Im Beitrag von heute Mittag ging es um die neuropsychologischen Auswirkungen psychischer Erkrankungen. Mit der Corona-Pandemie bekam der Bereich der Neuropsychologie nochmal neuen Aufschwung, da man feststellen musste, da Phänomene wie Brainfog auftraten und Krankheitsbilder wie Long-/Post-Covid sich auf den gesamten Organismus auswirkten und im Gehirn zu Anomalien führte. Genau um diese Anomalien geht es im heutigen Exkurs zum Welttag des Gehirns.
Zu Beginn ist es aber am wichtigsten Long/Post-COVID klar zu definieren, damit es zu keinen Unterschieden in der Auslegung kommt. Das Long/Post-COVID-Syndrom besteht gemäß der S1-Leitlinie Long/ Post-COVID, wenn
- Symptome nach akuter COVID-19-Erkrankung oder deren Behandlung fortbestehen,
- neue Symptome, die nach dem Ende der akuten Phase auftreten, als Folge der SARS-CoV-2-Infektion verstanden werden können,
- eine Verschlechterung einer vorbestehenden Erkrankung in Folge einer SARS-CoV-2-Infektion besteht.
Die Unterscheidung von Long- und Post-COVID ist von rein zeitlicher Natur. Gemäß National Institute for Health and Care Excellence (NICE) aus Großbritannien ist das „Long-COVID“-Syndrom das Bestehen gesundheitlicher Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase einer SARS-CoV-2-Infektion von 4 Wochen fortbestehen oder auch neu auftreten sind. „Post-COVID-Syndrom“ beschriebt Beschwerden, die noch mehr als 12 Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion vorhanden sind und nicht anderweitig erklärt werden können.
Symptomatisch ist „Post-COVID-19“ gemäß WHO ein Symptomkomplex mit typischen Symptomen wie Fatigue (37 %), Atemnot und kognitiven Störungen. Zu den kognitiven Symptomen gehörten zum Beispiel:
- Gehirnnebel oder „Brain Fog“ (32 %)
- Gedächtnisproblemen (28 %)
- Aufmerksamkeitsstörungen (22 %)
Weitere Symptome, v.a. nach Abklingen einer akuten SARS-CoV-2-Infektion, sind z.B.
- Muskelschwäche und/oder -schmerzen (17 %)
- Kopfschmerzen (15 %)
- Geruchs- (12 %) & Geschmacksstörungen (10 %)
- Schlafstörungen und nicht erholsamer Schlaf
- psychische Symptome wie Depressionen (12 %), Schlafstörungen (31 %) und Angststörungen/-zustände (23)
Die Prävalenz von Long/Post-COVID-Symptomen ist nur schwer zu bestimmen, da die Ergebnisse der bisher publizierten Studien nur schwer unmittelbar vergleichbar sind.
neuropsychologische & -anatomische Auswirkungen einer Corona-Infektion
Ca. 1/5 der Betroffenen hatten auch noch mehr als 3 Monate nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion kognitive Einschränkungen wie Störungen der Konzentration, der Exekutivfunktionen, der Informationsverarbeitung, Lern- und Merkfähigkeit oder der Wortfindung sowie Gedächtnisdefiziten („brain fog“; Arbeitsgedächtnis). Ein Drittel litt auch 3 Monate später unter Schlafstörungen (insomnisch sowie hypersomnisch).
Hinsichtlich des Bestehens der Symptome gibt es nur wenige Daten und diese sind in der Gesamtschau eher inkonsistent. Laut Seeßle et al. bestanden bei 39 % der Patient*innen auch noch ein Jahr nach Infektion Konzentrationsdefiziten.
Neuroanatomisch lässt sich primär erst einmal konstatieren, dass direkter neuronaler SARS-CoV-2-Befall aufgrund von Post-Mortem-Studien und Liquoruntersuchungen eher unwahrscheinlich ist. Vermutlich kommt es eher zu einer systemische Inflammation mit Aktivierung von Entzündungsmediatoren (Interferonen und Interleukin‑6), welche für Störungen des ZNS sorgt. Diese systemische Inflammation kann, je nach Verlauf, aber zu Durchblutungsstörung oder Sauerstoffmangel führen, was sich auch in MRT-Studien durch kleinere Veränderungen/Reduktion der weißen und grauen Substanz manifestierte. Diese Manifestationen waren vor allem im Gyrus parahippocampalis, der für das Speichern und Abrufen von Erinnerungen von Bedeutung ist, und dem orbitofrontalen Kortex, der eine wichtige Rolle bei den exekutiven Funktionen spielt, besonders ausgeprägt. Weiter kam es zu einer diffusen, aber nicht nur lokal begrenzten Reduktion des Hirnvolumens.
Eine Arbeit der Universitätsklinik Duisburg-Essen wies darauf hin, dass bei der Untersuchung von 171 Patient*innen in 86 % der Fälle keine objektivierbaren pathologischen Befunde, egal ob bei elektrophysiologischer, bildgebender oder labortechnischer Diagnostik, fanden. Die Ersteller der Studie vermuten, dass vielleicht Somotisierungsprozesse eine Rolle spielen könnten.
Auch die Mikroglia sind ggf. befallen, wie andere Untersuchungen ergaben. Hier stellte man fest, dass bei Mäusen mit einem milden COVID-Verlauf entzündungsfördernde Stoffe von der Lunge ins Gehirn gelangen konnten und dort die Mikroglia befallen. Dies führt im Endeffekt dazu, dass der Hippocampus weniger neue Nervenzellen produziert und überdies bestehende Zellen ihre Ummantelung verlieren, was eine schlechtere Übertragung von Signalen bedingt.
Es wird zudem vermutet, dass eine akute Infiltration viraler Partikel in tief liegenden Hirnregionen, welche das Atemzentrum einschließt, ggf. auch für Atemstörung verantwortlich sein könnte.
Schon bei SARS-CoV-1 stellt man fest, dass Coronaviren ggf. neuroinvasiv sind. Wahrscheinliche Infektionswege sind die Blutzirkulation im Allgemeinen und/oder freie Nervenendigungen des Bulbus olfactorius. Bei Post-Mortem-Untersuchungen von an SARS-CoV-1 verstorbenen Personen fand man Viruspartikel im neuronalen Zytoplasma, Hypothalamus und dem Kortex.
Weitere neuroanatomische/-biologische Auffälligkeiten sind:
- überproportionale Produktion von NMDA-Rezeptor-Antikörpern (durch Bindung an die NMDA-Rezeptoren kommt es zur Beeinträchtigung von Lernprozessen und der emotionalen Befindlichkeit)
- stärkere Anregung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, was zu kognitiven, affektiven und neuropsychiatrischen Störungen führen kann
- Hypometabolismus in bilateral orbitofrontalen Regionen, um die Gyri olfactorii herum sowie im Bereich des rechten ventralen Temporallappens, inkl. Amygdala und Hippocampus, sowie im Hirnstamm und Kleinhirn
- bifrontale Verlangsamung im EEG
- Enhancement, also Signalanhebung bei Kontrastmittelgabe, in leptomeningealen Bereichen bei MRT-Untersuchung
Bzgl. den oftmals bestehenden Schlafstörungen gibt es einige Untersuchungen durch die man weiß, dass akute Infektionen und systemische Entzündungen häufig von Schlafstörungen begleitet sind. Bestimmte Zytokine und virale Hüllproteine haben scheinbar auch eine hypnogene Wirkung auf den NREM- und den REM-Schlaf. Grund hierfür ist, dass schlechter bzw. ausbleibender Schlaf Zellstress auslöst und damit inflammatorische Prozesse, welche die Blut-Hirn-Schranke stört. Dies hat zum Ergebnis, dass Antigene und Entzündungsmediatoren aus dem Blut einfacher ins Gehirn gelangen können.
Was auch bekannt ist, dass Schlafstörungen die Immunantwort negativ beeinträchtigen und damit das Infektionsgeschehen begünstige. In Studien konnte nachgewiesen, dass das Risiko für einen schwereren Verlauf durch unzureichenden Schlaf während der Infektion ein 6‑ bis 8‑fach erhöhtes Risiko steigt. Auch der Langzeitverlauf von COVID-19-Erkrankungen wird durch Schlafstörungen negativ beeinflusst.
Hinsichtlich der Prävalenz für Schlafstörungen lassen sich für stationär behandelte Patient*innen Zahlen von 36 % für die ersten 3 Monate und 33 % für den Zeitraum > 3 – 6 Monate ausmachen. Ähnliche sieht es mit etwas über 30 % auch Kohorten mit mildem, ambulant versorgtem Krankheitsverlauf aus. DIe Prävalenz von Schlafstörungen in der Normalbevölkerung liegt bei etwa 8 – 18 % hinsichtlich der Schlafunzufriedenheit und 6 – 10 % mit der Diagnose einer chronischen Insomnie.
Große US-amerikanische Untersuchungen ergaben darüber hinaus, dass nichthospitalisierte COVID-19-Betroffene eine um 14,5-fach höhere Wahrscheinlichkeit für die Diagnose einer Schlaf-Wach-Störung hatten.
Bzgl. des Symptoms bzw. Phänomens „Brain Fog“ weiß man durch große Untersuchungen, dass ca. 28,2 % an selbigem leiden. Gekennzeichnet ist der „Brain Fog“ vor allem durch Konzentrationsschwierigkeiten und Probleme, Gesprächen zu folgen zu können. Die geläufigste Definition des Begriffs „Brain Fog“ ist die nachfolgende: „Brain Fog ist eine Interaktion physiologischer, kognitiver und perzeptueller Faktoren, die die Fähigkeit, Information leicht und schnell zu verarbeiten, verringert.“ Eine Assoziation mit nach durchgemachter Infektion bestehendem „Brain Fog“ besteht bei folgenden Faktoren:
- höheres Alter
- weibliches Geschlecht
- Angststörungen, Depressionen, schlechtere Kognition, Migräne, Long-COVID
- Gehirnerschütterungen
- Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder aufmerksam zu bleiben
- Schwierigkeiten, Gesprächen zu folgen
- weniger Bewegung
- geringere Schlafqualität
Eine weitere Vermutung bzgl. der Genese von Long-COVID ist die Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus (EBV), welches nach durchgemachter EBV-Infektion weiter im Körper bleibt und bei Schwächung des Immunsystems durch eine Corona-Infektion wieder aktiviert wird.
In einigen Untersuchungen gab es Hinweise, dass die kognitiven Defizite rückläufig sein könnten bzw. sich wenigstens ein wenig bessern.
Quellen
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