veröffentlichende Fachgesellschaft: Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie e.V. (GPP) & Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V. (DGPI)
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 31.01.2024
Ablaufdatum: 30.01.2029
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/048-013
Grundsätzliches
- Definition „Pneumonie“: durch Mikroorganismen hervorgerufene Infektion mit konsekutiver Entzündung im Bereich der Alveolen
- Definition „paediatric communityacquired pneumonia (pCAP)“: Pneumonie-Episode mit Symptombeginn außerhalb eines Krankenhauses bzw. innerhalb von 48 Stunden nach stationärer Aufnahme (bei Kindern/Jugendlichen zw. 4 Wochen und 18 Jahren)
- Abgrenzung der Pneumonie von
- Bronchitis & Bronchiolitis: auf die luftleitenden unteren Atemwege begrenzte Entzündung oder Infektion
- Alveolitis & Pneumonitis: nicht-infektiöse Erkrankungen des Lungenparenchyms
- Pneumonie entsteht i.d.R. deszendierend aus aerogener Infektion der oberen Atemwege und löst Entzündungskaskade aus, infolge derer es zur intraalveolären Akkumulation von Zellen, Zelldetritus und eiweißreicher Flüssigkeit mit konsekutiv gestörtem Gasaustausch kommt (CAVE: wenn angrenzende Bronchien und Bronchiolen betroffen = Bronchopneumonie)
Anamnese & Diagnostik
- Ganzkörperuntersuchung
- gründliche Anamneseerhebung
- Monitoring mit SpO2, RR, HF, GCS etc.
- Röntgenuntersuchung
- keine Thorax-Röntgenuntersuchung bei nicht-schwerer pCAP, sonst Aufnahme im sagittalen Strahlengang ausreichend (keine seitliche Aufnahme)
- keine routinemäßige radiologische Kontrolluntersuchung
- keine etablierten Scores zur Schweregradeinteilung vorhanden, die das Vorliegen von schweren Verläufen und Komplikationen zuverlässig erfassen
- zuverlässigster prädiktiver Faktor für schwere oder sehr schwere Pneumonie und/oder Komplikationen ist das Vorliegen einer Hypoxämie
- CAVE: erhöhtes Risiko für eine schwere oder sehr schwere Pneumonie und/oder Komplikationen bei Kindern im Alter < 24 Monaten (hohes Fieber und Tachypnoe sind keine zuverlässigen prädiktiven Faktoren)
- keine routinemäßige Blutentnahme, da Unterscheidung zw. vir. & bakt. Pneumonie über Entzündungsparametern nicht möglich (bei stationärer Aufnahme bei schwerer pCAP Blutentnahme & Bestimmung Blutbild und Differential-Blutbild, CRP, Serum-Elektrolyte, Blutgasanalyse sowie Blutkultur)
- keine routinemäßige Erreger-Diagnostik bei nicht-schwerer pCAP, aber Erreger-Diagnostik bei schwerer bzw. therapierefraktärer pCAP oder kompliziertem Verlauf (Gewinnung von induziertem Sputum, aspiriertem Trachealsekret, Pleurapunktat oder bronchoalveolärer Lavage erwägen)
- keine Bakterienkulturen aus nasopharyngealen Abstrichen und Urintests auf Pneumokokken-Antigen (i.d.R. keine diagnostisch verwertbaren Befunde)
- (Multiplex-)PCR zum Nachweis von Mycoplasma pneumoniae, Bordetella pertussis, Chlamydia pneumoniae oder Legionella pneumophila nur bei klinisch-epidemiologischem Verdacht auf genannte Erreger sowie bei schwerer bzw. therapierefraktärer pCAP oder kompliziertem Verlauf
- (Multiplex-)PCR- oder alternative Nukleinsäureamplifikations-Verfahren aus nasopharyngealen Sekreten bzw. Abstrichen zum Nachweis viraler Erreger von Atemwegsinfektionen, wenn sich daraus Konsequenzen für Therapie oder Hygienemaßnahmen ergeben
- regelmäßige Kontrolle von Serum-Elektrolyte (Natrium und Kalium) und Blutzucker
Symptomatik
Symptome variieren mit Art und Lokalisation der Pneumonie sowie in Abhängigkeit vom Lebensalter und sind oft unspezifisch
- respiratorischen Symptomen wie Husten, Atemnot und/oder thorakale Schmerzen
- Allgemeinsymptome wie Fieber, Nahrungsverweigerung, Bauchschmerzen, Inaktivität
und Vigilanzveränderung (Apathie, Agitiertheit) - Zyanose, Dyspnoe, erniedrigte SpO2
- Tachypnoe
- Lebensalter < 1 Jahr: AF > 50/min
- Lebensalter 1-5 Jahre: AF > 40/min
- Lebensalter > 5 Jahre: AF > 20/min
- feuchte Atem-Nebengeräusche bei Inspiration, fein-, mittel- und grobblasige Rasselgeräusche, bronchiales Atemgeräusch
- abgeschwächtes Atemgeräusch & gedämpfter Klopfschall (Hinweis für pleurale Komplikation)
- Tachykardie
- Dehydratation
- Erbrechen
- thorakale Einziehungen, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, Nasenflügeln, anstoßende Atmung
- Stöhnen
- Zeichen bronchialer Obstruktion (CAVE: treten bei obstruktive Bronchitis & Bronchopneumonie auf)
- Unruhe bei (drohender) respiratorischer Erschöpfung
- CAVE: Vorliegen auch bei alleinigem Fieber ohne Tachypnoe und/oder Dyspnoe möglich
Einteilung/Schweregrade
- nicht-schwere Pneumonie
- keine therapeutisch relevante Hypoxämie
- keine Indikation zur intravenösen Gabe von Antiinfektiva und/oder Flüssigkeit
- i.d.R. ambulante Versorgung möglich
- schwere Pneumonie
- Hypoxämie mit Indikation zur Sauerstoffsupplementation
- ausgeprägte Minderung der Nahrungs- bzw. Flüssigkeitszufuhr
- Indikation zur intravenösen Gabe von Antiinfektiva und/oder Flüssigkeit
- Hospitalisierung erforderlich
- sehr schwere Pneumonie
- Indikation zur Highflow-Sauerstofftherapie
- Indikation zur Beatmung (CPAP, NIV oder MV) bzw. ECMO
- Hypotonie mit Indikation zu vasoaktiver Therapie
- Intensivmedizinische Therapie und Überwachung erforderlich
Risikofaktoren für schwer verlaufende Pneumonien bzw. Auftreten von Komplikationen
- junges Lebensalter (< 24 Monate)
- klinische Untersuchungsbefunde (Zeichen der vermehrten Atemarbeit, Tachypnoe)
- apparative Untersuchungsbefunde (Hypoxämie mit SpO2 < 90 %)
- Sepsis- bzw. Schock-assoziierte Befunde (Hypothermie, Hypotension mit RR < 2 Standardabweichungen unter altersbezogenen Referenzwerten, Bewusstseinstrübung z.B. mit GCS < 13, metabolische Azidose)
- radiologische Befunde (bilaterale multifokale Herde, Pleuraerguss/Pleuraempyem, nekrotisierende Pneumonie)
- erhöhte Biomarker (Procalcitonin)
Therapie
- Einweisungsindikationen (CAVE: Lebensalter sowie soziale & häusliche Rahmenbedingungen bei Einweisungsindikation berücksichtigen)
- therapeutisch relevante Hypoxämie (SpO2 < 90 %)
- ausgeprägte Dyspnoe/Tachypnoe und kl. Zeichen der akuten resp. Insuffizienz
- Pleuraerguss und andere Komplikationen
- ausgeprägte Minderung oder Verweigerung der Nahrungs- bzw. Flüssigkeitsaufnahme
- Dehydratation bzw. Exsikkose-Zeichen
- Bewusstseinstrübung
- Einweisungsindikationen für ITS
- Hypoxämie mit Indikation zur Highflow-Sauerstofftherapie
- respiratorische Insuffizienz mit Indikation zur Beatmung (CPAP, NIV, MV) oder ECMO
- Hypotonie mit Indikation zur vasoaktiven Therapie
- Sauerstoffsupplementation
- O2-Gabe über Nasenkanüle, Brille oder Maske bei SpO2 ≤ 92 % bei Raumluft erwägen sowie obligatorische Gabe bei SpO2 ≤ 90
- Einsatz nicht-invasiver Atemhilfe vor Einsatz invasiver Methoden bei drohender respiratorischer Erschöpfung
- Kochsalzlösung und/oder dekongestive Nasentropfen bzw. Nasensprays zu Verbesserung der Belüftung bei durch Schleimhautschwellung und/oder Sekretion verlegter Nasenatmung erwägen
- Flüssigkeitszufuhr
- enterale (über Magensonde) oder parenterale Flüssigkeitszufuhr, wenn dies durch Atemnot und Erschöpfung nach klinischem Ermessen nicht mehr selbst oral möglich ist
- Erhaltungsbedarf in 24 Stunden wie folgt
- KG < 10 kg: 100 mL/kg
- KG > 10 kg: 1.000 mL für die ersten 10 kg PLUS 50 mL für jedes zusätzliche kgKG
- KG > 20 – 80 kg: 1.500 mL PLUS 20 mL für jedes zusätzliche kgKG (max. 2. 400 mL/d)
- bei schwerer pCAP und Hyponatriämie (Serum-Natrium < 135 mmol/l) initiale Flüssigkeitssubstitution mit isotoner Vollelektrolytlösung
- Antiinfektiva
- Kinder & Jugendliche mit nicht-schwerer pCAP sollten, Kinder & Jugendliche mit schwerer pCAP sollen antibiotisch behandelt werden (Ausnahme: Säuglinge und Kleinkinder mit einer nicht-schweren pCAP und mit Zeichen bronchialer Obstruktion primär nicht mit Antibiotika behandeln, da i.d.R. virale Infektion)
- bei Hinweisen auf virale Ätiologie kann von initialer Antibiotikatherapie abgesehen werden bzw. sollte begonnene Antibiotikatherapie abgesetzt werden
- möglichst frühzeitige antivirale Behandelung bei schwerer pCAP und Nachweis einer akuten Influenza-Infektion (< 48 h)
- möglichst frühzeitige Behandlung mit Remdesivir bei schwerer pCAP aufgrund einer akuten SARS-CoV-2-Infektion (< 7 d nach Symptombeginn)
- Wirkstoff-Auswahl und Dosierung
- primäre kalkulierte antibiotische Behandlung bei nicht-schwerer pCAP mit 50 mg/kgKG/d Amoxicillin p.o. und bei schwerer pCAP mit 100 mg/kgKG/d Ampicillin i.v. oder 80 mg/kgKG/d Amoxicillin p.o.
- keine Cephalosporine in der primären Therapie der pCAP
- keine Makrolide in der primären Therapie der nicht-schweren pCAP (Ausnahme: gesicherte Penicillinallergie)
- antiinfektive Therapie mit Makroliden bzw. ab Alter > 8 Jahre mit Tetrazyklinen bei pCAP und gesicherter Penicillinallergie oder Unverträglichkeit
- abwartendes Regime und klinische Nachkontrollen bei mit nicht-schwerer pCAP und Hinweisen auf Infektion mit Mycoplasma pneumoniae (z.B. Alter > 5 Jahre, protrahierte Symptome, normale oder nur wenig erhöhte Entzündungswerte und/oder Nichtansprechen auf Aminopenicilline)
- Behandlung mit Aminopenicillin mit Betalaktamaseinhibitor bei pCAP und Komplikationen oder Verdacht auf Influenza-oder Masern-Erkrankung mit bakterieller Koinfektion
- bei kulturell nachgewiesenen relevanten Erregern aus Blutkultur, Atemwegssekret oder Punktat indizierte Antibiotikatherapie gemäß Empfindlichkeitstestung nach Gesichtspunkten des Antibiotic Stewardship anpassen
- orale oder parenterale Verabreichung
- orale Gabe bei schwerer pCAP, wenn orale Einnahme, gastrointestinale Resorption und Therapieadhärenz gesichert sind
- intravenöse Antibiotika-Therapie, wenn orale Medikamente nicht ein- oder aufgenommen werden können
- bei unkompliziertem Verlauf und klinischer Verbesserung Umstellung von intravenös begonnener Therapie auf orale Verabreichung
- Therapiedauer
- antibiotische Therapie über 5 Tage bei pCAP ohne Komplikationen
- bei pCAP und Komplikationen Therapiedauer dem Krankheitsbild und Verlauf anpassen
- i.d.R. klinische Besserung nach 48 – 72 h nach Diagnosestellung und Therapiebeginn, falls nicht klinische Reevaluation
- Voraussetzungen zur Entlassung aus stationärer Behandlung
- anhaltende Besserung der Vitalparameter mit auch im Schlaf stabiler SpO2 > 90 % unter Raumluft
- ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme
- gesicherte weitere häusliche und medizinische Betreuung
- Aufklärung und Kompetenz der Betreuungspersonen zur Erkennung von Alarmzeichen für sekundäre Verschlechterung oder Komplikationen
- Management bei pCAP und Therapieversagen
- Definition „Therapieversagen“: ausbleibende klinische Besserung oder Verschlechterung unter antiinfektiver und/oder symptomatischer Therapie einer pCAP nach 48 (- 72) h
- Versorgung von Kindern & Jugendliche mit pCAP und Therapieversagen in einer Klinik für Kinder- und Jugendmedizin möglichst mit infektiologischer, pneumologischer, intensivmedizinischer und kinderchirurgischer Kompetenz
- laborchemische, mikrobiologische und/oder bildgebende Abklärung bei Therapieversagen nach 48 (- 72) h in Abhängigkeit von den klinischen Befunden wie z.B.
- klinische Symptomatik und Anamnese
- Fortbestehen oder Zunahme des Fiebers
- Fortbestehen oder Zunahme der Zeichen erhöhter Atemarbeit (AF, thorakale Einziehungen, Nasenflügeln)
- persistierende Tachykardie
- SpO2 bei Raumluft erniedrigt, Bedarf an zusätzlichem Sauerstoff oder Beatmung
- stark reduzierter Allgemeinzustand, Vigilanzminderung
- verzögerte Rekapillarisierungszeit > 2 Sekunden
- thorakale Schmerzen
- Unfähigkeit zur oralen Flüssigkeitsaufnahme
- fehlende oder abnormale Atemgeräusche bei der Auskultation oder abgeschwächter Klopfschall bei der Perkussion
- klinische Symptomatik und Anamnese
- Klärung der folgenden Fragen bei ausbleibender Entfieberung und klinischer Besserung innerhalb von 48 (- 72) h:
- Erfolgte eine antiinfektive Therapie? Wenn ja, war diese adäquat, korrekt dosiert und regulär appliziert?
- Liegt eine lokale Komplikation der Pneumonie vor (z.B. Pleuraerguss, Empyem, nekrotisierende Pneumonie, Abszess)?
- Liegt ein anderer Erreger als der ursprünglich vermutete oder nachgewiesene vor?
- Ist die Diagnose korrekt (andere Lokalisation der Inflammation)?
- Besteht eine Abwehrschwäche?
- Besteht eine Grunderkrankung?
- einseitiger Klopfschalldämpfung, abgeschwächtes Atemgeräusch, anhaltendes Fieber oder eine sekundäre klinische Verschlechterung können Hinweise auf parapneumonischen Pleuraerguss (PPE) oder ein Pleuraempyem (PE) sein, welche mittels Thoraxsonografie und ergänzend durch Röntgen-Thoraxaufnahme erfolgen näher untersucht werden sollten; keine Schichtbilddiagnostik (CT, MRT) erforderlich, außer bei Zweifel an Diagnose PPE/PE, keine erwartete Besserung unter adäquater antibiotischer und/oder interventioneller Therapie, weitere therapeutische Konsequenz zu erwarten ist und/oder Schichtbilddiagnostik zur Planung einer chirurgischen Therapie erforderlich ist
- bei Pleuraergusses-Nachweis Punktion aus diagnostischen Gründen erwägen (Verzicht auf therapeutische Punktion bei fehlender wesentlicher Beeinträchtigung der Ventilation)
- Pleuraergusspunktion und Drainage-Anlage bei PPE/PE sowie Atemnot und Tachypnoe, großen parapneumonischen Ergüssen mit einer Ausdehnung von > 50 % des Hemithorax (Thorax-Röntgen) bzw. ≥ 2cm Tiefenausdehnung in der Sonografie und/oder Mediastinalverschiebung
- Punktion und Pleuraergussdrainage bei sonografisch hohem Organisationsgrad des Ergusses (CAVE: Anlage eines kleinlumigen Katheters anstreben; Anlage unter Analgosedierung)
- bei liegender Thoraxdrainage kann intrapleurale Fibrinolyse mit Alteplase, Streptokinase oder Urokinase erfolgen
- bei ausbleibender klinischer Besserung und/oder Zunahme von PPE/PE unter konservativer Therapie (Antibiotika + Pleuradrainage) chirurgische Intervention (vorzugsweise mittels videoassistierter Thorakoskopie) erwägen (CAVE: Durchführung einer erneuten mikrobiologischen Diagnostik aus Sekreten, Pleurageweben oder organisierten Strukturen
- keine ausreichende Datenlage für allgemeine Empfehlung von additiver antiinflammatorischer Therapie mit Glukokortikoiden bei PPE/PE
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