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Im Notfall Psychiatrie – Meine Meinung zur Änderung des PsychKHG in Hessen (Listung bei Fremdgefährdung)

Seit rund einer Woche kursiert ein Video der CDU Hessen in den Sozialen Medien, in dem der Sprecher für Gesundheitspolitik der CDU-Landtagsfraktion und Dermatologe & Allergologe Dr. Ralf-Norbert Bartelt darüber sinniert, wie die CDU-geführte Koalition mit der SPD mittels einer Änderung des hessischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (PsychKHG) für ein „sicheres, soziales und verantwortungsvolles Hessen“ sorgen will.

Textlich wurde der Instagram-Beitrag der CDU Hessen untermalt mit folgendem Text: „Hessen handelt: Wir schließen mit dem 7-Punkte-Plan wichtige Lücken, schaffen mehr Schutz und helfen Menschen mit psychischen Erkrankungen schneller und besser. Unser Ziel ist ein sicheres, soziales und verantwortungsvolles Hessen.“

Das Instagram-Video findet Ihr über diesen Link: https://www.instagram.com/p/DLXme3-tjhp/?hl=de

Warum die Gesetzesänderung?

Die CDU-SPD-Koalition in Hessen sieht es „als Reaktion auf Vorkommnisse wie in Aschaffenburg, Hamburg oder Hanau“ als notwendig an, dass die Entlassungsmeldungen der psychiatrischen Krankenhäuer ausgeweitet werden sollen, um einen hinreichenden Informationsaustausch zwischen den einzelnen Behörden zur effektiven Gefahrenabwehr gewährleisten zu können“. Weiter formulieren CDU & SPD, dass die Entlassmeldungen in § 28 PsychKHG dahingehend erweitert werden sollen, „dass auch die örtlichen Ordnungs- und Polizeibehörden über die Entlassung einer untergebrachten Person zu informieren sind, wenn die Unterbringung aufgrund einer Fremdgefährdung erfolgte und zum Zeitpunkt der Entlassung aus medizinischer Sicht die Sorge besteht, dass von der untergebrachten Person ohne weitere ärztliche Behandlung eine Fremdgefährdung ausgehen könnte“. Ziel ist es, dass „auf einen hinreichenden Informationsaustausch zwischen den einzelnen Behörden zur effektiven Gefahrenabwehr hingewirkt“ wird. (vgl. Drucksache 21/2392 des Hessischen Landtags).

Wortlaut der Gesetzesänderung

„(4) Erfolgte die Unterbringung aufgrund einer Fremdgefährdung und besteht zum
Zeitpunkt der Entlassung aus medizinischer Sicht die Sorge, dass von der untergebrachten Person ohne ärztliche Weiterbehandlung eine Fremdgefährdung ausgehen
könnte, sind zusätzlich zur Mitteilung nach Abs. 3 Satz 1 die für den Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthaltsort zuständige örtliche Ordnungsbehörde und Polizeibehörde von der bevorstehenden Entlassung unverzüglich zu unterrichten. Mit
der Entlassungsmeldung sind die notwendigen Informationen für eine Gefährdungseinschätzung zu übermitteln; dies gilt auch für die Entlassungsmeldung an
den örtlich zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienst nach Abs. 3 Satz 1.“

Begründung der CDU & SPD zum § 28 Abs. 4 des PsychKHG im Wortlaut

„§ 28 Abs. 3 normiert die Verpflichtung der psychiatrischen Krankenhäuser, die Entlassung einer untergebrachten Person dem für den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort örtlich zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienst zu melden.

Diese Entlassungsmeldungen der psychiatrischen Krankenhäuser werden mit dem neuen Absatz 4 dahingehend erweitert, dass auch die örtlichen Ordnungs- und Polizeibehörden über die Entlassung einer untergebrachten Person zu informieren sind, wenn die Unterbringung aufgrund einer Fremdgefährdung erfolgte und zum Zeitpunkt der Entlassung aus medizinischer Sicht die Sorge besteht, dass von der untergebrachten Person ohne weitere ärztliche Behandlung eine Fremdgefährdung ausgehen könnte. Hierdurch wird ein hinreichender Informationsaustausch zwischen den einzelnen Behörden zur effektiven Gefahrenabwehr gewährleistet. Für einen zielgerichteten Einsatz behördlicher Ressourcen ist hierbei zum Zwecke der akuten Gefahrenabwehr eine enge und kooperative Zusammenarbeit zwischen den Sozialpsychiatrischen Diensten, örtlichen Ordnungsbehörden und Polizeibehörden sicherzustellen. Dies dient auch der Wahrung des Grundsatzes der Rücksichtnahme auf die besonders schutzwürdigen Interessen der psychisch erkrankten Person und der Berücksichtigung ihrer individuellen Lebenssituation bei der Durchführung von Maßnahmen.

Zu berücksichtigen ist, dass die Entlassungsmeldungen an die Ordnungs- und Polizeibehörden nicht generell, sondern nur in begründeten Einzelfällen erfolgen müssen. Entscheidend ist, ob aufgrund einer fundierten ärztlichen Einschätzung zu befürchten ist, dass ohne eine ärztliche Weiterbehandlung eine begründete Fremdgefährdung bestehen könnte.“

Meine Meinung zur Gesetzesänderung

Der Gesetzentwurf der Koalition aus CDU und SPD in Hessen lässt zumindest mich an die Zeit zwischen 1933 und 1945 in Deutschland denken. Ein Kapitel der deutschen Geschichte, bei dem ich gedacht habe, dass wir daraus gelernt haben. Wer mehr zu diesem Thema erfahren möchte, der/dem empfehle ich meinen Beitrag „Psychiatrie im Dritten Reich – Stigmatisierung und Euthanasie durch menschenverachtende Ideologie„, welchen ich zum Holocaust-Gedenktag 2023 verfasst habe.

Wie wir 80 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten auf die Idee kommen können, wieder über Register für psychisch erkrankte Menschen zu schwadronieren, welche eine „Fremdgefährdung“ bzw. eine „Gefahr für die Gemeinschaft“ darstellen könnten, will mir persönlich nicht in den Kopf gehen. Beim Anschauen des Videos des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der hessischen CDU-Landtagsfraktion fragt man sich als selbst betroffene Person, wie ein erwachsener Mann, der Medizin studiert hat, einen solch undifferenzierten und populistischen Schwachsinn von sich geben kann. Aber dass ein Hautarzt, der seit 2008 außer „regelmäßigen Vertretungen in Hautarztpraxen“ anscheinend keine weitere medizinische Aktivität vorzuweisen hat, keine Ahnung von psychiatrischen Patient*innen oder den Vorgängen im notfall- oder akutpsychiatrischen Setting hat, verwundert mich jedoch nicht. Und das vorgeschobene Argument des Schutzes der Betroffenen ist auch eine absolute Farce, denn dem Schutz und der Hilfe der Betroffenen wäre vor allem eines zuträglich und das sind zielgerichtete Investitionen in den psychiatrischen Sektor in Deutschland, der leider immer noch zu kurz kommt.

Die CDU-Fraktion im Hessischen Landtag setzt in einer Pressemitteilung vom 26.06.2025 mit der Überschrift „Hessen stärkt psychische Gesundheit und Sicherheit“ einen Claim, der scheinbar die Sorge um die Patient*innen in den Vordergrund stellt, aber im Gesetzesentwurf selbst sowie der Pressemitteilung sucht man nach den wirklichen Anzeichen für diese Sorge bzw. Fürsorge für psychiatrisch erkrankte Menschen. Denn auch die einzige weitere Änderung des hessischen PsychKHG im Zweiten Gesetz zur Änderung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes geht es sonst nur um das Hinzufügen des Passus „Eine psychische Störung im Sinne dieses Gesetzes ist auch eine mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehende Abhängigkeit von Suchtstoffen.“, also einem Fakt, der allen Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten und einen gesunden Menschenverstand haben, vollkommen klar ist, da alle wichtigen Klassifikationssysteme in der Medizin schon lange „Störungen durch Substanzgebrauch“ als psychiatrische Erkrankung einordnen. Die zweite Änderung im Zweiten Gesetz zur Änderung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes zeigt nur die Unkenntnis von CDU & SPD in Hessen, dass es darüber hinaus auch noch „Verhaltenssüchte“ gäbe, die hier aber keinerlei Berücksichtigung finden.

Das größte Problem dieses Gesetzesentwurfs ist für mich, dass hier mit dem gefährlichen, weil nicht konkret definierten Begriff der „Fremdgefährdung“ um sich geworfen wird, ohne dass die Folgen der leichtfertigen Nutzung dieses Begriffs berücksichtigt werden. Denn wenn man nur ein schlichtes und einfaches Beispiel skizziert, so erkennt man schnell, wie absurd und fahrlässig diese Gesetzesänderung ist:

Ein 15-jähriger Jugendlicher im Autismus-Spektrum, welcher im Sinne von § 10 Abs. 2 PsychKHG in Hessen stationär in einem kinder- und jugendpsychiatrischen Fachkrankenhaus oder einer kinder- und jugendpsychiatrischen Fachabteilung eines psychiatrischen Krankenhauses behandelt worden ist und der dort, aber auch schon zuvor zu Hause, im Rahmen von Meltdowns (psychischer Ausnahmezustand aufgrund sensorischer und/oder emotionaler Reizüberflutung mit ggf. auch gewalttätigem Verhalten sowie emotionalen und verbalen Ausbrüchen) eine Fremdgefährdung für die Pflegekräfte, die eigene Familie, aber auch je nach Örtlichkeit des Meltdowns z.B. auch für Passant*innen auf der Straße oder in einem Supermarkt, dargestellt hat bzw. ggf. in der Zukunft noch einmal darstellen könnte, müsste nach dem Gesetzentwurf bei seiner Entlassung aus der stationären Behandlung der Polizei gemeldet werden.

Nehmen wir dieses Beispiel, so wären die entlassenden Ärzt*innen in der psychiatrischen Klinik dazu verpflichtet, bei einer auch nur diffusen Sorge aus medizinischer Sicht die Behörden zu informieren, da auch in einem solchen Fall „von der untergebrachten Person ohne ärztliche Weiterbehandlung eine Fremdgefährdung ausgehen könnte“, obwohl je nach Ausprägung auf dem Autismus-Spektrum oder der Versorgungssituation mit Psychiater*innen im wohnortnahen Umfeld der Patient*innen eine ärztliche Weiterbehandlung nicht in jedem Fall zu gewährleisten ist.

Solche Fälle können auch bei anderen Erkrankungen zur Realität werden und dann dank der Gesetzesänderung Konsequenzen nach sich ziehen, die ich mir selbst als psychiatrieerfahrene Person niemals vorstellen möchte. Und das einfach nur, weil die CDU & SPD in Hessen der Bevölkerung einreden wollen, dass nur so für mehr Sicherheit gesorgt werden kann. Auch wenn es absolut schwachsinniger Whataboutism ist, möchte man Dr. Ralf-Norbert Bartelt einfach nur die folgenden Zahlen an den Kopf werfen und fragen, wann die Forderung der CDU & SPD in Hessen kommen, die Bevölkerung vor alten Menschen zu schützen:

  • 2019 waren etwa 12.000 Menschen nach § 63 oder § 64 StGB in Kliniken des Maßregelvollzugs untergebracht, was 0,06 % der 17,8 Millionen Personen, die jedes Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, entspricht.
  • 2021 waren 66.812 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personenschaden beteiligt, das waren 14,5 % aller Unfallbeteiligten

Ältere Menschen sind zwar gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung seltener an Verkehrsunfälle beteiligt als jüngere Menschen, aber 66.812 Personen sind halt doch immer noch mehr als dreimal so viele Menschen wie die 12.000 Menschen im Maßregelvollzug, die eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen sollen.

Was ist eure Meinung dazu? Schreibt es gerne in die Kommentare, aber bleibt hierbei bitte auf der sachlichen Ebene und haltet euch an die gängige Netiquette.

Mein kurzes Fazit

Dieser Gesetzesentwurf sorgt für alles andere als Sicherheit, denn er sorgt nur für Ausgrenzung und spaltet unsere Gesellschaft noch mehr mit faschistoidem Gedankengut. Mit diesem Gesetzesentwurf werden psychisch erkrankte Menschen nicht zum ersten Mal zu einer Last für die Gesellschaft degradiert und als reine Gefahr entmenschlicht. Schlussendlich machen die CDU & SPD aus Hessen psychisch Erkrankte zu einem reinen Kostenfaktor für die Gesellschaft und werten diese damit in einer absolut ekelhaften Art und Weise ab.

Quellen

Published inIm Notfall Psychiatrie

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