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Leitlinie „High Bilateral Amputations and Dismounted Complex Blast Injury“ des JTS

veröffentlichende Fachgesellschaft: Joint Trauma System – Department of Defense Center of Excellence for Trauma (JTS)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 05.08.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://jts.health.mil/assets/docs/cpgs/High_Bilateral_Amputations_Dismounted_Complex_Blast_Injury_05_Aug_2024_ID22.pdf

Grundsätzliches

  • Dismounted Complex Blast Injury (DCBI) = Explosionsverletzung durch Tritt auf improvisierte Sprengsätze (IED) oder vergrabenen Sprengstoff ODER Explositionsverletzung durch Aufenthalt in der Nähe davon
  • typische DCBI-Verletzungsmuster sind z.B.
    • bilaterale (i.d.R. proximale) Amputationen der unteren Extremitäten
    • Verletzungen von Becken und Damm (inkl. Hoden- & Penisverletzungen)
    • oftmals Amputation/Verletzung der oberen Extremitäten
    • offene Beckenfrakturen
    • Wirbelsäulenfrakturen (häufiger an LWS oder Sakralwirbel als Folge einer axialen Belastung der unteren Extremitäten)
    • thorakal-abdominale Verletzungen, wenn auch weniger wahrscheinlich (müssen aber durch Bildgebung ausgeschlossen werden)
  • Patient*innen mit DCBI sind eine der schwierigsten chirurgischen Patient*innengruppen (hohe Inzidenz physischer & psychischer Morbidität sowie hohe Mortalität) –> Überleben hängt von schneller Blutstillung und massiver Transfusion ab, die innerhalb von < 40 min durch gute Protokolle erfolgen muss
  • laut DoD-Daten aus den USA > 385 Verletzte zw. 2010 bis 2021 mit beidseitigen Amputationen der unteren Extremitäten durch DCBI und in den ersten 24 h rund 45 Einheiten an Bluttransfusionen
  • bei langen Vor Ort-/Transportzeiten, v.a. ohne Gabe von Vollblut prähospital, sterben die Patient*innen noch vor Eintreffen in Behandlungseinrichtung (MTF Rolle 2 oder 3)

initiale Maßnahmen

Vorgehen gemäß TAROT-Schema:

  • T – Tourniquet: Anlage an allen verletzten Extremitäten zur Blutstillung, Beckenbinde bei instabilem Becken (Tourniquets regelmäßig überprüfen)
  • A – Access (Zugang): i.o.-Zugang in Humeruskopf oder Sternum (CAVE: Verrutschen von i.o.-Zugang, deshalb nicht nur auf i.o.-Zugang verlassen) –> sicherer großlumiger i.v.-Zugang intravenöser Zugang ODER ZVK (8,5 Fr) über Vena jugularis interna oder Vena subclavia an Hals oder unverletzter oberer Extremität (FIRST RULE: bester Zugang ist der, der am schnellsten gelegt ist)
  • R – Resuscitation (Massentransfusionsprotokoll)
  • O – Operativer Eingriff: proximale Gefäßkontrolle mittels Thorakotomie bei Aortenverschluss (Cross Clamp) oder REBOA –> OP zur Beckenstabilisierung, Blutstillung an den Extremitäten, Debridement von devitalisiertem Gewebe, Entfernung grober Verunreinigungen
  • T – Temporäres prioritätenorientiertes Behandlungsmanagement (Damage Control Surgery, DCS): nur Schadensbegrenzung, Shunting verletzter Gefäße zur Wiederherstellung des Blutflusses, temporärer Verschluss des Abdomens)

–> nachfolgend zweites Débridement innerhalb von 24 Stunden

Massentransfusionsprotokoll

  • sofortige Bluttransfusion, sofern nicht bereits im Gange (Massentransfusionsprotokoll)
  • Vollblut ist kristalloiden Lösungen immer vorzuziehen
  • am besten Vollblut über Schnelltransfusionsgerät
  • gute Ausgangsformel: 8 Einheiten Vollblut für jede Amputation oberhalb des Knies (also 16 Einheiten Vollblut ODER 16 Einheiten Erythrozytenkonzentrat, 16 Einheiten GFP & 3 Einheiten Thrombozytenkonzentrat in den ersten 60 min nach Einlieferung; falls nicht vorhanden nächste Blutbank kontaktieren)

Reanimation

  • bei laufender Reanimation primär von Herzstillstand infolge des Blutverlusts ausgehen
  • Anlage von großvolumigen i.v.-Zugang ODER ZVK über Vena jugularis interna oder Vena subclavia (8,5 Fr)
  • Massentransfusionsprotokoll
  • Ausschluss von Herz-/Thoraxverletzungen mittels Ultraschall
  • beidseitige Thoraxdrainagen
  • proximale Gefäßkontrolle mittels Thorakotomie bei Aortenverschluss (Cross Clamp) oder REBOA
  • Überprüfung aller Tourniquets nach Stabilisierung des Blutdrucks
  • Intubation sobald Herztätigkeit vorhanden (CAVE: Vorrang der Intubation vor Wiederherstellung des Kreislaufs führt bei verblutenden DCBI-Patient*innen zu einem Herzstillstand

Blutungskontrolle vor OP und Stabilisierung

  • alle Tourniquets auf weiterhin sichere Blutungskontrolle prüfen –> i.d.R. nach Beginn der Transfusion und Verbesserung des Blutdrucks stärkeres anziehen
  • Vorgehen bei Verletzungen, welche zu proximal für Tourniquetanlage sind (CAVE: Vorgehen sollte Transport zur operativen Versorgung nicht verzögern
    • „Junctional Tourniquet“: Komprimierung der Oberschenkelgefäße durch Aufpumpen einer Druckkammer (zusätzlich auch als Beckenschlinge nutzbar)
    • „Abdominal Aortic & Junctional Tourniquet“ (AAJT): Kontrolle schwer behandelbarer Blutungen im Bereich von Aorta & Becken mittels Druckkammer zum Aufpumpen (i.d.R. präklinisch nicht bis sehr schwer realisierbar; oft Analgesie & Intubation notwendig)
    • Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta (REBOA): temporärer künstlicher Aorten-Verschluss durch Ballon, eingeführt über die Leistenarterie

Übersicht mit Empfehlungen

Bildquelle: https://jts.health.mil/assets/docs/cpgs/High_Bilateral_Amputations_Dismounted_Complex_Blast_Injury_05_Aug_2024_ID22.pdf
Published inLeitlinien kompakt

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