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Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie“ der DGA (Update 2023)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 14.02.2023
Ablaufdatum: 13.02.2028
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/065-002

venöse Thromboembolie

Grundsätzliches

  • akute tiefe Bein- und Beckenvenenthrombose (TBVT) = partielle oder vollständige Verlegung der Leit- und/oder Muskelvenen durch Thromben
  • Thromben entstehen durch den typischen Virchow-Trias
    • Beeinträchtigung des venösen Blutflusses
    • Schädigung des Gefäßendothels
    • Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes zugunsten von prokoagulatorischen Faktoren
  • Tiefe Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE) sind häufigste Krankheitsbilder, welche durch venösen Thromboembolie (VTE) entstehen

häufigste Risikofaktoren

  • Fraktur der unteren Extremitäten
  • Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder Vorhofflimmern/-flattern (in den vorausgegangenen 3 Monaten)
  • Hüft- oder Kniegelenksersatz
  • schweres Trauma
  • Myokardinfarkt (in den vorausgegangenen 3 Monaten)
  • vorausgegangene venöse Thromboembolie
  • Rückenmarksverletzung

Symptomatik

  • Beinschwellung
  • Schmerzen
  • Spannungsgefühl
  • verstärkte oberflächliche Venenzeichnung
  • Zyanose
  • Druckschmerzhaftigkeit an der Medialseite des Unterschenkels
  • Wadenschmerz bei Dorsalextension des Fußes
  • Fußsohlenschmerz bei Druck auf die Fußsohle

Diagnostik

  • Abklärung jedes V.a. Venenthrombose zeitnah abklären; Anamnese und körperliche Untersuchung allein nicht ausreichend
  • Nutzung von validierten Scores (z.B. Wells-Score)
  • falls möglich, D-Dimer-Testung
  • Sonografie zum Nachweis oder Ausschluss einer TBVT
    • bei positiver Ultraschall-Diagnostik an einem Bein auch das andere Bein untersuchen

Wells-Score zur Abschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer TBVT

klinisches CharakteristikumPunkte
aktive Tumorerkrankung (d.h. Tumordiagnose < 6 Monate, Antitumortherapie oder Palliativsituation)1
Ruhigstellung eines Beines durch gelenküberschreitenden Verband oder infolge einer Parese1
Bettruhe an ≥ 3 Tagen oder großer chirurgischer Eingriff innerhalb der letzten 3 Monate1
Druckschmerz im Verlauf der tiefen Venen1
Schwellung des gesamten Beines1
Unterschenkelschwellung mit ≥ 3 cm Umfangsdifferenz im Vergleich zur Gegenseite1
einseitiges Ödem am symptomatischen Bein1
prominente, nicht-variköse oberflächliche Kollateralvenen1
tiefe Venenthrombose in der Vorgeschichte1
alternative Diagnose mindestens ebenso wahrscheinlich wie tiefe Venenthrombose– 2
Bewertung im 2-stufigen Score:
≥ 2 Punkte: hohe Wahrscheinlichkeit für TBVT
0 – 1 Punkte: niedrige Wahrscheinlichkeit für TBVT
B. Linnemann, W. Blank, T. Doenst, C. Erbel, P. Isfort, U. Janssens, C. Kalka, R. Klamroth, J. Kotzerke, S. Ley, J.
Meyer, K. Mühlberg, O. J. Müller, T. Noppeney, C. Opitz, H. Riess, E.-F. Solomayer, T. Volk, J. Beyer-Westendorf:
Diagnostik und Therapie der tiefen Venenthrombose und Lungenembolie – AWMF-S2k-Leitlinie.
Stand: 11.01.2023. Verfügbar unter: https:/register.awmf.org/de/leitlinien/detail/065-002. Zugriff am: 22.02.2023

Therapie

  • bei V.a. Vorliegen einer TBVT und hoher klinischer Wahrscheinlichkeit (empirisch oder mittels Wells-Score festgestellt) bei zeitlicher Verzögerung in der Diagnostik bis zur Entscheidungsfindung Interims-Antikoagulation
  • medikamentöse Initialtherapie mit Heparin-Calcium oder Heparin-Natrium
    • initialer Bolus von 18 IE/kg i.v.
    • danach Infusion mit 15 – 20 IE/kgKG/h
    • später Anpassung an Ziel-aPTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit)
  • falls möglich, Kompressionstherapie des betroffenen Beines, um Schmerzen, Schwellung und Schwere zu reduzieren (phlebologischer Kompressionsverband zur Entstauung)

Lungenembolie

Grundsätzliches

  • Lungenembolie = partielle oder vollständige Verlegung der Lungenarterien durch meist eingeschwemmte Thromben aus der periphervenösen Strombahn
  • dritthäufigste akute kardiovaskuläre Erkrankung nach Myokardinfarkt und Schlaganfall

Symptomatik

Spektrum der klinischen Präsentation reicht von asymptomatischen Patient*innen bis zur hämodynamischen Instabilität und Schock

  • Dyspnoe mit plötzlichem Beginn
  • Thoraxschmerzen
  • Synkope oder Präsynkope
  • Hämoptysen

Diagnostik

  • Nutzung von validierten Scores (z.B. Wells-Score oder revidierter Geneva-Score)
  • ggf. Nutzung der PERC-Kriterien: V.a. Lungenembolie, wenn eines der Kriterien vorliegt
    • arterielle Sauerstoffsättigung von 94 % oder weniger
    • einseitige Beinschwellung
    • Hämoptysen
    • kürzliches Trauma oder Operation
    • LE oder TVT in der Vorgeschichte
    • Herzfrequenz min. 100/min
    • Patientenalter > 50 Jahre
    • Einnahme von Östrogenen
  • falls möglich, D-Dimer-Testung
  • Sonografie zum Nachweis oder Ausschluss einer Lungenembolie
  • EKG-Diagnostik (CAVE: normales EKG schließt LE nicht aus)
    • T-Negativierung in V1 – V4
    • Qr in V1
    • SI-QIII-TIII-Muster
    • Rechtsschenkelblock
    • Sinustachykardie oder Vorhofflimmern
  • BGA, v.a. bei V.a. Hypoxämie, Hyperventilation oder erhöhten alveoloarteriellen Gradienten
  • intensivmedizinisches Monitoring (EKG, kontinuierliche SpO2-Messung, kontinuierliche (invasive arterielle) Blutdruckmessung

Wells-Score zur Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie

klinisches CharakteristikumPunkte (vereinfachter Score)Punkte (Original)
Klinische Zeichen einer TVT13,0
LE wahrscheinlicher als alternative Diagnose13,0
kürzlich zurückliegende Operation oder Immobilisierung11,5
Herzfrequenz > 100/min11,5
VTE in der Vorgeschichte11,5
Hämoptysen11,0
aktive Tumorerkrankung11,0
≥ 2 Punkte: hohe Wahrscheinlichkeit
0 – 1 Punkt: niedrige
Wahrscheinlichkeit
3-stufige Bewertung:
≥ 7 Punkte: hohe Wahrscheinlichkeit (54 – 78 %)
2 – 6 Punkte: mittlere Wahrscheinlichkeit (17 – 24 %)
0 – 1 Punkt: niedrige Wahrscheinlicheit (2 – 6 %)

B. Linnemann, W. Blank, T. Doenst, C. Erbel, P. Isfort, U. Janssens, C. Kalka, R. Klamroth, J. Kotzerke, S. Ley, J.
Meyer, K. Mühlberg, O. J. Müller, T. Noppeney, C. Opitz, H. Riess, E.-F. Solomayer, T. Volk, J. Beyer-Westendorf:
Diagnostik und Therapie der tiefen Venenthrombose und Lungenembolie – AWMF-S2k-Leitlinie.
Stand: 11.01.2023. Verfügbar unter: https:/register.awmf.org/de/leitlinien/detail/065-002. Zugriff am: 22.02.2023

revidierter Geneva-Score zur Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie

klinisches CharakteristikumPunkte (vereinfachter Score)Punkte (Original)
Alter > 65 Jahre11
OP oder Fraktur in den letzten 4 Wochen12
aktive Tumorerkrankung12
Hämopysen13
Herzfrequenz 75 – 94/min23
Herzfrequenz ≥ 95/min15
Venendruckschmerz und einseitiges Ödem14
einseitige Beinschmerzen13
VTE in der Vorgeschichte13
3-stufige Bewertung:
≥ 5 Punkte: hohe Wahrscheinlichkeit
2 – 4 Punkte: mittlere Wahrscheinlichkeit
0 – 1 Punkt: niedrige Wahrscheinlichkeit

2-stufige Bewertung:
≥ 3 Punkte: hohe Wahrscheinlichkeit
0 – 2 Punkte: niedrige Wahrscheinlichkeit
3-stufige Bewertung:
≥ 11 Punkte: hohe Wahrscheinlichkeit (58 – 82 %)
4 – 10 Punkte: mittlere Wahrscheinlichkeit (22 – 31 %)
0 – 3 Punkte: niedrige Wahrscheinlicheit (7 – 12 %)

2-stufige Bewertung:
≥ 5 Punkte: hohe Wahrscheinlichkeit
0 – 4 Punkte: niedrige Wahrscheinlichkeit für LE

simplified Pulmonary Embolism Severity Index (sPESI) zur Risikostratifizierung von hämodynamisch stabilen Lungenembolie-Patienten

ParameterPunkte
Alter > 80 Jahre1
aktive Tumorerkrankung1
chronische Herz- oder Lungenerkrankung1
Herzfrequenz ≥ 100/min1
systolischer Blutdruck < 100 mmHg1
arterielle Sauerstoffsättigung < 90%1
Bewertung:
0 Pkt.: niedriges Risiko (30-Tages-Mortalität ca. 1 %)
≥ 1 Pkt.: intermediäres Risiko (30-Tages-Mortalität ca. 11 %)

Therapie

  • V.a. Lungenembolie soll umgehend abgeklärt werden
    • bei Atem-Kreislauf-Stillstand -> Reanimation
      • ECMO bei Patienten mit Kreislaufversagen und bei Reanimationen erwägen
  • O2-Gabe über Nasenbrille, Venturi-Maske, High-Flow-Kanüle, Beatmungsmaske mit Ziel-SpO2 von 92 – 96 %
    • ggf. nichtinvasive positive Druckbeatmung (z.B. bilevel positive airway pressure) erwägen
    • bei Instabilität Intubation (CAVE: Postintubationshypotonie)
  • ggf. vorsichtige Volumengabe
  • medikamentöse Nachlastsenkung
  • ggf. systemische Therapie mit Vasopressoren und/oder positiv inotropen Substanzen
    • Dobutamin-Gabe mit Vasopressoren balancieren

Reperfusionstherapie nach Diagnostik

  • in der Initialphase UFH- oder NMH-Gabe
  • Alteplase (rt-PA)
    • Bolusvon 10 mg über 1 – 2 min, gefolgt von 90 mg über 2 h oder 100 mg über 2 h
    • akzeleriert 0,6 mg/kg über 15 min
  • Streptokinase
    • 250.000 IE über 30 min, gefolgt von 100.000 IE/h über 12 – 24 h
    • akzeleriert 1,5 Mio. IE über 2 h
  • Urokinase
    • 4.400 IE/kg über 10 min, gefolgt von 4.400 IE/kg/h über 12 – 24 h
    • akzeleriert 3 Mio. IE über 2 h
  • Tenecteplase
    • gewichtsadaptiertes Schema mit Bolus-Injektion von 30 – 50 mg über 5 – 10 sec
  • absolute Kontraindikation
    • intrakranielle Blutung in der Vorgeschichte
    • ischämischer Schlaganfall innerhalb der letzten 6 Monate
    • ZNS-Neoplasie mit erhöhtem Blutungsrisiko
    • Schweres Trauma, Operation oder Kopfverletzung innerhalb der letzten 3 Monate
    • hämorrhagische Diathese
    • aktive, nach Lyse potenziell bedrohliche Blutung
    • Allergie gegen Thrombolytikum
  • relative Kontraindikation
    • TIA innerhalb der letzten 6 Monate
    • orale Antikaogulation
    • Schwangerschaft oder Entbindung innerhalb der letzten 7 Tage
    • Reanimation mit Herzdruckmassage
    • unkontrollierte Hypertonie (RRsyst > 180 mmHg)
    • schwere Lebererkrankung
    • infektiöse Endokarditis oder Perikarditis
    • Ösophagusvarizen
    • aktive gastroduodenale Ulzera
    • akute Pankreatitis
    • arterielle Aneurysmata
    • kürzlich erfolgte Punktion an nicht komprimierbarer Punktionsstelle
Published inLeitlinien kompakt

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