veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 23.06.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2025/das-beste-mittel-der-gewaltpraevention-ist-therapie.html
Epidemiologie bzw. Datenlage
- allermeiste Gewalttaten lassen sich nicht auf psychische Erkrankung zurückführen
- weit überwiegende Mehrheit der mehr als 18 Millionen Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland ist nicht gewalttätig
- bei bestimmten psychischen Erkrankungen besteht ein statistisch erhöhtes Risiko, Gewalttaten zu begehen, wobei dies eindeutig gesichert ist bei Schizophrenien und anderen Psychosen, Substanzkonsumstörungen (Missbrauch/Abhängigkeit von Drogen und Alkohol) und schwere Persönlichkeitsstörungen (CAVE: überwiegende Mehrheit der Menschen, die an diesen risikobehafteten Erkrankungen leiden, ist nicht gewalttätig)
- allein aus einer psychiatrischen Diagnose kann niemals auf die individuelle Gewaltbereitschaft geschlossen werden
- Risiko, dass ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung gewalttätig wird, ist fast immer das Resultat aus der Interaktion bestimmter Symptome der Erkrankung, insbesondere wenn sie unbehandelt ist, mit weiteren bekannten Belastungs- und Risikofaktoren für Aggression und Gewalttätigkeit (z.B. junges Alter, männliches Geschlecht, Konsum von Drogen oder Alkohol, eine Sozialisation mit Vernachlässigung und Gewalterfahrungen, soziale Isolation, Armut und Wohnungslosigkeit)
empfohlene Maßnahmen zur Gewaltprävention
- Intensivierung psychiatrischer Behandlungsangebote
- Die Angebote der Regelversorgung sind nicht ausreichend. Der Ausbau niedrigschwelliger kultursensibler Beratungs- und Behandlungsangebote für Menschen mit schweren psychischen Störungen muss vorangetrieben werden. Es werden Angebote benötigt, die sich flexibel am individuellen Bedarf der Betroffenen orientieren und ausreichend engmaschige Therapiemöglichkeiten bieten. Die Angebote müssen flächendeckend verfügbar sein und auskömmlich finanziert werden. Sie sollen insbesondere auch sozial marginalisierte Betroffene und Geflüchtete ansprechen, barrierearm erreichbar sein und die Betroffenen aufsuchend vor Ort erreichen können (z. B. mittels Assertive Community Treatment (ACT-)Teams). Für Betroffene, die sich bereits in der Vergangenheit im Zusammenhang mit ihrer psychischen Erkrankung aggressiv oder gewaltbereit gezeigt haben, sollen zur Prävention schwerer Gewalttaten flächendeckend zusätzliche, spezifische Hilfen ausgebaut und nach dem Vorbild der bayerischen Präventionsambulanzen gesondert finanziert werden.
- Förderung der Teilhabe und sektorenübergreifende Kooperation
- Soziale Ausgrenzung und ein belastendes, unsicheres Wohnumfeld erhöhen das Risiko, psychisch zu erkranken und auch das Risiko für krisenhafte Zuspitzungen der Symptomatik, die mit selbst- und fremdaggressivem Verhalten einhergehen können. Menschen mit schweren psychischen Störungen und einem erhöhten Risikopotenzial für Gewalttaten müssen ausreichende Leistungen der Eingliederungshilfe zur sozialen und beruflichen Teilhabe erhalten. So kann ihre Marginalisierung verringert und die Selbstwirksamkeit verbessert werden. Dabei ist eine engmaschige, intersektorale und sozialgesetzbuchübergreifende Vernetzung der beteiligten Leistungserbringer in gemeindepsychiatrischen Verbundstrukturen essenziell.
- Ausbau Sozialpsychiatrischer Dienste
- Die Sozialpsychiatrischen Dienste (SpDi) sind als kommunale Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsversorgung ein wichtiges Bindeglied zwischen Behandlung/Fürsorge für die Betroffenen und Gefahrenabwehr für die Bevölkerung. Sie sollen personell gestärkt und auskömmlich finanziert werden.
- Aufbau forensisch-psychiatrischer Fachstellen bei den Polizeibehörden
- Ein Aufbau forensischer Fachstellen bei den polizeilichen Behörden wäre zu erwägen. Vorbild hierfür ist das Schweizer Modell des Kantons Zürich.
- konsequentere Nutzung der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten für eine Unterbringung und Behandlung psychisch erkrankter Personen mit erhöhtem Gewaltrisiko, die sich nicht freiwillig behandeln lassen
- Die derzeitige Praxis, eine Unterbringung in einem Krankenhaus nach PsychK(H)G nach (Teil-)Besserung einer akuten Symptomatik rasch zu beenden sowie die zum Teil große Zurückhaltung bezüglich einer unfreiwilligen medikamentösen Behandlung im Rahmen einer Unterbringung sollten überdacht werden. Darüber hinaus besteht nach Bundesgesetz (§ 328 FamFG) die Möglichkeit, eine unfreiwillige Unterbringung nach PsychK(H)G unter Auflagen (z. B. regelmäßige ambulante Behandlung einschließlich Medikamenteneinnahme) vorläufig auszusetzen. Diese Möglichkeit könnte in der Praxis in ausgewählten Fällen besser genutzt und mit der Überprüfung der Erfüllung der Auflagen verbunden werden.
- Intensivierung der Forschung zum Thema Aggression und Gewalt bei psychischen Störungen
- Es wird eine langfristige Förderung aussagekräftiger Studien benötigt, damit Trends früh erfasst werden können und die Evaluation von Präventions- und Interventionsmaßnahmen möglich wird.
- Maßnahmen zur Reduktion der allgemeinen Risikofaktoren für gewalttätiges Verhalten
- Die universellen Risikofaktoren für gewalttätiges Verhalten dürfen bei der Diskussion um gewaltpräventive Maßnahmen bei psychischen Erkrankungen nicht aus dem Blick geraten. Sie sind bei Menschen mit psychischen Erkrankungen genau so bedeutsam wie bei gesunden Menschen, und sie wirken sich bei einer psychischen Erkrankung potenzierend auf das Gewaltrisiko aus.


Sei der Erste der einen Kommentar abgibt