veröffentlichende Fachgesellschaft: U.S. Department of Defense Defense Health Agency und TCCC Germany
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 15.12.2021
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://tccc-germany.de/images/kurse/V1.1_TCCC_Guidelines_deutsch_15032021.pdf
grundlegendes Management bei Beschuss/Bedrohung
- in Deckung gehen
- Verunglückte anweisen, sich in Deckung zu begeben und sich initial selbst zu versorgen (Blutungsmanagement etc.), wenn er/sie dazu in der Lage ist, oder, wenn es taktisch möglich ist, den Verunglückten in Deckung bringen oder ziehen
- verhindern, dass Verunglückte weitere Wunden erleiden
- Verunglückte aus brennenden Fahrzeugen/Gebäuden herausholen und an sichere Orte bringen (Brände löschen, falls möglich)
- •Stoppen lebensbedrohlicher äußerer Blutungen, wenn taktisch möglich
- Management der Atemwege am besten bis zur Phase der späteren Versorgung aufschieben
grundlegendes Management für taktische Versorgung
- Einrichtung eines Sicherheitsbereichs in Übereinstimmung mit anderen zuständigen Beteiligten; Aufrechterhalten taktisches Situationsbewusstseins
- Triage von Verletzten nach Bedarf
- bei Verwundeten mit verändertem Bewusstseinszustand Waffen und Kommunikationsgeräte sofort entfernen
massive Hämorrhagie
- Suchen nach unerkannten Blutungen; Kontrolle aller Blutungsquellen
- falls noch nicht geschehen: Tourniquet-Anlage (2 – 3 cm proximal der Blutungsstelle); ggf. ein zweites Tourniquet, sofern die Blutung nicht sistiert (Uhrzeit der Tourniquet-Anlage auf dem Tourniquet notieren!!!)
- bei mit Tourniquet nicht stillbaren Blutungen als Ergänzung oder als Einzeltherapie Combat Gauze als hämostatische Wundauflage der Wahl verwenden (min. 3 Minuten direkter Druck nach Behandlung mit hämostyptischen Gazen)
- iTClamp bei Blutungen im Kopf-/Halsbereich, bei denen die Wundränder leicht wieder angenähert werden können (vorher Woundpacking mit hämostatischem Verband)
- bei Anwendung am Hals regelmäßige Kontrollen des Atemweges und auf sich ausbreitende Hämatome achten
- ggf. erweitere Atemwegssicherung erwägen
- Erstuntersuchung auf hämorrhagischen Schock (Bewusstseinszustand, schwacher/fehlender Radialispuls) und ggf. Einleitung Wiederbelebung
Atemwegsmanagement
- Unfallopfer bei Bewusstsein & ohne Atemwegsprobleme
- kein Eingriff in die Atemwege erforderlich
- bei Bewusstlosigkeit: stabile Seitenlage, Kopf überstrecken, ggf. Esmarchhandgriff, Anlage nasopharyngealer Atemweg oder SGA
- Unfallopfer mit oder drohender Atemwegsobstruktion
- falls bei Bewusstsein, Patient dazu anleiten Position einzunehmen, welche die Atemwege am besten schützt
- Kopf überstrecken, ggf. Esmarchhandgriff
- Absaugen, falls verfügbar und inidiziert
- Anlage nasopharyngealer Atemweg oder SGA (SGA, nur wenn Patient bewusstlos ist)
- stabile Seitenlage
- wenn vorangegangene Maßnahmen erfolglos waren, chirurgische Krikothyreotomie durchführen
- bevorzugte Option: Cric-Key-Technik
- Bougie-unterstützte offene chirurgische Technik unter Verwendung einer Atemwegskanüle mit Cuff mit einem Außendurchmesser von weniger als 10 mm, einem Innendurchmesser von 6-7 mm und einer intratrachealen Länge von 5-8 cm
- offene chirurgische Standardtechnik mit einer Atemwegskanüle mit Cuff mit einem Außendurch-messer von weniger als 10 mm, einem Innendurch-messer von 6 – 7 mm und einer intratrachealen Länge von 5 – 8 cm (am wenigsten präferierte Option)
- Lidocain verwenden, wenn Patient bei Bewusstsein ist
- keine HWS-Stabilisierung bei Patienten mit penetrierendem Trauma
- dauerhaft Überwachung mittels Pulsoxymetrie
- häufiges Reassesment
- i-gel bevorzugte extraglottische Atemwegshilfe
- bei SGA mit Cuff Cuffdruck kontrollieren/überwachen
- bei Verletzten mit Gesichts-/Mundtraumata oder bei Verbrennungen im Gesicht mit Verdacht auf Inhalationstrauma nasopharyngealer und extraglottischer Atemweg ggf. nicht ausreichend, ggf. chirurgische Krikothyreotomie erforderlich
Beatmung
- Diagnose Spannungspneumothorax: falls indiziert, sofort behandeln
- Kriterien für Behandlung Spannungspneumothorax
- erhebliches Thoraxtrauma oder Explosionsverletzung
- schwere oder fortschreitende Atembeschwerden
- schwere oder fortschreitende Tachypnoe
- fehlende oder deutlich verminderte einseitige Atemgeräusche
- Sauerstoffsättigung: < 90 %
- Schock
- traumatischer Herzstillstand ohne offensichtlich tödliche Verletzungen
- wird der Spannungspneumothorax nicht sofort behandelt, kann er sich über die Atemnot bis hin zum Schock und zum traumatischem Herzstillstand entwickeln
- initiale Therapie des (vermuteten) Spannungspneumothorax
- falls Chest-Seal auf Thorax aufgebracht → Entfernen
- Pulsoxymetrie-Überwachung
- Verletzten in Rückenlage bringen, es sei denn er ist bei Bewusstsein und muss sich aufsetzen, um die Atemwege infolge eines Kiefertraumas freizuhalten
- dekomprimieren des Brustkorb auf verletzter Seite mittels 14G oder 10-G-Zugangsnadel
- Dekompression entweder im 5. ICR vordere Axillarlinie oder 2. ICR mittlere Clavicularlinie (bei Variante 2 Nadel nicht medial der Brustwarzenlinie einführen)
- Dekompression senkrecht zur Brustwand und knapp über der Oberkante der unteren Rippe einführen Nadel komplett einführen und 5-10 Sekunden lang halten, um damit eine Dekompression zu ermöglichen zum Schluss Nadel herausziehen, Katheter so belassen
- bds. Dekomprimieren bei schwerem Thoraxtrauma oder primärer Explosionsverletzung mit traumatischem Herzstillstand (kein Puls, keine Atmung, keine Reaktion auf Schmerzreiz, keine anderen Lebenszeichen)
- Zeichen erfolgreiche Dekompression
- Besserung der Atemnot
- deutliches zischendes Geräusch, wenn Luft aus dem Brustkorb entweicht (dies kann in geräuschintensiven Umgebungen schwer zu erkennen sein)
- Sauerstoffsättigung steigt auf > 90 % (kann mehrere Minuten dauern oder in großer Höhe nicht funktionieren)
- Patient ohne Vitalzeichen hat, ist wieder bei Bewusstsein und/ oder einen Radialpuls
- wenn Dekompression frustran ist, zweite Dekompression durchführen oder ggf. Fingerthorakostomie/ Thoraxdrainage im 5. ICR durchführen
- weiterhin öfters Reevaluieren
- Kriterien für Behandlung Spannungspneumothorax
- bei offenen und/oder saugenden Thoraxwunden Chest-Seal anbringen (falls kein Chest-Seal verfügbar unbelüftete Variante verwenden (repetitive Kontrolle auf Entwicklung eines Spannungspneumothorax)
Kreislauf
- Monitoring der Vitalparameter durchführen
Blutungen
- Anlage Beckenschlinge bei schwerer Gewalteinwirkung und Schmerzen im Beckenbereich, größere (Beinahe)Amputationen der unteren Extremitäten, Untersuchungsergebnisse mit V.a. Beckenfraktur, Bewusstlosigkeit und/oder Schock
- Reassesment von vorher angelegten Tourniquets (falls distal des Tourniquets noch ein Puls tastbar ist, enger machen)
- Wechsel von Tourniquet auf hämostyptische Gaze oder Druckverband, wenn kein Schock vorhanden ist, Wunde und Blutungen gut zu überwachen sind und der Tourniquet bei der Verletzung eigentlich nicht indiziert ist
- Anlagezeit Tourniquet: nicht mehr als 2 Stunden; Tourniquet nicht entfernen, der länger als 6 Stunden angelegt ist
- Prüfung auf Zeichen eines hämorrhagischen Schocks (Reassesment)
Volumentherapie sowie medikamentöse Therapie
- Zugangswege
- Anlage eines min. 18G-pVKs und Verabreichung von Kochsalzlösung; falls i.v.-Zugang nicht möglich i.o.-Zugang etablieren
- Indikationen für Gabe von Tranexamsäure (2 g TXA als langsame Infusion oder als Bolus i.o.; nicht später als 3 Stunden nach Verletzung)
- Patient benötigt wahrscheinlich Bluttransfusion (z.B. hämorrhagischer Schock, größere Amputationen, penetrierendes Thoraxtrauma, schwere Blutungen)
- Anzeichen/Symptome SHT oder veränderter Bewusstseinszustand
- Priorisierung Auswahl infundierbare Flüssigkeiten bei Schock
- kühl gelagertes Vollblut → frisches Vollblut mit niedrigen Titer → Plasma, Erythrozyten und Thrombozyten im Verhältnis 1:1:1 → Plasma oder Erythrozyten allein
- Wärmeerhalt sollte spätestens jetzt erfolgen
- wenn kein Schock vorliegt: wenn Patient bei Bewusstsein und schluckfähig orale Zufuhr, sonst i.v./i.o.
- Transfusion von frischem Vollblut nur unter entsprechender ärztlicher Anleitung durch geschultes Personal
- Transfusion sollte so schnell wie möglich nach einer lebensbedrohlichen Blutung erfolgen, um das Leben des Patienten zu erhalten
- RR-Zielwert: 100 – 110 mmHg
- falls Radialispuls nicht mehr tastbar, alle Maßnahmen ergreifen, um diesen wiederzustellen/aufrechtzuhalten
refraktärer Schock
- bei frustraner Schocktherapie immer auf Spannungs pneumothorax als Ursache überprüfen; ggf. auch auf der gegenüberliegenden Seite
Wärmeerhalt
- frühzeitige, aggressive Maßnahmen für externe Wärmezufuhr ergreifen
- Minimierung Exposition des Patienten ggü. kalten Boden-, Wind- und Lufttemperaturen. (Isolierung zum Boden sowie Wärmedecken)
- nasse Kleidung durch trockene ersetzen, wenn möglich
- Schutz des Patienten vor Wind und Niederschlag
penetrierende Augenverletzungen
- Durchführung Schnelltest der Sehschärfe sowie Dokumentation
- Auge mit einer starren Augenklappe abdecken (kein Druckverband)
- ggf. Antibiotika-Therapie erwägen
SHT
- bei mittelschwerem/schwerem SHT Überwachung mit Pulsoxymetrie (Werte bei Schock oder ausgeprägter Hypothermie ggf. irreführend)
- bei mittelschwerem/schwerem SHT Sauerstoffgabe (Ziel: SpO2 > 90%)
Analgesie
- Fentanyl 50 g oder 0,5 – 1 µg/kg i.v/i.o. (Wiederholung alle 30 min)
- Fentanyl 100 µg i.n. (Wiederholung alle 30 min)
- Ketamin 30 mg (oder 0,3 mg/kg) langsam i.v./i.o. (Wiederholung alle 20 Minuten) mit dem Ziel Kontrolle der Schmerzen oder Entwicklung eines Nystagmus (rhythmische Hin- und Herbewegung der Augen)
- Ketamin 50 – 100 mg (oder 0,5 – 1 mg/kg) i.m./i.n. (Wiederholung alle 20 – 30 Minuten)
- falls Sedierung erforderlich ist bei schwerwiegenden Verletzungen aus Gründen der Patientensicherheit/des Behandlungserfolges; CAVE: Maßnahmen zur Atemwegssicherung bereitstellen
- Ketamin 1 – 2 mg/kg langsam i.v./i.o. (Ziel: (dissoziative) Anästhesie)
- Ketamin 300 mg i.m. (oder 2-3 mg/kg) als Anfangsdosis (Ziel: (dissoziative) Anästhesie)
- ggf. zusätzlich Gabe von 0,5 – 2 mg Midazolam i.v./i.o. erwägen
- dauerhafte Überwachung der Atemwege, Atmung und des Kreislauf
- bei Verwendung von Opioid-Analgetika sollte Naloxon (0,4 mg i.v./i.o./i.m./i.n.) verfügbar sein
- Ketamin nicht kontraindiziert bei SHT oder Augenverletzung, Vorsicht ist aber geboten
- Ondansetron, 4 mg i.v./i.o./i.m. alle 8 Stunden nach Bedarf bei Übelkeit oder Erbrechen (nicht mehr als 8 mg über 8 Stunden)
- routinemäßige Verwendung von Benzodiazepinen wie Midazolam wird nicht zur Analgesie empfohlen; Benzodiazepine nicht prophylaktisch einsetzen; Benzodiazepine nicht in Verbindung mit einer Opioid-Analgesie verwenden
Antiobiotika
- Antibiotika werden für alle offenen (Kampf)wunden empfohlen
Untersuchung und Behandlung von Wunden/Verletzungen
- Austritt von Eingeweide: Spülung mit sauberer Flüssigkeit; Blutstillung bei unkontrollierbaren Blutungen mittels hämostyptischer Gaze
- freigelegte Eingeweideanteile mit feuchten, sterilen Verbänden abdecken
- ggf. weiteres Aufklaffen von offenen Wunden mit Austritt von Eingeweide verhindern durch Annähern der Wundrändern mit Klebeband o.Ä.
- ausgetretene Eingeweideanteile NICHT zurück in Bauchraum schieben;
- Wärmeerhalt wichtig, da freiliegender Bauchinhalt zu einem schnelleren Wärmeverlust führt
- Verbrennungen
- Beurteilung und Behandlung als Traumapatient mit Verbrennungen und nicht als Verbrennungspatient mit Trauma
- Verbrennungen im Gesicht können mit Inhalationstrauma einhergehen; Überwachung Atemwege und SpO2; bei Atemnot oder Absinken der Sauerstoffsättigung frühzeitige chirurgische Versorgung in Betracht
- Abschätzen der verbrannten Gesamtkörperoberfläche immer in 10%-Schritten mit Hilfe der Neuner-Regel
- Verbrennungswunden trockenen und steril abdecken
- bei Verbrennungen >20 % VKOF Unfallopfer in Rettungsdecke einzuwickeln, um sowohl die verbrannten Stellen zu bedecken als auch eine Unterkühlung zu verhindern
- Flüssigkeitstherapie: bei > 20% VKOF sobald i.v.-/i.o.-Zugang etabliert ist Gabe von Ringer-Laktat- oder Kochsalzlösung (nicht mehr als 1000 mL, ggf. nach Bedarf weitere Gabe
- initiale Flüssigkeitsmenge: % VKOF x 10 mL/h für Erwachsene mit einem Gewicht von 40 bis 80 kg; für jede 10 kg zusätzlich ÜBER 80 kg Menge um 100 ml/h erhöhen
- bei gleichzeitigem hämorrhagischer Schock hat die Behandlung des Selbigen Vorrang bei Verbrennungen < 30 % VKOF orale Flüssigkeitszufuhr in Betracht ziehen, wenn der Verletzte bei Bewusstsein ist und schlucken kann
- medikamentöse-analgetisch Therapie in Betracht ziehen
Reanimation
- Wiederbelebungsmaßnahmen unter Beschuss bei Opfern von Explosions- oder Penetrationstraumata, die keinen Puls haben, nicht beatmet werden und keine anderen Lebenszeichen aufweisen, sind nicht erfolgreich und sollten nicht versucht werden
- bei Patienten mit Thorax- oder Polytrauma, die keinen Puls oder keine Atmung haben, bilaterale Nadeldekompression durchführen, um sicherzustellen, dass sie keinen Spannungspneumothorax haben, bevor die Versorgung eingestellt wird
Kommunikation
- mit Patient ermutigend, beruhigend, erklärend kommunizieren
- so schnell wie möglich Kontaktaufnahme mit taktischer Einsatzleitung
Dokumentation
- klinische Befunde
- durchgeführte Maßnahmen
- Änderungen des Zustands des Patienten
Vorbereitung für Evakuierung
- Patientendokumentation fertigstellen und dem Patienten geben
- Sichern aller losen Enden von Verbänden etc.
- Sichern aller Decken/Gurte etc.
- bei Bedarf ambulanten Patienten Anweisungen erteilen
- Patienten auf/für die Evakuierung vorbereiten
- weiterhin Aufrechterhaltung der Sicherheit am Evakuierungsort
Management der taktischen Evakuierung sowie Betreuung
- Übergabe des Patienten: Weitergabe von Informationen über Patienten und Zustand so klar und schnell wie möglich (Mindestinformationen: stabil oder instabil, festgestellte Verletzungen und durchgeführte Behandlungen)
- nach Evakuierung erneute Untersuchung der Verletzungen bzw. auf neue/weitere Verletzungen sowie Kontrolle aller bisher getroffenen Maßnahmen
- bei respiratorischen Problemen: schnellstmögliche Sauerstofftherapie, sobald Sauerstoff verfügbar ist, bei niedriger SpO2, Verletzungen der Atemwege, Bewusstlosigkeit, SHT, Schock, Unfall in großen Höhen, Rauchgasintoxikation
- bei SHT
- mittelschweres/schweres SHT
- Überwachung des Bewussteinszustand
- Pupillen
- RRsys sollte > 90 mmHg sein
- SpO2 > 90%
- Temperatur
- etCO2
- Antibiotika bei offenen Verletzungen
- einseitige Pupillenvergrößerung in Verbindung mit vermindertem Bewusstsein Anzeichen für steigenden ICP
- Therapie mittels 250 ml hypertone Kochsalzlösung (3 oder 5 %) als Bolus
- 30°-Oberkörper-Hochlagerung
- Hyperventillationsbeatmung (AF > 20/min) mit höchstem FiO2, etCO2 zw. 30 – 35 mmHg
- mittelschweres/schweres SHT
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