazerbation der Bronchiektasen-Erkrankung erfolgt nach Ausschluss entsprechender Differentialdiagnosen anhand klinischer Kriterien
  • unauffällige Biomarker und/oder apparative Untersuchungsbefunde bei Patient*innen, die die klinischen Kriterien erfüllen, schließen Exazerbation nicht aus und sollen nicht zum Verwerfen der Diagnose führen
  • Schweregrad einer Exazerbation anhand klinischer Einschätzung
    • leichte Exazerbation: ambulante Therapie und kein Antibiotikum
    • moderate Exazerbation: ambulante Therapie und orales Antibiotikum
    • schwere Exazerbation: stationäre und/oder parenterale antibiotische Therapie
  • CT-Angiografie des Thorax bei klinisch signifikanten Hämoptysen zur Lokalisation und Bestimmung der Ätiologie der Blutung

Therapie

  • Standardtherapie der Exazerbation einer Bronchiektasen-Erkrankung ist die antibiotische-empirische Therapie nach Diagnosestellung
  • antibiotische Therapie der Exazerbation bei Nachweis von Pseudomonas aeruginosa oder bekannter chronischer Infektion über min. 14 Tage (bei anderen Erregern ggf. kürzer)
  • NIV nur bei ausgewählten Patient*innen mit Bronchiektasen-Erkrankung und akuter ventilatorischer Insuffizienz im Rahmen einer Exazerbation (Vorgehen gemäß den jeweiligen nationalen Leitlinien und nach sorgfältiger Bewertung der auslösenden Faktoren)
  • CAVE: endotracheale Intubation mit invasiver mechanischer Beatmung ist bei akuter ventilatorischer Insuffizienz im Rahmen einer Exazerbation mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität vergesellschaftet
  • Verlegung in Zentrum mit Möglichkeit zur Bronchialarterienembolisation und Thoraxchirurgie bei refraktären und/oder massiven Hämoptysen/Hämoptoe

Therapie von Hämoptysen/Hämoptoe

Hämoptysen mit einer Blutmenge 240 ml/Tag oder > 100 ml/Tag über mehrere Tage werden als Hämoptoe bezeichnet (Mortalität bei > 50%)

SchweregradDefinitionMaßnahmen
leichtBlutspurenirritierende Inhalationen (hypertone Kochsalzlösung) pausieren und ggf.
– Tranexamsäure 3 x 500-1000 mg p.o.
– Inhalation mit Tranexamsäure 3 x 500 mg/5 mL + 5 mL Aqua ad inj. (CAVE: Off-Label-Use, strenge Risiko-Nutzen-Abwägung, Bronchospasmus bzw. Blutdrucksteigerung
und/oder verstärkte Blutung sind möglich, weshalb bei Erstanwendung eine vorsichtige Dosistitration ratsam
ist.)
– Inhalation mit Epinephrin (4 mg/mL) 7-14 Hub (ca. 1-2 mL) in 2,5-5 mL NaCl 0,9% (CAVE: Off-Label-Use, strenge Risiko-Nutzen-Abwägung, Bronchospasmus bzw. Blutdrucksteigerung
und/oder verstärkte Blutung sind möglich, weshalb bei Erstanwendung eine vorsichtige Dosistitration ratsam
ist.)
mitteljedes Erstereignis; > 100 mL/d, persistierend über 3 Tagestationäre Überwachung + Diagnostik (CT-Angiografie, ggf. Bronchoskopie) + Maßnahmen wie bei leichter Blutung
schwer> 200 mL/d; Bewusstseinsstörung; kompromittierte Hämodynamikstationäre Verlegung in ein Zentrum; Indikation für Bronchialarterienembolisation prüfen
– ggf. Bronchoskopie auf Intensivstation
– ggf. Thoraxchirurgie

palliativmedizinische Aspekte

  • Bronchiektasen-Erkrankung hat oftmals einen überJahre oder Jahrzehnte bestehenden und langsam progredienten chronischen Verlauf
  • Therapieziel ist oftmals auch „nur“ die Linderung der Symptomlast und nicht die Behebung der Ursache, ohne das Vorliegen einer palliativen Lebenssituation im engeren Sinne
  • palliative Lebenssituationen treten v.a. im Rahmen einer rasch progredienten Verschlechterung, schweren Exazerbation oder einer kritischen Dekompensation instabiler Komorbiditäten auf
  • Symptomatik im Rahmen einer endgradigen/palliativen Bronchiektasen-Erkrankung
    • Atemnot durch Abnahme der Husteneffizienz und Zunahme der bronchialen Sekretretention
    • quälender Husten
    • atem- und hustenabhängige Thoraxschmerzen durch entzündliche pleurale Affektionen
    • thorakales Engegefühl durch pulmonale Überblähung
    • Verschlechterung vorbestehenden Fatigue-Symptomatik, Angst/Panik & ggf. Depression
  • Therapie der Atemnot bei Hypoxämie (pO2 < 55 mmHg): O2-Gabe, vorsichtig titrierte Opiat-Gabe sowie in Einzelfällen High-flow-Sauerstofftherapie oder NIV (CAVE: antitussive Wirkung der Opiate kann Suppression des Hustenstoßes mit konsekutiver Zunahme des Sekretverhaltes und dadurch zu einer Verschlechterung der Atemnot bewirken)
Published inLeitlinien kompakt

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