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Leitlinie „Das Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter“ der GNPI

veröffentlichende Fachgesellschaft: Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedzin
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 14.02.2022
Ablaufdatum: 13.02.2027
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/024-018.html

Definition

  • Folge einer Gewalteinwirkung, die zu einer Funktionsstörung und/oder Verletzung des Gehirns geführt hat und mit einer Prellung oder Verletzung der Kopfschwarte, des knöchernen Schädels, der Gefäße, des Hirngewebes und/oder der Dura verbunden sein kann
  • Verletzung des Kopfes ohne Hirnfunktionsstörung oder Verletzung des Gehirns bezeichnet man als Schädelprellung
  • offenes SHT: wenn Dura bei gleichzeitiger Verletzung der Weichteile und des Knochens zerrissen ist und somit eine Verbindung des Schädelinneren mit der Außenwelt besteht
  • primären Läsion: die im Augenblick der Gewalteinwirkung entstehende Schädigung des Hirngewebes

Symptome

  • Kopfschmerzen können Symptom einer Hirnverletzung sein; Schweregrad und Dynamik sind wichtige ergänzende klinische Aspekte
    • geringe, nicht progrediente Kopfschmerzen ohne weitere Symptome im Zusammenhang mit einem leichten SHT (wacher Patient) gehen mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit einer CT-morphologischen Hirnschädigung und der Notwendigkeit zur Operation einher.
  • bei Schädelfraktur ist das Risiko eines sich entwickelnde epiduralen Hämatoms zu beachten
  • isoliertes Erbrechen ohne weitere Symptome ist mit einem minimalen Risiko für ein klinisch relevantes Schädel-HirnTrauma (OP-Indikation oder Hirnschädigung im CT) verbunden
  • irreguläre Atmung (Hypopnoe, Apnoe, Hyperventilation) mit Bradykardie (Tachykardie schließt Hirnstammschädigung nicht aus) und arterieller Hypertonie bilden den Cushing-Trias
  • Hirndruckzeichen
    • bei Säuglingen: gespannte Fontanelle, weite Schädelnähte, Sonnenuntergangsphänomen
    • Papillenödem: fehlt bei akuter Hirndrucksteigerung, entwickelt sich über Tage; kann trotz Hirndrucksteigerung fehlen
    • (einseitige) Pupillendilatation (Mydriasis)
    • Beuge- und Strecksynergismen (cave: nicht mit epileptischem Anfall verwechseln)
    • fehlendes Puppenaugenphänomen = fehlender okulozephaler Reflex, bei dem durch eine rasche Kopfrotation überprüft wird, ob die Augen die Blickrichtung halten (physiologisch); Cave: HWSVerletzung vermutet, dann Prüfung kontraindiziert
    • Cushing-Trias als spätes Zeichen: arterielle Hypertonie, Bradykardie, Hypopnoe/Apnoe

Diagnostik und Therapie

  • Beurteilung der Bewusstseinsstörung nach dem Glasgow Coma Scale; Limitationen dieses Testes müssen berücksichtigt werden
    • leichtes SHT – GCS von 13 – 15
    • mittelschweres SHT – GCS von 9 – 12
    • schweres SHT – GCS von ≤ 8
PunkteAugen öffnenverbale Antwortmotorische Antwort
6Spontanmotorik
5brabbelt, plappertAbwehr bei Berührung
4spontanirritables SchreienAbwehr bei Schmerzreiz
3auf AnsprachSchreien auf
Schmerzreiz
abnorme Beugereaktion
2auf SchmerzreizStöhnen, Jammern
auf Schmerzreiz
abnorme Streckreaktion
1kein Augenöffnenkeine Antwortkeine Antwort
Quelle: https://register.awmf.org/assets/guidelines/024-018l_S2k_Schaedel-Hirn-Trauma-Kinder-Jugendliche-SHT_2022_11.pdf
  • Erhebung der Vitalparameter, Erkennung schwerwiegender assoziierter Begleitverletzungen, Beurteilung des Bewusstseins (GCS, AVPU), motorischer Asymmetrien und der Pupillomotorik
  • seitendifferente Reaktion (Hemiparese) ist per se ein klinisches Zeichen für akute Hirnschädigung, gleiches gilt für
    • Beuge- / Streckkrämpfe: Schädigung im rostralen Mittelhirn, Dekortikationshaltung mit erhöhtem Muskeltonus der Beuger der oberen und Strecker der unteren Extremitäten, kombiniert mit Beugung im Handgelenk und Supination; entspricht in der motorischen GCS M3; häufig kombiniert mit Cheyne-Stokes-Atmung und engen Pupillen
    • Streckkrämpfe: Schädigung weiter kaudal; Dezerebrationshaltung, erhöhter Muskeltonus der Strecker der Extremitäten, verbunden mit Handgelenksstreckung und Pronation; entspricht in motorischer GCS M2; spricht für Verletzung des Hirnstamms im Bereich des kaudalen Mesenzephalons
  • fehlende Reaktion mit schlaff-atonischer Haltung und Schnappatmung spricht für Läsion im Bulbärhirn bzw. HWS Verletzung
  • ein – oder beidseits weit fixierte Pupillen bei bewusstlosen Patienten sind klinische Zeichen einer unmittelbar lebensbedrohlichen Hirnschädigung
    • bei Anisokorie mit einseitig weiter Pupille ist beim SHT bis zum Beweis des Gegenteils von Schädigung des Hirnstamms oder im Verlauf des Nervus oculomotorius auszugehen
  • neurologische Kurzuntersuchung fokussiert auf:
    • Bewusstseinslage (Bewusstseinsklarheit, Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit) inklusive GCS
    • seitengetrennte motorische Antwort auf Schmerzreize zur Erkennung von Hemiparese, abnormer Haltungsmuster (Dekortikation, Dezerebration) oder fehlender motorischer Reaktion
    • Hirnstammreflexe: Pupillenweite, Lichtreaktion (Lichtreaktion: auch HN II beteiligt, Edinger WestphalKern im Mesenzephalon (Teil des Hirnstamms), sowie Hirnnerv III)
    • liegt keine Bewusstlosigkeit vor, sind zusätzlich Orientierung, Hirnnervenfunktion, Koordination und Sprachfunktion zu erfassen
  • bei bewusstlosen Patienten (schweres Schädel-Hirn-Trauma) sowie bei Apnoe oder Schnappatmung (f<6/min) und bei Vorliegen von Begleitverletzungen mit hämodynamischer Instabilität und/oder therapierefraktärer Hypoxie (SpO2 < 90%) prähospital Atemwegsicherung (tracheale Intubation oder Alternativen) und Beatmung inklusive Notfallnarkose
  • Durchführung tracheale Intubation nur durch einen versierten und erfahrenen Anwender; als Alternativen stehen Beutel-Masken-Beatmung und Larynx-Maske zur Verfügung
  • folgende systolische Blutdrücke sollten prähospital min. zur Vermeidung einer arteriellen Hypotension angestrebt werden:
    • 0 – 28 Tage: ≥ 60 mmHg
    • Säuglinge (<1 Jahr): > 70 mmHg
    • 1 – 10 Jahre: > 70 + 2x Alter mmHg)
    • > 10 Jahre: > 90 mmHg
  • Normoventilation mit Normokapniebeim beatmeten Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma
  • neben klinischen Befund gibt die fokussierte Anamnese (Unfallhergang, Sturzhöhe, Fremdeinwirkung u. a.) Hinweise auf potentielle intrakranielle Verletzung
  • beim Auffinden eines bewusstlosen Kindes nach SHT sind folgende Maßnahmen vordringlich:
    • Atemwege freimachen
    • Atmung beurteilen
    • Indikation für Sauerstoffgabe und/oder tracheale Intubation bzw. Ventilation (BeutelMaske oder Larynxmaske) prüfen
    • Kreislauf beurteilen
    • Gefäßzugang i.v. oder intraossär legen
  • für weitere Versorgung des schädelhirnverletzten Patienten sind Angaben zum Unfallmechanismus, initialer Befund und weiterer Verlauf von großer Bedeutung; sobald die Versorgung des Patienten es erlaubt, sollen die Angaben schriftlich dokumentiert werden
  • Einweisung soll erfolgen bei einem GCS < 14 oder anderen Symptomen wie
    • andauernde Kopfschmerzen oder wiederholtes Erbrechen
    • neu aufgetretener Krampfanfall
    • otogene oder nasale Liquorrhoe
    • Hinweise auf Gerinnungsstörungen
    • undulierende oder fortschreitende Symptomatik
    • Kindesmisshandlung oder vital bedrohliche Begleitverletzungen
    • Bewusstlosigkeit ≥ 5 Sekunden
    • schwerem Unfallmechanismus
    • Schädelfrakturen
    • zunehmendem Kopfumfang
    • gespannter Fontanelle
    • Sonnenuntergangsphänomen oder Pupillendifferenz
  • im Zweifel (insbesondere bei Kleinkindern) ist die Indikation zur Einweisung großzügig zu stellen
  • spätestens bei anhaltender Bewusstlosigkeit (GCS <9), einer zunehmenden Eintrübung (Verschlechterung einzelner GCSWerte), Pupillenstörung, Lähmung oder zerebralen Anfällen Verlegung in eine Klinik mit (Kinder)-neurochirurgischer und Kinder-intensivmedizinischer Expertise
Published inLeitlinien kompakt

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