veröffentlichende Fachgesellschaft: European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 18.01.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1097/eja.0000000000001942
Grundsätzliches
- CO2-Fußabdruck des klinischen Sektors macht 4,7 % der gesamten europäischen Treibhausgasemissionen aus
- EU mit 12 % auf Platz 3 nach den Vereinigten Staaten (27 %) und China (17 %) bzgl. des globalen Fußabdrucks des Gesundheitssektors
- Einteilung des CO2-Fußabdrucks der Gesundheitsbranche in vier Hauptbereiche:
- direkte Emissionen
- energiebezogene indirekte Emissionen
- Lieferkette und Abfallwirtschaft
- Wohlergehen des Gesundheitspersonals & CO2-Fußabdrucks für Transport zum/vom KH
- flüchtige Anästhetika gehören zu den direkten Emissionen und sind für etwa 0,10 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich
- inhalative Anästhetika sind für 5 % der CO2-Äquivalent-Emissionen von KHs und in Ländern mit hohem Einkommen für bis zu 50 % der Emissionen perioperativer Abteilungen verantwortlich
- Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen (auch Narkosegasabsaugsysteme) sind für 52 % des Energiebedarfs stationärer Gesundheitseinrichtungen und für 90 – 99 % des gesamten Energieverbrauchs in Operationssälen verantwortlich
- ca. 65 % der gesamten Treibhausgasemissionen der Gesundheitsbranche entfallen z.B. in GB auf die Lieferketten und Abfallwirtschaft
- zw. 75 – 90 % aller Krankenhausabfälle sind mit Haushaltsabfällen vergleichbar und der größte Teil davon kann recycelt werden
- Krankenhausabfälle sind für ca. 1,0 – 4,2 % der Feststoffabfälle eines Landes und für 2,1 % der jährlichen Treibhausgasemissionen in Ländern mit hohem Einkommen verantwortlich
- nach WHO-Angaben sind etwa 85 % der Krankenhausabfälle ungefährlich (ca. 10 % sind infektiös & restliche 5 % sind nicht infektiös, aber gefährlich)
- in OPs fallen ca. 20 – 33 % aller KH-Abfälle an (25 % der Abfälle durch Anästhesist*innen verursacht)
5 R’s der Nachhaltigkeit
- Reject (Vermeidung von Verwendung unnötiger Produkte oder Geräte)
- Reduce (Reduktion; z.B. Inhalt einer großen Ampulle auf mehrere Spritzen aufziehen und nicht halbvolle Ampullen entsorgen)
- Reuse (Vermeidung von Einweggeräten oder -artikeln unter Einhaltung lokaler Sicherheits- & Hygienevorschriften)
- Recycle (Erstellung von Recyclingprotokollen entsprechend lokaler Bedürfnisse)
- Repair (Implementierung von Wartungsprotokollen o.Ä.)
Empfehlungen bzgl. direkter Emissionen
- Benennung von Verantwortlichen/Koordinator*innen für Nachhaltigkeit, um Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu verbessern
- Durchführung von Initiativen zur Qualitätsverbesserung, um Verbrauch von Inhalationsnarkotika zu reduzieren
- Nutzung des Inhalationsanästhetika mit dem geringsten Treibhauspotenzial (Sevofluran < Isofluran < Desfluran)
- Nutzung von TIVA und Regionalanästhesie, da CO2-Fußabdruck deutlich geringer im Vergleich zu volatilen Anästhetika
- Verwendung halogenierter Medikamente während Einleitungs- & Erhaltungsphase der Anästhesie mit niedrigstmöglichen Flow (Flow in Erhaltungsphase < 0,5 L/min)
- Bedarf an Narkosemedikamenten sollte auf Überwachung der Narkosetiefe (pEEG) abgestimmt werden, um unnötigen Gas- oder Propofolverbrauch zu vermeiden
- Nutzung von Distickstoffoxid nur, wenn keine anderen Alternativen möglich
- weitere Untersuchung der Recycling-Ansätze für Inhalationsnarkotika durch Narkosegasabsaugsysteme
- Außerbetriebnahme von Lachgasversorgungssysteme bzw. Streichung in Plänen für künftige KH-Bauprojekte (ggf. weitere Lachgasnutzung in Flaschen)
- Epiduralanalgesie oder PCA mit Remifentanyl anstatt Lachgas auf Entbindungsstationen
Empfehlungen bzgl. energiebezogener indirekter Emissionen
- Energietrias aus Minimierung des Energieverbrauchs, Übergang zu nachhaltiger Energieerzeugung und Vermeidung von Energieverlusten
- Minimierung des Energieverbrauchs
- gemischte Strömung anstatt laminarer Strömung in Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen
- Filterung und Rückführung von Luft aus OPs
- drehzahlgeregelte Antriebe sind Pumpen- & Ventilatorsystemen vorzuziehen
- Senkung der Luftwechsler in Operationssälen, die nicht genutzt werden
- Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen nachts und an Wochenenden auf ein Minimum herunterfahren
- Installation von Bewegungs- oder RFID-Sensoren, um Energieverbrauch von Beleuchtung und Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen zu optimieren
- Ziel-OP-Temperatur zw. 18 – 22 °C, um Energiebedarf zu senken, sofern Maßnahmen gg. Hypothermie wie Wärmedecken, wärmende Flüssigkeiten etc. vorhanden sind (CAVE: gilt nicht für Neugeborene als Patient*innen, optimale Temperatur in Verbrennungseinheit zw. 24 – 30 °C)
- Ziel- rel. Luftfeuchtigkeit in OPs zw. 30 – 60 %
- geschlossene OP-Türen, um Temperaturverluste zu vermeiden
- Nutzung von Umgebungs- und OP-Beleuchtung auf LED-Basis
- Umgestaltung von Operationssieben, sodass diese effizienter sind und weniger Zeit und Energie für die Sterilisation benötigen
- Erwägung des Einsatzes von Wärmesystemen aus leitfähigem Gewebe, da energieeffizienter als Wärmedecken mit forcierter Luftzufuhr
- Entwicklung und Einsatz von energieeffizienteren Sterilisatoren
- Abschaltung von Spülsysteme nachts und an Wochenenden, außer in OPs für Notfälle
- automatische elektronische Abschaltung von Computern und Wi-Fi-Netzwerken nachts und an Wochenenden
- Kennzeichnung von Geräten, die nach Gebrauch sicher ausgeschaltet werden können
- wiederaufladbare Batterien sind Einwegbatterien vorzuziehen
- bei Verwendung von Einwegbatterien Entsorgung gemäß lokaler Vorschriften (CAVE: Einwegbatterien vor Entsorgung aus Geräten entnehmen)
- Übergang zu nachhaltiger Energieerzeugung
- wenn möglich, Nutzung erneuerbarer Energie (Photovoltaik, Thermosolar, Geothermie)
- Förderung von Fenstern und natürlichen Lichtquellen, um elektrische Beleuchtung zu reduzieren.
- Berücksichtigung passiver und intelligenter Systeme zur Optimierung des Energieverbrauchs bei der Planung neuer Einrichtungen
- Vermeidung von Energieverlusten
- Optimierung der Isolierung bei Planung neuer Gebäude oder größeren Renovierungen
- Fenster geschlossen halten, um Temperaturverluste zu vermeiden, und wenn möglich, eher passive, gefilterte Belüftung
- Nutzung von Handwaschsensoren, da ressourcen- als auch kostensparend
- Nutzung von aufbereitetem Wasser anstelle von Trinkwasser für nicht-patientennahe Zwecke (z.B. bei Kühlsystemen, Heizkreisen oder Toilettenspülung)
Empfehlungen bzgl. Lieferkette und Abfallwirtschaft
- medizinische Geräte
- Berücksichtigung von Informationen zur Lebenszyklusanalyse (LCA) bei Beschaffungskriterien für neue medizinische Geräte oder Ausrüstungen
- industrielles Lagerhaltungsmodell für klinische Szenarien erwägen, um Ablauf von Artikel zu verhindern (CAVE: ausgenommen sind Notfallartikel)
- Kauf von wiederverwendbaren oder wiederaufbereiteten Geräten anstelle von Einweggeräten erwägen
- Vermeidung von Einweggeräten, die keinen eindeutigen Nutzen für die Patientenversorgung bieten
- aktive Dokumentation, um Personal zu ermutigen, Verschwendung und damit verbundene Kosten zu reduzieren
- Berücksichtigung von Energieeffizienzkennzeichnungen für neue elektronische Geräte nach der europäischen A-G-Skala bei Beschaffungskriterien für neue medizinische Geräte oder Ausrüstungen
- Monitoren für Patientenversorgung sollten Interoperabilität im Arbeitsablauf ermöglichen (v.a. bei Patiententransport)
- Nutzung von wiederverwendbaren Geräten aus Polypropylen (PP) oder Silikon anstatt aus Polyvinylchlorid (PVC) oder Diethylhexylphthalat (DEHP)
- Abfallmanagement
- zweimal vorher Nachdenken, bevor sterile Verpackungen, Versorgungssets oder andere Produkte geöffnet werden
- Versorgungspakete an lokale Protokolle und Bedürfnisse anpassen, um so unnötiges Material und Medikamente zu vermeiden
- bei Erforderlichkeit mehrerer NaCl-Ampullen zur Verdünnung Nutzung von größeren NaCl-Infusionen erwägen
- Verwendung wiederverwendbarer Geräte und Materialien anstelle von Einwegartikeln
- angemessene Abfalltrennung ist von entscheidender Bedeutung für Verringerung klinischer Abfälle und Erzielung eines höheren Anteils an recyceltem Abfall
- Reduktion von Abfällen aus Kunststoff-Absauggeräten durch Wiederverwendung der Behälter und deren Auskleidung mit Einwegfolien
- leere Arzneimittelampullen oder Infusionsbeutel mit kristalloiden Lösungen sind nicht biogefährlich, daher sollte Glas-/Kunststoffrecycling den Standardprotokollen folgen
- Medikamente
- Begrenzung der vorbereiteten Arzneimittel, auf die „im Notfall“ zu verwendeten
- Verwendung vorgefüllter Spritzen, sofern möglich (z.B. Atropin, Adrenalin etc.)
- Reduktion des Propofol-Abfalls durch Verwendung von 20 mL-Propofol-Ampullen (50 & 100 mL Ampullen für TIVA/Target Controlled Infusion (TCI) erwägen)
- Anpassung der Lagerbestände, dass möglichst wenig abgelaufene Artikel weggeworfen werden
- Recycling
- Schulung und Förderung des Personals im Bereich der Abfallentsorgung & -trennung
- Trennung & Recycling von nicht kontaminiertem Papier/Pappe, medizinischen Kunststoffen und Metall
- Berücksichtigung von Materialien mit hohem Recyclingpotenzial (z.B. Vlies-PP-Verpackungspapier oder Halogengas-Aluminiumflaschen)
- Recycling & Entsorgung elektronischer Geräte & Batterien bei zertifizierten, nachhaltigen Recyclingunternehmen
- abgelaufene/unbenutzte offene Geräte entsprechend lokaler Gesetze spenden
Empfehlungen bzgl. Wohlergehen des Gesundheitspersonals & CO2-Fußabdrucks für Transport zum/vom KH
- Wohlergehen des Gesundheitspersonals
- professionelle Hilfe und Zweitmeinungen durch Kolleg*innen sollten auch während der Nachtarbeit leicht verfügbar sein
- Förderung und Realisierung der regelmäßigen Nutzung von Ruheeinrichtungen während und nach der Schicht
- Schulung aller Mitarbeitenden bzgl. Nachtarbeit, v.a. bzgl. Auswirkungen von Müdigkeit auf berufliche Leistung und Privatleben sowie damit verbundenen Risiken, Schlafhygiene, Ernährung und rechtlichen Folgen des Fahrens bei Müdigkeit
- Realisierung einer angemessenen Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getränken
- Bereitstellung von psychologischer Unterstützung auf Anfrage
- leichter Zugang zum Krisenmanagement (psychologische Betreuung und Suizidprävention anonym angeboten vom Arbeitgeber, v.a. nach Krisen)
- regelmäßige Nachbesprechungen nach Krisen für alle, die von belastenden Ereignissen betroffen sind
- offene Anerkennung von Müdigkeit als Gefahr
- Einführung eines Risikomanagementsystems für Fatigue/Ermüdung, um zur Anpassung der Arbeitsregelungen beitragen (z. B. Beendigung von Bereitschaftsdiensten oder Einführung flexibler Teilzeitregelungen)
- offene Anerkennung von Nachtarbeit als etwas anderes als Tagesarbeit, v.a. aufgrund der spezifischen Risiken und Auswirkungen auf Privat- & Berufsleben
- sofern möglich, Verlegung von Operationen auf Zeiten innerhalb der Tagschichten
- Sicherstellung, dass Dienstpläne mit Europäischen Arbeitszeitrichtlinie bzw. mit nationalen Gesetzen übereinstimmen
- Aufklärung über und Ermöglichen von gesunder Ernährung (auch Zurverfügungstellung gesunder Lebensmittel und Getränke)
- CO2-Fußabdrucks für Transport/Arbeitsweg zum/vom KH
- OP-Vorgespräche o.Ä. vor Ort, wenn möglich, durch Telemedizin ersetzen
- Unterstützung bei bzw. Realisierung von Telearbeit bzw. Home Office
- Zusammenlegung mehrerer Termine, um Anzahl von Fahrten ins KH zu dezimieren
- Einsatz von Elektrofahrzeugen für Transport von Patient*innen und Mitarbeitenden
- Förderung des Fuß- & Radverkehrs sowie öffentlicher Verkehrsmittel für längere Strecken
- Berücksichtigung des Verkehrsprofil bei Konferenzen, um leichte Erreichbarkeit zu realisieren
- Förderung virtueller Konferenzen und Tagungen
- Erwägung hybrider Koferenzangebote
- Einführung von CO2-Fußabdruck-Erklärungen bei Konferenz-Organisation, um das Bewusstsein der Teilnehmenden zu schärfen
- Förderung umweltfreundlicher Transportmethoden
- CO2-neutrale Konferenzen o.Ä. als Ziel anstreben
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