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Leitlinie „Suspected sepsis in people aged 16 or over: recognition, assessment and early management“ des NICE

veröffentlichende Fachgesellschaft: National Institute for Health and Care Excellence (NICE)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 19.11.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://www.nice.org.uk/guidance/ng253

„Think Sepsis, say Sepsis“

  • bei Personen mit Symptomen/Anzeichen einer möglichen Infektion an eine mögliche Sepsis denken
  • berücksichtigen, dass Menschen mit Sepsis unspezifische, nicht lokalisierbare Symptome haben können, z.B. sich unwohl fühlen und kein hohes Fieber haben
  • besonderes Augenmerk auf die von der Person selbst und den Angehörigen o.Ä. geäußerten Bedenken legen, z.B. auf Verhaltensänderungen
  • bei Personen mit V.a. Sepsis ist besondere Sorgfalt geboten, wenn die Anamnese schwierig zu erheben ist, z.B. bei fremdsprachigen Personen oder bei Personen mit Kommunikationsschwierigkeiten (wie Lernbehinderungen oder Autismus)
  • Personen mit V.a. Infektion untersuchen, um Folgendes festzustellen:
    • mögliche Infektionsquelle
    • Faktoren, die das Sepsisrisiko erhöhen
    • jegliche Anzeichen klinischer Besorgnis, wie etwa neu aufgetretene Verhaltens-, Kreislauf- oder Atmungsstörungen
  • Nutzung strukturierter Beobachtungsschemata, um Personen im persönlichen Gespräch zu beurteilen und das Risiko bei V.a. Sepsis einzuschätzen
  • Verwendung des nationalen Frühwarnsystems (NEWS2) zur Beurteilung von Frauen mit V.a. Sepsis, die schwanger sind oder kürzlich schwanger waren
    • alle 30 min bei diejenigen mit hohem Risiko einer schweren Erkrankung oder des Todes durch Sepsis
    • stündlich bei diejenigen mit einem mäßigen Risiko einer schweren Erkrankung oder des Todes durch Sepsis
    • alle 4 – 6 h bei Personen mit geringem Risiko einer schweren Erkrankung oder des Todes durch Sepsis
  • bei Patient*innen mit folgenden Symptomen neutropenische Sepsis vermuten
    • aktuelle systemische Krebsbehandlung oder in den letzten 30 Tagen
    • immunsuppressive Therapie

Risikofaktoren

  • Faktoren, die das Risiko einer Sepsisentwicklung oder einer verzögerten Diagnose erhöhen können
    • Alter > 75 Jahre
    • Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit
    • klinische Merkmale wie
      • Gebrechlichkeit
      • Multimorbidität oder schwere chronische Erkrankungen
      • geschwächtes Immunsystem aufgrund von Krankheit oder Medikamenten
      • OPs oder invasive Eingriffe in den letzten 6 Wochen
      • Dauerkatheter
      • wiederholte Antibiotikaeinnahme
      • Hautverletzungen
    • Kommunikationsschwierigkeiten, z.B. bei Menschen
      • mit Lernschwierigkeiten
      • mit kognitiver Beeinträchtigung
    • Drogen- oder Alkoholmissbrauch
    • soziale, wirtschaftliche oder ökologische Faktoren wie Obdachlosigkeit oder Leben in sozial benachteiligten Gebieten

Diagnostik & Untersuchung

  • Erhebung von Temperatur, HF, Puls, AF, RR, AVPU/WASB, SpO2 bei V.a. Sepsis
  • bei V.a. Sepsis körperliche Untersuchung bzgl. mamoriertem/aschfahlem Hautkolorit, Haut-/Lippen-/Zungenzyanose, nicht wegdrückbarer petechialer oder purpurischer Hautausschlag, Hautverletzungen (z.B. Schnitte, Verbrennungen oder Hautinfektionen) oder andere Hautausschläge, die auf eine mögliche Infektion hinweisen können
  • Abklärung der Miktionshäufigkeit in den letzten 18 h
  • Anamnese bzgl. kürzlich aufgetretenem Fieber oder Schüttelfrost

Interpretation der diagnostischen Ergebnisse

  • Fieber oder Unterkühlung allein reichen nicht aus, um Sepsis auszuschließen oder zu bestätigen
  • berücksichtigen, dass einige Patient*innengruppen mit einer Sepsis möglicherweise keine erhöhte Temperatur entwickeln, z.B.
    • ältere oder sehr gebrechliche Menschen
    • Menschen, die wegen Krebs behandelt werden
    • Menschen, die schwer an Sepsis erkrankt sind
    • Menschen mit einer Rückenmarksverletzung
  • berücksichtigen, dass ein Temperaturanstieg eine physiologische Reaktion sein kann, z.B. nach OP oder Trauma
  • Herzfrequenz bei V.a. Sepsis im Kontext interpretieren, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:
    • Ruheherzfrequenz kann bei jungen Menschen und fitten Erwachsenen niedriger sein
    • ältere Menschen mit Infektion entwickeln ggf. keine Tachykardie
    • bei älteren Menschen kann als Reaktion auf eine Infektion eher eine neue Herzrhythmusstörung als eine erhöhte Herzfrequenz auftreten
    • Herzfrequenzreaktion kann durch Medikamente wie Betablocker beeinflusst sein
  • Blutdruckwerte, sofern bekannt, im Kontext zu vorherigen Blutdruckwerte interpretieren (CAVE: normaler Blutdruck bei jungen Menschen schließt Sepsis nicht aus)
  • Bewusstsein & Kognition
    • kognitiven Zustand im Kontext der normalen Funktionsfähigkeit interpretieren und Veränderungen als bedeutsam werten
    • CAVE: Veränderungen der Kognition können subtil sein
    • berücksichtigen, dass eine erschwerte SpO2-Messung bei V.a. Sepsis auf eine verminderte periphere Durchblutung aufgrund eines Schocks hindeuten kann

Risikobewertung

hohes Risikomoderates bis hohes Risiko
Anamnese– objektive Hinweise auf neu aufgetretene Bewusstseinsstörungen– (Fremd)Anamnese über neu aufgetretene Verhaltens- oder Bewusstseinsveränderungen
– Vorgeschichte einer akuten Verschlechterung der Funktionsfähigkeit
– geschwächtes Immunsystem (Krankheit oder Medikamente, inkl. oraler Steroide)
– Trauma, Operation oder invasive Eingriffe in den letzten 6 Wochen
Atmung– Tachypnoe (AF > 25/min)
– erhöhter O2-Bedarf (FiO2 > 40 %) zur Aufrechterhaltung einer Sättigung > 92 % bzw. > 88 % bei bekannter chronischer hyperkapnischer respiratorischer Insuffizienz)
– erhöhte AF (21 – 24/min)
BlutdruckRRsys < 90 mmHg ODER RRsys > 40 mmHg unter NormalwertRRsys zw. 91 – 100 mmHg
Kreislauf– Puls > 130/min
– keine Miktion in den letzten 18 h (bei Patient*innen mit Katheter < 0,5 mL/kg Urin/h)
– Puls zw. 100 – 130/min
– keine Miktion in den letzten 12 – 18 h (bei Patient*innen mit Katheter 0,5 – 1 mL/kg Urin/h)
Temperaturtympanal < 36°C
Hautkolorit– marmorierte oder aschfahle Haut
– Haut-, Lippen- oder Zungenzyanose
– nicht wegdrückbarer petechialer oder purpurischer Hautausschlag
Anzeichen einer möglichen Infektion, inkl. Rötung, Schwellung oder Wundsekretion an der Operationsstelle oder Wundheilungsstörungen

Management

  • bei Einlieferung/Vorstellung Suche nach Infektionsquelle (Urinanalyse, Thorax-Röntgen, Bildgebung von Abdomen & Becken)
  • vor Antibiotika-Gabe mikrobiologische und Blutproben entnehmen
  • Laboruntersuchung (BGA, BZ, Laktat, großes Blutbild, CRP, Harnstoff, Elektrolyte, Kreatinin, Leberwerte, Gerinnungswerte)
  • unverzügliche Gabe eines Breitspektrum-Antibiotikums (innerhalb 1 h nach Berechnung des NEWS2-Scores bei Erstbeurteilung in der Notaufnahme oder bei Verschlechterung auf Station) entsprechend den bestehenden lokalen Leitlinien zur antimikrobiellen Therapie
  • unverzüglicher Flüssigkeitsbolus bei hohem Risiko für schwere Erkrankung oder Tod durch Sepsis (isotone VEL oder ggf. 0,95 NaCl; initialer Bolus von 250 mL über 10 – 15 min)
  • regelmäßiges Monitoring (mind. alle 30 min)
  • zweiten Flüssigkeitsbolus von 250 mL erwägen, wenn keine Besserung eintritt (max. 1000 mL)
  • ggf. Vasopressortherapie (auch peripher)
  • O2-Gabe (Ziel-SpO2 von 94 – 98 % bei Personen ab 18 Jahren bzw. 88 – 92 % bei Personen mit dem Risiko für eine hyperkapnische respiratorische Insuffizienz); bei Patient*innen < 18 Jahren O2-Gabe bei SpO2 < 92 %
Published inLeitlinien kompakt

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