veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
Klassifikation gemäß AWMF: S1
Datum der Veröffentlichung: 31.01.2024
Ablaufdatum: 30.01.2029
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-065
Struktur und Hintergrund der Anamnese
- Anamnese unterstreicht die ärztlichen Haltungen der Personenzentrierung, des Verstehenwollens und des Respekts, der Fürsorge, der Salutogenese und Partizipation und dient den folgenden Zielen
- Herstellung einer kooperativen, hilfreichen Beziehung
- Wahrnehmung und Klärung
- des Behandlungsanliegens auf der Beschwerde- und der Beziehungsebene
- der Beschwerden im Hinblick auf Qualität (Wie und Wo?), Quantität (Wie schwer?), Verlauf (Seit wann? Wie oft? Ausnahmen?), weitere Beschwerden und Auswirkungen im Alltagsleben auch für die Zugehörigen
- der Sichtweise, Bedeutungsgebung und der daraus folgenden Anliegen der Patient*innen des Kontexts zu früheren Beschwerden und deren Bewältigung, vorangegangenen professionellen (besonders der Medikation) oder eigenen Behandlungsmaßnahmen, zu aktuellen und früheren Beziehungs- und Krisenerfahrungen und zum persönlichen und sozialen Umfeld
- Einordnen (Übersetzen der geschilderten Beschwerden in diagnostische Kategorien durch Hypothesenbildung, Prüfung dieser durch Fragen im Prozess der Diagnostik, Festlegung des weiteren Vorgehens gemeinsam mit dem/der Patient*in, um letztlich eine Diagnose zu generieren)
- Erkennen von Ressourcen der Patient*innen (körperliche Voraussetzungen, Lebensleistungen, psychosoziale Kompetenzen sowie erreichbarer Unterstützung)
- gemeinsames Absprechen von sinngebenden Zielen und des weiteren Vorgehens
- Selbstreflexion und Dokumentation – auch für das Behandler*innenteam
Module des anamnestischen Erstgesprächs und Gesprächsinterventionen
- Modul 1 – Patientenzentrierung
- Begrüßung und Eröffnung
- Zuhören
- Dasein und Nichts tun – Einstimmen auf den/die Patient*in
- Aktives Zuhören
- Erfragen der Patientenperspektive der Auffassung der Krankheitsentstehung, des bisherigen Umgangs mit den Beschwerden, des Vorwissens, der Befürchtungen, der Erwartungen
- Zusammenfassung
- Modul 2 – arztzentriertes Klären
- differentialdiagnostische Einordnung/Klärung von Red Flags (ggf. zur Qualität, Quantität und Verlauf)
- Klärung der Auslösesituation
- Klärung weiterer Beschwerden
- abhängig vom Beratungsanlass bereits jetzt:
- vegetative Anamnese, Suchtverhalten, vorherige und begleitende
- Krankheiten, Unverträglichkeiten/Allergien und bestehende Medikation,
- ggf. Vor- und Mitbehandlung und bisherige Behandlungsstrategien
- Modul 3 – Erfragen und Einordnen der geschilderten Beschwerden im psychosozialen Kontext
- Erfragen der Beeinträchtigung im Alltagsleben
- Erfassen des Kontexts durch Fragen nach den Sichtweisen Anderer
- ggf. wahrgenommene Gefühle benennen oder aktiv erfragen
- Modul 4 – Bewältigungsstrategien der Patient*in erfragen (auf Ressourcen achten)
- patient*innenenseitige Bewältigungsstrategien explorieren
- Modul 5 – Bewältigungsstrategien der Patient*in erfragen (auf Ressourcen achten)
- biografische Anamnese
- krankheitsspezifische Familienanamnese
- Modul 6 – Ziele, Vorgehen und Terminstruktur
- Zusammenfassen, patientenseitige Ziele erfragen und abstimmen, diagnostisches Vorgehen gemeinsam abstimmen
- proaktiv Terminstruktur absprechen und Verabschieden
- Modul 7 – Reflexion und Dokumentation (ggf. Teams mit einbeziehen)

Empfehlungen
- Anliegen der Patient*innen, ihre Lebenswirklichkeit, ihre Ressourcen und ihre Partizipation sollen in allen Interaktionen in der Hausarztpraxis Raum haben
- bereits zu Beginn der Beziehung versuchen, Beziehungsmuster der Patient*innen zu erkennen und zu verstehen
- bereits in und durch die Anamnese die salutogenen Fähigkeiten der/des Patient*in erfahrbar machen und stärken
- sozioökonomischen Verhältnisse (verfügbares Geld und Wohnsituation), kulturelle Herkunft (ggf. mit Erfahrungen von Krieg, Flucht und Vertreibung), religiöse Verortung, Eingebunden Sein in soziale Gruppen wie Familie, Nachbarschaft und Vereine erfragen, da diese die individuellen Ressourcen der Patient*innen beeinflussen
- Einordnungen und Zusammenfassungen wiederholt während des anamnestischen Gesprächs anbieten


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