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Leitlinie „Management of atrial fibrillation“ der ESC & EACTS

veröffentlichende Fachgesellschaft: European Society of Cardiology (ESC) & European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 30.08.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae176

Grundsätzliches

  • Vorhofflimmern (Atrial Fibrillation; AF) ist eine der häufigsten Herzerkrankungen
  • Prävalenz wird sich in den nächsten Jahrzehnten durch alternde Bevölkerung, zunehmende Belastung durch Komorbiditäten, verbessertes Bewusstsein und neue Technologien bei der Diagnostik verdoppeln
  • Vorhofflimmern verursacht nicht nur Schlaganfall und Herzinsuffizienz, sondern auch andere thromboembolische Ereignisse

Definitionen

  • Vorhofflimmern: supraventrikuläre Arrhythmie mit unkoordinierter Vorhofaktivierung und daraus resultierendem Verlust einer effektiven Vorhofkontraktion (im EKG: Fehlen erkennbarer & regelmäßiger P-Wellen und unregelmäßiger Aktivierung der Herzkammern)
  • zeitlicher Rahmen
    • erstdiagnostiziertes Vorhofflimmern: Vorhofflimmern, das zuvor noch nicht diagnostiziert wurde, unabhängig von Symptomstatus, zeitlichem Rahmen oder Dauer
    • paroxysmales Vorhofflimmern: Vorhofflimmern, das innerhalb von 7 d spontan oder mit Hilfe eines Eingriffs beendet wird
    • persistierendes Vorhofflimmern: Vorhofflimmern, das sich nicht von selbst limitiert (> 7 d; lang anhaltendes persistierendes Vorhofflimmern: min. 12 Monate)
    • dauerhaftes Vorhofflimmern: Vorhofflimmern, bei dem nach gemeinsamer Entscheidung von Patient*in & Ärzt*in keine weiteren theraoeutischen Versuche geplant sind
  • klinische Klassifikation
    • klinisches Vorhofflimmern: (a)symptomatisches Vorhofflimmern, das eindeutig im EKG (12-Kanal-EKG o.Ä.) dokumentiert ist (CAVE: keine Aussage zur Mindestdauer)
    • Auslöser-induziertes Vorhofflimmern: neue Episode von Vorhofflimmern in unmittelbarer Nähe zu auslösendem und potenziell reversiblem Ereignis

Anamnese & Diagnostik

  • Anamnese/Beurteilung von Symptomen und Funktionseinschränkungen, der relevanten Familienanamnese und der Komorbiditäten sowie zur Beurteilung der Risikofaktoren für Thromboembolien und Blutungen
  • Blutuntersuchungen (großes Blutbild, Serumelektrolyte, Schilddrüsen-/Nieren-/Leberwerte und Glukose/HbA1c)
  • Diagnose des klinischen Vorhofflimmerns ist durch EKG (12-Kanal-EKG) zu bestätigen und danach eine Risikostratifizierung & Therapie einzuleiten
    • Zeitspanne des Vorhofflimmerns, die für die Diagnose auf Überwachungsgeräten erforderlich ist, ist nicht eindeutig festgelegt, aber ≥ 30 sec sind als Konsens angesehen (CAVE: standardmäßiges 12-Kanal-EKG misst nur ca. 10 sec)
  • transthorakales Echokardiogramm wird bei Patient*innen mit Vorhofflimmern empfohlen, da dies für die Behandlungsentscheidung von Bedeutung ist
  • Bestimmung des CHA2DS2-VA Score (CAVE: Update des CHA2DS2-VASc Score)
DefinitionPunkte
C – chronische HerzinsuffizienzSymptome/Zeichen einer Herzinsuffizienz (unabhängig von LVEF, also inkl. HFpEF, HFmrEF & HFrEF) oder Vorhandensein
einer asymptomatischen LVEF ≤ 40 %
1
H – HypertonieRuheblutdruck > 140/90 mmHg bei min. zwei Gelegenheiten oder laufende RR-Behandlung1
A – Alter > 75 JahreAlter ist unabhängige Determinante des ischämischen Schlaganfallrisikos2
D – Diabetes mellitusDiabetes mellitus (Typ 1/Typ 2) gemäß derzeit anerkannten Kriterien oder Behandlung mit einer BZ-senkenden Medikamenten1
S – Schlaganfall, TIA oder arterielle
Thromboembolie in der Vorgeschichte
2
V – vaskuläre Erkrankungen (Gefäßerkrankung)KHK, inkl. früherer HI, AP, Revaskularisierung (chirurgisch oder perkutan) und signifikante KHK in Angiographie oder kardialer Bildgebung
ODER
periphere Gefäßerkrankung, inkl. Claudicatio intermittens, frühere Revaskularisierung wegen peripherer Gefäßerkrankung, perkutane/chirurg. Intervention an Bauchaorta und komplexer Aortenplaque in der Bildgebung
1
A – Alter zw. 65 – 74 JahreAlter ist unabhängige Determinante des ischämischen Schlaganfallrisikos1
bei > 2 Punkte Gabe oraler Antikoagulanzien (bei 1 Punkt ggf. erwägen)

Symptomatik

  • Herzklopfen
  • Kurzatmigkeit
  • Müdigkeit
  • Schmerzen in der Brust
  • Schwindel
  • schlechte körperliche Leistungsfähigkeit
  • Ohnmacht (Synkope)
  • Angstzustände
  • gedrückte Stimmung
  • unruhiger Schlaf

modifizierte European Heart Rhythm Association (mEHRA) Symptom Klassifikation

  • 1 = Vorhofflimmern verursacht keine Symptome
  • 2a = Normale tägliche Aktivität, die nicht durch Symptome im Zusammenhang mit Vorhofflimmern beeinträchtigt wird (mildes VHF)
  • 2b = Normale tägliche Aktivität, die nicht durch Symptome im Zusammenhang mit Vorhofflimmern beeinträchtigt wird, aber der Patient wird durch Symptome belästigt (moderates VHF)
  • 3 = Normale tägliche Aktivität durch Symptome im Zusammenhang mit Vorhofflimmern beeinträchtigt (schweres VHF)
  • 4 = Normale tägliche Aktivität nicht mehr möglich (schwerstes VHF)

Komorbiditäten & Risikofaktoren

  • Bluthochdruck
  • Herzinsuffizienz
  • Diabetes
  • Adipositas
  • Schlafapnoe
  • fehlende körperliche Aktivität
  • erhöhter Alkoholkonsum

Therapie

  • grundsätzliche, nicht nur notfallmäßige Therapie soll nach dem AF-CARE-Schema erfolgen
Quelle: https://academic.oup.com/view-large/figure/479884169/ehae176f2.jpg

Therapie zur HF-Kontrolle bei Patient*innen mit AF

  • Herzfrequenz-Kontrolle bei Patient*innen mit AF als Initialtherapie in der Akutsituation, als Ergänzung zu Therapien zur Rhythmuskontrolle oder als alleinige Behandlungsstrategie zur Kontrolle der Herzfrequenz und zur Verringerung der Symptome empfohlen
  • Betablocker, Diltiazem, Verapamil oder Digoxin als Medikamente der 1. Wahl bei AF und linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF) > 40 %
  • Betablocker und/oder Digoxin bei Vorhofflimmern und LVEF ≤ 40 %
  • wenn einzelnes Medikament Symptome/Herzfrequenz bei Vorhofflimmern nicht kontrollieren kann, kombinierte Frequenzkontrolle in Betracht ziehen, sofern Bradykardie vermieden werden kann
  • initial leichte Kontrolle der Herzfrequenz mit Ruheherzfrequenz von < 110/min anstreben
  • Amiodaron, Digoxin, Esmolol oder Landiolol i.v. bei Patient*innen mit hämodynamischer Instabilität oder stark verminderter LVEF erwägen
Medikamenti.v.-Dosierung
Metoprolol-Tartrat2,5 – 5 mg als Bolus i.v. über 2 min (max. 15 mg)
Metoprolol XL (Succinat)nicht verfügbar oder nicht weit verbreitet
Bisoprololnicht verfügbar oder nicht weit verbreitet
Atenololnicht verfügbar oder nicht weit verbreitet
Esmolol500 µg/kg als Bolus i.v. über 1 min;
gefolgt von 50 – 300 µg/kg/min
Landiolol100 µg/kg als Bolus i.v. über 1 min;
gefolgt von 10 – 40 µg/kg/min
Nevivololnicht verfügbar oder nicht weit verbreitet
Carvedilolnicht verfügbar oder nicht weit verbreitet
Verapamil2,5 – 10 mg als Bolus i.v. über 5 min
Diltiazem0,25 mg/kg. als Bolus i.v. über 5 min, dann 5 – 15 mg/h
Digoxin0,5 mg als Bolus i.v. (0,75 – 1,5 mg
über 24 h in geteilten Dosen)
Digitoxin0,4 – 0,6 mg
Amiodaron300 mg verdünnt in 250 ml 5 %iger
Glucose  i.v. über 30 –
60 min (vorzugsweise über ZVK), gefolgt von 900 – 1200
mg i.v. über 24 h verdünnt in 500 – 1000 ml über ZVK

Therapie zur Rhythmuskontrolle bei Patient*innen mit AF

  • elektrische Kardioversion
    • elektrische Kardioversion bei akuter oder sich verschlimmernder hämodynamischer Instabilität
    • DOAKs bei geeigneten Patient*innen, die sich Kardioversion unterziehen, zur Verringerung des thromboembolischen Risikos ggü. Vitamin-K-Antagonisten bevorzugt empfohlen
    • routinemäßiges Monitoring von RR & SpO2
    • Atropin oder Isoproterenol i.v. ODER temporäre transkutane Stimulation für den Fall einer Bradykardie nach Kardioversion vorbereiten
    • Nutzung der elektrischen Kardioversion als diagnostisches Mittel bei Patient*innen mit persistierendem Vorhofflimmern erwägen, wenn Unsicherheit über Wiederherstellung des Sinusrhythmus oder um Verbesserung der linksventrikulären Funktion zu beurteilen
    • aktiver Kompression der Defi-Patches, z.B. mit
      diskonnektierten  Defi-Paddles wird mit niedrigerer Defibrillationsschwelle, geringerer Gesamtenergieabgabe, weniger Schocks für erfolgreiche elektrische Kardioversion und höherer Erfolgsraten in Verbindung gebracht
  • medikamentöse Kardioversion
    • Flecainid oder Propafenon i.v. bei kürzlich aufgetretenem Vorhofflimmern (Ausnahme: schwere linksventrikuläre Hypertrophie, Herzinsuffizienz mit reduzierter HFrEF oder KHK)
    • Vernakalant i.v. bei kürzlich aufgetretenem Vorhofflimmern bei Patient*innen mit kürzlich aufgetretenem ACS, Herzinsuffizienz mit reduzierter HFrEF oder schwerer Aortenstenose
    • Amiodaron i.v. für Kardioversion von AF bei Patient*innen mit schwerer linksventrikulärer Hypertrophie, Herzinsuffizienz mit verminderter HFrEF oder KHK (CAVE: ggf. verzögerte Kardioversion)
    • keine medikamentöse Kardioversion bei Sinusknoten-Dysfunktion, atrioventrikulären Überleitungsstörungen oder verlängerte QTc (>500 ms), außer Risiken für Proarrhythmien und Bradykardie wurden berücksichtigt
Medikamenti.v.-Dosierung
Flecainid1 – 2 mg/kg über 10 min
Propafenon1,5 – 2 mg/kg über 10 min
Amiodaron300 mg über 30 – 60 min
Ibutilid1 mg über 10 min (0,01 mg/kg bei KG < 60 kg)
Vernakalant3 mg/kg über 10 min (max. 339 mg)
Quelle: https://academic.oup.com/view-large/figure/479884293/ehae176f12.jpg

Exkurs: Therapie von Blutungen bei antikoagulierten Patient*innen

  • Antikoagulation zu unterbrechen und diagnostische/therapeutische Eingriffe einleiten bis die Blutungsursache ermittelt und behoben ist
  • Gabe von Prothrombinkomplex-Konzentrat bei Patient*innen mit AF mit lebensbedrohlicher Blutung oder Blutung an kritischer Stelle erwägen
  • Gabe spezifischer Antidote bei Patient*innen mit AF erwägen, die DOAKs einnehmen und eine lebensbedrohliche Blutung oder Blutung an kritischer Stelle haben
Published inLeitlinien kompakt

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