veröffentlichende Fachgesellschaft: New Zealand’s National Children’s Hospital (Starship)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 13.04.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://starship.org.nz/guidelines/headaches-in-childhood
Grundsätzliches
- Kopfschmerzen sind neben Bauch- und Gliederschmerzen die drei häufigsten Schmerzsyndrome im Kindesalter
- ca. bei 20 % der Kinder haben wiederkehrende Kopfschmerzen
- Migräne-Auftreten liegt zwischen 4 und 10 %
- Zunahme der Kopfschmerz-Prävalenz bei Kindern in den letzten 20 Jahren
Pathophysiologie
- Gehirn, Hirnhäute & knöcherner Schädel sind ggü. Schmerz unempfindlich
- Kopfschmerz entsteht durch intra- und extrakranielle Blutgefäße, Hirn- & Spinalnerven, Hirn- & Halsmuskel und angrenzende Strukturen (Zähne, Nasennebenhöhlen, Ohren)
- Hypothesen bzgl. Migräne-Entstehung
- neurogene Hypothese (sich ausbreitenden kortikalen neuronalen Depression über afferente Bahnen zum Hirnstamm, gefolgt von Dilatation und Entzündung der vom Nervus trigeminus innervierten kranialen Gefäße)
- vaskuläre Hypothese (Vasokonstriktion, die Aura hervorruft, gefolgt von schmerzhafter Vasodilatation)
Kopfschmerz-Verläufe
- akute Kopfschmerzen (z.B. bei (Virus)infektion)
- akute, rezidivierende Kopfschmerzen (z.B. Migräne oder Clusterkopfschmerzen)
- chronische, nicht-progrediente Kopfschmerzen (z.B. Spannungskopfschmerzen)
- chronisch-progrediente Kopfschmerzen (z. B. erhöhter Hirndruck)
Anamnese
- Variabilität der Kopfschmerzen/Kopfschmerzen-Episoden
- Kopfschmerz-Verlauf
- Beschreibung einer typischen Episode
- Aura (Lichtblitze, Sehstörungen und Größenverzerrungen (Mikropsie/Makropsie))
- Ort der maximalen Intensität
- Dauer
- Häufigkeit (Periodik)
- begleitende Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen oder Blässe)
- Beeinträchtigung der täglichen Aktivitäten
- auslösende und lindernde Faktoren
- neurologische Auffälligkeiten (vor, während oder nach Attacke)
- Medikamente (Art, Dosierung, Häufigkeit der Einnahme)
- Familienanamnese (Kopfschmerzen oder Migräne)
- Frage nach Kopfschmerztagebuch
- aktuelles Fernbleiben von der Schule und/oder Depressionen
Red Flags
- Alter < 5 Jahre
- progredienter Verlauf hinsichtlich Schwere & Häufigkeit
- Kopfschmerzen am frühen Morgen mit oder ohne Erbrechen
- (fokale) neurologische Symptome während/nach Kopfschmerzen (z.B. auch abnormaler Gang)
- lokalisierter Schmerz
- Kopfschmerzen, die nicht durch Analgetika linderbar sind
- Kopfschmerzen, die erst kürzlich aufgetreten sind
- Kopfschmerzen, die das Kind aus dem Schlaf „reißen“
- konstante tägliche Kopfschmerzen
- Veränderung des Verhaltens oder Verlust von Fähigkeiten
Diagnostik
- Erstbeurteilung gemäß ABCDE
- regelmäßiges Monitoring, v.a. RR
- Suche nach Zeichen einer Hirndrucksteigerung
- Untersuchung der Augen (Pupillen, Augenbewegung, Sehschärfe und Sehfelder)
- Beurteilung von Wachstum und Entwicklung des Kindes
- Suche nach Anzeichen von Sinusitis, chronischer Otitis media und Kiefergelenksdysfunktion
- Beurteilung von Gangart und Koordination
Kopfschmerz-Arten
Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft gelten auch im Kindesalter (ggf. im pädiatrischen Bereich Reduktion auf die häufig vorkommenden Kopfschmerzarten)
- Kopfschmerzen mit Fieber
- häufig bei viralen Erkrankungen
- seltener bei Sinusitis, Otitis media oder intrakranieller Infektion
- plötzlich auftretende, starke Kopfschmerzen
- i.d.R. Hinweis für schwerwiegende Grunderkrankung
- z.B. bei Meningitis, Enzephalitis, ICB, akuter Hypertonie, akuter ICP-Erhöhung oder dem ersten Migräneanfall
- Spannungskopfschmerzen
- Schmerzart: diffus
- Beginn: allmählich
- symmetrische und manchmal als „bandförmig“ beschriebene Lokalisation
- ggf. symptomfreie Intervall, meist aber durchgehende Schmerzen ohne Progression
- i.d.R. nicht so stark, dass sie tägliche Aktivitäten beeinträchtigen; ggf. öfteres Fernbleiben von der Schule
- Clusterkopfschmerzen
- Auftreten in Clustern, also Häufung zu bestimmten Zeiten
- Dauer: einige Minuten bis einige Stunden
- Verlauf: über einige Tage auftretend, dann lange symptomfreie Perioden
- Lokalisation: maximal um ein Auge herum mit Ausbreitung auf eine Gesichtshälfte
- ggf. ipsilaterale autonome Symptome (Tränenfluss, Rhinorrhoe, konjunktivale Injektion, Horner-Syndrom)
- meist so einschränkend, dass ein normales Alltagsleben oft unmöglich ist
- selten im Kindesalter, gelegentlich bei älteren Kindern
- erhöhter intrakranieller Druck
- Kopfschmerzen durch Expansion intrakranieller Läsionen und gutartige intrakranielle Hypertonie
- Auftreten: meist beim Aufwachen
- Verstärkung durch Husten, Niesen und Stuhlgang
- progredienter Verlauf
- Kopfschmerzen in Zusammenhang mit Trauma
- entweder akut nach Trauma oder als Teil eines postkommotionellen Syndroms
- Medikamentenübergebrauch oder Rebound-Kopfschmerzen
- im Kindesalter selten
- verursacht durch Paracetamol, NSAR oder Triptane
- Risikosteigerung bei Triptan-Einnahme an 10 oder mehr Tagen pro Monat
- Risikosteigerung bei Einnahme von einfachen Analgetika an > 15 Tagen pro Monat
- meist abrupter Abbruch der Einnahme wirksamer und einfacher als schrittweises Ausschleichen
Sonderfall „Migräne“
- klassische Migräne (min. 5 Attacken, die die nachfolgenden Kriterien erfüllen)
- Dauer von 4 – 72 h bei Erwachsenen oder 1 – 72 h bei Kindern (unbehandelt oder frustran behandelt)
- unilaterale Lokalisation, pulsierend/pochende Qualität, mäßige/starke Schmerzen und/oder Verschlimmerung durch/Vermeidung von körperlicher Aktivität (min. 2 der Punkte)
- Übelkeit/Erbrechen und/oder Photo-/Phonophobie (min. 1 der Punkte)
- Migräne mit Aura (min. 2 Attacken, die die nachfolgenden Kriterien erfüllen)
- Aura: visuelle Symptome wie flackernde Lichter oder Verlust Sehvermögen; sensorische Symptome wie Kribbeln oder Taubheitsgefühl; Sprech-/Sprachstörung; motorische Symptome; Hirnstamm-Symptome; retinale Symptome (min. 1 sich vollständig rückbildendes Symptom)
- min. ein Aura-Symptom breitet sich über > 5 min aus; zwei oder mehr Aurasymptome nacheinander; min. 1 Aurasymptom unilateral; Länge jedes Aurasymptom 5 bis 60 min; min. 1 positives Aurasymptome (wie flackernde Lichter oder Kribbeln); Aura gleichzeitig mit Kopfschmerz oder Kopfschmerz in < 60 min nach Aura (min. 3 der Punkte)
- Linderung durch Schlaf
- Migräne mit Aura Kindern seltener
- häufige Auslösefaktoren für Migräne
- Stress
- Nahrungsmittel und Chemikalien (Mononatriumglutamat, Rindfleischkonzentrate, bestimmte Früchte wie Orangen oder Ananas, Koffeineinnahme oder -entzug)
- Verhalten (Auslassen von Mahlzeiten, weniger Schlaf als normal)
- Medikamente (Salbutamol, orale Kontrazeptiva)
- Sonderformen
- komplizierte Migräne
- Migräne sowie Verwirrtheit, Taubheitsgefühl, Schwäche, okulomotorische Parese und Ataxie
- ggf. auch verursacht durch Schlaganfall, TIA oder Tumor
- komplizierte Migräne ist Ausschlussdiagnose
- gemischte Migräne- und Spannungskopfschmerzen
- komplizierte Migräne
Therapie
- einfache Analgetika
- 10 – 15 mg/kg Paracetamol alle 4 h (max. 60 mg/kg/d;
- 20 mg/kg/d Ibuprofen in 3 – 4 geteilten Dosen
- Migräne – akuter Anfall
- einfache Analgesie (wie oben; Verabreichung während Aura oder zu Beginn der Attacke)
- Ondansetron als Antiemetikum (nur bei Kindern von 6 Monaten bis 18 Jahren)
- < 10 kg: 2 mg alle 12 h (max. 5 d)
- 10 – 40 kg: 4 mg alle 12 h (max. 5 d)
- > 40 kg: 8 mg alle 12 h (max. 5 d)
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