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24.10. – Welt-Polio-Tag

Polio galt lange als ausgerottet, v.a. in der westlichen Welt, bzw. hat man bei „uns im Westen“ aus dem Blick verloren. Erst im August 2024 rückt die Poliomyelitis nach langer Zeit wieder in unseren Fokus als den ersten Polio-Fällen im Kriegsgebiet im Gaza-Streifen berichtet wurde. Beim ersten gemeldeten Patienten handelt es sich hierbei nach palästinensischen Angaben um einen ungeimpften, 10 Monate alten Säugling in Deir al-Balah. In diesem Zuge hat auch die UN Kampfpausen gefordert, um Impfungen der zu Hunderttausenden im Gaza-Streifen lebenden Kindern zu realisieren. Vor ca. 25 Jahren wurde Polio im Gazastreifen durch große Impfkampagnen mit einer von der WHO mit 99 % bezifferten Impfquote eigentlich ausgerottet. Aktuell liegt die Impfquote wohl nur noch bei 86 %, was den Ausbruch in Verbindung mit desolaten Hygiene-Bedingungen erklären könnte.

Nicht nur dieser Ausbruch, sondern auch die regelmäßigen Fälle in i.d.R. nicht westlichen Ländern der Welt, sind ein guter Anlass sich heute am Welt-Polio-Tag bei FOAMio ein bisschen mehr mit der Poliomyelitis zu beschäftigen.

Welt-Polio-Tag

Der Welt-Polio-Tag findet jährlich am 24. Oktober statt und verfolgt das Ziel die Poliomyelitis durch Impfkampagnen auszumerzen und auf die Folgen einer Infektion mit dem Erreger hinzuweisen. Das Datum Ende Oktober ist nicht ohne Grund gewählt, denn es fällt mit dem Geburtstag von Jonas Salk, einem US-amerikanischen Bakteriologen, der im Jahr 1955 den Polio-Impfstoff (inaktiviertes Poliovakzine; IPV) entdeckt hat, zusammen. Später nach der Entwicklung des ersten oralen Lebendimpfstoff durch Dr. Albert Sabin (1961), begann der Siegeszug der Polio-Eradikation durch große Kampagnen und einfach Schluckimpfungen.

In Deutschland sind UNICEF (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen) und der Bundesverband Polio für die Durchführung bzw. Veranstaltungen des jährlichen Welt-Polio-Tages verantwortlich.

Was ist die Poliomyelitis?

Bei der Poliomyelitis, auch bekannt als Polio, Poliomyelitis acuta, Polioenzephalomyelitis, Polioenzephalitis, infektiöse Poliomyelitis, paralytische Poliomyelitis, spinale Kinderlähmung oder Poliomyelitis mit Paralyse sowie Heine-Medin-Krankheit (Entdecker: Jakob von Heine und Karl Oskar Medin), ist eine meldepflichte Infektionskrankheit mit dem Polio-Virus. Die deutsche Bezeichnung „(spinale) Kinderlähmung“ hat eine historische Grundlage aufgrund der weiten Verbreitung im Kindesalter. Der Name Poliomyelitis erklärt sich dadurch, dass das Poliovirus unter anderem die graue (grau = griech. polios) Rückenmarksubstanz (Mark = griech. Myelo-) befällt.

Der Erreger (Poliovirus Typ 1, Typ 2 & Typ 3)

Polio wird durch Enteroviren, genauer gesagt das Poliovirus Typ 1, Typ 2 oder Typ 3 ausgelöst, welches dann Motoneuronen befällt. Beim Poliovirus handelt es sich um ein kleines, sphärisches, unbehülltes Einzelstrang-RNA-Virus aus der Familie der Picornaviridae. Polioviren bleiben wie alle Enteroviren stabil bei niedrigem pH-Wert (pH < 3) und resistent gegen viele proteolytischer Enzyme, um so die Magen-Darm-Passage überwinden zu können. Alle weiteren Informationen zum Erreger findet Ihr in der nachfolgenden Auflistung:

  • Reservoir
    • einzige Reservoir für Polio-Viren ist der Mensch
  • Inkubationszeit
    • Ø 3 – 6 Tage bei nicht-paralytischer Verlaufsform sowie 7 – 14 Tage bei paralytischen Verlaufsform (Gesamtrange von 3 – 35 Tage)
  • Dauer der Ansteckungsfähigkeit
    • Ansteckungsfähigkeit besteht solange das Virus ausgeschieden wird
    • im Rachen frühestens 36 Stunden nach Infektion nachweisbar und kann dort bis zu 7 Tage persistieren
    • im Stuhl nach 2 – 3 Tagen nach Infektion nachweisbar und kann dort bis zu 6 Wochen persistieren
    • ggf. bei Immundefizienz auch Ausscheidung über Monate und Jahre möglich
    • Infizierte sind i.d.R. 7 – 10 Tage vor und nach Symptombeginn am ansteckendsten
    • bei Raumtemperatur könnenPolioviren einige Wochen lang überleben
  • Übertragungsweg
    • Übertragung erfolgt fäkal-oral i.d.R. über Schmierinfektionen
    • Übertragung über die Atemluft in Form einer Tröpfcheninfektion oder Aerosole aus dem Rachenbereich sowie über mit Fäkalien verunreinigtes Wasser ist möglich
    • schlechte hygienische Bedingungen begünstigen die Übertragung
  • übertragungssteigernde Faktoren
    • hohe Bevölkerungsdichte
    • schlechte Infrastruktur des Gesundheitswesens
    • mangelhafte sanitäre Einrichtungen
    • hohe Inzidenz von Durchfallerkrankungen
    • geringe Durchimpfung gegen Polio
  • Serotypen von Polio-Wildviren
    • Wild-Poliovirus Typ 1 (WPV1; auch „Brunhilde“)
      • häufigster Erreger
      • verursacht schwere Erkrankung bzw. am stärksten lähmungsverursachen
    • Wild-Poliovirus Typ 2 (WPV2; auch „Lansing“)
      • verursacht nur leichte Erkrankung
      • wurde im September 2015 weltweit für ausgerottet erklärt, wobei das letzte Virus 1999 in Indien nachgewiesen wurde
    • Wild-Poliovirus Typ 3 (WPV3; „Leon“)
      • verursacht schwere Erkrankung
      • Polio-Wildvirus vom Typ 3 wurde im Oktober 2019 für ausgerottet erklärt
    • zirkulierende, von Impfstoffen abgeleitete Poliovirus (cVDPV)
      • i.d.R. selten, aber zunehmend in Regionen mit niedriger Impfrate
      • cVDPV Typ 2 (cVDPV2) ist mit 959 Fällen (2020) weltweit am häufigsten auftretend
  • Pathogenese
    • Aufnahme über den Mund –> Vermehrung im Magen-Darm-Trakt und Befall des selbigen –> Befall lokaler Lymphknoten –> Verteilung über die Blutbahn im Körper (Virämie) –> Befall des ZNS (primär Befall der grauen Substanz des Rückenmarks, v.a. motorische Vorderhornzellen) –> Auslösung von Entzündungen durch körpereigene Leukozyten im Rückenmark –> Beschädigung und/oder Zerstörung der Nervenfasern –> ungleichmäßig verteilte schlaffe Lähmungen und weitere Symptome
    • ggf. zusätzlich Befall des Gehirns bei paralytischer Verlaufsform (Poliomyeloencephalitis) –> primär Befall von Kleinhirns, Brücke und Medulla oblongata –> i.d.R. keine Symptome durch Hirnbefall, außer bei Befall der den spinalen Vorderhornzellen analogen Neurone in den Hirnnervenkernen der IX. und X. Hirnnerven (bulbäre Form) –> Beeinträchtigung von Kehlkopffunktion (Sprechen & Atmung) und Schlucken

Zahlen & Fakten

  • letzte in Deutschland erworbene Poliomyelitis durch Wildvirus im Jahr 1990
  • letzte importierte Fälle in Deutschland im Jahr 1992 (aus Ägypten bzw. Indien)
  • STIKO empfiehlt Umstieg von Polio-Lebendimpfstoff auf inaktivierte Polio-Vakzine (1998)
  • durch Impfkampagnen konnten bis heute 19.000.000 Menschen vor einer Lähmung und 1.500.000 Millionen Menschen vor dem Tod durch Polio bewahren
  • Anzahl der Poliofälle weltweit im Vergleich zu den 80er Jahren um 99,9 % verringert
  • Verläufe ohne und mit Lähmungserscheinungen im Verhältnis ≥ 60:1 (1 von 200 Infektionen führt zu irreversiblen Lähmungen)
  • europäische Region der WHO im Jahr 2002 für poliofrei erklärt worden
  • Poliomyelitis betrifft hauptsächlich Kinder < 5 Jahren
  • 5 – 10 % der Gelähmten sterben schlussendlich nach Lähmung der Atemmuskulatur
  • für 2022 sind laut Bulletin weltweit 880, für 2023 bisher 305 solche Fälle erfasst (i.d.R. in Gebieten, in denen ein hoher Anteil der Bevölkerung ungeimpft ist; im Jahr 1988 noch jährlich 350.000 Neuinfektionen)
  • Impfquote von > 95 % notwendig, um eine Zirkulation des Virus zu verhindern
  • laut dem RKI sind seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2018 weltweit mehr als 10 Milliarden Dosen orale Polio Vakzine (OPV) an fast 3 Milliarden Kinder verabreicht worden

Symptomatik

Eine Infektion mit Polioviren verläuft i.d.R. asymptomatisch (> 95%) mit Bildung von neutralisierenden Antikörpern (stille Feiung). Wenn es zu Krankheitssymptomen kommt, so unterscheidet man in die folgenden Verlaufsformen:

abortive Poliomyelitis

Verlaufsform mit unspezifischen, eher grippeähnlichen Symptomen, die etwa nach einer Woche ohne eine Beteiligung des Zentralen Nervensystems endet. Zu den typischen Symptomen gehören u.a. Gastroenteritis, Fieber, Übelkeit, Halsschmerzen, Myalgien und/oder Kopfschmerzen. Die abortive Poliomyelitis tritt bei bei 4 – 8 % der Infizierten auf, folgt der Inkubationsperiode und kann, wie erwähnt, nach einigen Tagen sistieren oder in eine nichtparalytische Poliomyelitis übergehen.

nichtparalytische Poliomyelitis

Bei der nichtparalytischen Poliomyelitis handelt es sich faktisch um eine aseptische Meningitis ohne Paralyse, die bei rund 2 – 4 % der Betroffenen auftritt. Im Anschluss zur abortiven Poliomyelitis nach etwa 3 – 7 Tagen kommt es zu Fieber, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelspasmen/-schwäche. In dieser Phase ergeben sich die folgenden Liquor-Befunde: lymphozytäre Pleozytose, normaler Glukosespiegel und normale/leicht erhöhter Proteinspiegel. I.d.R. dauert die Manifestation etwa 2 – 10 Tage an.

paralytische Poliomyelitis

Die paralytische Poliomyelitis tritt bei 0,1 – 1 % der Betroffenen auf und zeigt sich in Form schlaffer Lähmungen verschiedener Muskelgruppen. Bei einer Poliomyelitis mit Paralyse unterscheidet man in die folgenden Unterformen in Abhängigkeit der betroffenen Motoneuronen:

  • spinale Form (initial Symptome einer Hirnhautentzündung, gefolgt von schweren Myalgien, lokalisierten sensorischen Symptomen wie Hyperästhesie & Parästhesie sowie motorischen Symptomen wie Krämpfen & Faszikulationen; innerhalb von 1 – 2 Tagen treten dann eine klassischerweise asymmetrische, schlaffe Lähmung und Schwäche auf)
  • bulbäre Form (schwerwiegendste Form mit Lähmung der von den Hirnnerven versorgten Muskelgruppen und damit zu Schluckstörungen, nasalem Sprechen, nasale Regurgitation, Sekretansammlungen und Dyspnoe)
  • bulbospinale bzw. gemischte Form

Zu den Lähmungen/Schwächen ist zu betonen, dass hierbei eher proximale Muskelgruppen betroffen sind schlaff sind (im Gegensatz zur spastischen Lähmung bei Schädigung der motorischen Hirnrinde oder der Pyramidenbahn). Die Lähmungen dauern i.d.R. bis zu einer Woche an und bei 2/3 der Patient*innen kommt es zur dauerhaften Schwäche. Weitere typische Symptome sind u.a. tiefe Muskelschmerzen, Hyperästhesien, Parästhesien sowie ein Harnverhalt und Muskelspasmen (beide Letzteren während der aktiven Meningitis)

Bei 2 – 20 % der Patient*innen mit einer paralytischen Poliomyelitis kommt es im Verlauf zur zentralen Lähmung der Atemmuskulatur und damit auch zum Tod.

Post-Poliomyelitis-Syndrom (Post-Polio-Syndrom)

Beim Postpolio-Syndrom handelt es sich um eine Symptomkonstellation aus Paresen, Schwächen, Faszikulationen und Atrophie, welche sich auch Jahre oder Jahrzehnte (Ø 35 Jahre nach akuter Poliomyelitis, i.d.R. im 5. Lebensjahrzehnt) nach einer paralytischen Poliomyelitis entwickeln kann. Begleitet werden die zuvor genannten Symptome von starken Schmerzen und ausgeprägten Erschöpfungszuständen. Ursächlich für das Postpolio-Syndrom ist wahrscheinlich die Degeneration ursprünglich nicht durch die Krankheit geschädigter Motoneuronen.

Anamnese & Diagnostik

Die Polio-Diagnosestellung erfolgt v.a. klinisch in Verbindung mit der üblichen Labordiagnostik:

  • bei V.a. Polio Einschaltung des Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren am RKI
  • primär Stuhldiagnostik, ggf. auch Rachenabstriche und Liquor/Lumbalpunktion (Erregernachweis im Stuhl in den ersten 14 Tag in ca. 80 %)
  • ggf. Virusanzucht zur Erhöhung der diagnostischen Sensitivität zur Typisierung zw. Wildtyp-und Impfstämmen mittels PCR, Sequenzierung

Anamnestisch sollte die folgenden Punkte abgeklärt werden:

  • Abklärung des Krankheitsverlauf (nach Inkubationszeit initial Prodromi mit Diarrhoe & Atemwegssymptomatik, danach i.d.R. Ausbildung einer Meningoenzephalitis bzw. Meningitis mit Meningismus-Zeichen
  • doppelgipfeligen Fieberverlauf erfragen
  • Differenzialdiagnosen abklären (Guillain-Barré-Syndrom, Diphtherie, Meningitis bzw. Enzephalitis)
  • Risikofaktoren abklären (z.B. zunehmendes Alter, Schwangerschaft, aktuelle Tonsillektomie oder intramuskuläre Injektion, Minderung der B-Zell-Funktion
  • Vorliegen einer medizinischen Notfallkarte (z.B. von Polio Selbsthilfe) erfragen

Zusätzlich kann zum Ausschluss einer akuten Myelopathie ein MRT des Rückenmarks in Betracht gezogen werden.

Therapie

Für eine Polio-Erkrankung gibt es auch heutzutage keine spezifische Therapie mit antiviralen Substanzen. Die Behandlung erfolgt rein symptomatisch und im Nachgang zur akuten Phase sind oftmals längere physiotherapeutische und orthopädische Nachbehandlung (z.B. Wadenplastik) notwendig. Bei suffizienter Physiotherapie in den ersten 2 Jahren kann eine spürbare Verbesserung der Beweglichkeit erreicht werden. Bei zusätzlichen Schmerzen soll eine ausreichende Analgesie mittels Schmerzmitteln & Antiphlogistika.

Sonstige zu treffende Maßnahmen sind u.a. die Unterbrechung der Übertragung durch Isolation der Betroffenen und ein vollständiges Kontaktperson-Management (Abklärung Impfstatus, ggf. Isolation).

Prognostisch lässt sich sagen, dass bei der Ausbildung einer paralytischen Poliomyelitis in rund 50 % der Fälle Spätschäden & Behinderungen entstehen und in 2 – 20 % der Fälle verläuft die akute paralytische Poliomyelitis letal aufgrund einer Atemlähmung. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit eines Postpolio-Syndrom mit erneuten Lähmungen und zum Teil fortschreitenden Muskelschwund (siehe Kapitel „Symptomatik“)

Prävention durch Impfung

Initial ist zu betonen, dass es zwischen den drei Erregertypen es keine Kreuzimmunität gibt, sodass die Infektion mit einem der drei Typen nicht vor einer weiteren Infektion mit einem der beiden anderen Typen schützt.

Die Impfung ist das einzig wirksame Mittel gegen einen relevanten Krankheitsverlauf im Zuge einer Infektion mit dem Polio-Virus. In Einzelfällen kann eine passiv übertragene mütterliche Immunität einen gewissen Schutz bieten. Für die Immunisierung ist das folgende Impfschema der STIKO vorgesehen:

  • Grundimmunisierung durch Impfungen im Alter von 2, 4 und 11 Monaten
  • falls Grundimmunisierung im Säuglingsalter nicht erfolgt, sollte diese zeitnah nachgeholt werden (2 oder 3 Injektionen im Abstand von min. 4 Wochen bis zu 6 Monaten)
  • routinemäßige Auffrischung im Alter von 11 – 16 Jahren, sonst keine weitere Empfehlung für Auffrischimpfungen im Erwachsenenalter, außer wenn diese grundsätzlich noch ausstehend sind
  • bei beruflich möglichem Kontakt mit Polio sollte ine Auffrischung alle 10 Jahre erfolgen
  • bei Reisen in Regionen mit Infektionsrisiko sollten bei Personen ohne Grundimmunisierung vor Reisebeginn min. 2 Polio-Impfstoffgaben im Abstand von 4 Wochen erfolgen

Insgesant lässt sich sagen, dass das Impfen im Nachgang zur Entwicklung oraler Impfstoffe Anfang der 1960er Jahre eine wahre Erfolgsgeschichte ist, wie z.B. die Zahlen aus Deutschland eindrucksvoll zeigen.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Poliomyelitis#/media/Datei:Polio_in_Deutschland_1910-2018.svg

Quellen

Published inWelttag...

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