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Leitlinie „Diagnostik und Therapie der akuten Querschnittlähmung“ der DGN

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)
Klassifikation gemäß AWMF: S3
Datum der Veröffentlichung: 25.09.2024
Ablaufdatum: 24.09.2029
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-070

Grundsätzliches

  • Querschnittlähmung (QSL) = Folge einer traumatischer oder nicht-traumatischer Schädigung des Rückenmarkes und/oder der Cauda equina
  • Definition über die Dauer einer akuten QSL international nicht einheitlich (häufig das Zeitfenster als “Management Acute Care”, erste 72 Stunden, definiert)
  • Schädigung betrifft kombiniert oder isoliert motorische (Lähmung, Spastik, Atrophie), sensorische (gestörte Oberflächen- und Tiefensensibilität, Schmerz- und Temperaturwahrnehmung, neuropathischer Schmerz) und vegetative (Störung von Harnblasen-, Darm und Sexualfunktion und der Kreislauf- und Körpertemperaturregulation) Funktionen
  • jährliche Inzidenz traumatischer QSL in industrialisierten Ländern bei rund 20, in Deutschland laut aktuellen Zahlen bei etwa 16 Fällen pro 1.000.000
  • Inzidenz nicht-traumatischer QSL in Europa schwankt zwischen 10 und 60

Empfehlungen

  • klinische Diagnose
    • Untersuchung der Dermatome und Myotome aller funktionellen Rückenmarkssegmente (bzw. ihrer Spinalnerven i.B. der Cauda equina), unterscheidet – seitengetrennt und in kranio-kaudaler Richtung- die Zonen mit ungestörter, mit erhaltener und mit komplett erloschener sensomotorischer Funktion
    • Basis für eine objektive und reliable Verlaufsbeurteilung bilden klinisch-neurologische Untersuchung und Klassifikation entsprechend dem internationalen Standard zur Klassifikation einer QSL (ISNCSCI), sobald der/die Patient*in wach und kooperativ ist (zumindest enthalten sein sollen der Neurological Level of Injury, die ASIA Impairment Scale und die Zone of Partial Preservation)
  • Rettungs- & Bergungskette / prähospitales Management
    • gezielte körperliche Untersuchung, inkl. der Wirbelsäule und der damit verbundenen sensomotorischen Funktionen bei Menschen mit einem „schweren“ Trauma
    • schonender und schnellstmöglicher Transport in ein qualifiziertes überregionales Traumazentrum (überregionales Traumazentrum oder ein mit Querschnittlähmung erfahrenes regionales Traumazentrum) mit vollumfänglicher interdisziplinärer Versorgungskompetenz bei V.a. Querschnittlähmung am Unfallort
  • Schockraummanagement
    • Schockraummanagement ist in S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung (AWMF Reg.-Nr.: 187-023) umfangreich beschrieben und erfolgt in entsprechend qualifiziertem Traumazentrum A
    • Durchführung eines MRT in der Akutversorgung vor der operativen Versorgung bei Menschen mit einer akuten Querschnittlähmung und Wirbelsäulenverletzung
    • operative Versorgung bei traumatischer QSL von qualifiziertem Wirbelsäulenteam möglichst zeitnah und spätestens 24 h nach Unfall, sobald die Vitalparameter stabilisiert wurden
  • Management und Versorgung der Begleitverletzungen
    • Versorgung von Extremitätenverletzungen unabhängig eines neurologischen Defizites und der Höhe der akuten traumatischen Querschnittlähmung mit dem Ziel einer bestmöglichen Funktionalität und Mobilität nach AO-Kriterien
  • neuroprotektive & neuroregenerative Therapie
    • keine medikamentöse Behandlung mit Methylprednisolon im Akutstadium der traumatischen Querschnittlähmung
    • kein Einsatz pharmakologischer (nicht Steroid-basierte) Therapien mit dem Ziel der Verbesserung der neurologischen/funktionellen Erholung zur Behandlung der akuten traumatischen Querschnittlähmung
  • nicht-traumatische Querschnittlähmung
    • klinisch-neurologische Untersuchung, die die Schädigungshöhe und den Schweregrad beinhaltet, im Rahmen der Diagnosestellung einer nicht-traumatischen Querschnittlähmung
    • auf Grund der unsicheren Evidenz keine Empfehlung für endovaskuläre Revaskularisierung, Liquordrainage und systemische Steroidtherapie bei akuter nicht-iatrogener spinaler Ischämie
  • Management neurogener Schock & Hypotonie (neurogen & orthostatisch)
    • neurogener Schock = hämodynamische Veränderungen im Rahmen des spinalen Schocks mit den Symptomen Hypotonie, Bradykardie & Hypothermie (auch bekannt als klassische Trias des neurogenen Schocks; CAVE: seltene Komplikation ist das neurogene Lungenödem)
    • Ziel-MAD in den ersten 2 – 3 d (max. 7 d) zw. 70 – 90 mmHg bei traumatischer Querschnittlähmung
    • bevorzugter Vasopressor: Noradrenalin
    • zusätzlich Dobutamin bei Querschnittlähmung und verminderter kardialer Ejektionsfraktion, um angestrebten MAD zu erreichen
  • kardiovaskuläres Management: Bradykardie, Arrhythmien & Herzstillstand
    • Gefahr von Bradyarrhythmien und Sinusbradykardien durch Ausfalls der sympathischen Versorgung von Th1 – Th4 bei vielen tetraplegischen Patient*inne im Akutstadium (initialer Sinusarrest und damit ggf. Herzkreislaufstillstand selten)
    • Bradykardie bessert sich meist nach Phase des spinalen Schocks (CAVE: bei Manipulationen an Patient*innen, wie z.B. bei trachealem Absaugen, Intubation oder Bronchoskopie)
    • Akuttherapie bei Bradykardien mit Atropin i.v. in Dosierung von mind. 0,5 bis max. 3 mg (Einsatz eines temporären/permanenten Herzschrittmachers ist nur selten erforderlich)
  • Sonstiges
    • frühzeitige psychologische Untersuchung und ggf. Begleitung im Sinne einer Krisenintervention bei Menschen mit einer akuten Querschnittlähmung
    • Thromboseprophylaxe (niedermolekulares Heparin oder unfraktioniertes Heparin) unter Berücksichtigung möglicher Blutungsrisiken (postoperativ) so früh wie möglich
    • bei akuter Querschnittlähmung und Beatmungsnotwendigkeit umfangreichen respiratorischen Management mit Anpassung der Beatmungsvolumina, Lagerung und Positionierungsstrategien, Atemtraining und Sekretmanagement
Published inLeitlinien kompakt

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