Die intranasale Gabe von Medikamenten – eine stiefmütterlich betrachtete Behandlungsmethode oder eine Therapieform mit Schattenseiten?
Zuerst einmal lässt sich sagen, dass die i.n.-Applikation im Vergleich zu anderen Applikationsformen eine schnell umzusetzende und nahezu schmerzlose Variante der Verabreichung von Arzneimitteln ist. Mittels eines Medikamentenzerstäubers, wie dem gängigen MAD (mucusal atomization device) der Fa. Teleflex, werden 30 – 100 µm große, zerstäubte Wirkstoffe auf die Regio olfactoria, also die mit Reichzellen ausgekleidete Region im Bereich der Nase, aufgebracht und innerhalb von maximal 30 Minuten resorbiert.
Anatomie
Anatomisch ist bzgl. der i.n.-Applikation wichtig zu sagen, dass die Schleimhaut der Nase mit einer Oberfläche von ca. 160 cm2 und zeitgleicher guter Durchblutung durch die A. ethmoidales anterior sowie posterior, die A. infraorbitalis, die A. sphenopalatina, die A. nasopalatina sowie die A. palatina und den Locus Kiesselbachii als Venenplexus im hinteren Teil des Nasenraumes. Zusätzlich sind in der Nasenschleimhaut auch Äste der A. carotis externa und interna miteinander verbunden. Durch diese Gegebenheiten ist die Nase bzw. exakter die Nasenschleimhaut der einzig non-invasive Zugang zu Bestandteilen des zentralen Nervensystemes.
Aufnahme und Aufnahmewege
Bestimmend für die Aufnahmefähigkeit eines Arzneimittels über die Nasenschleimhaut sind die folgenden Aspekte:
Voraussetzungen für i.n.-Applikation |
normale Beschaffenheit der Nasenschleimhäute |
keine stark verschleimte Nase |
keine vorherige Benutzung von Vasokonstriktoren wie Nasenspray oder Drogen wie Kokain |
keine Verletzungen der Nase |
(vorrangig) lipophile Wirkstoffe |
geringes Flüssigkeitsvolumen bei hoher Wirkstoffkonzentration |
Zusätzlich zur Aufnahme über die Schleimhäute der Nase können Medikamente auch transneural über die Riechnerven, transzellulär über das Stützgewebe im Bereich der Nase oder per Diffusion in die Liquor-Kompartimente gelangen und so schnell ihren Wirkort erreichen.
Der Transport von Arzneimitteln, welche intranasal appliziert werden, findet hierbei bei lipophilen Molekülen, welche bei Teilchengrößen von 10 – 15 µm sehr gut resorbiert werden, transzellulär durch die Zellen oder bei kleinen hydrophilen Molekülen parazellulär durch die Zellzwischenräume statt.
Vorteile der i.n.-Applikation | Nachteile der i.n.-Applikation |
nicht-invasive Maßnahme | in den meisten Fällen „Off Label use“ |
schnelle Applikation | in den meisten Fällen Etablierung eines i.v.-Zuganges notwendig |
geringeres Infektionsrisiko | beschränkt auf wenige Medikamente (nach aktueller Studienlage) |
Umgehung First-pass-Metabolismus | |
hohe Bioverfügbarkeit |
Indikationen
Die nasale Applikation von Arzneimitteln ist grundsätzlich vielseitig einsetzbar – im Bereich der Notfallmedizin jedoch eher beschränkt auf folgende Bereiche:
- Krampfanfälle
- agitierte oder aggressive Patienten
- Analgosedierung
- Intoxikation
Ablauf der intranasalen Applikation
Der Ablauf der i.n.-Applikation ist unkompliziert, im Vergleich zur i.v.-Applikation bei noch nicht etabliertem i.v.-Zugang zeitsparend und in Bezug auf die Patienten-Compliance einfacher umsetzbar.
Wie erfolgt die intranasale Gabe?
- bei nicht zeitkritischen Patienten sollte gemäß den Empfehlungen des GBA zum „Off Label use“ eine Aufklärung erfolgen; eine Aufklärung des Patienten ist natürlich ohnehin in jedem Fall anzustreben
- Medikament vorbereiten
- Spritze beschriften
- MAD mit Spritze konnektieren (Luer-Lock)
- Monitoring des Patienten vorbereiten
- Fixierung des Patientenkopfes durch 2. Helfer
- Nasenloch mit MAD abdichten
- Applikation der benötigten Menge (nie mehr als einen Milliliter Flüssigkeit pro Nasenloch)
- Totraumvolumen des MAD von ca. 0,1 mL beachten!!!
- Monitoring des Patienten mit SpO2, Blutdruck, ggf. EKG und Kapnografie
- im Verlauf ggf. Etablierung eines i.v.-Zuganges
Dosierung
Die Dosierung für die intranasale Gabe der gängigsten Medikamente könnt ihr der nachfolgenden Tabelle entnehmen:
Medikament | Grund | Ampullengröße | Dosierung |
Midazolam* | Krampfanfall | 5 mg/mL | < 10 kg = 2,5 mg 10-20 kg = 5,0 mg > 20 kg = 10,0 mg |
Midazolam* | Sedierung | 5 mg/mL | 0,2 – 0,3 mg/kgKG |
Lorazepam | Sedierung | 2 mg/mL | 0,1 mg/kgKG |
Fentanyl | Analgesie | 50 µg/mL | 1,0 – 2,0 µg/kgKG (ideal für Kinder bis zur Pubertät) |
Sufentanil | Analgesie | 50 µg/mL | 0,5 – 1,0 µg/kgKG (ideal für Jugendliche und Erwachsene) |
Esketamin | Analgesie | 25 mg/mL | 0,5 – 1,0 – 2,0 mg/kgKG als Initialdosis sowie als Erhaltungsdosis |
Morphin | Analgesie | 10 mg/mL | 0,1 – 0,2 mg/kgKG |
Naloxon | Antidot (Opiate) | 0,4 mg/mL | 0,1 mg/kgKG (2 – 4 mg) |
Flumazenil | Antidot (Benzodiazepine) | 0,1 mg/mL | 25,0 – 40,0 µg/kgKG |
*gelöst in HCl, daher unangenehmes Gefühl
In Bezug auf die zu applifizierten Medikamente ist wichtig zu erwähnen, dass Wirkstoffe mit einem pH-Wert von 5,5 bis 6,5 besser resorbiert werden, da dies dem pH-Wert der Nasenschleimhaut nahekommt.
Die intranasale Gabe von Midazolam beim Status epilepticus als Alternative zur intramuskulären oder buccalen Applikation bei fehlender Möglichkeit der Etablierung eines i.v.-Zuganges konnten Kay et al. in ihrer Kohortenstudie als effektive und gut tolerierbare Möglichkeit zur Bekämpfung eines Krampfanfalles bestätigen.
Zusätzlich lässt sich beim Krampfanfall noch feststellen, dass die intranasale Gabe im Vergleich zur rektalen Gabe von z.B. Diazepam-Rektaltuben im akuten Einsatzgeschehen um einiges praktikabler und darüberhinaus auch für den Patienten selbst und für die Angehörigen etc. von der Ästhetik her einfacher/besser zu tolerieren ist.
Auch bei der intranasalen Gabe von Naloxon zur Bekämpfung einer Opiatintoxikation konnten Gufford et al. die Pharmakokinetik von Naloxon i.n., i.m. sowie i.v. als vergleichbar und gut tolerabel beschreiben. Ein Teil der Probanden beschrieb hierbei einen bitteren Geschmack sowie ein Brennen. Naloxon i.n. wurde schneller absorbiert als Naloxon i.m..
Nebenwirkungen & Probleme
Bezüglich der Nebenwirkungen bzw. auftretenden Problemen lässt sich zusammenfassend sagen, dass vor allem Wirkstoffe mit einem, im Vergleich zum pH-Wert der Nasenschleimhaut, niedrigeren pH-Wert für Missempfindungen oder gar Schmerzen sorgen können. Zusätzlich können alle bekannten Arzneimittel-Nebenwirkungen auftreten, wie z.B. Hypotonie oder Apnoe bei Opiaten. Des Weiteren kann zum Beispiel eine niedrige Umgebungstemperatur für eine Vasokonstriktion der Blutgefäße der Nasenschleimhaut sorgen und so die Resorption negativ beeinflussen. Bei Outdoor-Einsätzen im Winter sollte man dies auf jeden Fall im Hinterkopf behalten!
Fazit
Trotz des Faktums, dass die intranasale Applikation von Medikamenten in der Notfallmedizin in den meisten Fällen noch eine „Off Label use“-Maßnahme darstellt, ist sie in vielen Fällen eine schnelle und für den Patienten besser tolerierbare Variante der Verabreichung von Medikamenten. In vielen Fällen ist sie von Bioverfügbarkeit, Wirkeintritt und Nebenwirkungen her eine gleichwertige Lösung zu den gängigen anderen Applikationsformen. In einigen Fällen, wie dem Krampfgeschehen, ist sie in mehreren Studien sogar eine zeitreduzierende Maßnahme im Vergleich zur Etablierung eines i.v.-Zuganges. Man darf also gespannt sein, was sich in den nächsten Jahren in diesem Bereich noch so verändert!
Quellen
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