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Leitlinie „Use of ECMO for Accidental Hypothermia“ der ELSO

veröffentlichende Fachgesellschaft: Extracorporeal Life Support Organization (ELSO)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 22.10.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1097/mat.0000000000002557

Grundsätzliches

  • akzidentelle Hypothermie (AH) kann u.a. durch Kälteexposition, Eintauchen in Wasser oder Lawinenverschüttung bedingt sein und betrifft vorwiegend ältere Patienten mit mehreren Begleiterkrankungen
  • drei Stadien der akzidentelle Hypothermie
    • leicht: 32 – 35 °C (Bewusstseinszustand normal oder leicht beeinträchtigt)
    • mittelschwer: 28 – 32 °C (bewusstlos oder verändertes Bewusstsein)
    • schwer: < 28 °C (bewusstlos)
  • pathophysiologische Veränderungen infolge der Hypothermie betreffen das Herz-Kreislauf-System und können zu Herzrhythmusstörungen, vermindertem Herzzeitvolumen und Herzstillstand führen
  • Patient*innen mit Körperkerntemperatur < 28 °C ohne Herzstillstand können mit konventionellen Wiedererwärmungsmethoden erwärmt werden
  • bei Instabilität ist ECLS (extracorporeal life support) – extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) oder kardiopulmonaler Bypass – effektiver als konventionelle Verfahren, v.a. weil es auch Herz-Kreislauf-Funktion unterstützt
  • Patient*innenauswahl, Prognose und Behandlung hängen von Logistik und Planung ab, inkl. Planung für ECLS-Einsatz
  • Risiko eines Herzstillstands ist hoch bei jungen, gesunden Patient*innen mit KKT < 28 °C sowie bei älteren Patient*innen oder Patient*innen jeden Alters mit Komorbiditäten und KKT < 30 °C

Vorbereitung und Organisation

  • Überlebenskette bei akzidenteller Hypothermie (AH) beginnt bereits in der Präklinik
  • bewusstlose Patient*innen, die einen RRsys von < 90 mmHg, Bradykardie < 40/min oder ventrikuläre Arrhythmien haben, haben ein hohes Herzstillstand-Risiko
  • Herzstillstand kann durch Bewegungen der Patient*innen, durch Atemwegsmanagement und durch andere Rettungsmaßnahmen ausgelöst werden
  • bei hypothermen Herzstillstand halbiert sich die Überlebenswahrscheinlichkeit
  • Einsatz von mechanischer Reanimationshilfen ist von Vorteil
  • verzögerte oder intermittierende HLW ist Option in schwierigen oder gefährlichen Situationen, beim Transport oder wenn nicht genügend Rettungskräfte für kontinuierliche HLW zur Verfügung stehen
  • lange Transportdauer bei gleichzeitig laufender Reanimation ist kein Grund, auf Wiederbelebungsmaßnahmen zu verzichten
  • Das aufnehmende Krankenhaus sollte vom Rettungsdienst in Zusammenarbeit mit dem ECLS-Zentrum benachrichtigt werden, während sich der Patient noch am Einsatzort befindet.

präklinische Phasen der Hypothermie-Rettungskette

  • Phase 1 – frühe Erkennung und Transportentscheidung
    • wesentliche Maßnahmen
      • Beurteilung: Ist Anamnese mit Hypothermie vereinbar?
      • Auswertung klinischer Befunde, um Kandidat*innen für ECLS zu identifizieren
      • Entscheidung über Notwendigkeit eines Krankenhaustransports
    • Entscheidungskriterien/spezifische Maßnahmen
      • Zeitpunkt und Ort: Geschätzte Dauer der Exposition des Patienten: Datum, Uhrzeit des Auffindens, Ort
      • Umstände: Zusammenbruch, Untertauchen, Anzeichen für Abkühlung, Zeugen, Anzeichen für einen Selbstmordversuch, Drogenkonsum, plötzliche Bewusstlosigkeit
      • Faktoren, die die Abkühlungsgeschwindigkeit beeinflussen: Eintauchen, Art der Kleidung, Wetterbedingungen
      • Mögliche Kontraindikationen: Herzstillstand vor der Kühlung in der Anamnese; Lawine ohne freie Atemwege und >60 Minuten Verschüttung; schweres Trauma; längeres Untertauchen
      • Kerntemperatur: <30 °C
      • Bewusstseinsgrad: P oder U auf der AVPU-Skala
      • Herz-Kreislauf-Status: Bei Herzstillstand (Brustkorb komprimierbar), Nicht bei Herzstillstand (systolischer Blutdruck < 90 mmHg, Bradykardie < 40 Schläge/Minute, ventrikuläre Arrhythmie)
      • keine absoluten Kontraindikationen erfüllt
    • erforderliche Ausrüstung
      • Thermometer mit niedriger Messgenauigkeit (Ösophagus- oder Epitympanum-Thermometer)
      • Nichtinvasive Blutdruckmessung
      • Point-of-Care-Glukosemessung
      • EKG
      • Ultraschall
  • Phase 2 – Beurteilung und Management
    • wesentliche Maßnahmen
      • Überwachung
      • Patientenversorgung mit erweiterten Lebenserhaltungsmaßnahmen und Wärmeschutz
    • Entscheidungskriterien/spezifische Maßnahmen
      • ggf. mit HLW erwägen
    • erforderliche Ausrüstung
      • Einsatz einer mechanischen Reanimationshilfe
      • tragbare Überwachungsgeräte (etCO2 für Lagebestätigung nach ETI)
      • Devices zum Wärmemanagement
  • Phase 3 – Transport ins richtige Krankenhaus
    • wesentliche Maßnahmen
      • Koordination mit ECLS- und/oder Hypothermie-Zentrum
      • Organisation der Transportlogistik
      • Versorgung während des Transports
      • Ankunft und Übergabe
    • Entscheidungskriterien/spezifische Maßnahmen
      • Übermittlung des Patient*innenstatus und des ECLS-Bedarfs (Herzstillstand ja/nein?; Zeitpunkt; CPR-Verzögerung nach Herzstillstand; kontinuierliche oder intermittierende CPR; Einsatz mechanische Reanimationshilfe; Anzahl Defibrillationsversuche; Medikamente; Atemwegsmanagement)
      • Verfügbarkeit einer ECLS-fähigen Einrichtung
      • Sicherstellung der Transportmethode
      • Entfernung und Transportzeit zur Einrichtung
      • laufende Versorgung und Überwachung
      • Aktualisierungen zur voraussichtlichen Ankunftszeit und zum Patient*innenstatus auf dem Weg
      • Bereitstellung einer umfassenden Dokumentation
    • erforderliche Ausrüstung
      • Kommunikationsgeräte

Patient*innenauswahl & Indikation

  • Indikationen für ECLS-Wiedererwärmung bei schwerer AH sind hypothermer Herzstillstand oder hämodynamische Instabilität, um nachfolgenden Herzstillstand zu verhindern
  • hypothermer Herzstillstand
    • ECLS indiziert bei Patient*innen mit hypothermen Herzstillstand, KKT < 30 °C und geschätzten Überlebenswahrscheinlichkeit von ≥ 10 % (basierend auf Hypothermia Outcome Prediction after ECLS-Score, HOPE-Score)
    • kommt Patient*in in Frage, CPR fortsetzen, bis ECLS vorbereitet ist
    • KKT mit Ösophagussonde messen
    • CAVE bei Kaliummessung aus den Femoralgefäßen durch häufiges Hämatom bei ECMO-Kanülierung
    • ultraschallgesteuerte Punktion der Femoralgefäße
    • unbeobachteter Herzstillstand, Asystolie, lange No-Flow- und Low-Flow-Zeiten, Alter ≥ 70 Jahre und niedriges etCO2 sind keine Kontraindikationen für ECLS
    • Kriterien für normotherme Patient*innen nicht für hypotherme Patient*innen verwenden
  • hypotherme Patient*innen mit erhaltener Spontanzirkulation
    • Indikationen für ECLS-Wiedererwärmung bei Patient*innen mit schwerer Unterkühlung und erhaltener Spontanzirkulation sind noch nicht genau festgelegt
    • Indikationen sind i.d.R. Hypotonie (RRsys < 90 mmHg) oder das Vorliegen einer ventrikulären Arrhythmie
    • hämodynamische instabile Patient*innen profitieren von ECLS im Vergleich zu weniger invasiven Methoden
    • ECLS-Kanülierung und Wiedererwärmung nicht zugunsten zur CT-Diagnostik verzögern (sobald mit VA-EMCO stabile Durchblutung erreicht wurde, Durchführung eines CT bei möglichem Trauma)
    • bei Trauma-Zeichen ECLS-Wiedererwärmung minimale oder keine Antikoagulation erwägen

ECLS-Modus und technische Überlegungen

  • zur Wiedererwärmung je nach Verfügbarkeit Herz-Lungen-Maschine (HLM) oder VA-ECMO einsetzen, wobei die femoro-femorale VA-ECMO mit distaler Perfusionskanüle das bevorzugte System ist
    • VA-ECMO benötigt weniger Ressourcen, ist kompakter, mobiler, erfordert weniger Heparin und eignet sich für prolongierte kardiorespiratorische Unterstützung bei kardiopulmonalen Komplikationen
    • Einsatz der HLM sinnvoll, wenn keine ECMO verfügbar ist, v.a. bei komplexen Notfällen mit schwerer Hypothermie
  • extrakorporale Therapie dient nicht nur zur Wiederherstellung der Normothermie, sondern auch der Stabilisierung des Herz-Kreislauf- und Atmungssystems und dem Ausgleich von Stoffwechselstörungen
  • CAVE: Gefäßkanülierung kann aufgrund der Auswirkungen niedriger Temperaturen auf die Gefäße und das umliegende Gewebe schwierig sein –> femoro-femorale Konfiguration (arteriell/venös) lässt sich schnell und ohne Unterbrechung der Reanimation herstellen und ist bevorzugte Methode für Notfallzugang bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern > 20 kg
  • hohes Blutungsrisiko aufgrund hypothermiebedingter Koagulopathie berücksichtigen
  • kurzzeitige Unterbrechung der Reanimation sinnvoll, um die Sicherheit in kritischen Momenten wie Gefäßpunktion, Einführen des Führungsdrahts & der Kanüle zu gewährleisten
  • Blutentnahme während der Kanülierung
  • strikte Sterilität während der Kanülierung entscheidend, um Blutstrominfektionen zu vermeiden
  • Kanülen unter fluoroskopischer Kontrolle oder transösophagealer Echokardiographie positionieren
  • Entlastung des linken Ventrikels selten erforderlich, da das Herz nach Wiedererwärmung und Oxygenierung üblicherweise mit Auswurfphase beginnt (Entlastung erwägen, Dilatation des linken Ventrikels fortbesteht oder Stauung des linken Vorhofs oder der Lunge auftritt)
  • beidseitige femorale Kanülierung im Vergleich zu anderen Konfigurationen hat geringeres Risiko für Kompartmentsyndrom, Blutungen, Notwendigkeit einer Fasziotomie oder Gefäßreparatur sowie geringere Krankenhaussterblichkeit

Patienten- und Kreislaufmanagement während ECLS

  • Defibrillationselektroden anstelle von EKG-Elektroden verwenden, da durch das Zittern weniger EKG-Artefakte entstehen (CAVE: ventrikuläre Arrhythmien und Asystolie können refraktär sein, bis zur Wiedererwärmung auf > 30 °C)
  • Pulsoximetrie (SpO₂ ) und arterielle Sauerstoffpartialdruck (PaO₂ ) am rechten Arm messen
  • differentielle Oxygenierung kann in femoro-femoraler VA-Konfiguration auftreten, wenn Lungenfunktion durch Aspiration oder Trauma beeinträchtigt ist (oberer Körperbereich erhält deutlich weniger O2 –> Risiko einer Hirnischämie)
  • mittlerer systemischer RR zw. 50 – 70 mmHg, um adäquate zerebrale Perfusion zu gewährleisten
  • zerebrale Oxygenierung mittels Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) überwachen
  • zerebralen Perfusionsdruck durch Flüssigkeitsgabe mit warmer, isotonischer Kristalloidlösung und Vasopressoren aufrechterhalten (CAVE: in Initialphase hoher Flüssigkeitsbedarf; Applikation über ECLS-Kreislauf möglich, wenn kein adäquater peripherer Gefäßzugang vorhanden ist)
  • hohes Risiko für Atemwegskomplikationen wie Aspirationspneumonie und Post-Reanimations-Thoraxverletzungen bei Z.n. Lawinen-/Ertrinkungsunfall –> lungenschonende Beatmung
  • Beatmungsparameter während der ECLS-Wiedererwärmung
    • In der Regel ≤ 6 mL/kg Idealgewicht
    • Frequenz 10 – 12/min
    • PEEP beliebiger Wert (5 – 15 cmH2O)
    • Plateau-Druck < 30 cm H2O
    • Antriebsdruck (ΔP: Plateau-Druck – PEEP < 15 cm H2O)
    • FiO2 0,3 – 1,0 (Hypoxie oder Hyperoxie vermeiden)
    • PCO2 (Alpha-Stat): 4,5 – 5,5 kPa (35 – 45 mm Hg)
  • Antikoagulation zur Prävention thrombotischer Komplikationen während der ECLS
    • UFH oder Bivalirudin als kontinuierliche Infusion mit Ziel-ACT (aktivierte Gerinnungszeit) von 150 – 180 sec, aPTT von 1,5 – 2, PTT-Wert von 60 – 80 sec bei direkten Thrombinhemmern oder Anti-Xa-Wert von 0,2 – 0,3 IE/mL bei Verwendung von Heparin
    • ECMO ohne Antikoagulanzien bei hohem Blutungsrisiko
    • Antikoagulation abbrechen bei übermäßigen Blutungen
    • Nutzung von Antikoagulationsprotokoll auf Grundlage aktueller Erkenntnisse
  • BGA mittels Alpha-STAT-Verfahren (nicht temperaturkorrigiert)
  • angestrebte Wiedererwärmungsrate beträgt bis zu 5 °C/h bis zu KKT von 30 °C oder bis ROSC
  • weitere Wiedererwärmung gemäß Richtlinien für therapeutische Hypothermie
  • arterielle Auslasstemperatur des Oxygenators kontinuierlich überwachen (Temperaturgradient zw. venösem Zufluss und arteriellem Auslass von ≤ 4 °C nicht überschreiten; eingestellte Wassertemperatur des Warmwasserbereiters max. 10 °C über venöser Zuflusstemperatur, jedoch max. 42 °C)
  • KKT kontinuierlich überwachen (CAVE: durch Erwärmung der Aorta descendens und des raschen Anstiegs der Ösophagustemperatur spiegelt gemessene Temperatur ggf. nicht die tatsächliche Kerntemperatur wider –> Messung an weiterer Stelle)
  • ECLS-Abbruch erwägen, wenn bei Körpertemperatur von 32 – 35 °C keine ROSC erfolgt sowie basierend auf weiteren klinischen Informationen (z.B. nicht stillbare Blutung, neue Erkenntnissen zur Ursache des Herzstillstands oder Anzeichen einer schweren anoxischen Hirnschädigung)
  • Sedierung & Analgesie zur Vermeidung eines unkontrollierten Erwachens, unkontrollierter Bewegungen oder Hustens –> Sedierung reduzieren oder beenden, sobald Normothermie mit stabiler Hämodynamik und Lungenfunktion erreicht ist

Komplikationen

  • Komplikationen während ECLS sind häufig und verringern Überlebenswahrscheinlichkeit
  • Komplikationen während ECLS ähneln denen anderer Indikationen für die VA-ECMO und umfassen Probleme mit Gefäßzugang, systemischem Kreislauf und Kreislaufsystem
  • bei längerem Herzstillstand besteht Möglichkeit von Thoraxverletzungen mit nachfolgendem Atemversagen, das verlängerte mechanische Beatmung und ECMO erforderlich macht
  • ggf. Nierenversagens aufgrund von Stoffwechselstörungen und Pathophysiologie der schweren Hypothermie –> Einsatz von Nierenersatzverfahren
Published inLeitlinien kompakt

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