veröffentlichende Fachgesellschaft: New Zealand’s National Children’s Hospital (Starship)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 20.12.2024 & 08.01.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://starship.org.nz/guidelines/orofacial-problems & https://starship.org.nz/guidelines/maxillofacial-trauma-management-of-exsanguinating-haemorrhage-from-deforming
Grundsätzliches
- Atemwegsüberprüfung ist bei der Beurteilung von Gesichtsverletzungen aufgrund des Risikos einer Atemwegsobstruktion von größter Bedeutung –> Blut, Erbrochenes, Zahnfragmente und Fremdkörper im Mund sollten vorrangig beseitigt werden
- Blutungen aus Risswunden an der Kopfhaut und Frakturen im Mittelgesicht können stark sein –> sofortige Blutstillung durch lokalen Druck, Nähen oder Klammern sowie Reposition von Frakturen können erforderlich sein, um Blutungen zu stoppen
- kritische Blutung nach Mittelgesichtstrauma sind selten, aber potenziell lebensbedrohlich –> Behandlung umfasst rasche Intubation, Einlage von Nasentamponaden sowie HWS-Immobilisation, um weitere Deformierung des Mittelgesichts zu reduzieren/verhindern

initiales Management
- Vorgehen gemäß ABCDE-Schema im Sinne des Primary Survey
- c – critical Bleeding: kritische äußere Blutungen stoppen/kontrollieren
- A – Airway: Atemwegssicherung & HWS-Immobilisation
- B – Breathing: Sauerstoffzufuhr & Ventilation aufrechterhalten
- C – Circulation: Detektion & Stoppen von Blutungen sowie Wiederherstellung bzw. Aufrechterhalten der Perfusion/des Kreislauf
- D – Disability: Erkennen neurologischer Störungen & Verhinderung sekundärer neurologischer Schäden
- E – Exposure: Erkennen anderer Verletzungen, Vermeidung von Hypothermie, Aufrechterhalten der Euglykämie
- Vorgehen im Sinne des Secondary Survey
- wichtige anamnestische Aspekte: Verletzungsmechanismus, Sehstörungen, Epistaxis, Zahnfehlstellungen, Parästhesie/Schwächen im Gesicht (CAVE: nicht unfallbedingte Verletzung berücksichtigen/erwägen)
- Inspektion: Ort & Ausmaß von Hämatomen & Schwellungen; Asymmetrien; Enophthalmus; Proptosis; Hypoglobus; Gesichtsverformung
- Palpation der gesamten Gesichtsknochen (inkl. Stirnhöhlen, Orbitalränder, Nase, Oberkiefer, Jochbein, Jochbeinbögen & Unterkiefer) bzgl. Krepitation etc.
- Neurologie: Prüfung des Nervus facialis (einseitige Gesichtslähmung), des Nervus infraorbitalis (Verletzung führt zu Parästhesien der ipsilateralen Wange, der seitlichen Nasenoberfläche, der ipsilateralen Lippe, der oberen Schneidezähne und des zugehörigen Zahnfleischs) und des Nervus mentalis (Verletzung führt zu ipsilateraler Parästhesie der Wangenschleimhaut, der Unterlippe und der Haut des Kinns)
- Auge: Prüfung Sehschärfe, Prüfung Pupillen, Suche nach subkonjunktivalen und periorbitalen Hämatomen, Hyphemie etc.
- Nase: Suche nach Septumdeviation, Septumhämatom, nasaler Obstruktion und Liquorleck
- intra-orale Untersuchung: Suche nach Risswunden, Hämatomen Malokklusion & Trismus sowie nach Zahntraumata
- Ohren: Suche nach Hämatomen oder Risswunden, freiliegendem Knorpel, Schäden von Trommelfell und Hämotympanum
- wenn Stirn + Mittelgesicht (inkl. Augenhöhlen) verletzt –> Kopf-CT
Behandlung kritischer Blutungen bei Mittelgesichtstrauma mit Deformation
- kritische Blutung bei Mittelgesichtstrauma ist ein seltenes, aber potenziell lebensbedrohliches Ereignis
- mögliche Komplikationen
- Versagen bei der Sicherung der Atemwege
- Fehlpositionierung von Nasentamponadegeräten
- mögliche Verschlimmerung der damit verbundenen Frakturen im unteren Gesichtsbereich
- benötigte Ausrüstung
- Material für Intubation (auch Material für chirurgischen Atemweg)
- 2x Nasentamponade
- 2x Beißkeil (oder Alternative)
- Stiffneck
- Vorgehen
- Schritt 1 – Intubation (CAVE: schwierige Intubation aufgrund Verletzungen und Blutungen im Oropharynx
- Suction Assisted Laryngoscopy and Airway Denomination (SALAD)-Intubation
- Intubation in aufrecht sitzender Position erwägen
- vorher Maßnahmen für chirurgische Atemwegssicherung treffen
- Schritt 2 – jeweils eine Nasentamponade pro Nasenloch einführen, Cuff aber noch nicht aufblasen!!!
- vorher min. 30 sec in sterilem Wasser „einweichen“
- Nasentamponade parallel zum Boden der Nasenscheidewand oder entlang der oberen Seite des harten Gaumens in das Nasenloch des Patienten einführen
- CAVE: bei Schädelbasisfraktur besteht die Gefahr des Eindringens in intrakraniellen Raum
- Schritt 3 – Beißkeil o.Ä. auf beiden Seiten des Endotrachealtubus in Höhe der Backenzähne
- Ziel ist es, den harten Gaumen gegen den Unterkiefer zu stützen
- CAVE: bei Unterkieferfraktur besteht die Gefahr einer Frakturdiastase
- Schritt 4 – Stiffneck anlegen
- Schritt 5 – Cuff der Nasentamponade langsam aufblasen (nur mit Luft!)
- Schritt 1 – Intubation (CAVE: schwierige Intubation aufgrund Verletzungen und Blutungen im Oropharynx


spezifische Therapie
Nasenfraktur
- isolierte Nasenfrakturen sind eine der häufigsten Gesichtsverletzungen bei Kindern
- isolierte Nasenfraktur wird klinisch behandelt, und Bildgebung ist nur dann erforderlich, wenn die Sorge bzgl. anderer Verletzungen/Frakturen des Gesichts besteht
- Septumhämatom = einseitig oder beidseitig fluktuierende kirschrote Septumschwellung, die zu einem Verschluss der Nasenpassage führt
- Liquor-Rhinorrhöe = häufig einseitiges, kontinuierliches Nasentropfen von klarer Flüssigkeit („Halo-“ oder „Doppelring“-Zeichen als Nachweis für Liquor: Einzel-/Doppelring wenn Flüssigkeit auf Gaze getropft wird
- Therapie
- bei Epistaxis Nasenlöcher für 10 min fest zudrücken (CAVE: nicht den Nasenrücken) und Kind nach vorne beugen sowie Kühlung
- Indikationen für direkte HNO-Einweisung
- schwerwiegende Verletzung
- Vorhandensein oder V.a. Septumhämatom
- Vorhandensein oder V.a. Liquor-Rhinorrhöe
- Epistaxis, die trotz Maßnahmen nicht sistiert
- andere begleitende Gesichtsfrakturen (Oberkiefer, Jochbeinbogen)
- cCT als bildgebende Diagnostik
komplexe Naso-Orbital-Ethmoid-Fraktur (komplexe NOE-Fraktur)
- Fraktur des Nasenrückens und der Ohrmuscheln
- Transport in Klinik mit HNO und Kieferorthopädie
Fraktur des Jochbein-Maxillar-Komplexes (Tripod)
- komplexe Frakturen des Jochbeins und einer/mehrerer der Nähte mit Stirn-, Kiefer- oder Keilbein
- bei Kindern häufig keine operative Behandlung
- Symptomatik
- periorbitale Schwellung, Ekchymose
- subkonjunktivale Blutung
- Diplopie
- Enophthalmus
- Verlust und Abflachung des Jochbeinvorsprungs
- Epistaxis
- Parästhesien im Bereich des Nervus infraorbitalis
- Trismus
- Schmerzempfindlichkeit und Diastase an der fronto-zygomatischen Naht
- tastbare Vertiefung des infraorbitalen Randes und des Jochbogens
- Therapie
- Transport in Klinik mit Kieferorthopädie
- Patient*in darauf hinweisen, dass sie/er nicht die Nase schnäuzen darf
- Antibiotikaprophylaxe, wenn Kiefer- und/oder Siebbeinhöhle verletzt wurde (CAVE: bei isolierten Jochbogen- oder Orbitafrakturen sind keine Antibiotika erforderlich)
- Gabe abschwellender Nasentropfen
isolierte Orbitalfraktur
- häufig verursacht durch direkten Schlag mit rundem, stumpfem Gegenstand, z. B. Squash- oder Tennisball, Baseball oder Faust
- in 50 % der Fälle kommt es zu einer Verletzung des Auges
- bei Einklemmung aufgrund von Frakturen des Orbitabodens ggf. ausgeprägter okulokardialer Reflex (gleichzeitige Übelkeit und/oder Erbrechen, Bradykardie und/oder Hypotonie)
- CAVE: Entwicklung einer Proptosis, vermindertes oder verlorenes Sehvermögen und starke Orbitalschmerzen sind Merkmale einer retrobulbären Blutung (ophthalmologischer Notfall)
- Therapie
- Transport in Klinik mit Mund-, Kiefer- & Gesichtschirurgie (MKG) und Ophthalmologie
- Ausschluss von retrobulbärer Blutung
Oberkieferfraktur
- bei Kindern selten und i.d.R. Teil umfassenderer kranio-fazialer Verletzungen
- hohe Inzidenz von zusätzlichen Verletzungen der Halswirbelsäule
- Symptomatik
- beidseitige periorbitale Schwellung und Ekchymosen
- beidseitige subkonjunktivale Blutung
- infraorbitale Parästhesie
- tastbare Stufen an infraorbitalen Rändern und Schmerzempfindlichkeit an den fronto-zygomatischen Nähten
- abnorme Beweglichkeit des Oberkiefers
- drei typische Muster von Oberkieferfrakturen (Le Fort I, II, III)
- LeFort I – Abtrennung des Oberkiefers vom restlichen Gesichtsskelett mit beweglicher oberer Zahnreihe
- LeFort II – Abtrennung des Oberkiefers und der Nase vom restlichen Gesichtsskelett, sodass Oberkiefer und Nase beweglich sind
- LeFort III – Ablösung des gesamten Gesichtsskeletts vom Stirnbein und daraus resultierende Beweglichkeit des gesamten Gesichts bei der Untersuchung (kraniofaziale Disjunktion)
LeFort I

LeFort II

LeFort III

- Therapie
- Transport in Klinik mit Mund-, Kiefer- & Gesichtschirurgie (MKG)
- Versorgung sonstiger Begleitverletzungen
Unterkieferfraktur
- Symptomatik
- Schmerzen & Schwellung an der Bruchstelle
- eingeschränkte Mundöffnung
- Risse im Zahnfleisch
- bukkale und sublinguale Hämatome
- Zahnfehlstellung
- bewegliche dento-ossäre Segmente
- Parästhesien im Bereich des Nervus alveolaris inferior
- Blutung durch Riss der vorderen Wand des äußeren Gehörgangs aufgrund einer Kondylusverletzung
- Therapie
- Transport in Klinik mit Mund-, Kiefer- & Gesichtschirurgie (MKG)
- Holzspatel-Test (Patient*in auf Holzspatel beißen lassen und diesen dabei verdrehen –> wenn keine Fraktur vorliegt, ist Spateldrehung soweit möglich, dass dieser bricht ohne Schmerzen zu verursachen)
Verletzungen des Ohrs
- kleine traumatische Trommelfellperforationen (Perforation von weniger als 1/3 des Trommelfells): bei minimalem Hörverlust und ohne andere Ohrverletzungen ambulante Versorgung möglich
- Transprt in Klinik mit HNO-Abteilung bei mittelschwerem Hörverlust oder großen Trommelfelldefekten (dort Tonaudiogramm)
Risswunden im Gesicht
- einfache Risswunden
- Verschluss kleiner Risswunden (< 5 cm und nicht unter Spannung) mit Gewebekleber
- Verwendung von resorbierbarem Nahtmaterial, um (potenziell traumatische) Nahtentfernung zu vermeiden
- nicht resorbierbares Nahtmaterial innerhalb von 5 Tagen entfernen
- Risswunden so schnell wie möglich und idealerweise innerhalb von 24 h nach Verletzung schließen, spätestens aber nach bis zu 3 Tagen nach Verletzung
- tiefe/komplexe Risswunden
- Transport in Ophthalmologie bei Risswunde der Augenhöhle
- Transport in HNO-Klinik bei Risswunden am Ohr oder an der Nase (freiliegender Knorpel, Risswunden im Gehörgang, aurales Hämatom)
- Transport in Klinik mit HNO-Abteilung, plastischer Chirurgie und/oder Kieferorthopädie bei Risswunden im Mund (Störung Vermillion-Rand; Risswunde Zunge in voller Dicke; Lappeneinriss an Zunge mit klaffenden Wundrändern bei Zunge in Ruheposition)
- Risswunden so schnell wie möglich und idealerweise innerhalb von 24 h nach Verletzung schließen, spätestens aber nach bis zu 2 Tagen nach Verletzung
- Transport in Kinderchirurgie bei allen anderen Wunden im Gesicht, die nicht in der Notaufnahme versorgt werden können
- Tierbisse
- Bisswunden im Gesicht können durch Verschluss bessere kosmetische Wirkung erzielen, auch wenn dies das Infektionsrisiko erhöht
- Wunden vor Verschluss gründlich mit reichlich NaCl 0,9 % spülen
- Antibiotika-Gabe (First Line: Amoxicillin + Clavulansäure; Second Line: Cotrimoxazol + Metronidazol bei Penicillin-Allergie)
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