Zum Inhalt springen

KlimaNOTFAL – Hitze & Medikamente – eine unheilvolle Kombination?

Das Problem

Betrachtet man die letzten Jahre in Deutschland, so zeigt sich, dass es in den Jahren 2022 bis 2024 jeweils etwa 3.000 hitzebedingte Sterbefälle gab. Am häufigsten betroffen hiervon waren vor allem Menschen über 75 Jahre mit Vorerkrankungen wie Demenz, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, also einer Bevölkerungsgruppe, die über die nächsten Jahre stark anwachsen wird. Viele Menschen aus dieser Altersgruppe nehmen bzw. werden Medikamente einnehmen müssen. Hierbei wird bis jetzt leider wenig berücksichtigt, dass Medikamente hitzebedingte Gesundheitsrisiken verstärken und beispielsweise die Anpassungsfähigkeit an Hitze beeinträchtigen können oder dass durch die Hitze selbst die Wirkweise von Medikamenten verändert kann werden. Aktuelle Zahlen zeigen diesbezüglich, dass nur 16 % der Hausärzt*innen derzeit in Hitzeperioden die Therapie bei ihren Patient*innen anpassen. Eine französische Studie konnte darüber hinaus zeigen, dass die Quote von Personen, die Medikamente eingenommen haben, bei hospitalisierten Patient*innen höher war, als bei nicht-hospitalisierten Personen. So ergaben sich hier die folgenden Quoten:

  • anticholinerge Medikamente: 6 x erhöhte Quote
  • antipsychotische Medikamente: 4.6 x erhöhte Quote
  • anxiolytische Medikamente: 2.6 x erhöhte Quote

Auswirkung von Hitze und UV-Strahlung auf die Medikamentenwirkung

Hier kommt unter anderem die eingeschränkte Lagerfähigkeit von Medikamenten bei Hitze zum Tragen. So sind z.B. die folgenden flüssigen Wirkstoffe besonders anfällig für einen Wirkverlust: Insuline (ungeöffnet Lagerung im Kühlschrank, geöffnet max. 4 Wochen lang bei Temperatur von nicht über 30 °C aufbewahren), Biologika & Impfstoffe, aber auch Adrenalin („nicht über 25 °C lagern“, siehe Fachinfo). Tabletten hingegen sind i.d.R. bis 40 °C Temperatur-stabil, wobei es auch hier Einschränkungen gibt. L-Thyroxin soll z.B. auch nicht über 25 °C gelagert werden („bei längerer Lagerung über 30 °C ist mit einem erheblichen Wirkungsverlust durch Stabilitätseinbußen zu rechnen“). Grundsätzlich, so die Heidelberger Standards der Klimamedizin, heißt es, wenn keine besonderen Lagerungsbedingungen zu beachten sind, „dass auch eine Lagerung bei 40 °C / 75 % Luftfeuchtigkeit getestet wurde. Wenn eine explizite Temperaturgrenze genannt wird, bedeutet das, dass bis zu diesem Wert eine Langzeittestung die erforderliche Stabilität gezeigt hat. Es muss aber nicht bedeuten, dass bei höheren Temperaturen keine Stabilität besteht und kurzzeitige Überschreitungen zu einem Qualitätsverlust führen würden. Tatsächlich waren viele feste Arzneimittel-Darreichungsformen zur peroralen Anwendung in tropischem Klima über zwei Jahre ziemlich stabil“.

Ein weiter Faktor ist die Beeinträchtigung der Thermoregulation durch Medikamente, welche konsekutiv zu einer Hyperthermie mit einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken einhergehen kann. Beispiele hierfür sind z.B.

  • vermindertes Schwitzen bei Opioiden & H1-Antagonisten der 1. Generation
  • gestörte zentrale Temperaturregulation bei Antipsychotika & Opioiden
  • vermindertes Durstgefühl bei ACE-Hemmern & AT1-Rezeptorblockern

Hitze kann sich zusätzlich auch direkt auf den Körper auswirken (menschliche Hyperthermie), was zu einer veränderten Pharmakokinetik im Körper führen kann. So kann bei Hitze z.B. die Nieren- und Leberperfusion um ca. ein Drittel abnehmen. Typische Beispiele aus diesem Bereich wären bspw.:

  • verminderte Nierenperfusion –> verminderte renale Elimination bei Lithium
  • verminderte Leberperfusion –> verminderter First-Pass-Effekt bei Trizyklischen Antidepressiva
  • erhöhte kutane Perfusion –> erhöhte transdermale/subkutane Absorption bei Insulin = raschere Freisetzung & Wirkverstärkung (gleiches gilt für Opioidpflaster, bei denen sich systemische Verfügbarkeit verdoppeln kann)

Außerdem können Medikamente auch zu einer gesteigerten Photosensibilität führen, wodurch der Körper anfälliger für UV-Strahlung ist und ein konsequenter UV-Schutz notwendig ist. Medikamente, die eine solche Photosensibilität bedingen können, müssen im Molekül ein Chromophor enthalten, denn das Chromophor kann energiereiche Photonen absorbieren. Die nachfolgende phototoxische Reaktion zeigt sich i.d.R. als Sonnenbrand mit kurzer Latenzzeit von Minuten bis wenigen Stunden. Typische Stoffgruppen und Wirkstoffe sind hier u.a.:

  • Diuretika: z.B. Hydrochlorothiazid, Furosemid, Spironolacton
  • NSAR: z.B. Diclofenac, Ibuprofen
  • Antipsychotika: z.B. Promethazin, Haloperidol
  • Antidepressiva: z.B. Amitriptylin, Trimipramin, Imipramin
  • kardiovaskuläre Substanzen: z.B. Amiodaron, Nifedipin, Ramipril, Simvastatin
  • Antiepileptika: z.B. Carbamazepin, Lamotrigin, Phenobarbital, Phenytoin, Topiramat, Valproinsäure
  • Antihistaminika: z.B. Loratadin
  • Hormone: z.B. Corticosteroide, Estrogene, Progesterone

Lösungsansätze

Aktuell bietet vor allem die Heidelberger Hitze-Tabelle der Abteilung für Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie am Zentrum für Innere Medizin des Universitätsklinikums in Heidelberg eine gute Übersicht über Arzneistoffe mit potenziellen Risiken in Hitzewellen.In der Heidelberger Hitze-Tabelle finden sich die spezifischen Risiken für eine Hitzeerkrankung, eine Hyponatriämie, aber auch für eine durch die Hitze verstärkte Wirkung für 25 Stoffe/Stoffklassen.

aktuelles Forschungsvorhaben „ADAPT-HEAT“

Auf dem Weg zu einer wahrscheinlich noch umfassenderen Lösung als der Heidelberger Hitze-Tabelle befindet sich das vom G-BA-Innovationsfond mit rund 1.000.000 € geförderte Forschungsprojekt „ADAPT-HEAT – Adaptation of drug therapy during hot seasons“ des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Köln zusammen mit den Instituten für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin sowie für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Hochschule Hannover und der PMV forschungsgruppe Köln sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Das Forschungsvorhaben „ADAPT-HEAT“ entwickelt die sog. CALOR-Liste (calor = lat. Hitze), eine Übersicht über relevante Medikamente, verbunden mit Empfehlungen zur Medikationsanpassung bei Hitze, welche wahrscheinlich Ende 2026 bzw. Anfang 2027 fertig sein soll.

Quelle: https://www.mhh.de/allpallmed/adapt-heat

Quellen

Published inKlimaNOTFALL

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert