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Leitlinie „Traumatic Brain Injury Management and Basic Neurosurgery in the Deployed Environment“ des JTS

veröffentlichende Fachgesellschaft: Joint Trauma System – Department of Defense Center of Excellence for Trauma (JTS)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 15.06.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1093/milmed/usae298

Grundsätzliches

  • bei ca. 1/3 aller traumabedingten Todesfälle in den USA kam es zu einer traumatischen Hirnverletzung
  • traumatische Hirnverletzungen sind die häufigste Todesursache im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen
  • 14 % der Verwundeten im Irak- & Afghanistan-Krieg hatten eine traumatische Hirnverletzung
  • bei 30 % der prähospitalen Todesfälle in den Jahren 2001 – 2011 und bei 45 % der Todesfälle im stationären Setting in den Jahren 2001 – 2009 war ein SHT die Todesursache

Klassifikation

  • SHT 1. Grades: GCS 13 – 15
  • SHT 2. Grades: GCS 9 – 12
  • SHT 3. Grades: GCS 3 – 8

Diagnostik

  • V.a. erhöhten ICP bei folgenden Kriterien, wenn CT nicht verfügbar:
    • GCS-Motorik (GCS-M) < 4
    • Pupillendifferenz
    • Pupillendifferenz im Intervall ≥ 2 mm
    • pathologische Pupillenreaktion
    • Verschlechterung des GCS-M um ≥ 1
    • neu aufgetretenes motorisches Defizit
    • Bluthochdruck mit Bradykardie
    • NPi <3 bei einem/beiden Augen
  • regelmäßige Dokumentation von GCS, fokalen neurologischen Defiziten sowie Pupillengröße & -reaktion (quantitative Pupillometrie, wenn verfügbar; Neurologic Pupillary Index/NPi <3,0 deutet auf abnorme/träge Pupillereaktion und damit auf erhöhten ICP hin)
  • cCT ohne Kontrastmittel so bald wie möglich bei V.a. SHT & veränderter Bewusstsein (GCS ≤ 12)
  • bei penetrierender Kopfverletzung zusätzlich zum cCT CT-Angio des Gehirns zum Ausschluss von Gefäßverletzungen
  • Nutzung des MACE2-Score zur Identifikation von Patient*innen mit SHT

Management

  • initial, falls notwendig, Versorgung lebensbedrohlicher Verletzungen oder Reanimation gemäß TCCC oder ATLS

Beatmung & Oxygenierung

  • etCO2 mit Ziel-PaCO2 von 35 – 45 mmHg oder Ziel-etCO2 von 35 – 45 mmHg (CAVE: keine Hyperventilation)
  • keine prophylaktische Hyperventilation (CAVE: verminderter zerebraler Blutfluss)
  • Hyperventilation ggf. bei V.a. Hernie zur ICP-Senkung erwägen bis andere Therapienmöglichkeiten möglich sind
  • Ziel-SaO2 > 93 % und Ziel-PaO2 von > 80 mmHg (CAVE: Vermeidung Hypoxämie während Lufttransport)

Lagerung

  • Lagerung des Kopfs um 30 – 45° erhöht oder umgekehrte Trendelenburg-Lagerung (CAVE: vorher Immobilisation der Wirbelsäule)
  • manuelle Inline-Stabilisation des Kopfes (zur Förderung des venösen Abflusses)
  • Vermeidung von Halskrausen und halsumschließenden Hilfsmittel zur Tubusfixierung

Flüssigkeitstherapie & Medikamente

  • bevorzugte Gabe von Blutprodukten im Rahmen der Flüssigkeitstherapie (CAVE: kein Albumin und HES)
  • Gabe von 2 g TXA bei Hinweisen auf mittelschweres/schweres SHT innerhalb von 3 h nach Verletzung
  • NaCl 0,9 % oder hypertone NaCl 3 % bei Verletzten ohne pathologischen GCS, wenn keine akute Flüssigkeitstheraspie aufgrund von Hypotonie oder größerem Blutverlust notwendig ist
  • keine Flüssigkeitstherapie mit hypotonen Lösungen (z.B. jede Infusion mit Glukose)
  • Ziel-RR von > 110 mmHg bei GCS ≤ 8 und Hypotonie (CAVE: RR < 90 mmHg ist am stärksten mit der Mortalität bei Hirntrauma assoziiert)
  • keine routinemäßige prophylaktische Antibiotikagabe bei isoliertem geschlossenen Kopfverletzungen
  • routinemäßige prophylaktische Antibiotikagabe bei penetrierenden Hirnverletzungen und offenen Schädelfrakturen (2 g Cefazolin i.v. alle 6 – 8 h ODER 600 mg Clindamycin i.v. alle 8 h, bei penetrierender Kopfverletzung und grober Verunreinigung zusätzliche Gabe von 500 mg Metronidazol i.v. alle 8 – 12 h erwägen)
  • keine Steroid-Gabe bei Patient*innen mit Hirnverletzungen
  • Gabe von Protonenpumpen-Inhibitor innerhalb von 12 h nach KH-Aufnahme

Sedierung

  • präklinisch lang anhaltende Sedierung vermeiden, um neurologische/-chirurgische Erstuntersuchung in Klinik zu gewährleisten
  • Propofol (CAVE: Hypotonie) & Ketamin (ICP-Senkung als Benefit) für Sedierung geeignet
  • wenn BTMs zur Analgesie notwendig sind, intermittierende BTM-Dosen einer Dauerinfusion vorziehen
  • keine routinemäßige Muskelrelaxanz-Gabe bei Patient*innen mit SHT (Vecuronium als BOLUS mit 0,08 – 0,1 mg/kg bevorzugt einsetzen; CAVE: Muskelrelaxanz-Gabe nur bei angemessener Sedierung im Rahmen von Hochrisikotransporten)

Therapie bei erhöhtem ICP ohne Neurochirurgie

  • 250 mL NaCl 3 % oder 30 cm3 NaCl 23,4 % als Bolus über 10 – 15 min über ZVK (bevorzugt über Vena subclavia, Femoralvene oder Jugularis interna)
  • sofern keine Neurochirurgie verfügbar Infusion mit 50 – 100 mL/h NaCl 3 % mit Ziel-Natrium-Spiegel von 150 – 160 mmol/L (CAVE: bei V.a. chronische Hyponatriämie Erhöhung des Plasma-Na um 3 – 5 mmol/L über 2 – 4 h)
  • kein Mannitol während der Initialtherapie, wenn anhaltende Blutung nicht auszuschließen ist, Hypotonie besteht oder bei allen Patient*innen mit Blutungsrisiko (Mannitol nur erwägen, wenn hypertone NaCl nicht verfübar und Gefahr einer drohenden Hernie besteht; 1 g/kg Mannitol als Bolus i.v.)

Krampfanfälle & Antiepileptika

  • Gabe von 1500 mg Keppra als Loading-Dose bei V.a. schweres SHT während der Erstuntersuchung oder innerhalb von 30 min, gefolgt von 1.000 mg Keppra 2x tgl. (alternativ 400 mg Lacosamid als Loading-Dose, gefolgt von 200 mg i.v. alle 12 h)
  • Anfallsprophylaxe nach mittelschweren/schweren SHT für 7 d lang fortsetzen (oder länger bei Anzeichen für Anfallsaktivität)
  • Rapid-Response- bzw. PoC-EEG zur Verhinderung sekundärer neurologischer Schäden
  • Gabe von 1 – 2 mg Lorazepam oder 5 – 10 mg Midazolam i.v. bei aktivem Krampfanfall (bevorzugt Lorazepam; wenn i.v.-Zugang nicht vorhanden ist Midazolam i.w. äquivalent wirksam wie Lorazepam i.v.)

Sonstiges

  • Hypo- & Hyperglykämie vermeiden (Messung alle 6 h; Ziel-BZ: <180 mg/dL)
  • Hyperthermie vermeiden bzw. behandeln (Ziel ist Normothermie)
  • neurochirurgische Vorstellung bei penetrierendem SHT, offener Schädelfraktur, moderate/schwere SHT sowie SHT UND nicht anders erklärbarem neurologischen Defizit

Erwägungen beim Lufttransport

  • Lufttransport bei SHT mit Höhenbeschränkungen und Kabinendruck von 5.000 Fuß (1.500 m)
  • ICP-Überwachung während Lufttransport empfohlen
  • verzögerter Lufttransport kann Outcome bei Patienten mit anhaltendem Flüssigkeitsbedarf oder Reanimation sowie ICB oder pathologischem GCS verbessern
  • keine Drainagen vor & während Lufttransport entfernen, blockieren etc.
  • Lagerung des Kopfs um 30 – 45° erhöht oder umgekehrte Trendelenburg-Lagerung aufgrund Gefahr von Pneumozephalus
  • TVT-Prophylaxe mind. in mechanischer Form an unverletzten Extremitäten bei allen Traumapatient*innen (med. Prophylaxe bei mittelschwerem bis schweren SHT & normalem Gerinnungsprofil nach unauffälligem cCT und am besten in < 24 h nach Verletzung)
  • CAVE: keine/vorsichtige TVT-Prophylaxe mit 30 mg Enoxaparin oder 5.000 I.E. Heparin s.c. nach 72 h nach Verletzung bei…
    • Polytrauma mit (Risiko für) Koagulopathie
    • Vorhandensein intrakraniellen Drainagen
    • min. 1 der SHT-Merkmale, das nach Norwood-Berne-Kriterien ein „hohes Risiko“ für Progression darstellt (Subduralhämatom ≥ 8 mm, Epiduralblutung ≥ 8 mm, größte einzelne Kontusion ≥ 2 cm, > 1 Kontusion pro Lappen sowie diffuse SAB/intraventrikuläre Blutung)
Published inLeitlinien kompakt

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