veröffentlichende Fachgesellschaft: BASF Corporate Health Management – Humantoxikologie
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 01.01.2020
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://www.communications.extranet.basf.com/portal/basf/en/dt.jsp?setCursor=1_877454
Grundsätzliches
- Fluorwasserstoff (HF)
- Synonym: Flusssäure
- wird zur Herstellung anorganischer Fluoride und bei der Oberflächenbehandlung von Gläsern und Metallen eingesetzt (Reinigen, Ätzen, Emaillieren)
- als verdünnte Lösung dient sie als Industrie- und Haushaltsreiniger und als Hilfsstoff in der Elektronik- und Halbleiterindustrie
Exposition
- Aufnahme großer Mengen an Fluorid-Ionen durch Einatmen von Flusssäuredämpfen kann zu systemischen Vergiftungen führen
- starke Reizwirkung von Flusssäure hat deutliche Warnwirkung ggü. gefährlichen Konzentrationen
- Exposition ggü. Flusssäure erfolgt im Wesentlichen durch Hautkontakt
- Fluorid-Ionen werden sehr gut und schnell über Haut und Augen aufgenommen und können so zu systemischen Vergiftungen führen
- falls mehr als 160 cm² Haut betroffen sind, besteht die Gefahr schwerer systemischer Wirkungen. Auch schon geringe Konzentrationen (< 2 %) können bei andauernder Einwirkung zu schweren Haut- und Augenverätzungen führen
- versehentliches Verschlucken von Flusssäure führt schnell zu starken Verätzungen der Schleimhäute in Rachen, Speiseröhre und MagenDarm-Trakt sowie bei Resorption zu systemischen Vergiftungserscheinungen
- bei Erwachsenen sind Todesfälle nach Aufnahme ab 1,5 g Flusssäure beschrieben
Symptomatik
- kann zu sehr schmerzhaften Verätzungen an Augen, Haut und dem Magen-Darm-Trakt führen
- nach Hautkontakt treten gewöhnlich zunächst Rötungen, Ödeme und Blasenbildung auf
- bei Einwirkung höherer Konzentrationen kann es zu Weißfärbung der Haut kommen; aufgrund von Kolliquationsnekrosen kann sich unter Blasenbildung ein Exsudat bilden
- klinische Anzeichen oder Symptome können bei Exposition ggü. niedrigen bis mittleren Konzentrationen von Flusssäure oder seinen Dämpfen auch erst 8 bis 24 Stunden danach auftreten
- auf die Fluor-Ionen zurückzuführende Wirkungen werden deshalb eventuell erst verzögert erkannt
- Merkmal dermaler Exposition ggü. niedrigen Flusssäure-Konzentrationen können Schmerzen in viel größerem Ausmaß sein als aufgrund des Untersuchungsbefundes zu erwarten ist (ausgeprägte Schmerzen bei lediglich geröteter Haut können vorliegen)
- Exposition des Auges kann schwerwiegende Folgen von Hornhauttrübung bis zu kompletter Zerstörung des Auges haben
- Einatmen verursacht für gewöhnlich Rachenreizungen und Husten
- Atemwegsbeschwerden mit Schmerzen in der Brust, Atemnot und Laryngospasmus können sich rasch entwickeln
- bei symptomatischen Patienten kann Lungenödem auch noch bis zu 24 Stunden verzögert auftreten
- durch Kontakt mit Flusssäure kann es zu Reaktion des Fluors mit körpereigenem Kalzium kommen
- deutlicher Abfall des Kalziumspiegels und andere Stoffwechselveränderungen mit tödlichem Ausgang können die Folge sein
- insbesondere Herzrhythmusstörungen, Herz- und Nierenversagen können auftreten
- Fluorid-Ionen können durch direkte toxische Wirkung auf das zentrale
- Nervensystem zu Koma und Atemstillstand führen
Maßnahmen
- Eigenschutz durch Tragen eines umluftunabhängiges Atemschutzgerät und eines Chemieschutzanzug (kontaminierte Ausrüstung nicht nochmals verwenden!!!)
- unmittelbare Rettung des Patienten aus Gefahrenbereich
- Einleitung lebensrettender Maßnahmen gemäß ABC-Schema
- „CRASH“-Dekontamination
- vorher schnelle Durchführung lebensrettender Maßnahmen
- komplette Entkleidung des Patienten
- ca. 1 Minute Duschen/Abstrahlung mit viel Wasser
- danach Wärmeerhalt!!!
- Reinigung
- bei reiner Exposition mit Dämpfen ohne Haut-/Augenreizung keine speziellen Reinigungsmaßnahmen
- bei verunreinigter Kleidung, diese sofort entfernen
- bei ophthalmologischer Beteiligung Augenspülung mit Wasser oder neutraler NaCl-Lösung über min. 15 Minuten (Kontaktlinsen vorher entfernen!!!)
- bei direkter Haut-/Haarexposition Spülung mit Wasser über min. 15 Minuten; Spülung fortsetzen bis Kalziumgluconat vorhanden ist
Akutpatienten
- O2-Gabe
- Gabe von 8 Sprühstößen Beclometason (Dosieraerosol)
- Anlage pVK
- bei Atemwegsverengung (Stridor/Bronchospasmus)
- Adrenalin vernebeln (2 mg/2 mL mit 3 mL NaCl 0,9%)
- i.v.-Gabe von 250 mg Methylprednisolon oder Äquivalent
- bei toxischem Lungenödem (schaumiger Auswurf, feuchte RGs)
- CPAP-Beatmung
- i.v.-Gabe von 1000 mg Methylprednisolon oder Äquivalent
- bei progredienter respiratorischer Insuffizienz
- eskalierendes Atemwegsmanagement mit ETI oder ggf. Koniotomie
- Antidottherapie
- bei großflächigen Verätzungen (> 160 cm²) und Flusssäurekonzentrationen > 20 % haben sich folgende Methoden bewährt: Injektion 5 – 10 %iger Kalziumgluconat-Lösung unter den betroffenen Bereich und darum herum als primäre ärztliche Behandlung
- wenn Anzeichen von Reizungen der Atmungsorgane auftreten (Halsschmerzen, Husten, Atemnot) und Flusssäure im Kopf-, Brust- oder Halsbereich eingewirkt hat:
- zunächst Verabreichung von 6 mL wässriger Kalziumgluconat-Lösung (2,5 %) durch Zerstäuber mit 100 %igem Sauerstoff
- bei Verschlucken keinesfalls Erbrechen auslösen
- dennoch Erbrochenes kann Flusssäure enthalten und kann deshalb ebenso giftig sein.
- jede möglicherweise von Einwirkung von Flusssäure betroffene Person sollte umgehend einige Gläser Milch und/oder Magensäure neutralisierende Mittel – z. B. Magnesiumhydroxid, Kalziumcarbonat – als Tablette/Suspension einnehmen
- falls möglich, sollte innerhalb von 60 Minuten nach Ingestion Magenspülung mit Kalziumchlorid (20 mL CaCl2 pro 1000 mL Wasser) oder Kalziumgluconat über Magensonde durchgeführt werden; Nutzen der Spülung überwiegt normalerweise ggü. der Gefahr einer Perforation
- systemische Behandlung
- bei schwerwiegender Exposition frühzeitige intravenöse Gabe von Calcium und Magnesium ohne vorherige Labordiagnostik; hierbei engmaschige Kontrolle der Vitalparameter und permanente EKG- Überwachung.
- Erwachsene:
- 1 – 2 g Calciumglukonat i.v. über 5 Minuten
- 2 – 4 g Magnesiumsulfat i.v. als Kurzinfusion
- Kinder:
- 25 mg/kgKG Calciumglukonat i.v. über 5 min
- 25 – 50 mg/kgKG Magnesiumsulfat i.v. als Kurzinfusion
- Erwachsene:
- Transport in Klinik mit intensivmedizischer Abteilung
- Patienten sollten hinsichtlich möglicher Herz-, Nieren-, Magen-Darm-, Lungen- und ZNS-Störungen überwacht werden
asymptomatische Patienten
- Beurteilung durch Arzt
- Hinweis zur Alarmierung des Notrufs bei Verschlechterung des AZ
- kein Rauchen für die nächsten 72 Stunden
- keine körperliche Arbeit für die nächsten 24 Stunden
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