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Leitlinie „Gefäßzugänge bei der Erstversorgung von erwachsenen Notfallpatienten im Schockraum“ der DGAI, DGIIN, DGINA, DGNI & DGU

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI), Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizi (DGINA), Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) & Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU)
Klassifikation gemäß AWMF: S1
Datum der Veröffentlichung: 11.03.2025
Ablaufdatum: 10.03.2030
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/001-051

allgemeine Empfehlungen

Indikation

  • Etablierung periphervenöser Zugänge, die eine sichere Applikation von Medikamenten und eine Abnahme von Proben für die Labordiagnostik ermöglichen
  • Verwendung von vom Rettungs- und Notarztdienst gelegter (venöser und arterieller) Zugänge nach Prüfung
  • min. zwei großlumige periphervenöse Zugänge etablieren
  • Anlage i.o.-Zugang bei unmittelbarer vitaler Bedrohung ohne Etablierbarkeit periphervenöser Zugänge
  • ZVK-Anlage, wenn insuffiziente periphervenöse Zugänge bei gleichzeitig absehbar instabiler Kreislaufsituation vorliegen, die eine unmittelbare medikamentöse Stabilisierung und Volumentherapie erfordern
  • ZVK-Anlage auch unmittelbar im Anschluss an die initiale bildgebende Diagnostik (z.B. CT), wenn nach erfolgter Stabilisierung über periphervenöse Zugänge weiterhin ein ausgeprägter Vasopressorbedarf besteht
  • keine Verzögerung der initialen Diagnostik (z.B. CT) durch ZVK-Anlage bei kompensierten Kreislaufverhältnissen
  • invasive arterielle Blutdruckmessung bei kritisch kranken/schwerverletzten Patient*innen (CAVE: Parallelisierung von Abläufen, wie die gleichzeitige Anlage einer invasiven arteriellen Blutdruckmessung, eines ZVK, Blutabnahme, körperliche Untersuchung des Patienten und die Vorbereitung der anschließenden Therapie optimiert die Effizienz der Behandlungsprozesse)

Hygiene

  • Einhaltung hygienischer Standards und Asepsis von entscheidender Bedeutung zur Reduktion des Infektionsrisikos im weiteren Behandlungsverlauf (KRINKO-Empfehlungen)
  • Einhaltung hygienischer Vorgaben des RKI bei der Anlage von Gefäßzugängen unter Beachtung des jeweiligen Kathetertyps
  • schnellstmögliche Entfernung (spätestens nach 24 h) von Gefäßzugängen, die unter eingeschränkter Asepsis etabliert wurden, und Anlage neuer Zugänge an anderer Stelle

Sonografie und Punktion

  • Sonografie kann Punktionserfolg bei Patient*innen mit schwierigem peripheren Venenstatus verbessern
  • zentrale Gefäße zur ZVK-Anlage wann immer möglich Sonografiegestützt punktieren
  • regelmäßiges Training der Techniken der Landmarken-gestützten Punktion, v.a. in Nicht-Notfallsituationen, im interprofessionellen Team
  • Sonografie kann Punktionserfolg bei der Anlage von arteriellen Kathetern erhöhen

Lagekontrolle und Funktionstest

  • periphervenöse Zugänge vor Nutzung mittels steriler NaCl 0,9% angespülen und auf Leckage bzw. Paravasat prüfen
  • alle ZVK-Lumen vor Nutzung auf einwandfreie Aspirierbarkeit und Anspülbarkeit prüfen
  • arterielle ZVK-Fehllagen können durch Anschluss an Drucksystem und Ableiten einer arteriellen Druckkurve erkannt werden
  • Katheterspitzen thorakozervikaler ZVK können bei Vorliegen eines Sinusrhythmus mittels endovaskulärem EKG verifiziert werden
  • zentralvenöse Katheterlage kann bettseitig mittels TTE und Gabe eines Flüssigkeitsbolus über ZVK verifiziert werden („rapid atrial swirl sign“)
  • Akutdiagnostik (z.B. Polytrauma-CT) kann zur Verifizierung einer korrekten ZVK-Lage genutzt werden
  • arterielle Katheter sollen ebenfalls einwandfrei aspirierbar und anspülbar sein und typische arterielle Druckkurve generieren (CAVE: BGA aus liegendem Zugang ist im Sinne einer möglichen arteriellen oder venösen Fehlposition keine absolut sichere Lagekontrolle; Sowohl aus einem periphervenösen Zugang und ZVK kann bei einer Hyperoxygenierung der arterielle Sauerstoffpartialdruck (paO2) fehlleitend sein (falsch hoch erscheinend), wie auch unter kardiopulmonaler Reanimation eine BGA aus dem arteriellen Zugang bei entsprechend schlechter Oxygenierung (falsch tief erscheinend))

Fixation und Sicherung

  • alle Gefäßzugänge grundsätzlich sicher fixieren
  • spezielle Fixiersets der Hersteller einem Eigenbau an Fixierungen vorziehen, v.a. bei großlumigen Kanülen (z.B. ECMO Kanülen und/oder ZVK)
  • alle ZVK sowie femoral-arterielle Zugänge durch Naht sichern
  • Katheter in distalen Arterien (i.d.R. A. radialis) nicht standardmäßig annähen
  • beim ZVK obligatorische Sicherungsnaht an den Verteilerösen des Katheters und nicht nur an den Klemmen
  • ZVK-Einführtiefe auf dem Verband und im Schockraumprotokoll dokumentieren

mechanische Komplikationen

  • gesamten Anlagevorgang sowie ggf. Punktionsschwierigkeiten und mechanische Komplikationen schriftlich dokumentieren und protokollieren
  • EXKURS – Kriterien für kontinuierliche Verabreichung von Katecholaminen und Vasopressoren über peripheren Venenzugang
    • ZVK-Anlage unverhältnismäßig oder nicht möglich, v.a. bei Reanimation
    • Existenz eines sicher im Gefäß liegenden periphervenösen Zugangs, der ausschließlich der kontinuierlichen Vasopressorgabe dient
    • Verabreichung von Katecholaminen in niedriger Konzentration (z.B. Noradrenalin 0,01 – 0,02 mg/ml)
    • Verfügbarkeit eines ruhig liegenden und für Kontrollen jederzeit zugänglichen Infusionsarms
      • Bei katecholaminpflichtigen Patienten kann eine kontinuierliche Verabreichung von Vasopressoren über einen sicher intravasal liegenden periphervenösen Zugang erfolgen.
      • Besteht nach erfolgter Stabilisierung über periphervenöse Zugänge weiterhin ein ausgeprägter Vasopressorbedarf, kann eine ZVK-Anlage auch unmittelbar im Anschluss an die initiale bildgebende Diagnostik (z.B. CT) erfolgen.

Konzepte für häufige Notfallsituationen

schwerverletzte Patient*innen/Polytrauma

  • zwei PVK für initiale Schockraumversorgung, inkl. Ganzkörper-CT, ausreichend
  • Anlage i.o.-Zugang, wenn PVK nicht zügig etabliert werden kann
  • Kontrolle & Steuerung der Beatmung polytraumatisierter Patient*innen durch engmaschige arterielle BGAs
  • kontinuierliche RR-Messung über intraarteriellen Katheter (CAVE: keine Verzögerung von lebensrettenden und diagnostischen Maßnahmen)
  • keine Verzögerung der Notfalldiagnostik durch erweiterte Gefäßzugänge wie ZVK oder invasive arterielle RR-Messung
  • ZVK-Anlage über die V. jugularis interna ist bei Vorhandensein einer HWS-Immobilisation nicht praktikabel
  • ZVK über die V. subclavia auf der verletzten/drainierten Seite bei schweren Thoraxverletzungen oder bereits liegender Thoraxdrainage sinnvoll
  • abhängig von Beckengurtlage kann V. femoralis-Katheter gelegt werden und ggf. simultane Punktion der A. femoralis bei bereits vorhandener steriler Abdeckung erfolgen
  • beim Einsatz eines REBOA-Systems sollten Standards zur Punktion und Schleusengröße beachtet werden
  • Gefäßzugang ultraschallgestützt oder chirurgisch (Cut-Down) bei Patient*innen in extremis, bei denen der Leistenpuls nicht tastbar ist
  • Anlage von ZVK und invasiver arterieller RR-Messung/transpulmonaler Thermodilution je nach Kreislaufstabilität und Verbrennungsausmaß bereits im Schockraum/Aufnahmebad

Patient*innen mit kardiovaskulären Notfällen und respiratorischer Insuffizienz

  • in der Initialphase zwei großlumige periphervenöse Zugänge bei respiratorischer Insuffizienz oder kardiovaskulären Problemen (i.d.R. ausreichend für sichere Notfallnarkose oder kontinuierliche Applikation vasoaktiver Substanzen wie z. B. Glyceroltrinitrat, Dobutamin)
  • ZVK-Anlage soll notwendige Differentialdiagnostik (z.B. 12-Kanal-EKG, POCUS, CT) und Therapie nicht verzögern, da viele (Verdachts-) Diagnosen zeitkritisch sind und eine sofortige Intervention erfordern (z.B. Herzkatheter, NIV etc.)
  • ZVK-Anlage zur längerfristigen Aufrechterhaltung einer Sedierung und/oder bei längerfristiger oder hochdosierter Therapie mit vasoaktiven Substanzen sinnvoll (CAVE: Verzicht auf Punktion der V. subclavia zur Vermeidung eines iatrogenen Pneumothorax bei respiratorischer Insuffizienz)
  • Indikation zur Punktion der V. jugularis interna ist bei respiratorisch kompromittierten Patient*innen mit ungesichertem Atemweg kritisch zu stellen, da durch hierfür erforderliche sterile Abdeckung i.d.R. der Kopf verdeckt ist und sowohl die visuelle Überwachung der Patient*innen als auch die Kommunikation/Interaktion mit den Patient*innen eingeschränkt ist –> wenn Punktion der V. jugularis, kann die Verwendung von sterilen Abdecktüchern mit durchsichtiger Folie dabei helfen, die Position des Kopfes besser zu kontrollieren und Patient*innen mit Platzangst ein Raumgefühl zu vermitteln
  • femorale Doppelpunktion der ipsilateralen Arterie und Vene unter Notfallbedingungen praktikable Option (CAVE: innerhalb von 24 h Prüfung auf hygienische Aspekte und ggf. Entfernung)

Neurotrauma, Vigilanzminderung und zerebrovaskuläre Ereignisse

  • Anlage eines ZVK oder eines invasiven arteriellen Zugangs darf die Bildgebung bei SHT, unklarer Vigilanzminderung, zerebraler Ischämie oder ICB nicht verzögern
  • bei zerebraler Ischämie und (vmtl.) anstehender Thrombektomie ist die Anlage einer arteriellen Blutdruckmessung oder eines ZVK in der rechten Leiste zu vermeiden
  • Lagerung mit 15 – 30° angehobenem Oberkörper bei erhöhtem ICP (CAVE: sollte auch bei notwendiger ZVK-Anlage beibehalten werden)
  • Parallelisierung von Abläufen bei Patient*innen mit zerebralen Ischämien oder intrakraniellen Blutungen, z.B. Anlage von Kathetern und die Vorbereitung weiterer Therapiemaßnahmen wie Thrombektomie oder Ventrikeldrainage
  • Punktion der V. subclavia nur in Betracht ziehenn, wenn keine systemische Thrombolyse angewendet wird

Sepsis und Multiorgandysfunktion

  • zeitnahe Anlage arterieller Katheter bei vasopressorpflichtigen Patient*innen
  • Flüssigkeitstherapie sollte durch arterielle und zentralvenöse Kontrollen erfolgen
  • ggf. schon im Schockraum Anlage von Dialysekatheter zur schnellen Initiierung einer Nierenersatztherapie bei manifester Sepsis, Hyperkaliämie und/oder akutem Nierenversagen oder Multiorgandysfunktion

Herz-Kreislauf-Stillstand

  • für primäre Durchführung einer kardiopulmonalen Reanimation im Schockraum sind periphervenöse Zugänge zur Applikation von Medikamenten nach den ERC-Leitlinien ausreichend
  • i.o.-Zugang stellt Alternative zum periphervenösen Zugang bei der kardiopulmonalen Reanimation dar (CAVE: es gibt jedoch Studien, die ein schlechteres neurologisches Behandlungsergebnis bei der Verwendung des i.o.-Zugangs zeigen)
  • Berücksichtigung hausinternen Standards bzgl. der zu kanülierenden Gefäße bei Entscheidung zur eCPR
  • Patient*innen, die nach oder unter laufenden Reanimationsmaßnahmen im Schockraum vorgestellt werden, sollten bei Vorhandensein von suffizienten periphervenösen Zugängen primär eine invasive arterielle Blutdruckmessung erhalten.
Published inLeitlinien kompakt

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