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20.10. – Welttag der evidenzbasierten Medizin

Jährlich am 20. Oktober findet der Welttag der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung (World Evidence-Based Healthcare Day, World EBHC Day) statt. Der World EBHC Day hat die folgenden Ziele:

  • Aufklärung eines breites Publikum über die Bedeutung der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung und die Notwendigkeit einer besseren Evidenz für die Gesundheitspolitik und -praxis
  • Debatten und Diskussionen in der globalen Evidenzgemeinschaft über Fortschritte in der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung anzuregen und dabei mutig zu denken
  • Hervorheben von Erfolgen, Herausforderungen und Erfahrungen der globalen Evidenzgemeinschaft bei der Förderung von Wissenschaft und Praxis der evidenzbasierten Gesundheitsversorgun
  • Einfluss von Forscher*innen, Akademiker*innen, Studierenden, medizinischem Fachpersonal, Verbraucher*innen, Patient*innen und anderen Akteuren eines Wandels & Verbesserungen hin zu einer evidenzbasierten Gesundheitsversorgung zu würdigen

Und aus diesen Gründen geht es heute auch bei FOAMio um das Thema „evidenzbasierte Gesundheitsversorgung“ und darum, was die „evidenzbasierte Medizin“ überhaupt ist. Das Motto des diesjährigen Welttag der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung findet Ihr in der nachfolgenden Liste:

  • 2024: Gesundheit und mehr – Von der Evidenz zum Handeln bzw. in die Praxis (Ziel ist die Förderung der interdisziplinären und sektorübergreifenden Diskussion, um so einen Beitrag dafür zu leisten, wie Maßnahmen zum Aufbau besserer evidenzbasierter Systeme während einer Polykrisen wie Klimakrisen & Umweltkatastrophen, politische Konflikte, globale Inflation sowie Pandemien ergriffen werden können)

Was ist evidenzbasierte Medizin?

David Sackett, einer der Pioniere der evidenzbasierten Medizin, beschriebt die evidenzbasierte Medizin in den 90er Jahren wie folgt:

Evidenzbasierte Medizin (EbM) ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patientinnen und Patienten. Die Praxis der EbM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestverfügbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) definiert die EbM etwas verklausulierter, aber vom Sinn her identisch:

Der Begriff evidenzbasierte Medizin (EbM) beschreibt Anwendungen medizinischer Leistungen, die sich nicht allein auf Meinungen und Übereinkünfte stützen, sondern Evidenz einbeziehen. EbM umfasst Werkzeuge und Strategien, die vor Fehlentscheidungen und falschen Erwartungen schützen sollen.

Die EbM stützt sich auf drei Säulen:

individuelle klinische Erfahrung

Wünsche der Patient*innen

aktueller Stand der klinischen Forschung

Die evidenzbasierte Medizin folgt in der Umsetzung den nachfolgenden 5 Hauptschritten:

  1. Definieren klinisch relevanter Frage (Übersetzung von klinischem Problem in eine  Fragestellung)
  2. Suche nach der besten Evidenz (systematische Literaturrecherche nach geeigneten Studien)
  3. kritische Würdigung der Evidenz über alle identifizierten Studien hinweg
  4. Anwendung der Evidenz in Abwägung der konkreten klinischen Situation
  5. Evaluierung der Leistung der EbM (selbstkritische Evaluation und ggf. Anpassung bisheriger Vorgehensweisen)

Diesen Vorgehen in den fünf Schritten muss geübt sein und ist in der Realität bei der Versorgung von Patient*innen nicht immer und dann oft nur schwer umzusetzen. Um sich die Schritte besser zu merken, gibt es natürlich auch hier eine schöne Merkhilfe, nämlich die „5A’s“:

  1. Ask (klare, strukturierte Fragen, die als Ausgangspunkt der Recherche dient
  2. Acquire (geeignete Informationsquellen und wissenschaftliche Publikationen finden)
  3. Appraise (gefundene Ergebnisse nach EbM-Qualitätskriterien (Evidenzgraden) bewerten
  4. Apply (gewonnenes Wissen anwenden, aber individuelle Situation angepasst)
  5. Assess (abschließende Kontrolle der Grundlagen der Entscheidung und des Erfolges)

Die Ergebnisse evidenzbasierter Arbeit bzw. Forschung lassen sich schlussendlich in die folgenden 6 Stufen eingruppieren (Evidenzklassen):

  • Klasse Ia: Evidenz durch Meta-Analysen aus mehreren randomisiert-kontrollierten Studien (Meta-Analysen = Goldstandard in der klinischen Medizin)
  • Klasse Ib: Evidenz aufgrund min. einer randomisiert-kontrollierten Studie
  • Klasse IIa: Evidenz aufgrund min. einer gut angelegten, jedoch nicht randomisierten und kontrollierten Studie (CAVE: keine Randomisierung = Gefahr stärkerer Verzerrung der Studie)
  • Klasse IIb: Evidenz aufgrund min. einer gut angelegten quasi-experimentellen Studie
  • Klasse III: Evidenz aufgrund gut angelegter, nicht-experimenteller deskriptiver Studien wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fall-Kontroll-Studien
  • Klasse IV: Evidenz aufgrund von Berichten von Expert*innen-Ausschüssen oder Expert*innenmeinungen bzw. klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten

Alle klinischen Studien können in eine der zuvor genannten Stufen eingruppiert werden. Nachfolgend liegt es dann in der Verantwortung des medizinischen Personals die eigene professionelle, klinische Erfahrung zu nutzen, um zu schauen welche Evidenz von Relevanz ist für die Behandlung der jeweiligen Patient*innen. Dies ist notwendig, da die meisten klinischen Studien spezifische Ein- & Ausschlusskriterien und eine spezifische Population haben, sodass die Kriterien der Studien i.d.R. nicht zu 100 % deckungsgleich mit denen der eigenen Patient*innen sind.

Die EbM hat das schlussendliche Ziel die Qualität medizinischer Therapien bzw. Ergebnisse auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz zu verbessern.

Es gibt aber auch Kritik bzgl. der evidenzbasierte Medizin, die sich v.a. auf die folgenden Punkte konzentriert:

  • Unveröffentliches wird nicht berücksichtigt (z.B. abgebrochene Studien, Teilstudien)
  • Zugang zu Quellen zur Nachvollziehbarkeit und Überprüfung nur teilweise gewährleistet (fehlender Open Access)
  • Ergebnis ist von der Durchführbarkeit einer Studie abhängig
  • Anwendbarkeit der Ergebnisse auf individuelle Patient*innen nicht immer möglich
  • klinische Anwendbarkeit bei bestimmten Begleiterkrankungen ggf. nicht möglich
  • mangelnder Schutz vor gefälschten Studien

Trotz dieser Kritik zeigt die Änderung des SGB V im Jahr 2000 wie wichtig und relevant die evidenzbasierte Medizin ist, denn in diesem Jahr wurden die Begriffe „Evidenz“ sowie „evidenzbasierte Leitlinien“ in den §§ 137e, 137f, 137g, 266 des SGB V eingefügt.

Abschließen soll dieser kleine Exkurs zur evidenzbasierten Medizin mit einem Zitat aus dem Manual der »Cochrane Collaboration« für die Leitlinienerstellung zur Bewertung des Biasrisikos (Risiko systematischer Fehler) in klinischen Studien:

„Sowohl praktisch tätige Ärzte als auch Angehörige der Gesundheitsfachberufe treffen täglich eine Vielzahl von medizinischen Entscheidungen. Diese Entscheidungen basieren überwiegend auf dem im Studium und in der Ausbildung Erlernten und der persönlichen Erfahrung. Es ist jedoch wichtig, dass bei Entscheidungen im Gesundheitswesen darüber hinaus Patientenpräferenzen und die wissenschaftliche Evidenz, die zu Nutzen und Schaden einer Intervention vorliegt, berücksichtigt werden. Die Evidenzbasierte Medizin (EbM) hat zum Ziel, dass Behandlungsentscheidungen für den einzelnen Patienten auf der Basis der individuellen Erfahrung des Arztes unter Berücksichtigung der besten verfügbaren Evidenz in Abwägung der Wünsche und Vorstellungen des Patienten getroffen werden.“

Cochrane Deutschland, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften – Institut für Medizinisches Wissensmanagement. „Bewertung des Biasrisikos (Risiko systematischer Fehler) in klinischen Studien: ein Manual für die Leitlinienerstellung“. 1. Auflage 2016. Verfügbar: Cochrane Deutschland: http://www.cochrane.de/de/rob-manual; AWMF: http://www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk/ll-entwicklung.html.

Exkurs – Geschichte der evidenzbasierten Medizin

Pragmatisch kann man sagen, dass die Suche nach einer bestmöglichen Therapie nicht erst in den letzten Jahrhunderten, sondern schon seit der Antike ist belegt ist. Erste Belege, die die Grundidee der evidenzbasierten Medizin widerspiegeln, finden sich in der in der zweiten Hälfte des im 18. Jahrhundert mit dem Konzept der „medical arithmetic“, welches von britischen Ärzten entwickelt wurde. Die erstmalige Nennung des Begriffs „evidenzbasierte Medizin“ ist in dem 1793 publizierten Artikel „An Attempt to Improve the Evidence of Medicine“ des schottischen Arztes George Fordyce zu finden.

Die moderne EbM wurde begründet von einer Arbeitsgruppe um kanadischen David Sackett im Department of Clinical Epidemiology and Biostatistics an der McMaster University in Hamilton (Kanada), der 1968 als Gründungsdirektor der Abteilung für evidenzbasierte Medizin berufen wurde.

Als Basiswerke für die Arbeit der evidenzbasierten Medizin gelten nich heute das 1972 von Archie Cochrane veröffentlichten Buch „Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services“ sowie das 1967 erschienene Buch „Clinical Judgement“ des amerikanischen Mediziners & Mathematikers Alvan R. Feinstein. Der Name „Cochrane“ kommt dabei wahrscheinlich vielen bekannt vor, v.a. bezogen auf das weltweit etablierte Cochrane-Netzwerk, welche als Würdigung der Leistungen Archie Cochrane für die evidenzbasierte Medizin nach ihm benannt wurde. Seitdem ist der Ansatz der evidenzbasierten Medizin weltweit mehr und mehr etabliert und gilt als einer der Goldstandards für die Forschung und Arbeit in der Medizin.

Quellen

Published inWelttag...

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