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Leitlinie „Prehospital blood transfusion for civilian emergency medical services“ der Prehospital Blood Transfusion Coalition

veröffentlichende Fachgesellschaft: Prehospital Blood Transfusion Coalition
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 16.07.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1136/tsaco-2025-001931

prähospitale Grundsätze der Versorgung und Transfusion

  • schnelles Erkennen eines lebensbedrohlichen hämorrhagischen Schocks
    • klinische Beurteilung bleibt der Eckpfeiler für die Erkennung, inkl. physiologischer Parameter wie Vitalparameter, Schockindex, endtidales Kohlendioxid (etCO₂) etc.
    • falls verfügbar, Point-of-Care-Tests, wie z. B. die Laktatmessung, in Betracht ziehen
  • Blutstillung mit geeigneten Hilfsmitteln
    • Druckverband und Woundpacking (am besten mit hämostatischen Produkten) bei schweren Wunden
    • Tourniquet bei signifikanten Extremitätenblutungen
    • Beckenschlinge bei Verdacht auf Beckenfrakturen
    • Woundpacking oder Tourniquets bei Gelenkblutungen
  • schnelle pvK-Anlage (mind. 18G oder höher; i.o.-Zugang, falls i.v. nicht möglich oder frustran)
  • hämostatische Flüssigkeitstherapie (Vollblut mit niedrigem Titer der Gruppe 0, Plasma, Erythrozyten-Konzentrat –> nach Möglichkeit ein ausgewogenes Verhältnis von 1:1 zwischen Plasma und Erythrozyten)
  • Gabe von kristalloiden Lösungen minimieren (< 500 mL Kristalloide)
  • Hypothermie verhindern
    • warme Blutprodukte
    • passive Wärmemaßnahmen aufrechterhalten
    • aktive Wärmemaßnahmen in Betracht ziehen
  • Gabe von Tranexamsäure bei Patient*innen, die Blut erhalten und die Gabe innerhalb von 3 Stunden nach Verletzung erfolgt
    • Erwachsene: einmalig 2 g TXA i.v./i.o. ODER 1 g TXA i.v./i.o. über 10 min, dann 1 g TXA über 8 Stunden
    • Kinder: 15 mg/kg (max. 1 g) i.v. über 10 min
  • Calcium-Ersatz (Calcium i.v. erwägen, wenn 2 Einheiten Blutprodukte verabreicht wurden; CAVE: auf Anzeichen einer Hyperkalzämie achten)
    • Erwachsene: 3 g Calciumgluconat (weniger ätzend für das Gewebe) oder 1 g Calciumchlorid
    • Kinder: 60 mg/kg Calciumgluconat oder 20 mg/kg Calciumchlorid
    • CAVE: Leitung mit mind. 10 mL NaCl spülen und auf i.v./i.o.-Infiltration/Extravasation achten

Kriterien für Transfusion

klinische Indikationen

  • V.a. hämorrhagischen Schock aufgrund Trauma oder andere medizinische Ursache
    • Erwachsene
      • RRsys < 90 mmHg (oder < 100 mmHg bei Patient*innen > 65 Jahre) oder schwacher/fehlender Radialpuls
      • HF ≥ 100/min, die nicht auf erste Interventionen anspricht
      • Schockindex (HF/RRsys) größer als 1,0
    • Kinder
      • RRsys < 70 + (2x Alter in Jahren) mmHg
      • HF > 190/min bei Kindern < 1 Jahr ODER HF > 140/min bei Kindern zwischen 2 – 10 Jahren
  • einer oder mehrere der folgenden physiologischen Punkte, die auf Hypoperfusion hindeuten
    • veränderter Bewusstseinszustand (CAVE: nicht auf Intox oder SHT zurückzuführen)
    • blasse, kühle, nass-klamme Haut; blasse Schleimhäute
    • verzögerte Rekap-Zeit (> 2 sec)
    • Tachypnoe
    • etCO₂ < 25 mmHg

Ausschluss von Bluttransfusionen

  • bewusstseinsklare Patient*innen, die entscheidungsfähig sind, daraufhin untersuchen, ob diese eine Bluttransfusion aus religiösen, kulturellen, sozialen oder persönlichen Gründen ablehnen
  • bewusstlose oder nicht entscheidungsfähige Patient*innen kurz auf das Vorhandensein von medizinischen Warnhinweisen, Vollmachten oder anderen offensichtlichen Dokumenten durchsuchen, die darauf hinweisen, dass die Patient*innen den Erhalt von Blutprodukten ablehnen
  • Versuch/Suche/Abklärung darf die Transfusion nicht länger als 1 min verzögern und sollte idealerweise in etwa 30 sec erfolgen

Beispiele für Patient*innen, bei denen ein hämorrhagischer Schock vermutet wird, der eine Bluttransfusion vor dem Krankenhausaufenthalt erforderlich macht

  • Traumapatient*innen mit unkontrollierter Blutung
    • jede proximale Amputation oberhalb des Knies/Ellenbogens oder Amputationen, die ein Tourniquet erfordert
    • penetrierendes Trauma an Hals/Thorax/Abdomen/Becken mit Schockzeichen
    • Nachweis eines erheblichen Blutverlustes (schätzungsweise > 500 mL)
    • instabile Beckenfraktur mit hämodynamischer Instabilität
  • andere Patient*innen mit erheblichen Blutungen
    • gastrointestinale Blutungen
    • rupturierte Eileiterschwangerschaft
    • postpartale Blutung
    • rupturiertes Aortenaneurysma (thorakal oder abdominal)
    • rupturierte arteriovenöse Fisteln/Transplantate
    • postoperative Komplikationen
    • Epistaxis
    • Blutungen nach Tonsillektomie
    • andere Ursachen für erheblichen Blutverlust

benötigtes Equipment

  • zugelassener Blutkonserven-Kühler, die für den Einsatz im Krankenhaus validiert sind und die folgenden Punkte erfüllen
    • Temperatur: 1 – 6 °C (Lagerung) bzw. 1 – 10 °C (Transport)
    • kontinuierliche Überwachung mit akustischem Alarmton
    • Temperaturprotokollierung
    • Behälter vom Blutlieferanten validiert
    • max. Zeit außerhalb der kontrollierten Lagerung: 4 h für Transfusionen
  • Temperaturüberwachungsgeräte mit lokalen Alarmen sowie Fernüberwachungs- und Audit-Funktionen, die den geltenden Anforderungen entsprechen
  • Bluttransfusionssets mit 170 – 260 µm Filter
  • Blutwärmer
  • Schnellinfusionsgerät
  • großvolumiger i.v.-/i.o.-Zugang
  • Monitoring zur Überwachung der Vitalparameter

Vorgehen

  • Vorbereitung und Lagerung
    • Blutprodukte in zugelassenem Lagerbehälter bei einer Temperatur zwischen 1 – 6 °C aufbewahren (ggf. Abweichungen aufgrund lokaler Gegebenheiten)
    • Temperatur kontinuierlich überwachen und dokumentieren
    • Blutprodukte überprüfen bzgl. Verfallsdatum, Unversehrtheit des Beutels, Anzeichen von Hämolyse, Gerinnung oder Kontamination sowie Einhaltung der Temperaturvorgaben
  • Dosierungsanleitung für Erwachsene
    • Initialdosis: Eine Einheit eines beliebigen Blutprodukts
    • alle 3 min sowie nach jeder Einheit Vitalzeichen und klinische Reaktion überprüfen
    • nach Bedarf zusätzliche Einheiten verabreichen
    • Ziel-RRsys: 90 – 100 mmHg bei hämorrhagischem Schock (permissive Hypotonie); bei SHT-Patient*innen oder Verdacht auf neurologische Verletzungen höheren RRsys (> 110 mmHg) anstreben
  • Dosierungsanleitung für Kinder
    • Initialdosis: < 35 kg: 10 mL/kg eines beliebigen Blutprodukts; > 35 kg: Eine Einheit eines beliebigen Blutprodukts
    • nach jeder Einheit Vitalzeichen und klinische Reaktion überprüfen
    • nach Bedarf zusätzliche Einheiten verabreichen
    • bei hämorrhagischem Schock aufgrund von Traumata oder geburtshilflichen/medizinischen Notfällen altersgerechten Blutdruck anstreben (bei SHT-Patient*innen oder Verdacht auf neurologische Verletzungen höheren RRsys von > 110 mmHg anstreben)

Transfusionsprozess

  • Anlage pvK (idealerweise 18G oder größer)
  • rasche Prüfung, ob Anzeichen dafür gibt, dass der Patient keine Blutprodukte erhalten möchte (CAVE: Patient*innenversorgung nicht verzögern)
  • Blutprodukte überprüfen & dokumentieren (Produkttyp, Nummer der Einheit, Verfallsdatum, Blutgruppe, Temperaturkontrolle)
  • Transfusionsset mit geeignetem Filter an Blutprodukt anschließen
  • an Blut-/Infusionswärmer und/oder das Schnellinfusionsgerät anschließen
  • Transfusionsset an i.v.-/i.o.-Zugang anschließen (CAVE: bei i.o.-Zugang mitgelieferte 90°-Winkelverlängerung entfernen)
  • je nach klinischer Indikation über 3 – 5 min transfundieren
  • Vitalparameter während der Transfusion alle 5 min überwachen & dokumentieren (RR, HF, AF, SpO2, etCO2, Temperatur)
  • auf Anzeichen einer Transfusionsreaktion achten

Checkliste für das Vorgehen bei Bluttransfusionen in der Präklinik

  • vor Transfusion
    • Indikation zur Transfusion bestätigen
    • rasche Prüfung, ob Anzeichen dafür gibt, dass der Patient keine Blutprodukte erhalten möchte (CAVE: Patient*innenversorgung nicht verzögern)
    • Anlage pvK (idealerweise 18G oder größer und 2 Zugänge)
    • Basisvitalparameter erfassen & dokumentieren
    • Blutprodukte überprüfen & dokumentieren
    • Temperaturanzeige auf dem Blutbeutel prüfen (falls vorhanden)
    • Tramsfusionsset mit geeignetem Filter vorbereiten
  • während Transfusion
    • Vitalparameter während der Transfusion alle 5 min überwachen & dokumentieren
    • auf Anzeichen einer Transfusionsreaktion achten
    • Transfusionszeit dokumentieren
  • nach Transfusion
    • Vitalparameter nach Transfusion überwachen & dokumentieren
    • Zeitpunkt der Transfusionsbeendigung dokumentieren
    • infundiertes Gesamtvolumen dokumentieren
    • aufnehmende Einrichtung über Bluttransfusion informieren
    • alle Blutproduktbeutel zum Krankenhaus transportieren
    • alle erforderlichen Unterlagen ausfüllen
    • unbenutzte Produkte gemäß dem Protokoll zurückgeben

Transfusionsreaktion

  • Symptome der akuten anaphylaktischen Reaktion
    • Hypotonie oder Hypertonie
    • Flush, Urtikaria oder Hautausschlag
    • Keuchen oder Atembeschwerden
    • Fieber oder Schüttelfrost
    • Flankenschmerzen
    • Brustschmerzen oder Rückenschmerzen
    • Übelkeit/Erbrechen
  • Management
    • Transfusion sofort stoppen
    • intravenösen Zugang offen halten
    • bei Bedarf O2-Gabe
    • bei Anaphylaxie
      • 0,3 – 0,5 mg Epinephrin im Verhältnis 1:1000 i.m.
      • 25 – 50 mg Diphenhydramin i.v./i.o./i.m.
      • bei schweren Reaktionen 125 mg Methylprednisolon oder 4 – 8 g Dexamethason i.v. erwägen
    • aufnehmende Einrichtung über V.a. Transfusionsreaktion informieren

Dokumentation

  • Blutproduktinformationen wie Blutproduktnummer, Ablaufdatum, Zeitpunkt der Entnahme aus Kühlung, Temperaturstatus während Lagerung und Transport
  • Transfusionsdetails: Start- & Endzeit, transfundiertes Gesamtvolumen, Applikationsweg
  • Patient*innenbeurteilung
    • Überprüfung der Zustimmung/Einwilligung (mündlich oder stillschweigend)
    • Vitalparameter vor der Transfusion, während (alle 3 min) und nach der Transfusion
    • klinisches Bild und Indikation zur Transfusion
    • Reaktion auf Transfusion
  • zusätzliche Interventionen wie Blutungskontrolle, Calciumgabe, TXA-Gabe sowie andere Medikamente/Interventionen
  • unerwünschte Ereignisse: Beschreibung aller Reaktionen, durchgeführte Interventionen, Reaktion der Patient*innen
Published inLeitlinien kompakt

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