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Leitlinie „Nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz“ der DGP (Update 2023)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 30.12.2022
Ablaufdatum: 29.12.2027
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-004.html

Grundsätzliches

  • NIV stellt keinen Ersatz für die invasive Beatmung dar, wenn wichtige Gründe für invasive Beatmung sprechen
  • wenn indiziert, NIV als Therapie bei akuter respiratorischer Insuffizienz einsetzen, um Komplikationen der invasiven Beatmung zu vermeiden
  • NIV-Versuch bei komatösen Patienten mit hyperkapnischer ARI im Einzelfall gerechtfertigt
  • vor NIV-Einleitung situationsgerechte Aufklärung über Zweck & Nebenwirkungen der NIV sowie Vermittlung von Sicherheitsgefühl durch Personalanwesenheit und Zusicherung rascher Hilfe

Pathophysiologie

  • Unterscheidung in Anteile
    • der gasaustauschenden Lunge (bzw. akute pulmonale Erkrankungen)
    • des ventilierenden Systems (bzw. ventilatorische Insuffizienz)

akute pulmonale Erkrankungen

  • z.B. Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) oder kardiales Lungenödem
  • dominierende Gasaustauschstörung führt zur akuten respiratorischen Insuffizienz mit Hypoxämie (verringerter PaO2)
  • nur Störung der O2-Aufnahme (20-fach geringere Diffusionsleitfähigkeit von O2); keine Störung der CO2-Abgabe

ventilatorische Insuffizienz

  • z.B. COPD, Obesitas-Hypoventilation (OHS; Kombination von Adipositas mit BMI > 30 kg/m2, Tageshyperkapnie mit PaCO2 ≥ 45 mmHg und Fehlen anderer Erkrankungen), neuromuskuläre und thorako-restriktive Erkrankungen sowie ventilatorisches Versagen bei kardialer Dekompensation
  • ventilatorische Insuffizienz infolge erschöpfte Atempumpe
  • akute respiratorische Insuffizienz mit Hyperkapnie (erhöhter PaCO2)
    • erste sekundär Hypoxämie

Vergleich invasive Beatmung & NIV

Charakteristikainvasive Beatmungnicht-invasive Beatmung
Ventilator/Tubus-assoziierte
Pneumonie
ab 3. – 4. Tag erhöhtes Risikoselten
zusätzliche Atemarbeit (tubusbedingt)ja, bei Spontanatmung und assistierter Beatmungnein
tracheale Früh-/Spätschädenjanein
Sedierungmild, ggf. auch tiefernicht notwendig, ggf. mild
intermittierende Applikationselten möglichhäufig möglich
effektives Husten möglicheingeschränkt bis nicht möglichmöglich
Essen/Trinken möglichschwer bei Tracheostoma & nicht möglich bei Intubationja
Kommunikation möglicherschwertja
Zugang zum Atemwegdirekterschwert
Druckstellen (Gesicht)neinvermehrt bei längerer Anwendungsdauer
CO2-Rückatmungneinbeim NIV-Helm
Leckageseltenhäufig
Magenventilationsehr seltenhäufiger

Kontraindikationen für NIV

absolute Kontraindikationen

  • fehlende Spontanatmung, Schnappatmung
  • fixierte/funktionelle Verlegung der Atemwege
  • gastrointestinale Blutung oder Ileus
  • nicht-hyperkapnisch bedingtes Koma

relative Kontraindikationen

  • hyperkapnisch bedingtes Koma
  • massive Agitation
  • massiver Sekretverhalt trotz Bronchoskopie bzw. nichtinvasivem Sekretmanagement
  • schwergradige Hypoxämie oder Azidose (pH < 7,1)
  • hämodynamische Instabilität (kardiogener Schock, Myokardinfarkt)
  • anatomische und/oder subjektive Interface-Inkompatibilität
  • Z. n. oberer gastrointestinaler OP

Technik & Durchführung der NIV

  • bevorzugte Beatmungsform bei hyperkapnischer Insuffizienz: Positivdruckbeatmung mit inspiratorischer Druckunterstützung (assistierender Modus) kombiniert mit PEEP sowie Back-up-Frequenz zum Apnoe-Schutz und bedarfsweise O2-Gabe zur Sicherung adäquater SpO2-Werte
  • in Initialphase Nasen-/Mundmaske als Interface
  • Beginn der NIV in halbsitzender Position
  • bestmögliche Synchronisierung von Beatmungsgerät mit Spontanatmungsversuchen der Patient*innen
  • bei unzureichender Effektivität in Adaptationsphase Ursachensuche beginnen

Mindestanforderungen an Beatmungsgeräte

  • Druckvorgabe
  • max. IPAP ≥ 30 mm H2O
  • inspiratorische Flussrate min. 60 L/min
  • Backup-Frequenz einstellbar
  • Bilevel-Modus
  • max. AF ≥ 40/min
  • sensibler Flow-Trigger
  • Diskonnektionsalarm
  • einstellbares I : E-Verhältnis für AC-Modus
  • wünschenswert
    • schneller Druckaufbau
    • Triggerschwellen für In- & Exspiration einstellbar
    • interner Akku für 1 h Betriebsdauer

Beatmungsmodi

  • NIV mit Negativdruckbeatmung (NPV)
    • nur in einigen spezialisierten Zentren als Therapie der 1. Wahl bei akuter, exazerbierter COPD
  • NIV mit Positivdruckbeatmung
    • übliche Form der NIV in der Akutmedizin
    • assistierter Modus mit Backup-Frequenz (Trigger bei Inspiration mit inspiratorischer Druckunterstützung; bei Bradypnoe/Apnoe Beatmung mit Sicherheitsfrequenz)
    • ggf. gleichzeitig mit PEEP
  • Beatmung mit Volumenvorgabe (volumenkontrollierte Beatmung)
    • seltener Einsatz bei ARI
    • präklinische Alternative bei Adaption im volumenkontrollierten Modus mit Entwicklung einer ARI (Einstellparameter müssen angepasst werden!)
  • Beatmung im kontrollierten Modus
    • im Notfall i.d.R. keine Patient*innen-Compliance im kontrollierten Modus (CAVE: Asynchronität zw. Patient*in & Beatmungsgerät)
    • Möglichkeit bei stabiler chronischer Hyperkapnie oder bei stärker sedierten Patient*innen
  • Continuous Positive Airway Pressure (CPAP)
    • kontinuierliche Applikation positiver Atemwegsdrücke zur Rekrutierung bisher nicht an der Ventilation beteiligter Areale der Lunge
    • bei hypoxämischer ARI (Verhinderung exspiratorischer Kollaps) oder bei hyperkapnischer ARI (Kompensation intrinsischer PEEP) i.d.R. Kombination mit inspiratorischer Druckunterstützung

Beatmungsparameter

hyperkapnische ARI

  • COPD
    • hohe inspiratorische Spitzendrücke (zw. 15 – 25 cmH2O)
    • hoher inspiratorischer Flow
    • inspiratorische Druckunterstützung (IPAP) mit externem PEEP (zw. 3 – 6 cmH2O)
  • Asthma bronchiale
    • niedrige Inspirationsdrücke (5 – 7 cmH2O); Inspirationsdruck sukzessive bis max. 25 cmH2O steigern
    • PEEP von 3 – 5 cmH2O
  • OHS-Patient*innen
    • druckassistierte Beatmungsmodi (BiPAP ST, ass. PCV)
    • EPAP-Level titrieren
    • inspiratorische Druckunterstützung (ΔEPAP-IPAP) ausreichend breit wählen
    • Inspirationsdauer (Ti) mit I:E Ratio von 1:1 verlängern

hypoxämische ARI

  • CPAP-Therapie vordergründig
  • Zweidruckverfahren zur Reduktion des Sauerstoffbedarf der Atemmuskulatur
  • Beatmung sorgt für Reduktion der Atemarbeit und damit zur Reduktion der AF

Krankheitsbilder

akute hyperkapnische respiratorische Insuffizienz

  • NIV-Therapie bei hyperkap. ARI und pH < 7,35
  • keine NIV bei leichter akuter, exazerbierter COPD mit pH ≥  7,35 sowie nach gleichem Schema auch bei exazerbiertem Asthma bronchiale
  • Ersteinschätzung während Adaptationsphase anhand valider Verlaufsparameter wie Blutgase, AF, SpO2, transkutane PCO2-Messung, Beurteilung Dyspnoeempfindung, Vigilanz
  • unverzügliche Intubation bei Versagen der NIV, außer bei palliativer Gesamtsituation
  • NIV-Versuch auch als Akuttherapie bei ARI aufgrund neuromuskulärer oder thorakal-restriktiven Erkrankungen (inkl. OHS)
  • Algorithmus „NIV-Therapie bei hyperkapnischem ARI“
Quelle: https://register.awmf.org/assets/guidelines/020-004l_Nichtinvasive-Beatmung-Therapie-akute-respiratorische-Insuffizienz_2023-03_02.pdf

kardiales Lungenödem

  • bei kardialem Lungenödem mit hypoxämischer ARI frühzeitige CPAP-Therapie sowie oro-nasale Sauerstoffgabe (auch in der Präklinik)
  • primär NIV als CPAP-Alternative bei zusätzlicher Hyperkapnie additiv Pharmakotherapie
    • adäquaten inspiratorischen Druck (IPAP) mit Ziel alveolärer Normoventilation sowie ausreichend hohen exspiratorische Druck (EPAP) titrieren, analog zur CPAP
  • regelmäßige Überwachung des arteriellen Blutdrucks bei CPAP und NIV
  • Adaptation an CPAP/NIV darf Pharmakotherapie sowie notwendige kardiologische Interventionen nicht verzögern

nicht-kardial bedingte hypoxämische ARI

  • kein Vor-/Nachteil von CPAP/NIV ggü. High Flow Nasal Oxygen (HFNO) bei nur leicht oder moderat gestörtem Gasaustausch (PaO2/FiO2 > 150 mmHg)
  • bei immunsupprimierten erwachsenen Patient*innen mit nicht-kardial bedingter hypoxämischer ARI kann, wenn bei Aufnahme auf ICU keine Kriterien für NIV-Versagen erfüllt sind, CPAP-Versuch/High-Flow unter Berücksichtigung der KI durchgeführt werden
  • klare Festlegung von Abbruchkriterien bei (CPAP)-NIV-Versuch, um Intubation nicht zu verzögern
  • keine routinemäßige NIV-Therapie bei Trauma-/Verbrennungspatienten
    • bei Trauma und Hypoxämie trotz adäquater Analgesie und suffizienter O2-Insufflation ggf. NIV-Therapieversuch durchführen
  • bei mittelschwerem bis schwerem ARDS (PaO2/FiO2 < 150 mmHg) im Einzelfall CPAP-/NIV-Versuch und/oder HFNO
  • CPAP/NIV bei ARDS in mildem oder moderatem Stadium bei ausgewählten Patienten ohne/mit geringgradigem zusätzlichen Organversagen
  • CPAP/NIV bei ARDS ausschließlich unter kontinuierlichem apparativem & klinischem Monitoring sowie ständiger Intubationsbereitschaft
  • NIV zur Präoxygenierung und unmittelbaren Beatmung vor ETI

Palliativmedizin

  • NIV als palliative Maßnahme zur Linderung der Dyspnoe & Besserung der Lebensqualität erwägen

CPAP und NIV im prähospitalen Setting

  • Voraussetzung für erfolgreichen und sicheren Einsatz ist adäquate apparative Ausstattung der Rettungsmittel sowie die Kenntnis und Erfahrung hinsichtlich Indikationen, Kontraindikationen, Abbruchkriterien und praktischer Anwendung
  • bei V.a. kardiales Lungenödem & akuter hypoxämischer ARI ohne zusätzliche ventilatorischer Insuffizienz Beginn der CPAP-Therapie additiv zu Pharmakotherapie und konventioneller Sauerstofftherapie
    • bei zusätzlicher ventilatorischer Erschöpfung alternativ zur CPAP NIV mit individueller Titrierung der Beatmungsdrücke
  • bei kardialen Lungenödem + STEMI oder STEMI-Äquivalent darf CPAP- und NIV-Therapie schnellstmöglichen Transport für rasche invasive Reperfusionstherapie verzögern
  • bei Verdacht oder Bestätigung von akuter bzw. akut-auf-chronischer ventilatorischer Insuffizienz primär NIV mit adäquatem inspiratorischem Druck zur Entlastung der Atemmuskulatur
  • Ziel-SpO2 von 92 – 96 % bzw. bei Patient*innen mit Risiko einer ventilatorischen Insuffizienz von 88 – 92 %
  • umgehende Beendigung von CPAP/NIV bei klinischem Versagen sowie nachfolgend prähospitale ETI, außer bei palliativer Gesamtsituation

NIV-Erfolgskriterien

  • Abnahme der Dyspnoe
  • Vigilanzverbesserung
  • Abnahme der erhöhten AF
  • PaCO2-Abnahme
  • Anstieg pH-Wert
  • Zunahme von SaO2 ≥  85 %
  • Abnahme der erhöhten HF

Sonderfall – Kinder & Jugendliche

  • primär NIV-Therapie bei gemischtem ARI aufgrund von Bronchiolitis, Asthma oder bei ARI aufgrund vorbestehender syndromaler, neuromuskulärer, Lungen-/Atemwegserkrankung
  • bei leichtem/moderatem pädiatrischem ARDS oder bei Sepsis NIV in Betracht ziehen
  • keine Empfehlung für NIV-Therapie bei immunsupprimierten Kindern mit ARI
  • NIV erfordert intensives Monitoring, (inkl. regelmäßiger BGA & klinischer Reevaluation) und Intubationsbereitschaft

NIV-Kontraindikationen bei Kindern

absolute Kontraindikationen

  • fehlende Spontanatmung, Schnappatmung, Apnoen
  • fixierte/funktionelle Verlegung der Atemwege
  • gastrointestinale Blutung und Ileus
  • Linksherzversagen/Schock/drohender Herzkreislaufstillstand

relative Kontraindikationen

  • Koma, fehlende Schutzreflexe, Schluckstörungen
  • massive Agitation bzw. Abwehr trotz ausreichender Sedierung
  • Hypersekretion mit Unfähigkeit Sekret abzuhusten
  • schwergradige Hypoxämie oder Azidose
  • hämodynamische Instabilität (z.B. Katecholaminbedarf, intermittierende hämodynamisch wirksame Herzrhythmusstörungen)
  • anatomische und/oder subjektive Interface-Inkompatibilität
  • Z. n. oberer gastrointestinaler OP
Published inLeitlinien kompakt

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