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Empfehlung „Klinische Katastrophenmedizin“ der DGAV

veröffentlichende Fachgesellschaft: Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Militär- und Notfallchirurgie (CAMIN) der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 31.07.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1007/s00113-025-01610-w

klinische Entscheidungsfindung und Operationspriorisierung

  • Indikationsstellungen zur Operation und Operationspriorisierungen erfolgt situationsbedingt auf Basis klinischer Einschätzung und einfachster diagnostischer Verfahren
  • neu eintreffende Patient*innen im klinischen Sichtungsbereich ärztlich sichten, nach Dringlichkeit ressourcenunabhängig kategorisieren und nachfolgend gemäß Sichtungskategorie in getrennte innerklinische Behandlungsbereiche verbringen (rot, gelb, grün, schwarz)
  • anschließende Koordinierung der operativen Abläufe und Versorgung (Priorisieren, Disponieren, Realisieren) durch erfahre*nen Chirurg*in (sog. Zentraler Operativer Notfallkoordinator, ZONK)
  • abzuklärende Faktoren durch ZONK bei der Operationspriorisierung und -Planung (Disposition und Realisierung)
    • sichtbares Verletzungsmuster und Traumamechanismus: z.B. Schuss, Stich, Pfählung, Eviszeration, Explosion u.a.
    • klinische Basisparameter: AF, Kreislaufstatus (RR, HF), Bewusstseinslage
    • extended Focused Assessment with Sonography in Trauma (eFAST): Nachweis/Ausschluss freier Flüssigkeit in Abdomen und Thorax, Nachweis/Ausschluss Pneumothorax und/oder Perikardtamponade
    • Ressourcenabgleich im OP-Bereich: Personal, OP-Verfügbarkeit, Materialvorrat, voraussichtlich erforderliche und verfügbare Blutprodukte,
    • postoperative Überwachungsmöglichkeit (z.B. High-Care-Bereich mit Beatmungsplatz)
  • schnell durchführbare eFAST ist KM-CT in diagnostischer Wertigkeit zwar unterlegen, v.a. bei der Detektion von Hohlorgan- oder Parenchymverletzungen (Milz, Leber, Pankreas), kann jedoch relevante Mengen freier intraabdominaler Flüssigkeit zuverlässig darstellen –> in Katastrophensituationen eFAST dem KM-CT vorziehen
  • Ziel der klinischen Katastrophenmedizin ist immer ein frühestmögliches Zurückkehren zu individualmedizinischen Behandlungsprinzipien bzw. zur Standardversorgung
  • Klassifikation der Dringlichkeit chirurgischer Eingriffe (N0 – N5)
    • N0: sofortige Operation, ggf. am Aufenthaltsort der Patient*innen wie im Schockraum oder auf der Intensivstation (z.B. Kreislaufinstabilität, Eviszeration, Spannungspneumothorax)
    • N1: Operation < 2 h nach Meldung auf dem nächsten freien OP-Tisch, unabhängig von der Fachdisziplin (z.B. Blutung bei kreislaufstabilen Patient*innen)
    • N2: Operation < 6 h nach Meldung (z.B. freie Hohlorganperforation, septischer Fokus), wenn möglich Abwarten der Nüchternheit, fehlende Nüchternheit jedoch ohne aufschiebende Wirkung
    • N3: Operation am Ende des Elektivprogramms
    • N4: dringliche Operation < 24 h nach Meldung (z.B. symptomarme eingeklemmte Hernien, akute Cholezystitis, akute Appendizitis)
    • N5: Elektiveingriff

Damage Control Surgery (DCS)

  • chirurgisches Behandlungskonzept bei Traumapatient*innen „in extremis“ mit dem Ziel einer schnellen, auf wesentliche Maßnahmen reduzierten Erstoperation zur physiologischen Stabilisierung mit zeitversetzter definitiver Versorgung
  • DCS grundsätzlich nur unter individualmedizinischen Aspekten bei kreislaufinstabilen Patient*innen mit bestimmten (kombinierten) Verletzungsmustern
  • in Katastrophen- und MANV-Situationen können DCS-Konzepte aus taktischen Gründen im Sinne einer „tactical abbreviated surgical care“ (TASC) noch weiter auf das absolute Minimum reduziert (Ziel: Überleben) und auch bei stabilen Patient*innen sinnvoll eingesetzt werden, um Zeit zu sparen, Ressourcen zu schonen und Leben zu retten

penetrierende Abdominalverletzungen

  • inspektorische und palpatorische Wundexploration beim penetrierenden Abdominaltrauma nicht ausreichend zuverlässig in Bezug auf Nachweis oder Ausschluss peritonealer Penetrationen und intraabdominaler Verletzungen
  • im Katastrophenfall orientierende dennoch Fingerpalpation der Wunde(n), ergänzt durch klinische Befunde (Abwehrspannung) und eFAST (freie Flüssigkeit)
  • Unterscheidung in drei Befundkonstellationen
    • MIT Kreislaufinstabilität (RRsys ≤ 90mmHg)
      • –> sofortige offene Exploration im Sinne einer Traumalaparotomie
    • OHNE Kreislaufinstabilität (RRsys ≥ 90mmHg), ABER mit Peritonismus (Abwehrspannung) und/oder mit freier abdominaler Flüssigkeit (eFAST)
      • –> verzögerte chirurgische Exploration
    • OHNE Kreislaufinstabilität, ohne Peritonismus (Abwehrspannung) und ohne freie intraabdominale Flüssigkeit (eFAST)
      • –> Nichtoperaves Management (NOM)
  • Antibiotikatherapie
  • so schnell wie möglich kalkulierte i.v.-Antibiotikabehandlung
  • gemäß EAST keine Evidenz für weiterführende antibiotische Therapie > 24 h nach Laparotomie
  • keine evidenzbasierten Empfehlungen in Bezug auf die Auswahl des antibiotischen Wirkstoffs bei penetrierender Abdominalverletzung
Published inLeitlinien kompakt

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