veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG)
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 31.12.2021
Ablaufdatum: 30.12.2026
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/004-034.html
Grundsätzliches
- Erkrankung der Aorta, bei der es durch einen Einriss in der Intima zu einer Separation der Wandschichten und zu einer Wühlblutung innerhalb der Wand kommt
- intramurale Hämatom (IMH), welches durch eine Ruptur der Vasa vasorum entsteht, wird analog zur Aortendissektion behandelt
- Unterscheidung der komplizierten von der unkomplizierten Typ B Dissektion, wie folgt
- Malperfusion der aortalen Äste (spinal, iliakal, Viszeralarterien, Nierenarterien) zeigt drohendes Organversagen an –> Paraparese oder Paraplegie, Ischämie der unteren Extremitäten, Abdominalschmerz, Übelkeit, Diarrhoe
- refraktäre Hypertension (fortbestehende Hypertension trotz Gabe von 3 verschiedenen Klassen von Antihypertensiva mit maximal empfohlener oder maximal tolerierter Dosierung) –> Zeichen der Instabilität oder der renalen Malperfusion
- Zunahmen des periaortalen Hämatoms und des hämorrhagischen Pleuraergusses in 2 aufeinanderfolgenden CT-Untersuchungen bei abwartender medikamentöser Therapie sind Hinweise auf eine drohende Ruptur
- Patienten mit Falschkanalruptur, konsekutiver Kreislaufinstabilität, schwerer Hypotension oder Schock = stark lebensgefährdet
- Inzidenz an thorakalen aortalen Erkrankungen insgesamt (Aneurysmen und Dissektionen zusammengefasst) 2002 in Schweden: 16,3 pro 100.000 pro Jahr für Männer und 9,1 pro 100.000 pro Jahr für Frauen (Dissektionen: 40 %)
- Autopsie-Studien zeigten, dass 50 % der Aortendissektionen in Notaufnahmen unentdeckt bleiben
Einteilung nach zeitlichem Verlauf
- akut: 1 – 14 Tage
- subakut: 15 – 90 Tage
- chronisch: >90 Tage
Symptomatik
- Kardinalsymptom: plötzliche Thorax- bzw. Rückenschmerzen, häufig mit einem scharfen, reißenden Charakter, welche durch eine aortale Erkrankung hervorgerufen werden („Akutes Aortensyndrom“)
- schwerer oder stärkster jemals erlebter Schmerz (88,7 %)
- Brust- oder Rückenschmerz (88,7 %)
- plötzlich beginnender Schmerz (85,4 %)
- wandernder Schmerz (6,8 %)
- Synkope (2 – 6 %)
- Bluthochdruck (64,6 %)
- Pulsdefizit (26,3 %)
- erweitertes Mediastinum (42,6 %)
- unauffälliges Röntgenthoraxbild in 30 % der Fälle
- unauffälliges EKG bei mehr als einem Drittel der Fälle (40,7 %)
- bei Frauen mitunter seltener typische Schmerzen sowie geringe Schmerzintensität
Komplikationen
- akutes Nierenversagen: 17,9 %
- Hypotension: 9,7 %
- Beinischämie: 9,5 %
- mesenteriale Ischämie/-Infarkt: 7,4 %
- spinale Ischämie: 2,5 %
Kriterien für akute Typ B Aortendissektion
- Ruptur und/oder Hypotension/Schock
- Malperfusion mit
- Ischämie der Viszeralorgane
- oder Ischämie der Extremitäten
- oder spinale Ischämie
- bzw. Hochrisikopatienten mit
- therapieresistenten Schmerzen
- therapieresistenten arterieller Hochdruck
- schneller Expansion der Aortendurchmesser
Anamnese & Diagnostik
- bei V.a. Akutes Aortensyndrom Hoch-Risikomerkmale der klinischen Anamnese, Schmerzcharakter und der klinischen Untersuchung prüfen
- bei Patient*innen mit akuten Thorax- und/oder Rückenschmerzen und/oder abdominellen Schmerzen Bestimmung des AAD Risiko-Scores und ein D-Dimer-Test
- bei V.a. akute Typ B Aortendissektion umgehende CT-Angiographie des Thorax und Abdomens mit Darstellung der gesamten Aorta und ihrer Äste erster Ordnung, wenn möglich EKG-getriggert
Anamnese
- Anzahl und Art der Medikamente
- Häufigkeit hypertensiver Entgleisungen
- Vorhandensein eines Selbst-Monitorings bzgl. Hypertonie
- Abklärung der Risikofaktoren
- Symptomkomplex erfragen
Risikofaktoren
- bekannter Hypertonus
- Raucher/Nikotinkonsum
- Atherosklerose
- bekanntes Aortenaneurysma
- vorangegangene herzchirurgische Eingriffe
- positive Familienanamnese
- genetische Prädisposition
- Marfan Syndrom und andere Bindegewebserkrankungen (Loeys-Dietz Syndrom, Ehlers Danlos Syndrom)
- männliches Geschlecht
- Substanzabusus (bei jungen Patient*innen)
Merkhilfe
- DISSECT – Merkhilfe für die Indikation zur invasiven Behandlung
- D – Duration (Dauer) der Dissektion, definiert als Zeit seit Beginn der Symptome
- I – Intimale Einriss-Lokalisation (primär) innerhalb der Aorta
- S – Size (Größe) des maximalen transaortalen Durchmessers
- S – Segmental extent (Segmentale Ausdehnung) des Aortenbefalls von proximaler nach
distaler Grenze - C – Clinical (Klinische) Komplikationen aufgrund der Dissektion
- T – Thrombosis (Thrombose) des falschen Aortenlumens
Empfehlungen
- bei akuten Thoraxschmerzen nicht nur an ACS, sondern auch an Akute Aortendissektion denken
- Typ-B Aortendissektion sollte als kompliziert bezeichnet werden bei Vorliegen von refraktärem Schmerz, progredientem Aortendiameter, nicht einstellbarem, erhöhten Blutdruck, Organmalperfusion, Vorliegen von Hochrisikomerkmalen und/oder sogar einer Aortenruptur
Therapie
- alle Patient*innen mit V.a. oder Nachweis einer akuten Typ B Aortendissektion in ein Zentrum weiterleiten, in dem Expertise in Diagnostik (CT, MRT, TEE), konservativer Intensivtherapie sowie von operativen und endovaskulären Behandlungsverfahren
Aortendissektion vorgehalten werden - beste medikamentöse Therapie (BMT) soll stets ein Teil der Behandlung von Patient*innen mit akuter Typ-B-Dissektion sein –> bei akuter B-Dissektion konservative Therapie (Blutdruckeinstellung, Schmerzmittelapplikation) und Überwachung der Vitalfunktionen einleiten
- Blutdrucksenkung so lange fortsetzen, bis das systolische Blutdruckziel von 100 – 120 mmHg und Herzfrequenz von < 60/min erreicht ist und keine Anzeichen für Organminderperfusionen bestehen
- invasive Blutdruckmessung bei Patient*innen, die auf Überwachungsstation liegen und i.v. Medikation zur Blutdruckeinstellung benötigen
- Dauer der Intensivbehandlung soll bei stabiler Bildgebung und Klinik so lange erfolgen, bis die Blutdruckwerte 24h ohne intravenöse Medikation stabil im Zielbereich sind
- Patient*innen mit intramuralem Hämatom und Ulcer like projection mit Tiefe von > 5 mm kann endovaskuläre Behandlung angeboten werden
- Patient*innen mit akuter unkomplizierter Typ B Aortendissektion und Durchmesser > 40 mm beim Primärereignis endovaskuläre Behandlung im subakuten Stadium anbieten
- engmaschige Kontrolle von Patient*innen mit mehreren anatomischen Risikofaktoren für Spätkomplikationen
- Patient*innen mit mehreren anatomischen Risikofaktoren für Spätkomplikation kann endovaskuläre Behandlung unter Berücksichtigung des Nutzen/Risiko-profils im subakuten Stadium anbieten
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