Primary Survey (oder 1. Untersuchungsgang): prioritätenorientierte Untersuchung nach dem ABCDE-Schema mit dem Ziel unmittelbar lebensbedrohliche Zustände zu erkennen und zu behandeln
Secondary Survey (oder 2. Untersuchungsgang): schließt sich an die initiale Schockraumversorgung an, sofern nicht die Indikation für einen unmittelbar notwendig werdenden operativen Eingriff bzw. eine unmittelbar notwendig werdende Intervention gestellt wird (Untersuchung von Kopf bis Fuß unter Würdigung der erfolgten apparativen Diagnostik, um am Ende alle erlittenen Verletzungen zu dokumentieren)
Tertiary Survey (oder 3. Untersuchungsgang): ausführliche, nicht unter Zeitdruck stehende, regelhafte Reevaluation der Patient:innen mit einer ausführlichen körperlichen Untersuchung parallel zu anderen intensivmedizinischen Maßnahmen
Grund für den Tertiary Survey ist, dass laut dem DGU-TraumaRegister bei 9,2 % der Patient*innen relevante Verletzungsfolgen erst auf der Intensivstation festgestellt wurden, davon 36 % im Bereich des Kopfes, 33 % im Bereich der Extremitäten und 20 % am Thorax
strukturierte Untersuchung innerhalb der ersten 72 h nach Traumaeintritt kann die Zahl der verzögert festgestellten Diagnosen senken („delayed diagnosed injuries“)
Ziele des Tertiary Survey
bisher nicht erkannte Verletzungen detektieren („delayed detected diagnosis“)
Erkennung von dynamischen Befunde sowie graduellen Zustandsveränderungen (z.B. größenprogredientes Hämatom oder zunehmender Sensibilitätsverlust)
Erkennung von Traumafolgen, die erst im Verlauf entstanden sind (z.B. Kompartmentsyndrom oder Gefäßverschluss)
Praktisches Vorgehen
Zeitpunkt der Untersuchung
Zeitpunkt grundsätzlich im ausreichenden Abstand zum Zeitpunkt des Unfalls und auch zum Zeitpunkt des zweiten Untersuchungsganges im Schockraum
Empfehlung: ausführliche Untersuchung unter Einbeziehung aller Aspekte des 3. Untersuchungsganges erstmalig innerhalb von 6 – 12h nach Unfall
falls Patient*in nach Erstversorgung im Schockraum mehrere Stunden im OP gewesen ist –> zügig innerhalb von 1 – 2 h nach Aufnahme auf ITS
falls Patient*in innerhalb von 1 – 3 h nach Unfall bereits auf Intensiv- oder Normalstation ist –> 3. Untersuchungsgang erst 6 – 12 h nach Unfall
CAVE: bedeutet nicht, dass fokussierte Untersuchungen nicht auch deutlich eher erfolgen kann/muss (z.B. engmaschige neurologische Untersuchungen)
Empfehlung: 3. Untersuchungsgang innerhalb der nächsten Tage auf ITS wiederholen (ggf. mehrmals)
Empfehlung: konsequenterweise erfolgt nach Extubation immer ein weiterer 3. Untersuchungsgang (Grund: sedierte, narkotisierte oder delirante Patient*innen können keine Angaben zu Schmerzen oder anderen Beschwerden machen)
CAVE – Sonderfall Patient*innen mit Wirbelsäulenverletzungen: Information, ob und wie ausgeprägt eine Schädigung des Rückenmarks vorliegt, ist von entscheidender Bedeutung für das weitere therapeutische und operative Vorgehen der nächsten Stunden)
Inhalt des 3. Untersuchungsganges
gründliche Untersuchung im Rahmen des 3. Untersuchungsganges zielt darauf ab, ein vollständiges Bild sämtlicher Verletzungsfolgen zu erhalten
bereits bekannte Befunde würdigen und auftretende Dynamik dokumentieren
neu aufgetretene oder bislang nicht erfasste Befunde ebenfalls dokumentieren
Untersuchung erfolgt strukturiert, z. B. von Kopf nach Fuß
Eigen- und Fremdanamnese sowie Hilfsmittel wie z. B. Ultraschall kommen ergänzend hinzu
wenn sich aus den Ergebnissen des 3. Untersuchungsganges diagnostische oder therapeutische Konsequenzen ergeben, so sollen diese eingeleitet werden
zusätzliche Schritte über die Anamnese und Untersuchung hinaus
„Clear the pelvis“: vorhandene Diagnostik bezüglich einer möglicherweise vorliegenden Verletzung des Beckenrings im Tertiary Survey evaluieren
Beckengurt bereits präklinisch bei vermuteten Verletzung des Beckenrings –> Primary Survey und anschließende CT-Untersuchung mit liegendem Beckengurt –> mechanisch instabile Beckenverletzung mit hämodynamischer Instabilität –> unmittelbare Intervention mit operativer oder interventioneller Blutstillung, sonst Beckengurt bis zur operativen weiteren Versorgung belassen
keine knöcherne Verletzung des Beckenrings in der Traumaspirale –> Beckengurt unter anliegendem Monitoring öffnen und Untersuchung des Beckens, ggf. auch zusätzliche konventionell radiologische Bildgebung, zum sicheren Ausschluss einer ligamentären Open-Book-Verletzung
Komplettierung aller relevanten Informationen (Zusammentragen von für die weitere Behandlung relevanter Informationen, z.B. Arbeitsunfall ja/nein?; Gewaltverbrechen ja/nein?; Schwangerschaft sicher ausgeschlossen?; Tetanusschutz vorhanden?; psychische Belastung und psychologische Mitbeurteilung oder Hilfe notwendig?)
Einordnung der Befunde
erhobenen Befunde müssen mit bereits vorhandenen Befunden abgleichen (z.B. Befunde aus Eigen- und Fremdanamnese und Vorbefunde aus Vorgeschichte)
unverzügliche Entscheidung in Zusammenschau mit vorhandener Bildgebung, ob ergänzende Untersuchungen erforderlich sind
CAVE: Einordnung der Befunde durch Ärzt*in mit Facharztstandard in einem für die Traumaversorgung relevanten Fach
Haut- und Weichteilverletzungen großzügig mittels Fotos und ggf. sogar Video dokumentieren (CAVE: bedenken, dass die Foto-Dokumentation für spätere rechtliche Verfahren von Relevanz sein kann)
Festlegung des weiteren Prozedere
Erhebung weiterer Befunde notwendig? (z.B. Bildgebung, Kompartmentdruckmessung, konsiliarische Mitbeurteilungen durch andere Fachabteilungen)
Engeres Überwachungsintervall notwendig? (z.B. 4‑stündliche Messungen des intraabdominellen Drucks)
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