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Leitlinie „Management of elevated blood pressure and hypertension“ der ESC

veröffentlichende Fachgesellschaft: European Society of Cardiology (ESC)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 30.08.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae178

Definitionen

  • posturale/orthostatische Hypotonie: Abnahme des RRsys um ≥ 20 mmHg und/oder des RRdia um ≥ 10 mmHg, wenn die RR-Messung 1 und/oder 3 Minuten nach dem Aufstehen nach 5-minütiger Periode im Sitzen oder Liegen in stehender Position gemessen wird
  • Weißkittel-Hypertonie: RR über dem Schwellenwert für die Hypertonie-Diagnose bei Messung in der Arztpraxis, aber unter dem Schwellenwert für die ambulante Messung (z.B. ≥ 140/90 mmHg in der Praxis, aber < 135/85 mmHg zu Hause/ambulant tagsüber)
  • maskierte Hypertonie: RR unter dem Schwellenwert für die Hypertonie-Diagnose bei Messung in der Arztpraxis, aber über dem Schwellenwert für die ambulante Messung (z.B. < 140/90 mmHg in der Praxis, aber ≥ 135/85 mmHg zu Hause/ambulant tagsüber)
  • hypertensiver Notfall: RR ≥ 180/110 mmHg mit Hypertonie-induzierter Endorganschädigung
  • „dringende Hypertonie“ („hypertension urgency“): schwere Hypertonie ohne klinische Zeichen einer akuten Endorganschädigung
  • Hypertonie in der Schwangerschaft: RRsys ≥ 140 mmHg oder RRdia ≥ 90 mmHg
  • schwere Hypertonie in der Schwangerschaft: RRsys > 160 mmHg und RRdia von > 110 mmHg
  • RR-Differenz zwischen den Armen: Unterschied des RRsys von > 10 mmHg

Pathophysiologie von erhöhtem Blutdruck und Hypertonie

Quelle: https://academic.oup.com/view-large/figure/479375739/ehae178f1.jpg

Klassifikation

Office-RRHome-RRambulanter Blutdruck am Tagambulanter Blutdruck bei Nacht
nicht-erhöhter Blutdruck< 120/70 mmHg< 120/70 mmHg< 120/70 mmHg< 110/60 mmHg
erhöhter Blutdruck120/70 – < 140/90 mmHg120/70 – < 135/85 mmHg120/70 – < 135/85 mmHg110/60 – < 120/70 mmHg
Hypertension≥ 140/90 mmHg≥ 135/85 mmHg≥ 135/85 mmHg≥ 120/70 mmHg

Blutdruckmessung

  • Messung am besten nach 5-minütiger Ruhepause im bequemen Sitzen mit angewinkelten Beinen sitzen und angelehntem Rücken sowie gestütztem Arm (Blase bei Bedarf entleeren)
  • Nutzung der Blutdruckmanschette in richtiger Größe (Länge der Blase sollte 75 – 100 % und Breite 35 – 50 % des Armumfangs betragen)
  • Kleidung am Arm der Messung entfernen (CAVE: kein Hochkrempeln der Hemdsärmel)
  • Manschette am Oberarm der Patient*innen in Höhe des Herzens anlegen (unterer Rand der Manschette einige Zentimeter oberhalb der Fossa antecubitalis)
  • Stethoskop nicht unter der Manschette platzieren
  • nichtinvasive RR-Messung mit auskultatorischen oder oszillometrischen Verfahren, wobei die auskultatorische Messung mithilfe eines Stethoskops zu bevorzugen ist
  • bei Adipositas ohne korrekt sitzende Oberarmmanschette, Messung am Unterarm oder Handgelenk in Betracht ziehen
  • drei Blutdruckmessungen im Abstand von jeweils 1-2 Minuten und zusätzliche Messungen nur, wenn die Messwerte um >10 mmHg abweichen (z.B. bei Herzrhythmusstörungen)
  • erste Messung am besten an beiden Armen, um Differenzen festzustellen (nachfolgende Messungen am Arm mit dem höheren Blutdruck)
  • zusätzlich Monitoring der Herzfrequenz, um Herzrhythmusstörungen auszuschließen
  • Messung bzgl. posturale/orthostatische Hypotonie bei Patient*innen mit passender Klinik

Diagnostik

  • Routinetests/-diagnosik bei Patient*innen mit erhöhtem Blutdruck oder Hypertonie
    • Nüchternblutzucker (HbA1c, falls Nüchtern-BZ erhöht), Serumlipide (Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-/Nicht-HDL-Cholesterin, Triglyceride), Natrium & Kalium, Hämoglobin und/oder Hämatokrit, Kalzium & TSH oder Kreatinin & eGFR
    • 12-Kanal-EKG
  • Nierenultraschall & Doppler bei Patient*innen mit chronischer Nierenerkrankung erwägen
  • Fundoskopie bei RR > 180/110 mmHg für Nachweis einer hypertensiven Retinopathie erwägen
  • ggf. Sonographie der Karotis- oder Oberschenkelarterien zur Erkennung von Plaque
  • ggf. Schwangerschaftstest
  • ggf. Urin-Stix
  • Diagnostik-Pathway
Quelle: https://academic.oup.com/view-large/figure/479375857/ehae178f10.jpg

Symptomatik bei hypertensiven Notfällen

abhängig von den betroffenen Organsystemen

  • Kopfschmerzen
  • Sehstörungen
  • Brustschmerzen
  • Kurzatmigkeit
  • Schwindel
  • andere neurologische Defizite
  • hypertensiver Enzephalopathie mit Somnolenz, Lethargie, tonisch-klonische Krampfanfälle & kortikale Blindheit

akute Manifestationen von Organschädigungen

  • Patient*innen mit schwerer akuter Hypertonie in Verbindung mit anderen klinischen Zuständen, die dringende Senkung des Blutdrucks erfordern, z.B. akut auftretende Aortendissektion, Myokardischämie, Eklampsie oder Herzinsuffizienz
  • maligne Hypertonie, also extreme Blutdruckerhöhung und akute mikrovaskuläre Schädigung (Mikroangiopathie, z.B. Retinopathie mit Papillenödem, Enzephalopathie, DIC, akutes Herzversagen etc.)
  • Patient*innen mit plötzlicher schwerer Hypertonie aufgrund Phäochromozytoms, die zu schweren akuten Organschäden führen können

Akuttherapie

  • bei „dringender Hypertonie“ RR-Senkung, aber i.d.R. keine Krankenhauseinweisung nötig
  • CAVE: keine Betablocker bei Einnahme von Sympathomimetika wie Methamphetamin o.Ä.
  • Suche nach Endorganschädigungen und Prüfung, ob andere spezifische Maßnahmen nötig
  • Suche nach und Beheben auslösender Ursachen für akuten RR-Anstieg und/oder andere Begleiterkrankung oder Schwangerschaft

Akutmanagement von hypertensiven Notfällen

  • CAVE: keine schnelle & unkontrollierte oder übermäßige RR-Senkung
  • ggf. auch orale anstatt intravenöser Applikation erwägen
  • Dosierungen der gängigsten Medikamente zur Behandlung hypertensiver Notfälle
MedikamentWirkeintrittWirkdauerDosierung
Esmolol1 – 2 min10 – 30 min0,5 – 1 mg/kg als v i.v.; 50 – 300 μg/kg/min als Infusion i.v.
Metoprolol1 – 2 min5 – 8 h2,5 – 5 mg als Bolus i.v. über 2 min (ggf. Wdh. alle 5 min bis max. 15 mg)
Labetalol5 – 10 min3 – 6 h0,25 – 0,5 mg/kg als Bolus i.v.; 2 – 4 mg/min Infusion bis zum Erreichen des Ziel-RR, danach 5 – 20 mg/h
Fenoldopam5 – 15 min30 – 60 min0,1 μg/kg/min als Infusion i.v., Erhöhung alle 5 min in Schritten von 0,05 – 0,1 μg/kg/min bis zum Erreichen des Ziel-RR
Clevidipin2 – 3 min5 – 15 min2 mg/h als Infusion i.v., Erhöhung alle 2 min um 2 mg/h bis zum Erreichen des Ziel-RR
Nicardipin5 – 15 min30 – 40 min5 – 15 mg/h als Infusion i.v. mit Anfangsdosis 5 mg/h, Steigerung alle
15 – 30 min mit 2,5 mg bis zum Erreichen des Ziel-RR, danach Senkung auf 3 mg/h
Nitroglycerin1 – 5 min3 – 5 min5 – 200 μg/min als Infusion i.v., Steigerung um 5 μg/min alle 5 min
Nitroprussid1 – 2 min0,3 – 10 µg/kg/min als Infusion i.v., Steigerung um 0,5 µg/kg/min alle 5 min bis zum Erreichen des Ziel-RR
Enalaprilat5 – 15 min4 – 6 h0,625 – 1,25 mg als Bolus i.v.
Urapidil3 – 5 min4 – 6 h12,5 – 25 mg als Bolus i.v.;
5 – 40 mg/h als Infusion i.v.
Clonidin30 min4 – 6 h150 – 300 μg als Bolus i.v. über 5 – 10 min
Phentolamine1 – 2 min10 – 30 min0,5 – 1 mg/kg als Bolus i.v. ODER 50 – 300 μg/kg/min als Infusion i.v.

Akutmanagement bei akuter intrazerebraler Hämorrhagie oder akutem ischämischem Schlaganfall

  • bei akutem ischämischem Schlaganfall frühzeitige, medikamentöse RR-Senkung in den ersten 24 h in folgenden Fällen erwägen
    • vorsichtige Senkung auf RR < 180/105 mmHg in den ersten 24 Stunden bei Patient*innen, die für Reperfusionstherapie mit Thrombolyse i.v. oder mechanische Thrombektomie in Frage kommen
    • bei Patient*innen mit ischämischem Schlaganfall, die keine Reperfusionsbehandlung erhalten und bei denen der RR ≥ 220/110 mmHg ist, vorsichtige Senkung des RR um etwa 15 % in den ersten 24 h
  • sofortige Senkung des Blutdrucks (< 6 h nach Symptomauftreten) auf RRsys 140 – 160 mmHg bei Patient*innen mit intrazerebraler Blutung
  • keine sofortige Senkung des RRsys um > 70 mmHg ggü. Ausgangswert innerhalb von 1 h bei einem RRsys von ≥ 220 mmHg

Schwangerschaft

Einteilung

  • chronische Hypertonie: Hypertonie geht der Schwangerschaft voraus, entwickelt sich vor der 20. SSW, hält > 6 Wochen nach Geburt an und kann mit Proteinurie verbunden sein
  • Schwangerschaftshypertonie: Hypertonie entwickelt sich nach der 20. SSW und verschwindet normalerweise innerhalb von 6 Wochen nach Geburt
  • vorgeburtlich nicht klassifizierbare Hypertonie: RR wird erstmals nach 20. SSW gemessen und ein Bluthochdruck diagnostiziert (unklar, ob chronisch oder nicht)
  • Präeklampsie: Schwangerschaftshypertonie, begleitet von neu auftretenden Symptomen:
    • (i) Proteinurie (> 0,3 g/d oder ≥ 30 mg/mmol Albumin-Kreatinin-Quotient),
    • (ii) andere mütterliche Organdysfunktionen, z.B.
      • akute Nierenschädigung (Serumkreatinin ≥ 1 mg/dL)
      • Leberdysfunktion (erhöhte Transaminasen > 40 UI/L mit oder ohne Schmerzen im rechten oberen Quadranten oder im Epigastrium)
      • neurologische Komplikationen (Krampfanfall, verändertes Bewusstsein, Blindheit, Schlaganfall, starke Kopfschmerzen und anhaltende visuelle Skotome)
      • hämatologische Komplikationen (Thrombozytenzahl < 150 000/µL, DIC, Hämolyse)
    • ODER uteroplazentare Funktionsstörungen (z.B. fetale Wachstumsrestriktion, anormale Nabelarterien-Doppler-Wellenformanalyse oder Totgeburt)

Akutmanagement während der Schwangerschaft

  • sofortige Krankenhauseinweisung bei RRsys ≥ 140 mmHg und RRdia ≥ 90 mmHg
  • Präeklampsie/Eklampsie
    • schlussendliche Therapie der Präeklampsie/Eklampsie ist die Entbindung
    • sofortige Senkung des RRsys auf < 160 mmHg und des RRdia auf < 105 mmHg mit Labetalol oder Nicardipin i.v. innerhalb von 150 – 180 min
    • ggf. zusätzl. Gabe von 4 g Magnesiumsulfat i.v. über 5 min, dann weiter mit 1 g/h ODER 5 g Magnesiumsulfat i.m. (CAVE: Magnesium + Nifedipin –> Hypotonie-Risiko)
    • ggf. Gabe von Nitroglyzerin als Infusion i.v. bei zusätzlichem Lungenödem
    • ggf. Entbindung erwägen
  • schwere Hypertonie in der Schwangerschaft
    • Gabe von Labetalol i.v., Methyldopa oral oder Nifedipin oral (alternativ Hydralazin i.v.)
  • keine RAS-Blocker während der Schwangerschaft
Published inLeitlinien kompakt

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