Zum Inhalt springen

Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ der DGN & DMKG (Update 2025)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) & Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG)
Klassifikation gemäß AWMF: S1
Datum der Veröffentlichung: 08.08.2025
Ablaufdatum: 07.08.2028
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-057

Epidemiologie

  • Punktprävalenz von 20 % bei Frauen und 8 % bei Männern
  • 1-Jahres-Prävalenz zwischen 10 – 15 % (vor der Pubertät 3 – 7 %)
  • Jungen und Mädchen sind in etwa gleich häufig betroffen
  • höchste Prävalenz besteht zwischen 20. und 50. Lebensjahr (in dieser Lebensphase sind Frauen bis zu dreimal häufiger betroffen als Männer)

Definition/Symptomatik

  • heftige, häufig einseitig (1/3 der Patient*innen beidseitig) pulsierend-pochende Kopfschmerzen, die bei körperlicher Betätigung an Intensität zunehmen
  • wenn einseitig, können sie innerhalb einer Attacke oder von Attacke zu Attacke die Seite wechseln
  • Intensität der Attacken kann von Attacke zu Attacke stark variieren
  • Dauer der Attacken beträgt nach Definition der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft unbehandelt zwischen 4 – 72 h (bei Kindern eher kürzere, auch bilaterale Attacken und ggf. auch ohne Kopfschmerz, nur mit Übelkeit, Erbrechen und Schwindel)

weitere Symptome

  • Appetitlosigkeit (fast immer)
  • Übelkeit (80 %)
  • Erbrechen (30 %)
  • Lichtscheu (60 %)
  • Lärmempfindlichkeit (50 %)
  • Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen (10 %)
  • Zeichen der Aktivierung des Parasympathikus (82 %), z.B. am häufigsten leichtes Augentränen

Therapie

Therapie-Algorithmus

5-HT1B/1D-Agonisten (Triptane)

  • Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan sind die Substanzen mit der besten Wirksamkeit zur Akutbehandlung der Kopfschmerzphase bei Migräneanfällen mit oder ohne Aura
  • bei starken Kopfschmerzen, die nicht auf Analgetika, Kombinationsanalgetika oder nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) ansprechen, einsetzen
  • 3 mg oder 6 mg Sumatriptan s.c. ist die wirksamste und am schnellsten wirksame Therapie akuter Migräneattacken
  • 40 mg Eletriptan und 10 mg Rizatriptan sind die am schnellsten wirksamen oralen Triptane
  • bei Nichtansprechen auf ein Triptan kann ein anderes Triptan versucht werden
  • Kombination von Triptanen mit Naproxen ist wirksamer als die Monotherapie
  • Wirksamkeit der Medikamente zur Therapie akuter Migräneattacken inklusive der Triptane ist höher, wenn diese früh in der Kopfschmerzphase der Migräne eingenommen werden
  • CAVE: Einnahme während der Aura ohne bestehende Kopfschmerzen ist nicht wirksam
  • Schwelle für die Entstehung von Kopfschmerzen durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln liegt für Triptane und Kombinationsanalgetika bei ≥ 10 Einnahmetagen/Monat und für Monoanalgetika bei ≥ 15 Einnahmetagen/Monat
  • Nebenwirkungen
    • Engegefühl im Bereich der Brust und des Halses
    • Parästhesien der Extremitäten
    • Kältegefühl
    • lokale Reaktionen an der Injektionsstelle bei s.c.-Applikation
  • Kontraindikationen
    • unzureichend behandelte Hypertonie
    • koronare Herzerkrankung
    • Angina pectoris
    • Myokardinfarkt in der Vorgeschichte
    • M. Raynaud
    • pAVK
    • TIA oder Schlaganfall
    • Schwangerschaft, Stillzeit
    • schwere Leber- oder Niereninsuffizienz
    • multiple vaskuläre Risikofaktoren
    • gleichzeitige Behandlung mit Ergotamin
    • innerhalb von 2 Wochen nach Absetzen eines MAO-Hemmers

Mutterkornalkaloide

  • Ergotamin ist in der Akuttherapie der Migräne wirksam (CAVE: Wirksamkeit ist allerdings schlecht belegt)
  • CAVE: Mutterkornalkaloide dürfen nicht mit Triptanen kombiniert werden
  • Einsatz nur ausnahmsweise zur Behandlung akuter Migräneattacken aufgrund schlechter Wirkung und vermehrten Nebenwirkungen

Antiemetika

  • Antiemetika wie Metoclopramid oder Domperidon wirken bei der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Migräneattacke
  • Metoclopramid hat eine geringe eigenständige Wirkung auf die Kopfschmerzen bei einer Migräneattacke
  • prokinetische und antiemetische Medikamente nicht generell mit Analgetika oder Triptanen kombinieren, sondern zur gezielten Behandlung von starker Übelkeit oder Erbrechen
  • Dosierungen
WirkstoffDosierung und
Applikationsweg
NebenwirkungenKontraindikationen
Metoclopramid10 mg p. o.
10 mg rektal
10 mg i. m. oder i. v.

(max. Tagesdosis 30 mg)
– frühes dyskinetisches
Syndrom
– Unruhezustände
– Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
– Hyperkinesen
– Epilepsie
– Schwangerschaft
-Prolaktinom
Domperidon10 mg p. o.

(max. Tagesdosis 30 mg)
seltener als bei Metoclopramid– Kinder unter 12 Jahren und unter
35 kgKG
– QTc-Zeit-Verlängerung,
– Medikamente, welche die QTcZeit verlängern

Analgetika

  • Analgetika wie Acetylsalicylsäure, nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) und Kombinationen von Analgetika mit Koffein sind bei der Behandlung von akuten Migräneattacken wirksam (bester Wirkbeleg für Acetylsalicylsäure und Ibuprofen)
  • leichtere und mittelstarke Migräneattacken zunächst mit zuvor genannten Substanzen behandeln (CAVE: wirken auch bei einem Teil der Pat. mit schweren Migräneattacken)
  • Wirksamkeit der Medikamente zur Therapie akuter Migräneattacken inklusive der Triptane ist höher, wenn diese früh in der Kopfschmerzphase eingenommen werden
  • keine Opioid-Analgetika in der Therapie akuter Migräneattacken
  • Schwelle für die Entstehung von Kopfschmerzen durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln liegt für Triptane und Kombinationsanalgetika bei ≥ 10 Einnahmetagen/Monat und für Monoanalgetika bei ≥ 15 Einnahmetagen/Monat
  • Dosierungen
    • Acetylsalicylsäure (ASS) (p. o.) mit Einzeldosis von 900 – 1000 mg (mit und ohne Metoclopramid)
    • Acetylsalicylsäure (ASS) (i. v.) mit Einzeldosis von 1000 mg als Notfallmedikation mit und ohne Metoclopramid
    • Ibuprofen (p. o.) mit Einzeldosen von 200 mg, 400 mg und 600 mg
    • Phenazon mit Einzeldosis von 1000 mg (Einsatz bei Pat. mit Kontraindikationen für NSAR)
    • Diclofenac-Kalium (p. o.) mit Einzeldosis von 50 mg und 100 mg
    • Kombipräparat aus ASS (250 oder 265 mg) + Paracetamol (200 oder 265 mg) + Koffein (50 oder 65 mg); in Studien ist die Kombination wirksamer als die Einzelsubstanzen
    • Metamizol (p. o.) mit Einzeldosis von 1000 mg zur Behandlung von starken Schmerzen, wenn andere analgetische Maßnahmen nicht geeignet sind
    • Metamizol (i. v.) mit Einzeldosis von 1000 mg als Notfallmedikation mit und ohne Metoclopramid

Lasmiditan und Rimegepant

  • Lasmiditan ist bei der Behandlung akuter Migräneattacken wirksamer als Placebo
  • Lasmiditan kann eingesetzt werden bei Kontraindikationen gegen Einsatz von Triptanen
  • Rimegepant kann eingesetzt werden bei Pat., bei denen Analgetika oder Triptane nicht wirksam sind oder nicht vertragen werden
  • Dosierungen
WirkstoffStandarddosis
Lasmiditan (p.o.) 100 mg (CAVE: zentrale Nebenwirkungen, in seltenen Fällen Serotoninsyndrom, Bradykardie und vorübergehender RR-Anstieg)
Rimegepant (p.o.)75 mg (CAVE: nicht bei stark eingeschränkter Nieren- oder
Leberfunktion, Anwendung von starken CYP3A4-Hemmern)

Sondersituationen in der Akuttherapie

Migräneattacken bei Kindern und Jugendlichen

  • bei kurzen Migräneattacken (< 3 h) im Kindesalter individualisiert Schlaf, Kühlen von Stirn und Schläfen, Trinken, Pfefferminzöl, Wärmekissen im Nacken und weitere selbstwirksame „Reset-Strategien“ erproben (CAVE: können zur Basistherapie ausreichen)
  • Migräneattacken bei Kindern werden am besten mit Ibuprofen 10 – 15 mg/kgKG oder als 2. Wahl mit Paracetamol 10 – 15 mg/kgKG (CAVE: bei Paracetamol kritische kumulative Dosierungen von besonderer Bedeutung wegen Hepatotoxizität)
  • Migräneattacken mit Triptanen bei Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr mit Sumatriptan-Nasenspray in der Dosis von 10 mg und Zolmitriptan-Nasenspray in der Dosis von 5 mg behandeln (CAVE: Rizatriptan hat FDA-Zulassung ab dem 6. Lebensjahr)

Migräneattacken als Notfall

  • ASS i.v. (1000 mg ASS mit oder ohne MCP)
  • Triptane s.c. (z.B. 6 mg Sumatriptan s.c)
  • Metoclopramid (sowie andere Dopaminantagonisten)
  • Metamizol i.v. (1000 mg)
  • bei Status migraenosus: 50 – 100 mg Prednison oder 4 – 8 mg Dexamethason i. v.
  • kein Paracetamol

Migräneattacken in der Schwangerschaft

  • leichte Migräneattacken können nicht-medikamentös durch Reizabschirmung und Ruhe behandelt werden
  • bei Übelkeit und Erbrechen kann MCP während der gesamten Gravidität verwendet werden (CAVE: Ondansetron unter strenger Indikationsstellung bei schwerer Übelkeit und Unwirksamkeit von Metoclopramid)
  • Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Metamizol im 1. und 2. Trimenon
  • keine Gabe von Acetylsalicylsäure, NSAR und Metamizol im 3. Trimenon
  • Bedenken gegen Einsatz von Paracetamol (Acetaminophen) zur Behandlung akuter Migräneattacken während der Schwangerschaft sind nur noch begrenzt valide –> Paracetamol kann zur Behandlung von leichten bis mäßigen Migräneattacken im 1., 2. und 3. Trimenon gegeben werden (CAVE: Wirksamkeit ist allerdings gering)
  • Sumatriptan (oral, nasal, s. c.) kann als Mittel der Wahl bei Migräneattacken in der Schwangerschaft eingesetzt werden

Migräneattacke in der Stillzeit

  • wenn immer möglich, leichte Migräneattacken während der Stillzeit nicht-medikamentös durch Reizabschirmung, Ruhe, Entspannung und Eispackungen behandeln
  • keine Antiemetika wie Metoclopramid oder Dimenhydrinat während der Stillzeit
  • Wirkstoff und Abbauprodukte von Acetylsalicylsäure und Ibuprofen gehen nur in geringen Mengen in die Muttermilch über –> bei kurzfristiger Anwendung ist Unterbrechung des Stillens in der Regel nicht erforderlich
  • Anwendung von Eletriptan ist mit dem Stillen möglich, ohne dass Abpumpen erforderlich ist
  • CAVE: für Sumatriptan und andere Triptane gibt es keine eindeutigen Nachweise der Unbedenklichkeit –> als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme wird empfohlen, die Muttermilch vor deren Einnahme abpumpen, um damit den Säugling zu stillen

Migräneattacke bei menstrueller Migräne

  • Akuttherapie einer Migräneattacke während der Menstruation unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der üblichen Therapie der Migräneattacke
Published inLeitlinien kompakt

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert