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Leitlinie „Diagnosis and Management of Cannabinoid Hyperemesis Syndrome“ der AGA

veröffentlichende Fachgesellschaft: American Gastroenterological Association (AGA)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 05.03.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1053/j.gastro.2024.01.040

Grundsätzliches

  • Cannabis ist die weltweit am häufigsten konsumierte psychoaktive Substanz
  • Cannabispflanze enthält mehr als 400 chemische Stoffe, von denen mehr als 100 Cannabinoide identifiziert wurden
  • wichtigste Bestandteilen sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), wobei THC der psychoaktive Inhaltsstoff ist
  • Cannabinoid-Hyperemesis-Syndrom (CHS) = unerwünschte Wirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen bei Konsum von Cannabis
  • CHS ist eine Unterform des Syndroms des zyklischen Erbrechens (CVS)
  • CHS/CVS wird mit chronischem (in der Regel jahrelangem) und starkem (i.d.R. täglichem oder fast täglichem) Cannabiskonsum in Verbindung gebracht
  • CHS/CVS wird vorwiegend bei Männern beobachtet
  • frühzeitige Erkennung und Behandlung können das Risiko von Komplikationen wie Dehydratation, akuter Nierenschädigung, Elektrolyt- & Stoffwechselstörungen sowie das noch seltenere Risiko eines Pneumothorax/Pneumomediastinums und des Todes verringern

Pathophysiologie

  • Hauptwirkstoff von Cannabis ist Delta-9-THC bzw. Tetrahydrocannabinol, das zwei G-Protein-gekoppelte Membranrezeptoren, CB1- und CB2-Rezeptoren, aktiviert
  • Auffindeorte
    • CB1-Rezeptoren befinden sich im Gehirn und im gesamten Darm, vor allem in myenterischen und submukösen Neuronen sowie in nichtneuronalen Zellen wie Epithelzellen (dichte Verteilung in Hirnregionen wie dem dorsalen vagalen Komplex, welcher für die neuronalen Schaltkreise für die Steuerung des Erbrechens von entscheidender Bedeutung ist)
    • CB2-Rezeptoren befinden sich v.a. in Entzündungszellen (Immunozyten & Makrophagen) und Epithelzellen sowie in geringerem Maße in Neuronen, inkl. sensorischer Neuronen, die für die Auswirkungen auf Entzündung und Nozizeption verantwortlich sind
  • für das Erbrechen sind vor allem die CB1-Rezeptoren, die sich vorwiegend im zentralen Nervensystem befinden, verantwortlich (weitere Wirkungen auf Angst, Depression, gastrointestinale Sekretion und Appetitkontrolle)

Epidemiologie

  • Cannabis-Konsum wird mit CVS, CHS, Cannabinoid-Entzugssyndrom (CWS) sowie Übelkeit & Erbrechen in der Schwangerschaft in Verbindung gebracht
  • CVS steht in Zusammenhang mit jüngerem Alter, Tabakkonsum, psychiatrischen Komorbiditäten und Symptomen, die mit anderen Störungen der Darm-Hirn-Interaktion in Verbindung stehen
  • CVS tritt relativ häufig (10,8 %) bei Patient*innen mit intermittierenden Episoden von Übelkeit und Erbrechen auf

Symptomatik bzw. Diagnostik

  • klinische Diagnosekriterien für CHS
    • klinische Merkmale: stereotypes, episodisches Erbrechen, das hinsichtlich des Auftretens einem CVS ähnelt; Häufigkeit: 3 oder mehr Mal pro Jahr
    • Cannabiskonsummuster: Dauer des Cannabiskonsums: > 1 Jahr vor Auftreten der Symptome; Häufigkeit: durchschnittlich > 4 Mal pro Woche
    • Beendigung des Cannabiskonsums: Verschwinden der Symptome nach min. sechsmonatiger Abstinenz vom Cannabiskonsum oder min. identisch mit der Gesamtdauer von drei typischen Erbrechenszyklen beim/bei der jeweiligen Patient*innen
    • Berichte über einige Fälle von CHS in Verbindung mit verlängertem Badeverhalten (lange heiße Bäder oder Duschen)
  • Rom-IV-Kriterien für Syndrom des zyklischen Erbrechens bei Erwachsenen (Kriterien in den letzten 3 Monaten erfüllt, wobei die Symptome min. 6 Monate vor Diagnose auftraten)
    • stereotype Episoden hinsichtlich Beginn (akut) und Dauer (< 1 Woche)
    • min. 3 eigenständige Episoden im letzten Jahr und 2 Episoden in den letzten 6 Monaten mit min. einer Woche Abstand
    • Fehlen von Übelkeit & Erbrechen zwischen Episoden (ggf. aber andere mildere Symptome zwischen den Episoden vorhanden)

Phasen des Syndroms des zyklischen Erbrechens (CVS)

  • inter-episodische Phase (Zeit zwischen den Episoden)
    • fehlende oder minimale Symptome
    • 30 % können Dyspepsie oder Übelkeit haben
    • prophylaktische Medikamente bei mittelschwerem bis schwerem CVS wie Trizyklika, Antikonvulsiva, mitochondriale Ergänzungsmittel (CoQ10, Vitamin B2), NK1-Antagonisten
  • Prodromalphase
    • Übelkeit und Unterleibsschmerzen
    • mittlere Dauer: 30 – 90 min
    • autonome Symptome wie z.B. Schwitzen, Hitze- oder Kältegefühl
    • Panik und Agitation
    • Einnahme abortiver Medikamenten wie Triptane oder Antiemetika (NK1-Antagonisten, H1-Antagonisten, Benzodiazepine)
  • emetische Phase
    • durchgehendes Erbrechen, Würgen, Bauchschmerzen sowie neurologische Symptome
    • extremer Durst mit Trinken großer Mengen an Wasser
    • Erleichterung bei leerem Magen (oftmals wird Erbrechen herbeigeführt)
    • ruhiges Setting in dunklen Raum schaffen
  • Erholungsphase
    • Nachlassen des Erbrechens
    • mit oralen Aufnahme von Nahrung/Flüssigkeit beginnen und je nach Verträglichkeit fortfahren
    • Wiederaufnahme normaler Aktivitäten
Quelle: Rubio-Tapia, Alberto, Richard McCallum, und Michael Camilleri. „AGA Clinical Practice Update on Diagnosis and Management of Cannabinoid Hyperemesis Syndrome: Commentary“. Gastroenterology 166, Nr. 5 (Mai 2024): 930-934.e1. https://doi.org/10.1053/j.gastro.2024.01.040.

Therapie

  • Hinweise auf Wirkung von Benzodiazepinen, Haloperidol, Promethazin, Olanzapin und Ondansetron für die Akut- und Kurzzeitbehandlung in Fallserien und kleinen klinischen Studien
  • Opioide wegen Verschlimmerung der Übelkeit und hohen Suchtrisiko vermeiden
  • langfristig ist Einstellung des Marihuanakonsums notwendig/anzuraten (CAVE: kein „kalter Entzug“, da Gefahr erheblicher Entzugssymptome und hohe Rückfallquote besteht)
  • Amitriptylin ist eine der Hauptstützen der Therapie (min. wirksame Dosis von 75 – 100 mg vor dem Schlafengehen)
  • Auftragen von topischer Capsaicin-Creme (0,1 %) auf den Oberbauch zur Verringerung des Antiemetika-Bedarfs
  • rascher Ausschluss potentieller Differentialdiagnosen wie akutes Abdomen, Darmverschluss, mesenteriale Ischämie, Pankreatitis und Myokardinfarkt (im Anschluss auch ambulante Ausschluss struktureller Anomalien wie Ruminationssyndrom, Gastroparese, CVS, Schwangerschaft, Migräne und funktionelles chronisches Übelkeits- & Erbrechenssyndrom
Published inLeitlinien kompakt

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