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Leitlinie „Treatment of Eye Injuries and Illnesses in the Wilderness“ der WMS (Update 2024)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Wilderness Medical Society (WMS)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 01.03.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1177/10806032231223008

Untersuchung & Ausrüstung

Ophthalmologische Untersuchungen im nicht-urbanen Milieu sind aufgrund des Fehlens spezieller Ausrüstung oftmals schwierig. Die nachfolgenden Utensilien und Medikamente gehören zur Ausrüstung:

  • Grundausstattung
    • Lichtquelle
    • Fluorescein-Streifen
    • Wattestäbchen
    • Büroklammer zum Zurückziehen des Lids
  • erweiterte Ausstattung
    • Augenschutz aus Metall (ggf. improvisiert)
    • Lupe
    • feine Pinzette
    • kleine Nadel, z.B. 23G oder 1-mL-Spritze
    • Ophthalmoskop (direkt)
    • Drahtspekulum für Lidretraktion
  • Basismedikamente
    • Augentropfen („künstliche Tränen“)
    • Erythromycin-Augensalbe 0,5 %
    • Proparacain-Tropfen 0,5 %
    • Schmerzmittel (oral)
  • erweiterte Medikamentenauswahl
    • Fluorchinolon-Augentropfen (z.B. Moxifloxacin 0,5 %)
    • Moxifloxacin (400 mg Tabletten)
    • Prednison (20 mg Tabletten)
    • Atropin-Augensalbe 1 %
    • Pilocarpin-Tropfen 2 %, Diamox (250 mg Tabletten), topische NSAR (z.B. Ketorolac-, Diclofenac- oder Bromfenac-Augentropfen)

Empfehlungen für die Evakuierung in der Wildnis bei Augenerkrankungen/-verletzungen

  • Indikationen zur Evakuierung (sofortige/notfallmäßige Transportindikation)
    • akuter Sehverlust (vollständig oder teilweise)
    • postseptale/orbitale Zellulitis
    • (V.a.) akuten Winkelblock bzw. akutes Engwinkelglaukom
    • Herpes-Keratitis
    • Hornhautgeschwür
    • Iritis (atraumatisch oder traumatisch)
    • Bulbus-Ruptur
    • Hyphema (Blutung in die vordere Augenkammer)
    • Einklemmungen/Sehveränderungen nach Trauma
    • komplexe Risswunden am Augenlid
    • Verletzungen/Erkrankung, die mit med. Ausrüstung/Ausbildung nicht zu behandeln sind
  • relative Indikationen zur Evakuierung (relative Transportindikation)
    • periokuläre Verletzungen
    • präseptale Zellulitis
    • komplizierte Bindehautentzündung
    • andere Keratitis/schwere UV-Keratitis
    • Hornhautabschürfung
    • Erfrierungen der Hornhaut
    • Netzhautblutung in großer Höhe
    • okuläres Barotrauma
    • Orbitafraktur ohne Einklemmung
    • andere Lidverletzungen
  • keine Indikationen zur Evakuierung (keine Transportindikation)
    • subkonjunktivale Blutung
    • einfache Bindehautentzündung
    • einfache UV-Keratitis
    • leichte Hornhautabschürfungen/-erfrierungen
    • einfache Netzhautblutung in großer Höhe
    • einfaches okuläres Barotrauma
    • einfache Risswunden

Therapie

Retinaler arterieller Verschluss (RAV) bzw. Central Retinal Artery Occlusion (CRAO)

  • ischämischer Schlaganfall der Netzhaut aufgrund von Thrombose oder Embolie
  • Therapie: O2-Gabe, hyperbare Sauerstofftherapie, EECP-Therapie (Enhanced External Counterpulsation), Pentoxifyllin-Gabe sowie Notfallevakuierung

retinaler Zentralvenenverschluss (Central Retinal Vein Occlusion, CRVO)

  • blockierter venöser Abfluss der Vena centralis retinae oder eines venösen Nebengefäßes aufgrund von Thrombose, externer Kompression oder Vaskulopathie
  • einhergehend mit schmerzlosem Sehverlust, i.d.R. bei Menschen > 50 Jahre
  • typische Symptomatik: bds. Miosis bei Lichteinfall ins gesunde Auge und bds. Mydriasis bei Lichteinfall ins betroffene Auge
  • Therapie: topische Steroid-Gabe sowie Notfallevakuierung

Netzhautablösung

  • Sehverlust oder Glaskörpertrübungen und helle Lichtblitze im Gesichtsfeld (Sehverlust oft als fester wolken- oder vorhangartiger Defekt im Gesichtsfeld beschrieben)
  • Sehverlust ist in der Regel schmerzlos und variabel in Abhängigkeit der Risslokalisation
  • Therapie: Notfallevakuierung

periokuläre Entzündungen

  • präseptale Zellulitis: Infektion, die auf den Raum vor der Augenhöhlenscheidewand beschränkt ist und das oberflächliche Gewebe um das Auge und die Augenlider umfasst (Schwellung und Entzündung des Augenlids ohne Beteiligung des Auges)
  • orbitale Zellulitis: umfangreichere Entzündung, die die Weichteile in der knöchernen Orbita (tief in der Orbitascheidewand) betrifft und zur Vorwölbung des Auges (Proptosis), Schwellung der Bindehaut (Chemosis), schmerzhaften Augenbewegungen und ggf. zu Sehstörungen führt
  • Dacrocystitis: Infektion des Tränensacks, die typischerweise durch eine Obstruktion des Tränenkanals entsteht, und zu einer Ansammlung von Tränen im Tränensack und einer anschließenden Infektion führt (Schmerz, Schwellung und Rötung über dem Tränenkanal)
  • Therapie: 875 mg Amoxicillin/125 mg Clavulanat oral, 2x tgl. für 10 d (wenn frustran, ggf. Fluorchinolone wie Moxifloxacin oral) sowie Notfall-Evakuierung bei orbitaler Zellulitis (relative Indikationen zur Evakuierung bei periorbitaler Zellulitis)

akutes Engwinkelglaukom

  • Blockade des Kammerwasserabflusses aus der vorderen Augenkammer mit konsekutiv erhöhtem Augeninnendruck
  • Symptomatik: starke Schmerzen, verschwommenes Sehen, Lichtschatten um Lichter herum, Kopfschmerzen und häufig Übelkeit & Erbrechen sowie nicht reagierende, mittelweite Pupille (4 mm bis 6 mm), verminderte Sehschärfe, „beschlagene“/“trübe“ Hornhaut & rotes Auge
  • Diagnostik: gespannter Bulbus bei vorsichtiger Palpitation bei geschlossenem Lid
  • Therapie: medikamentöse Therapie (Timolol 0,5 %, 2x tgl. 1 Tropfen ins betroffene Auge, 500 mg Acetazolamid 2x tgl. oral/i.v. & topisches Miotikum 1 h nach Gab der anderen Medikamente) sowie Notfallevakuierung zur finalen chirurgischen Therapie

nicht-traumatische Iritis (anteriore Uveitis)

  • Entzündung der Regenbogenhaut, die sich mit Symptomen wie Schmerzen, Rötung der Bindehaut, verschwommenes Sehen und Photophobie zeigt
  • Diagnostik: Photophobie im betroffenen Auge bei Lichteinfall
  • Therapie: topische Steroide (1%ige Augentropfen bei schwerer Iritis stündlich, bei leichter Iritis alle 4 h) ODER alternativ Steroide oral (40 – 60 mg Prednison), topische NSAR, kykloplegische & mydriatische Augentropfen sowie Notfallevakuierung

Herpes-Keratitis

  • Herpesinfektion des Auges (meist auch schon in der Vorgeschichte)
  • Symptomatik: dendritisches Färbemuster bei der Fluoreszeinuntersuchung
  • Therapie: orale oder ophthalmische Virostatika (z.B. Trifluridin oder Aciclovir) sowie Notfallevakuierung

Konjunktivitis

  • Entzündung der Bindehaut, die die häufigste Ursache für ein rotes Auge ist
  • häufigste Ursachen sind Allergien, Viren und Bakterien
  • Diagnostik: Bindehautentzündung betrifft immer die palpebrale Bindehaut und es muss unter das Augenlid geschaut werden, um diese Entzündung zu erkennen
  • Symptomatik allergische Bindehautentzündung: Juckreiz
  • Symptomatik bakterielle Bindehautentzündung: eitriger Ausfluss
  • Symptomatik virale Bindehautentzündung: eher wässriger Ausfluss
  • Therapie: topische oder systemische Antibiotika (z.B. 1 cm langes Band von Erythromycin-Salbe 3 – 4x tgl. für 7 d in den unteren Bindehautsack) sowie Händewaschen

Netzhautblutung in großer Höhe

  • Höhe kann Anstieg des Blutflusses in der Netzhaut bewirken und durch eine anschließende Erweiterung der Netzhautvenen zu Netzhautblutungen führen
  • Prozentsatz der Bergsteiger*innen, die Netzhautblutungen erleiden, liegt je nach Studie zwischen 0 – 79 %
  • i.d.R. verursachen Netzhautblutungen keine Sehstörungen, es sei denn, die Blutung betrifft die Makula
  • Therapie: Abstieg bei Visusveränderung/-problematik

okuläres und periokuläres Barotrauma (Tauchen)

  • Pathomechanismus: Luft in geschlossenem Raum wird komprimiert, wenn sie einem höheren Druck ausgesetzt ist, und wenn dies beim Tauchen mit Maske geschieht können Augenlider, die Haut und die Augen in die Maske hineingezogen werden
  • typische Verletzungsmuster: periorbitalen Ekchymosen, Ödemen, subkonjunktivalen Blutungen sowie Hyphema (Blutung in die vordere Augenkammer)
  • Therapie: Maskendruckausgleich zur Prävention sowie bei Hyphema Notfallevakuierung

periokuläres Trauma

  • z.B. Risswunden am Augenlid durch Stürze, Äste, Steine und Tierbisse
  • Augen- und periokuläre Traumata sind jährlich für ca. 3 % der Notaufnahme-Vorstellungen in Nordamerika verantwortlich
  • Therapie: Wundversorgung, antibiotische Augensalbe, Augenschutz sowie ggf. Notfallevakuierung bei komplexen Lidverletzungen

Orbitafraktur

  • Fraktur eines der 7 Gesichtsknochen, z.B. durch direkten Schlag auf das Gesicht oder die Augenhöhle
  • Orbitalfrakturen können in etwa 17 % der Fälle zu erheblichen Augenverletzungen mit anschließender Sehbehinderung führen
  • klinisch signifikante retroorbitale Blutung kann kompressive Optikusneuropathie verursachen und stellt einen echten ophthalmologischen Notfall
  • Therapie: Nasenschnäutzen vermeiden, Applikation abschwellender Nasenprays, Gabe systemischer Steroide sowie Notfallevakuierung bei Augenmuskeleinklemmung oder Visusstörung

retroorbitale Blutung

  • Therapie: laterale Kantholyse (chirurgische Freilegung der lateralen Kanthalsehne bei orbitalem Kompartmentsyndrom) sowie Notfallevakuierung

Bulbusruptur („offener Augapfel“)

  • Symptomatik: „weiches Auge“ (CAVE: keine Palpitation des Auges), unregelmäßige bzw. schlüssellochförmige Pupille, wenn der vordere Augenabschnitt betroffen sowie Sehkraftverlust und Endophthalmitis (Infektion und Entzündung des Bulbusinhalts)
  • Therapie: Augenschutz (CAVE: kein Druck auf’s Auge), frühzeitige Antibiotika-Gabe (400 mg Moxifloxacin oral 1x tgl.; keine topischen Antibiotika), Steroid-Gabe sowie Notfallevakuierung, Augenschutz, KEINE NSAR sowie Notfallevakuierung

Hyphema

  • Blutansammlung in der vorderen Augenkammer zwischen Iris & Hornhaut, die i.d.R. auf ein Trauma zurückzuführen ist
  • Blutansammlung ist i.d.R. ein isolierter Befund, kann aber auch Linsenluxation, gerissenen Augapfel oder Netzhautverletzung begleiten
  • Hyphemata klingen oftmals ohne Behandlung ab (CAVE: sekundäre Komplikationen wie Hornhautverfärbung, erneute Blutungen und akute Augeninnendruckerhöhung)
  • Symptome erhöhter Augeninnendruck: Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen, gespannter Augapfel
  • Therapie: Kopflagerung > 30 °, Aktivitätseinschränkung, topische Kortikosteroide (Prednisolonacetat 1 %, 4x tgl.) oder Zykloplegika (Atropin 1 %, alle 8 h), Aminocapronsäure oder Tranexamsäure, Augendruck-senkende Medikamente, Acetazolamid-Gabe, Analgetika-Gabe, Antiemetika-Gabe

Hornhautabschürfung

  • gehört zu den häufigsten Augenerkrankungen und sind meist durch Fremdkörper, direkten Schlag auf das Auge oder das Tragen von Kontaktlinsen verursacht
  • CAVE: immer Bulbusruptur als mögliche Koinzidenz berücksichtigen
  • Therapie: sofortige Fremdkörperentfernung von der Hornhaut (falls sichtbar), topische Antibiotika (z.B. Erythromycin-Salbe 0,5 %, 1 cm alle 8 h), Zykloplegika-Gabe (Atropin 1 %, alle 8 h), NSAR-Gabe (z.B. Ketorolac-Tropfen 0,5 %, 1 Tropfen alle 8 h), Augentropfen („künstliche Tränen“), Tagen von Sonnenbrille sowie Notfallevakuierung bei Bulbusruptur oder tiefen Epitheldefekten

Hornhautgeschwür/-ulzera

  • Hornhautgeschwür unterscheidet sich von Abschürfung dadurch, dass die Ursache einer akuten Ulzeration häufig infektiös ist
  • während Hornhautabschürfung auf Schädigung des Hornhaut-Oberflächenepithels hinweist, betrifft ein Geschwür tiefere Schichten der Hornhaut
  • Symptomatik: starke Schmerzen im Auge, weißes/graues Infiltrat auf der Hornhaut und Epitheldefekt bei Fluoreszeinuntersuchung
  • Risikofaktoren: frühere Hornhautabschürfungen sowie Tragen von Kontaktlinsen, v.a. bei unsachgemäßer Kontaktlinsen-Pflege oder fortgesetztem Tragen über längere Zeiträume
  • sofortige Behandlung wichtig, da sich die Geschwüre vergrößern können, was zu verminderter Sehschärfe, Hornhautvernarbung oder -perforation führen kann
  • Therapie: topische Antibiotika (z.B. Moxifloxacin 0,5 % alle 5 min in den ersten 30 min, dann 6 h alle 30 min & anschließend stündlich einen Tropfen), systemische Antibiotika, Zykloplegika-Gabe (Atropin 1 %, alle 8 h) sowie Notfallevakuierung

Augenverletzungen mit Chemikalien

  • Gift der Speikobra mit schweren Chemosen, Blepharitis und Hornhautreizungen
  • Gift der Schwarzen Kobra mit Trübung mit kornealen und subkonjunktivalen Neovaskularisationen
  • Therapie: ausgiebige Spülung, topische Antibiotika sowie Notfallevakuierung (keine Indikation für topische oder intravenöse Antivenom-Gabe)

UV-Keratitis (Photokeratitis oder Schneeblindheit)

  • selbstbegrenzte entzündliche Erkrankung der Hornhaut, die durch UV-Strahlen verursacht wird
  • Symptomatik: starke Schmerzen, Brennen und Tränenfluss mit rotem Auge 6 – 12 h nach Exposition ggü. UV-Strahlen
  • Therapie: Tragen von Sonnenbrille, topische Antibiotika, Zykloplegika-Gabe, NSAR-Gabe, Augentropfen („künstliche Tränen“) sowie relative Indikationen zur Evakuierung

Erfrierungen der Hornhaut

  • Therapie: topische Antibiotika, Zykloplegika, NSAR sowie Augentropfen („künstliche Tränen“)

traumatische Iritis

  • akute Entzündung der vorderen Aderhaut in Verbindung mit einem Trauma
  • Symptomatik: Schmerzen & Photophobie (CAVE: Entzündung kann auch ohne sichtbares Augentrauma auftreten)
  • Therapie: NSAR (z.B. Ketorolac-Tropfen 0,5 % alle 8 h), orale & topische Steroide, Zykloplegika-Gabe (Atropin 1 %, alle 8 h) sowie relative Indikationen zur Evakuierung
Published inLeitlinien kompakt

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