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Leitlinie „Akute Verätzung am Auge“ der DOG (Update 2025)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG)
Klassifikation gemäß AWMF: S1
Datum der Veröffentlichung: 31.10.2025
Ablaufdatum: 30.10.2030
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/045-018

Grundsätzliches

  • Epidemiologie
    • meiste Augenverätzungen und Augenverbrennungen werden durch Chemikalien (Säuren, Laugen) oder Hitze (offene Flammen, geschmolzenes Metall, Feuerwerkskörper) verursacht
    • zw. 7,3 – 22,1 % der Augenverletzungen durch Verätzungen verursacht, wobei die Häufigkeit bei Männern in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen aufgrund beruflicher Exposition oder Gewalttaten besonders hoch ist
  • pathophysiologische Grundlagen
    • Laugen
      • Laugen sind lipolytisch und penetrieren schnell durch Membranen der zellulären Gewebe
      • verseifen die Fettsäuren der Zellmembranen, penetrieren die Gewebe von Lid-, Bindehaut- Hornhautstroma und Limbus und verändern die Gewebe
    • Säuren
      • Säuren schädigen Geweben durch Denaturierung und durch Ausfällen von Proteinen
      • koagulierte Proteine wirken kurzzeitig als Barriere gegen weitere Penetration der Säure
      • Ausnahme stellt die Flusssäure dar, bei der Fluorionen rasch durch die gesamte Dicke der Hornhaut penetrieren und schwerste Schäden am gesamten Auge anrichten
    • Mischagentien (z.B. Reinigungsprodukte mit oberflächenaktiven Stoffen (Tenside)
  • Schwere der Verätzung hängt im Wesentlichen von fünf Faktoren ab:
    • Kontaktzeit der Chemikalie mit dem Auge
    • Zeitpunkt des Einsetzens einer qualifizierten Notfalltherapie
    • Spezifische Toxizität der Chemikalie (Dissoziationskonstante)
    • Konzentration & Temperatur der Chemikalie, mechanischer Druck der Einwirkung
    • Ausdehnung des mit der Ätzsubstanz in Berührung gekommenen Gebietes

Diagnostik

  • Beschwerden sind unspezifisch, besonders schwere Verätzungen sind im akuten Stadium häufig symptomarm und haben wegen schwerer Ischämie nur wenig Rötung
  • ausführliche Anamneseerhebung während bzw. nach Spülung
    • Art der Chemikalie (Packung, Fachinformationen oder Material Safety Data Sheet), ggf. Giftnotruf kontaktieren
    • Unfallzeitpunkt
    • Verletzungsmechanismus (u.a. stand Chemikalie unter hohem Druck?)
    • Ausspülen der Chemikalie erfolgt? (Womit? Für wie lange?)
  • augenärztliche Erstuntersuchung soll umfassen
    • Untersuchung der Augenvorderabschnitte mit Spaltlampe, inkl. Anfärbung mit Fluoreszein
    • Sehschärfenprüfung ggf. mit bekannter Korrektur, ggf. unter Verwendung von Betäubungstropfen
    • Messung des Intraokulardrucks bei schwerer Verätzung
    • Versuch der Beurteilung des zentralen Augenhintergrundes
    • Tränenwegsspülung und ggf. Intubation der Tränenwege bei V.a. Verschluss der Tränenwege

Therapie

  • sofortige Augenspülung und Reinigung von partikulären Resten
    • bei schweren Verätzungen doppelt ektropionieren und Umschlagfalten inspizieren, ggf. mit Reinigung und Spülung
    • Hornhaut und alle verätzten Strukturen intensiv spülen
    • Ziel der Spülung ist, Entfernung der Agens und Wiederherstellung des physiologischen pH
    • vor Spülung Gabe einer topischen Anästhesie, dann auch Spülung unter Verwendung eines Lidsperrers möglich
    • bei sehr starken Schmerzen und zur genaueren Inspektion und Reinigung para- oder retrobulbäre Anästhesie oder Kurznarkose erwägen
    • initiale Spülung entsprechend der Schwere der Verätzung und ausreichend intensiv, bei schweren Verätzungen bis pH-Wert neutral ist; initial mit Leitungswasser
    • v.a. bei schwereren Verätzungen ggf. Spülung mit dekontaminierenden Lösungen
    • wenn weder qualifizierte Dekontaminationslösungen noch Wasser verfügbar sind, auch mit anderen Flüssigkeiten, z.B. Softdrinks, Milch oder ähnlichen Flüssigkeiten spülen
  • Verätzungen nicht mit geschlossenem Verband behandeln
  • bei Flusssäure- (HF-) Verätzungen gleichzeitige lebensbedrohliche Haut- und Inhalationsverätzung ausschließen (CAVE: Eigenschutz)
    • Augen- und Hautspülung mit spezifischer Hexafluorine-Lösung
    • fehlt die Speziallösung, alternativ mit Leitungswasser oder Kalziumglukonat spülen (allerdings Gefahr der Hornhaut-Verkalkung)
    • internistische Mitbetreuung und ggf. Kalziumsubstitution wegen Gefahr einer assoziierten systemischen Hypokalzämie
  • nach ausführlicher Spülung Inspektion der peripheren bulbären Konjunktiva, der Fornices sowie der tarsalen Konjunktiva unter einfachen/doppeltem Ektropionieren bei jeder Verätzung, v.a. bei solchen mit soliden Partikeln, z.B. mit kalkhaltigen Baustoffen
  • medikamentöse Therapie
    • Ziel der medikamentösen Therapie ist die möglichst schnelle Heilung ohne oder mit möglichst wenig Narbenbildung
    • leichte bis mittelgradige Verätzungen (Grad I und II in beiden Klassifikationen) haben gute Prognose, oftmals reicht alleinige medikamentöse Therapie ohne chirurgischen Eingriff
    • kortisonhaltige Augentropfen zur Reduktion der Entzündungsreaktion und zur Verhinderung eines weiteren kornealen Gewebeverlust (auch bei Epitheldefekten)
    • topische antibiotische Behandlung bei Epitheldefekt, um Superinfektion zu vermeiden
    • großzügiger Einsatz benetzender Augentropfen zur Förderung der Epithelialisierung und des Patientenkomforts
    • Verbandlinsen
    • ggf. Augensalben (z.B. Dexpanthenol), um Augenoberfläche mit linderndem Salbenfilm zu bedecken
    • Zykloplegika bei schweren Verätzungen zur Reduzierung eines intraokularen Reizzustandes und der damit verbundenen Schmerzen sowie zur Vermeidung hinterer Synechien
    • weitere medikamentöse Therapien bei mindestens mittelgradigen Verätzungen
      • Ascorbinsäure (Vitamin C) als Augentropfen und/oder Tabletten
      • systemische und/oder subkonjunktivale Steroide/NSAIDs
      • Doxyzyklin oder Tetrazyklin oder Makrolid-Antibiotika wie Azithromycin oral bei Hornhauteinschmelzung
      • Antiglaukomatosa bei Sekundärglaukom (im akuten Stadium eher systemische Therapie)
  • chirurgische Behandlung
    • Débridement nekrotischen Epithels, Peridotomie oder Peridektomie in den ersten 3 Tagen nach Verätzung
    • korneosklerale Tenonplastik oder sklerokorneale tektonische Keratoplastik bei schwerer Verätzung mit Limbusischämie
    • Débridement nekrotischen Epithels (Peridotomie, Peridektomie) in seltenen Fällen im Verlauf bei starker Chemose und Ischämie
    • Illigschale zur Vermeidung von Symblephara
    • großzügige Amnionmembrantransplantation (AMT) als Patch bei mittelgradiger Verätzung

ambulante/stationäre Versorgung & Nachsorge

  • ambulante Betreuung bei leichten Verätzungen
  • Entscheidung, ob ambulante oder stationäre Behandlung bei mittelgradigen Verätzunge erfolgt, u.a. aufgrund der Ausprägung der Befunde, der notwendigen Therapie, der Fähigkeit der Patient*innen zur Umsetzung der notwendigen Therapie, der Schmerzen und des Leidensdruckes
  • zunächst stationäre Behandlung bei schweren Verätzungen
  • augenärztliche Kontrollen in Abhängigkeit von Befund und Verlauf zur Untersuchung möglicher Langzeitkomplikationen
Published inLeitlinien kompakt

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