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Advisory Statement „Gemeinsame Stellungnahme zu Reanimationsabbruch und -verzicht“ des GRC, DIVI, BAND, NIS-DGU, DGIIN, DGAI, DGINA & DGK

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutscher Rat für Wiederbelebung (GRC), Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND), Sektion Notfall-, Intensivmedizin und Schwerverletztenversorgung (NIS) der Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Deutsche Gesellschaft für Notfallmedizin (DGINA) und Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 13.11.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1007/s10049-025-01657-7

Grundsätzliches

  • plötzliche Herz-Kreislauf-Stillstand ist eine der führenden Todesursachen in westlichen Industrienationen
  • nur 7,9 % (mit regionalen Unterschieden) aller Patient*innen haben laut Deutschem Reanimationsregisters der DGAI nach Reanimation die Behandlung mit einem guten neurologischen Ergebnis (Cerebral Performance Category [CPC] 1 – 2) überlebt
  • weitere 1 % der Patient*innen verlassen Klinik mit schlechtem bis sehr schlechtem Ergebnis (CPC 3 – 4)
  • v.a. die Gruppe der über 80- jährigen Patient*innen, die nach außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand reanimiert werden, nimmt stetig zu (2024: 32,6 %; 2014: 27,7 %)
  • Kammerflimmern als erster dokumentierter Herzrhythmus nur noch bei ca. 21,5 % (2014: 25,2 %)
  • Ziel aller Bemühungen im Kontext der kardiopulmonalen Reanimation muss es sein, auf der einen Seite die richtigen Patient*innen zu identifizieren, die von den durchgeführten Maßnahmen potenziell profitieren, aber andererseits auch bei jenen Patient*innen die Maßnahmen zu beenden oder gar nicht zu beginnen, bei denen kein sinnhaftes und realistisches Therapieziel existiert, respektive kein Wunsch auf Wiederbelebungsmaßnahmen besteht

Fünf Thesen zu Reanimationsabbruch und -verzicht

Reanimation braucht Therapieziel

  • nachfolgende Kriterien können bei der Entscheidungsfindung zum Reanimationsabbruch hilfreich und wegweisend sein und sollen daher in Therapieentscheidungen einbezogen werden:
    • Alter und Grad der Co-Morbidität
    • Grad der Frailty
    • Ausschluss von reversiblen Ursachen (z.B. im Rahmen des 4H-/HITS-Schemas)
    • unbezeugter Kollaps
    • nicht erfolgte Laienreanimation
    • Asystolie als primärer Herzrhythmus
    • kein Rhythmuswechsel/kein Return of Spontaneous Circulation (ROSC)
    • begleitendes sehr niedriges endtidales CO2 trotz effektiver Thoraxkompressionen
  • CAVE: nicht nur einzelne isolierte Punkte der Auflistung betrachten (z.B. allein das Alter als Abbruchkriterium heranziehen
  • kommt das Behandlungsteam aufgrund z.B. langer Liegedauer ohne begonnene und effektive Wiederbelebungsmaßnahmen, einer Erkrankungs- bzw. Verletzungsschwere o.Ä. zum Urteil, dass eine realistische Aussicht auf ein gutes Behandlungsergebnis fehlt und kein erreichbares Therapieziel besteht, ist eine weitere Eskalation der Maßnahmen zu vermeiden
  • bereits begonnene Reanimationsmaßnahmen beenden und Therapieziel konsequent im Sinne einer Palliation neu definieren (Therapiezieländerung)
  • Entscheidung im Team treffen, kommunizieren, dokumentieren und konsequent beachten und selbstverständlich den Angehörigen in klarer und empathischer Sprache kommunizieren
  • Fortführung der Reanimationsmaßnahmen bei fehlender Indikation nicht angezeigt, selbst wenn dies von Angehörigen eingefordert wird (ggf. sinnvoll, einen zeitlich befristeten Behandlungsversuch zu unternehmen, bis man im Team sämtliche notwendige Infos in dieser Situation zusammengetragen hat
  • Entscheidung zum Abbruch einer Reanimation ist – nach derzeitiger Einschätzung und Rechtsprechung– eine vorrangig ärztliche Aufgabe
  • Transport unter laufender Reanimation sorgfältig erwägen und nicht pauschal bei allen Patient*innen, die prähospital ohne ROSC verbleiben
  • Transport soll in Zielklinik erfolgen, die potenziell lebensrettende Therapieoptionen zeitgerecht und professionell vorhält (z.B. PCI, ECLS etc.)

Patient*innenwille muss frühestmöglich in Reanimationsentscheidungen einfließen

  • frühestmöglich im Verlauf der Reanimation Patient*innenwille evaluieren (z.B. in Form von Patientenverfügungen, Dokumenten des Advance Care Planning, Notfallausweisen oder glaubhaft dargelegten Ablehnung durch An-/Zugehörige)
  • Beenden – oder Nichtdurchführen – abgelehnter Maßnahmen ist keine Unterlassung, sondern konsequente Umsetzung des (mutmaßlichen) Patient*innenwillens und ist sowohl ethisch als auch rechtlich geboten

realistische Aufklärung über Reanimation, Prognose und Folgen

  • frühzeitige und umfassende Aufklärung zu Therapieoptionen und -grenzen
  • jede KH-Aufnahme kann und soll Anlass für Gespräch zu Therapiezielen sein, aber v.a. im Rahmen der Behandlung potenziell lebenslimitierender Erkrankungen sollte auf Basis der ärztlich-prognostischen Einschätzung ein Gespräch über realistische Therapieziele mit Patient*innen und Angehörigen begonnen werden
  • CAVE: Prognose nach Herz-Kreislauf-Stillstand ist nach wie vor schlecht und geht selbst im seltenen Fall eines primären Überlebens mit Risiko eines schlechten neurologischen Outcome oder anhaltenden Pflegebedürftigkeit einher, was Patient*innen und deren Angehörigen häufig nicht präsent ist

Patient*innen ermächtigen, Wünsche zu Behandlungen am Lebensende zu formulieren und verlässlich & belastbar zu dokumentieren

  • Berücksichtigung individueller Werte und persönlicher Einstellungen als Entscheidungsgrundlage wichtig und dringend geboten, daher mehr Aufklärung geboten
  • Etablierung entsprechender Schulungsangebote für Mediziner sowie unterstützend strukturierte Gesprächsprozesse durch geschulte Begleiter, wie beim ACP
  • belastbare Dokumentation der Gesprächsergebnisse, um zu verstehen, wann unnötige und nicht gewollte Reanimationsversuche zu unterlassen sind
  • Dokumente müssen verfügbar, schnell erfassbar und rechtlich verlässlich sein, um auch nichtärztlichem Personal die Sicherheit zu geben, die festgehaltenen Therapielimitierungen umzusetzen

Tod gehört zum Leben

  • bessere Schulung in der Kommunikation mit Angehörigen, um medizinischen Laien mit einfachen Worten die Situation sicher beschreiben zu können und auch unter Zeitdruck verlässliche und belastbare Therapiezielgespräche zu führen
  • Schaffung eines palliativmedizinisches Basiswissen bei allen in der Notfallversorgung tätigen Berufsgruppen, um Entscheidungen fundiert treffen zu können und so den Bedürfnissen von Patient*innen am Lebensende gerecht zu werden (Versterben in Würde ermöglichen)

Ausblick und Einordnung

  • Ziel aller Reanimationsbemühungen ist es, Patient*innen mit realistischer Überlebenschance nach prä-/innerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand die bestmögliche, ihrem Willen entsprechende Therapie zu ermöglichen
  • flächendeckende Telefonreanimation durch Leitstellen, Aktivierung von Smartphone-basierten Ersthelfersystemen bei jedem vermuteten Herz-Kreislauf-Stillstand sowie Training von Laien in Wiederbelebungsmaßnahmen (möglichst mit Beginn in der Schulzeit)
Published inLeitlinien kompakt

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