In der notfallmedizinischen Versorgung in Deutschland läuft einiges falsch, auch in der notfallpsychiatrischen Versorgung. Aus diesem Grund soll es heute um eine bzw. meine kleine Utopie bzw. meinen Traum einer perfekten notfallpsychiatrischen Versorgung gehen, um allen Beteiligten, aber vor allem den Patient*innen, gut und richtig zu helfen. Was sind eure Ideen und Vorstellung? Schreibt es in die Kommentare, um diese Utopie weiterzuentwickeln!
1. vorurteilsfreie Aus-/Fort-/Weiterbildung für alle Beteiligten
Einer der wichtigsten Punkte ist eine bessere, vorurteilsfreie und an die Bedürfnisse in der Notfallmedizin angepasste Fort-, Aus- & Weiterbildung, um die am Einsatz beteiligten Personen des Rettungsdienstes, der Polizei und aus der Gruppe der Notärzt*innen gut auf die wichtigen Notfälle aus dem Bereich der psychiatrischen Notfälle vorzubereiten und mit Vorurteilen aufzuräumen, um so Stigmatisierung und Diskriminierung zu minimieren.
2. Resilienz als wichtiges Element der Arbeit in der Notfallmedizin
Wenn man um die eigenen Grenzen, die eigene Widerstandsfähigkeit und die eigenen Möglichkeiten geht, wie man mit schwierigen Lebenssituationen wie Krisen, Katastrophen und belastenden Einsätzen umzugehen, ohne dass daraus dauerhafte Beeinträchtigungen entstehen, dann entsteht mehr Verständnis für die Situation der Patient*innen. Genau dieses Verständnis hilft den Patient*innen, aber auch uns als Beteiligten an notfallpsychiatrischen Einsätzen bei einer guten & richtigen Versorgung.
3. flächendeckende Notaufnahmen mit psychiatrischem Schwerpunkt
Langwierige Telefonate mit psychiatrischen Kliniken bzgl. der Aufnahme von Patient*innen kennt fast jede*r in der Notfallmedizin und helfen tun diese zeitlich aufwendigen Telefonate niemand, v.a. nicht den Patient*innen. Abhilfe wär möglich durch flächendeckende regionale Notaufnahmen in psychiatrischen Fachkliniken bzw. interdisziplinäre Notaufnahmen mit psychiatrischer Fachbeteiligung, um die Erstversorgung bzw. primäre Aufnahme zu realisieren und dann die Patient*innen in die für sie beste & richtige Fachabteilung zu verlegen.
4. weniger Medikamente, mehr Reden
Nicht selten wirkt das Vorgehen in psychiatrischen Einsätzen, v.a. die med. Therapie, wie das Schießen mit Kanonen auf Spatzen. Viel mehr sollten Deeskalation, Talk-Down und das Zeitnehmen im Vordergrund stehen. Oft können mit freundlichem Ansprechen & Aufrechterhalten des Gesprächskontaktes und verständnisvollem Umgang Situationen verbal beruhigt werden, ohne dass man medikamentös invasiv vorgehen muss. Wenn die akuten Erregungs- und Unruhezustände nicht mit einem Gespräch behandelt werden können, sollen Medikamente natürlich weiterhin die nächste Stufe sein.
5. Patient*innen in den Mittelpunkt stellen
Bei notfallpsychiatrischen Einsätzen bedeutet, die Patient*innen in den Mittelpunkt zu stellen als bei vielen anderen Einsätzen. Ein rasches Vorgehen im Sinne des Leitspruchs der „Golden hour“ hilft den meisten Patient*innen i.d.R. Nicht bis kaum, da diese schon genug unter Stress und Anspannung stehen. Bei solchen Einsätzen gilt es zu schauen, was im Interesse der Patient*innen ist und das ist oftmals nicht die starke medikamentöse Sedierung, der sofortige & stressige Transport in die geeignete Klinik oder auch die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nicht im Vordergrund und helfen den Patient*innen oft in keinerlei Art und Weise.
6. andere alarmierbare Spezialkräfte (Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen etc.)
Nicht bei allen Einsätzen aus der Kategorie „psychischer Ausnahmezustand“ ist der sofortige & direkte Transport in eine psychiatrische Klinik indiziert, aber das Belassen der Patient*innen allein oder im familiären Umfeld nicht realisierbar. Genau für diese Einsätze wären zusätzliche, durch die Leitstelle alarmierbare und spezialisierte Kräfte wie Psycholog*innen und/oder Sozialarbeiter*innen sinnvoll.
7. Notfallpsychiatrie auch berufspolitisch in das Blickfeld nehmen
Da die Zahl an psychischen Einsätzen jetzt schon bei ca. 10 % der gesamten Einsätze liegt und eher mit einem Anstieg als Rückgang zu rechnen ist, muss das Thema Notfallpsychiatrie auch berufspolitisch von Berufsverbänden und Fachgesellschaften weiter ins Blickfeld gerückt werden, um auch für dieses Kollektiv an Patient*innen die bestmögliche Versorgung zu realisieren und dazu ggf. in der Politik auf bessere finanzielle Möglichkeiten und auf ein Denken über den Tellerrand hinaus pochen!
8. Supervision und innerbetriebliche Psycholog*innen
So wie in vielen anderen Betrieben, aber v.a. auch in der psychotherapeutischen Versorgung, ist die Etablierung von Supervision ein wichtiger Bestandteil der Fürsorge für die eigenen Mitarbeiter*innen durch die Arbeitgeber, um so das eigene Handeln zu reflektieren & damit die Qualität der Arbeit zu sichern oder im besten Fall zu verbessern. Ein weiter oder ggf. auch alternativer Schritt für die Verbesserung der Mitarbeiter*innenfürsorge wäre die Anstellung von betriebsinterner Psycholog*innen, nicht nur zur Betreuung nach belastenden Einsätzen.
9. mehr gesellschaftliche Aufklärung
Genauso wie bei der Aufklärung hinsichtlich der Einschätzung der eigenen Krankheitsschwere, aber auch der eigenen Möglichkeiten, sich ohne die Inanspruchnahme der Notfallversorgung selbst zu helfen, so muss auch die gesellschaftliche Aufklärung bzgl. psychischer Erkrankungen und bestehender Hilfsangebote verstärkt werden, auch um präventiv zu wirken, sodass Menschen gar nicht zu Patient*innen werden.
10. Skill- & Tool-Kits auf den Fahrzeugen des Rettungsdienstes
Viele Patient*innen haben einige der landläufig bekannten Skills wie Stressbälle, Akupressurringen, Aromatherapie etc. In ihrem Alltag integriert, es gibt aber immer wieder dazu, dass man die eigenen Skills nicht zur Hand hat oder im Stress nicht sofort findet. Hierfür wäre die Aufnahme von Skill-Material wie die o.g. Tools in die genormte Beladung der Rettungsmittel sinnvoll und wünschenswert. Zusätzlich sollte auch andere Materialien wie Ammoniak-Riechampullen zum Durchbrechen von dissoziativen und/oder starken Unruhe-/Anspannungszuständen erwogen werden.
Be First to Comment