Zum Inhalt springen

Leitlinie „Trauma – Drowning“ des Starship

veröffentlichende Fachgesellschaft: New Zealand’s National Children’s Hospital (Starship)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 12.03.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://starship.org.nz/guidelines/trauma-drowning/

Grundsätzliches

  • Ertrinken = Beeinträchtigung der Atmung nach dem Untertauchen oder Eintauchen in eine Flüssigkeit
  • tödliches Ertrinken = Tod als Folge des Ertrinkens
  • nicht-tödliches Ertrinken = Ertrinkungsvorgang unterbrochen
  • Begriffe wie „Beinahe-Ertrinken“, „sekundäres Ertrinken“ und „nasses/trockenes Ertrinken“ werden nicht mehr verwendet und haben keinen Einfluss auf das Management
  • wichtigsten Grundsätze der Behandlung sind Aufrechterhaltung einer angemessenen Sauerstoffzufuhr, Vermeidung von Aspiration und Stabilisierung der Körpertemperatur

Pathophysiologie

  • Prozess des Ertrinkens vollzieht sich in der Regel innerhalb von Sekunden bis Minuten und läuft wie folgt ab:
    • anfänglicher Kampf (20 – 30 sec)
    • Untertauchen (Atemwege befinden sich unterhalb der Wasseroberfläche, Wasser wird entweder ausgespuckt oder geschluckt)
    • unwillkürliches Anhalten des Atems
    • Auslösen von Hustenreflex und Laryngospasmus durch eingeatmetes Wasser
    • Beeinträchtigung der Atmung führt zu Hypoxie, Hyperkarbonatisierung und Azidose
    • arterielle Sauerstoffkonzentration sinkt, Laryngospasmus lässt nach und mehr Wasser wird aspiriert
    • zerebrale Hypoxämie führt zu Bewusstlosigkeit & Atemstillstand
    • Verschlechterung der Herzfunktion mit Bradykardie und Hypotonie infolge der Hypoxie führt zum Herzstillstand
  • intrapulmonaler Shunt von Blut durch schlecht belüftete Bereiche ist der primäre pathophysiologische Prozess beim Ertrinken und wird durch mehrere Mechanismen verursacht, darunter
    • Bronchospasmus
    • Atelektasen
    • Surfactant-Auswaschung
    • pulmonales Ödem
    • Beeinträchtigung des alveolar-kapillaren Gasaustauschs
    • verminderte pulmonale Compliance
    • infektiöse oder chemische Pneumonitis

Outcome-Prädiktoren

  • stärkste Prädiktoren für das Outcome sind Eintauchzeit und Dauer der HLW
PrädiktorDauerOutcome
Eintauchzeit< 5 min91 %iges Risiko einer leichten oder keiner neurologischen Beeinträchtigung
Eintauchzeit5 – 25 min90 %iges Risiko für Tod oder schlechte Outcome
Eintauchzeit> 25 min100 %iges Risiko für schwere neurologische Beeinträchtigung oder Todes
Reanimationszeit≤ 10 min87 %iges Risiko einer leichten oder keiner neurologischen Beeinträchtigung
Reanimationszeit11 – 25 min68 %iges Risiko für Tod oder schlechte Outcome
Reanimationszeit> 25 min100 %iges Risiko für schwere neurologische Beeinträchtigung oder Todes
  • weitere ungünstige Prognoseindikatoren
    • Eintauchzeit > 5 min
    • Zeit bis zur ersten effektiven HLW > 10 min
    • Ankunft im Krankenhaus bei laufender Wiederbelebung
    • GCS < 5
    • rektale Temperatur < 30 °C
    • pH < 7,1 (arteriell; bei Ankunft in der Notaufnahme)

Anamnese

  • Zeitleiste des Ereignisses
    • beobachtetes oder nicht beobachtetes Ereignis
    • Ereignisse, die dem Ertrinken vorausgingen
    • Trauma (z.B. vorangegangener Sturz)
    • nicht unfallbedingte Verletzung oder Vernachlässigung bei Kind mit unstimmiger Anamnese, offensichtlicher mangelnder Überwachung, verspäteter Inanspruchnahme von Hilfe bei Untertauchen oder anderen Verletzungen
    • Dauer der Abwesenheit der Patient*innen (wenn er nicht direkt beobachtet wurde)
    • Dauer des Untertauchens
    • Art des Wassers (z.B. schnell fließendes, stehendes Wasser, Pool, See, Meer)
    • Zeit bis zur Durchführung der ersten lebenserhaltenden Maßnahmen und Art der Maßnahmen und durch wen (z.B. Laien oder medizinisches Fachpersonal)
    • Zeit bis zu ersten Atemversuchen
    • Einzelheiten zur weiteren Behandlung
  • Ursachen für Ertrinken abklären
    • Krampfanfälle
    • Hypoglykämie
    • Herzrhythmusstörungen, Long-QT-Syndrom
    • ungeklärte Todesfälle in der Familie in jungen Jahren
    • Alkohol- oder Drogenkonsum (bei älteren Kindern)

Schweregrade & Management

  • grundsätzliches Vorgehen gemäß ABCDE-Schema
  • asymptomatische Patient*innen
    • klinischer Zustand
      • GCS 15
      • SpO2 > 95 %
      • normale altersangepasste Atemfrequenz
      • keine erhöhte Atemarbeit
    • Therapie
      • min. 4 h lang ab Zeitpunkt des Eintauchens beobachten (CAVE: nicht über Nacht entlassen) –> wenn sich während des Beobachtungszeitraums Symptome entwickelt, muss Behandlung nach Bedarf eskaliert werden
      • stündliche Messung von Atemfrequenz und Sp02
      • Normothermie sicherstellen
      • sekundäre Untersuchung vervollständigen und andere Verletzungen behandeln, falls vorhanden
  • leichte bis mäßige Beeinträchtigung der Atmung
    • klinischer Zustand
      • SpO2 < 95 % ODER
      • leicht bis mäßig erhöhte Atemanstrengung ODER
      • abnorme Thoraxuntersuchung
    • Therapie
      • O2-Gabe mit SpO2-Ziel von 95 %
      • Thorax-Röntgen
      • andere Untersuchungen je nach klinischer Indikation
      • Normothermie sicherstellen
      • sekundäre Untersuchung vervollständigen und andere Verletzungen behandeln, falls vorhanden
      • KH-Einweisung & Beobachtung für min. 8 h
  • schwere Beeinträchtigung der Atmung
    • Klinischer Zustand
      • Sp02 < 90 % bei hohem Sauerstofffluss ODER
      • deutlich erhöhte Atemanstrengung ODER
      • unzureichende Spontanatmung ODER
      • gestörtes Bewusstsein
    • Therapie
      • nicht-invasive Beatmung (HFNC → CPAP → BIPAP) –> Intubation und Beatmung bei fortschreitender Atemnot, sich verschlimmernder Hypoxie und/oder sich verschlechterndem Bewusstsein
      • Thorax-Röntgen
      • andere Untersuchungen je nach klinischer Indikation
      • Normothermie sicherstellen
      • sekundäre Untersuchung vervollständigen und andere Verletzungen behandeln, falls vorhanden
      • KH-Einweisung auf ITS
  • Atem- und/oder Herzstillstand
    • klinischer Zustand
      • Apnoe
      • Herzstillstand
    • Therapie
      • Vorgehen gemäß pALS-Algorithmen
      • Intubation und Beatmung (Ziel-Tidalvolumen: 6 – 8 mL/kg; PIP auf 30 cmH2O begrenzen; permissive Hyperkapnie, außer bei gleichzeitiger Kopfverletzung; permissive Hypoxie mit SpO2 zw. 90 – 94 %; PEEP optimieren, um Oxygenierungsziele von bis 10 – 15 cm H2O zu erreichen)

Aspiration

  • Übelkeit & Erbrechen besteht bei Ertrinkungsopfern häufig, daher ist die Aspiration von Mageninhalt ist eine wichtige Komplikation
  • spontan atmende Kinder in Stabiler Seitenlage positionieren
  • bei Kindern mit vermindertem Bewusstsein Anlage Magensonde

Hypothermie

  • Unterkühlung ist häufige Komplikation des Ertrinkens
  • wichtigsten Ziele bei der Behandlung der Unterkühlung sind Verhinderung eines weiteren Absinkens der Körperkerntemperatur und Herstellung einer sicheren & gleichmäßigen Wiederaufwärmungsrate unter Aufrechterhaltung eines stabilen kardiovaskulären Zustands
  • bei leichter Hypothermie (32 – 35 °C) ist passive Wiedererwärmung in der Regel ausreichend
  • bei mäßiger Hypothermie (28 – 32 °C) oder schwerer Hypothermie (< 28 °C) sollte aktive externe und/oder aktive interne Wiedererwärmung erfolgen
  • Methoden zur Wiederaufwärmung unterkühlter Patient*innen
    • passive externe Erwärmung (für die meisten Patient*innen ausreichend)
      • nasse Kleidung entfernen
      • Kälteexposition minimieren
      • warme Decken
    • aktive externe Wiedererwärmung
      • Druckluft-Wärmedecken
      • Hot Packs (nur für Körperstamm)
    • aktive interne Wiedererwärmung
      • erwärmte Flüssigkeit i.v.
      • erwärmter, befeuchteter Sauerstoff
      • Blasenspülung
      • Dialyse
      • ECMO

Antibiotika-Therapie

  • keine prophylaktische Antibiotika-Gabe
  • Antibiotika-Gabe nur bei den Patient*innen, die Anzeichen einer Infektion aufweisen oder sich in stark verunreinigtem Wasser befanden
  • Antibiotika nach Ertrinken, wenn klinisch angezeigt –> 100 mg/kg Piperacillin-Tazobactam i.v. (max. 4,5 g) alle 6 h
  • bei Salzwasser oder stark verunreinigtem Wasser –> 20 mg/kg Ciprofloxacin p.o. (max. 750 mg) zweimal tgl.

Entlastungskriterien

  • obligatorische Beobachtungszeit opB
  • normales Bewusstsein
  • keine neuen oder sich verschlimmernden Atemwegssymptome
  • falls vorhanden, Verbesserung des Hustens vor Entlassung
  • keine subjektive Dyspnoe mehr
  • normale altersangepasste Vitaparameter
  • unauffällige Untersuchung der Atemwege  
  • SpO2 ≥ 95 % 
Published inLeitlinien kompakt

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert